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44 ZivildienstNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
ZivildienstG; mangelhafte Glaubhaftmachung des Vorliegens schwerwiegender Gewissensgründe; teilweise unrichtige Beweiswürdigung - hier kein tragendes Element der abweislichen Bescheidbegründung; keine Verletzung im durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Willkür; keine Gleichheitsbedenken gegen die im ZivildienstG enthaltenen Bestimmungen über die Beiziehung einer Vertrauensperson; kein Messen der Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 am Art18 Abs1 B-VGSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 15. Feber 1985 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den von W K gestellten Antrag ab, ihn gemäß §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (ZDG), von der Wehrpflicht zu befreien.
Dieser Berufungsbescheid wurde ua. wie folgt begründet:
"Der Antragsteller und nunmehrige Berufungswerber hat im wesentlichen folgendes vorgebracht:
1. In der Antragsbegründung:
Er lehne aus schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich ab und würde daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten.
Er habe schon als Kind nie Kriegsspielzeug bekommen. Die Gründe für seinen Wunsch, Zivildienst zu leisten, seien ethischer Natur. Er möchte nicht beim Bundesheer lernen müssen, wie man andere Menschen tötet. Er sei in seiner Kindheit religiös erzogen worden. Wenn er heute auch nicht mehr an Gott glaube, so finde er doch, daß man seine Mitmenschen achten müsse, erst recht, wenn es um deren Leben gehe.
Zu der Verhandlung vor der Zivildienstkommission ist der Antragsteller nicht erschienen. Sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Verhandlung wurde mit Bescheid der Zivildienstkommission vom 28. 9. 1984, Zl. 134166/3-ZDK/2/84, zurückgewiesen.
2. In der Berufungsschrift:
Er lehne nach wie vor die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen aus Gewissensgründen ab. Er könne es nicht verantworten, mit Waffen den Frieden zu erzwingen. Der Glaube an Gott gebiete ihm, das Leben der Mitmenschen zu achten, damit ihnen kein Schaden zugefügt werde.
3. In der Berufungsverhandlung:
Das Zivildienstgesetz sei ihm nicht bekannt. Er wisse aber, daß derjenige Zivildienst leisten könne, der den Wehrdienst aus schwerwiegenden Gründen ablehne. Bei ihm bestünden diese Gründe darin, daß er den Frieden nicht mit Waffengewalt erzwingen wolle. Er habe auch nie Kriegsspielzeug gehabt. Wenn fremde Soldaten in das Land einmarschierten, würde er mit ihnen verhandeln und sich neutral verhalten. Auch in Notwehr oder Nothilfesituationen würde er keinesfalls Gewalt anwenden.
Die Berufung ist nicht begründet.
Selbst wenn man davon ausgehen wollte, in der schriftlichen Berufungsausführung werde - der Sache nach - das Vorliegen schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) behauptet, wäre für den Rechtsmittelwerber nichts gewonnen, weil es ihm nicht gelang, seiner gesetzlichen Glaubhaftmachungsverpflichtung (§6 Abs2 ZDG) genüge zu tun.
Er wirkte auf den Senat - der über reichhaltige Vergleichsmöglichkeiten verfügt - in keiner Phase des mit ihm geführten Gespräches wie ein junger Mensch seines Ausbildungsstandes, der eine gefestigte innere Einstellung zum Ausdruck bringt. Vielmehr erweckte er den Anschein, der in Frage stehenden Thematik nur äußerst geringes Interesse entgegenzubringen und sich mit der Verhandlung einer Art Pflichtübung zu unterziehen, die ihn im innersten nicht berührt.
Bezeichnend in diesem Zusammenhang war auch, daß er sich über den Inhalt des Zivildienstgesetzes völlig uninformiert zeigte, was die Annahme nahelegt, daß die Berufungsschrift nicht sein ausschließliches geistiges Eigentum darstellt. Daß es bei ihm noch zu keiner ernsthaften Gewissensbildung gekommen ist, zeigte sich nach Ansicht des Senates auch darin, daß er sich über die österreichische Verteidigungslage bislang kaum Gedanken gemacht haben dürfte, ebensowenig über die gewaltfreie Verteidigung des Landes. Äußerst unglaubwürdig wirkte er nach Inhalt und Art des Vorbringens, als er entrüstet erklärte, auch im Falle von Notwehr oder Nothilfesituationen keinesfalls Gewalt gegen den Angreifer anwenden zu können.
Bei der Würdigung seiner Person und seines Vorbringens wurde mit in Rechnung gestellt, daß er seinen Großvater eine Zeit hindurch pflegte und seinem Vater bei der landwirtschaftlichen Arbeit zur Hand ging. Im Zweifel wurde ferner als erwiesen angenommen, daß er - obwohl er dies nicht bescheinigte - anderen alten Leuten bei der Reinigung der Wohnung half.
All dies war aber im Sinne eines spezifischen Zusammenhanges mit der vom Zivildienstgesetz geforderten inneren Einstellung nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung gewonnenen Gesamteindruck des Senates - siehe oben - entscheidend zu verändern.
Mangels der materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte mithin der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."
2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des W K. Der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG und behauptet ferner, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in seinen Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (des ZDG) verletzt worden zu sein. Er begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.
3. Die bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978 auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. zB VfGH 27. September 1985 B396/84).
Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen, woran sich auch durch die ZDG-Nov., BGBl. 496/1980, nichts änderte (vgl. zB VfGH 27. September 1985 B396/84 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur). Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (s. auch hiezu das soeben zitierte Vorerk.), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.
b) Die ZDOK gelangte - nach dem offenkundigen Sinn und Aussagegehalt der Begründung des angefochtenen Bescheides insgesamt - zum Ergebnis, dem Bf. sei die im §2 Abs1 ZDG vorausgesetzte Glaubhaftmachung, daß er die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen aus Gewissensgründen ablehne, nicht gelungen.
c) Insbesondere rügt der Bf. der Sache nach, daß die ZDOK ungenügende Erhebungen gepflogen und ihren Bescheid unzulänglich begründet habe. Es sei für die Beurteilung, ob Gewissensgründe iS des §2 Abs1 glaubhaft gemacht wurden, ohne Belang, ob er sich Gedanken über die österreichische Verteidigungslage und über die gewaltfreie Verteidigung des Landes gemacht hat oder nicht.
Verfahrensverstöße gravierender Natur, die nach der Judikatur des VfGH (s. die vorstehende lita) unter dem Aspekt des §2 Abs1 ZDG allein Bedeutung erlangen, werden mit diesen Beschwerdebehauptungen - nach der Lage des Falles - keineswegs aufgezeigt. Ein verfassungsgesetzlich relevanter Verstoß verfahrensrechtlicher Art könnte im gegebenen Zusammenhang nur in einer der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechende Beweiswürdigung der ZDOK liegen (s. zB VfGH 27. September 1985 B396/84), was hier keinesfalls zutrifft. Der VfGH kann der ZDOK nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren (wie sie im angefochtenen Bescheid der ZDOK richtig wiedergegeben wird - s. oben I.1.) und des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht glaubhaft gemacht wurden (vgl. die im wiederholt zitierten Erk. B396/84 wiedergegebene Judikatur des OGH und des VfGH, wonach - grundsätzlich - keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren persönlichen Eindrucks gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person - näher - zu begründen).
Wenn die ZDOK ihre Annahme, daß es beim Bf. noch zu keiner ernsthaften Gewissensbildung gekommen sei, ua. auf den Umstand stützt, daß sich dieser über die österreichische Verteidigungslage und über die gewaltfreie Verteidigung des Landes bisher kaum Gedanken gemacht habe, so ist dies kein tragendes Element der Bescheidbegründung. Für sich allein betrachtet, wäre eine derartige Argumentation zwar nicht geeignet, die behaupteten Gewissensgründe iS des §2 ZDG als nicht bescheinigt zu erachten; der erwähnte Umstand kann aber als eines mehrerer tauglicher Indizien dafür gewertet werden, daß der Bf. überhaupt keine ernsthaften Überlegungen zur Frage von Gewaltanwendung angestellt hat, was dafür spricht, daß die iS des §2 ZDG aufgestellte Behauptung unglaubwürdig ist.
Gleiches gilt für die Bescheidbegründung, wonach der Bf. nach Inhalt und Art des Vorbringens äußerst unglaubwürdig gewirkt habe, als er entrüstet erklärte, auch im Falle von Notwehr oder Nothilfesituationen keinesfalls Gewalt gegen den Angreifer anwenden zu können. Würde dieses Argument einen tragenden, unverzichtbaren Teil jener Kommissionsüberlegungen bilden, die zur Abweisung der Berufung führten, so wäre der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden (vgl. VfSlg. 10552/1985). Diese Überlegungen der ZDOK waren hier aber - nach Lage des Falles - lediglich ein peripheres, für die Meinungsbildung nicht ausschlaggebendes Argument.
Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes vorliegt.
2. Der Bf. erachtet sich weiters im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
Anhaltspunkte dafür, daß die Behörde willkürlich vorgegangen wäre, haben sich nicht ergeben. Auch der Bf. behauptet derartiges nicht.
Er macht jedoch geltend, daß das ZDG gleichheitswidrig sei: Gemäß §6 Abs3 ZDG könne der Antragsteller dem Verfahren eine Person seines Vertrauens beiziehen. Der Vertrauensperson komme eine tragende Rolle zu, da sie an der Beratung der Kommission teilnehmen dürfe (§47 Abs4, §48 Abs1 ZDG). Ob einem Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht Erfolg beschieden ist, sei daher ganz wesentlich davon abhängig, ob die Vertrauensperson über entsprechende Ausdrucksfähigkeit verfügt. Dies bewirke eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung.
Der VfGH teilt diese Bedenken nicht: Zum einen ist es Sache des Antragstellers, wen er sich als Vertrauensperson auswählt. Zum anderen sind die Kommissionen verpflichtet, auf das Bildungsniveau, insbesondere auf die Ausdrucksfähigkeit des Antragstellers und seiner Vertrauensperson bei der Entscheidung gebührend Rücksicht zu nehmen. Verletzen sie diese Pflicht, so ist dies nicht dem Gesetz, sondern der Vollziehung anzulasten. Daß hier im Vollzugsbereich derartige Fehler unterlaufen wären, hat das Verfahren nicht ergeben.
Der Bf. ist also auch nicht im Gleichheitsrecht verletzt worden.
3. Schließlich behauptet der Bf. noch, das ZDG sei auch deshalb verfassungswidrig, weil es das Verhalten der Verwaltung nicht auf eine dem Art18 Abs1 B-VG entsprechende Weise vorausbestimme. Es kläre die Frage, wann schwerwiegende und glaubhafte Gewissensgründe vorliegen, objektiv nicht, da es sich um Vorgänge im Gewissensbereich handelt.
Mit diesem Vorwurf ist der Bf. schon deshalb nicht im Recht, weil die in erster Linie der Sache nach kritisierte Vorschrift des §2 Abs1 ZDG als Verfassungsbestimmung erlassen wurde.
4. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam (s. oben II.2 und 3), mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.
5. Aber auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen, weil im Hinblick auf die Einrichtung der belangten ZDOK als Kollegialbehörde iS des Art133 Z4 B-VG ein Fall vorliegt, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (s. zB VfGH 27. September 1985 B360/84).
Schlagworte
Zivildienst, ZivildienstkommissionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B269.1985Dokumentnummer
JFT_10148878_85B00269_00