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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AllgLeitsatz
Art8 und Art9 StGG; Art5 MRK; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Gesetz zum Schutze des Hausrechtes; Festnahme und darauffolgende Anhaltung sowie kurz vor der Verhaftung durchgeführte Hausdurchsuchung; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit und im Hausrecht mangels konkreten, begründeten Tatverdachtes Art144 Abs1 B-VG; kein bestimmtes Begehren, keine Sachverhaltsschilderung, aus der der Gegenstand der Anfechtung erkennbar ist - kein behebbarer Formfehler; keine Zuständigkeit des VfGH zur Feststellung eines Entschädigungsanspruches infolge der zu Unrecht erfolgten AnhaltungSpruch
1. Der Bf. ist durch die am 3. Feber 1985 um etwa 18.30 Uhr in seiner Wohnung durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien erfolgte Festnahme und die folgende, bis 4. Feber 1985, zirka 12.00 Uhr währende Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit und durch die kurz vor der Verhaftung in seiner Wohnung durchgeführte Hausdurchsuchung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.
2. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Der Bf. bringt vor, er sei Untermieter in der Wohnung Wien, N-Straße. Am 3. Feber 1985 abends hätten Kriminalbeamte der Bundespolizeidirektion Wien ua. das von ihm benützte Zimmer durchsucht, ihn festgenommen und bis 4. Feber 1985 in einem Arrestlokal der Bundespolizeidirektion Wien angehalten, dies alles, obgleich gegen ihn kein richterlicher Haft- und Hausdurchsuchungsbefehl vorgelegen und er keiner strafbaren Handlung verdächtig gewesen sei.
In der Beschwerde wird nach einer Schilderung der Festnahme, Anhaltung und Haftentlassung ausgeführt:
"Der Beschwerdeführer hat am selben Nachmittag eine praktische Ärztin aufgesucht. Die entsprechende Krankengeschichte liegt der Beschwerde bei.
Der Beschwerdeführer unterläßt es bewußt, dazu nähere Angaben zu machen, da er ein Verfahren wegen Verleumdung vermeiden will.
...
Abschließend wird nochmals auf die beiliegende Krankengeschichte verwiesen.
Der VfGH wird ersucht, aufgrund dieser Krankengeschichte auch eine Überprüfung im Hinblick auf Art3 MRK vorzunehmen."
b) Der Bf. stellt die Anträge, der VfGH möge
"1. über die Beschwerde eine mündliche Verhandlung anberaumen,
2. sodann erkennen, daß der Beschwerdeführer durch die Durchsuchung seiner Wohnung, seine Festnahme und schließlich durch die 18-stündige Anhaltung in seinem Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes, der persönlichen Freiheit und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden ist;
3. feststellen, daß dem Beschwerdeführer eine Entschädigung für die zu Unrecht erfolgte Anhaltung zusteht;
4. der belangten Behörde auftragen, dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu ersetzen."
Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien erstattete eine Gegenschrift. Die Kriminalbeamten seien ohne Vorliegen von richterlichen Befehlen eingeschritten. Die bel. Beh. räumt ein, daß der der Hausdurchsuchung und der Festnahme des Bf. zugrundeliegende Tatverdacht keineswegs als ausreichend angesehen werden könne, um diese Maßnahmen zu rechtfertigen.
II. Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Der VfGH nimmt aufgrund des übereinstimmenden Parteienvorbringens sowie aufgrund des vorgelegten Aktes der Bundespolizeidirektion Wien - Sicherheitsbüro, Z II-21.899-SB/85, folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Kriminalbeamte der Bundespolizeidirektion Wien - Sicherheitsbüro führten ab 1. Feber 1985 gegen mehrere Personen Erhebungen wegen Verdachtes des Suchtgifthandels. Eine der in diesem Zusammenhang festgenommenen Personen sagte vor der Polizei ua. aus, er habe früher mit einem Mädchen namens "Babsi" Kontakt gehabt und mit ihr auch Haschisch geraucht. Beamte des Sicherheitsbüros forschten dieses Mädchen am 3. Feber 1985 in ihrer Wohnung in Wien, N-Straße, aus. Das Mädchen bestritt, in irgendeinem Zusammenhang mit Suchtgifthandel zu stehen. Obgleich auch sonst keine weiteren Verdachtsgründe bestanden, nahmen die Kriminalbeamten in der aus sechs Zimmern bestehenden Wohnung eine Hausdurchsuchung nach Suchtgift vor. Sie durchsuchten auch das vom Bf. (einem Bekannten des Mädchens) als Untermieter bewohnte Zimmer und nahmen ihn gegen 18.30 Uhr fest. Er wurde in der Folge einvernommen und im Arrest des Polizeigefangenenhauses der Bundespolizeidirektion Wien bis 4. Feber 1985, zirka 12 Uhr angehalten. Die Hausdurchsuchung, die Befragung des Bf. und die weiteren Erhebungen gegen ihn verliefen ergebnislos. Es lag weder ein richterlicher Haftbefehl noch ein richterlicher Hausdurchsuchungsbefehl vor.
2. a) die Festnahme und die Hausdurchsuchung sind Verwaltungsakte, die in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen den Bf. ergingen und die nach Art144 Abs1 vorletzter Satz B-VG beim VfGH bekämpfbar sind (vgl. zB VfSlg. 9210/1981, 9368/1982).
Da in Ansehung dieser angefochtenen Verwaltungsakte auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde insoweit zulässig.
b) Art8 StGG gewährleistet - ebenso wie Art5 MRK - Schutz gegen gesetzwidrige Verhaftung (s. zB VfSlg. 9860/1983). Das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und das gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (dazu zählen die Kriminalbeamten) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person (auch ohne Vorliegen eines richterlichen Haftbefehls) in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen iS des §4 sind die (hier allein in Betracht zu ziehenden) §§175 bis 177 StPO.
Gemäß Art9 StGG ist das Hausrecht unverletzlich. Das Gesetz zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. 88/1862 ist kraft des Art9 StGG ein Bestandteil des StGG und steht nach Art149 Abs1 B-VG im Verfassungsrang. Dem §2 Abs2 des HausrechtsG zufolge darf zum Zwecke der Strafgerichtspflege auch ohne richterlichen Befehl eine Hausdurchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen jemanden ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn jemand auf der Tat betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitz von Gegenständen betreten wird, welche auf die Beteiligung an einer solchen hinweisen. Gleiches besagt §141 Abs2 StPO.
Erste Voraussetzung dafür, daß ein Sicherheitsorgan nach den zitierten Vorschriften aus eigener Macht eine Verhaftung oder eine Hausdurchsuchung durchführen darf, ist das Vorliegen eines konkreten, begründeten Tatverdachtes (vgl. zB VfSlg. 2677/1954, 3108/1956, 6488/1971, 8916/1980 und 9018/1981).
Es kann - wie die bel. Beh. selbst zugibt - keine Rede davon sein, daß diese Voraussetzungen hier vorgelegen seien.
Daraus folgt, daß die Kriminalbeamten schon aus diesem Grund vom Gesetz weder ermächtigt waren, den Bf zu verhaften und anzuhalten, noch in dem von ihm gemieteten Raum eine Hausdurchsuchung durchzuführen.
c) Der Bf. ist demnach im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit und im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.
3. a) Der Bf. deutet auch an, daß gegen ihn im Zuge der Festnahme und Anhaltung von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien Körperkraft angewendet und er dabei verletzt worden sei. Er ersucht, "auch eine Überprüfung im Hinblick auf Art3 MRK vorzunehmen".
Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8580/1979, 8627/1979 und 9836/1983) auch die Modalität einer Verhaftung und Anhaltung nach Art144 Abs1 B-VG beim VfGH etwa mit der Begründung bekämpfbar, daß die Art und Weise der Festnahme und der Anhaltung gegen Art3 MRK verstoßen habe.
Auch in einem solchen Fall muß jedoch dem §15 Abs2 VerfGG zufolge ein bestimmtes Begehren gestellt und gemäß §15 Abs2 und §82 Abs3 VerfGG der Sachverhalt zumindest derart ausreichend geschildert werden, daß aus den Beschwerdebehauptungen der Gegenstand der Anfechtung erkennbar ist. Beiden Anforderungen genügt nach der oben (I.1.a) wiedergegebenen Sachverhaltsdarstellung die vorliegende Beschwerde nicht. Ein solcher Mangel ist kein behebbarer Formfehler (vgl. hiezu zB VfSlg. 4078/1961, 7556/1975, 8733/1980, 9617/1983).
b) Keine Rechtsvorschrift ermächtigt den VfGH zur beantragten Feststellung, daß dem Bf. eine Entschädigung für die zu Unrecht erfolgte Anhaltung zustehe.
c) In Ansehung der beiden zuletzt erwähnten Anliegen war die Beschwerde daher gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Schlagworte
VfGH / Begehren, Bestimmtheit, VfGH / Zuständigkeit, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Hausrecht, HausdurchsuchungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B178.1985Dokumentnummer
JFT_10148878_85B00178_00