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10 VerfassungsrechtNorm
MRK Art3Leitsatz
MRK; aggressives Vorgehen der Bf.; kein gegen Art3 verstoßendes Verhalten von Gendarmeriebeamten durch Gewaltanwendung ohne Mißhandlungsabsicht; kein Verstoß gegen Art3 durch Anlegen von Handschellen Art8 StGG; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch die Dauer der AnhaltungSpruch
I. Das Verfahren wird, soweit sich die Beschwerde gegen die Festnahme der beiden Bf. am 4. August 1983 in Dornbirn sowie gegen die Überwältigung des Erstbf. G P und das gewaltsame Wegschleifen des Zweitbf. O P durch Gendarmeriebeamte wendet, eingestellt.
II. Die Bf. sind durch das Anlegen von Handschellen sowie durch das Verhalten der Gendarmeriebeamten ihnen gegenüber in der Wachstube auf dem Messegelände in Dornbirn am 4. August 1983 sowie durch ihre Anhaltung im Gemeindearrest der Stadt Dornbirn von zirka 2 Uhr bis 7 Uhr bzw. 10 Uhr des 4. August 1983 weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) In der Beschwerde wird - soweit dies für die Entscheidung des vorliegenden Falls von Belang ist - ausgeführt, die Bf. seien nach ihrer Festnahme durch Gendarmeriebeamte im Wirtschaftszelt der Dornbirner-Messe am 4. August 1983 kurz nach Mitternacht von den Beamten auf roheste Weise in die Wachstube geschleppt worden. Dort seien ihnen Handschellen angelegt worden, wobei diese äußerst eng und schmerzhaft angezogen worden seien. Anschließend seien sie von den im Wachlokal anwesenden Gendarmeriebeamten mit Faustschlägen und Tritten mißhandelt worden. Gegen den Erstbf. G P seien derart scharfe Schläge geführt worden, daß dessen Gesicht blutverschmiert gewesen und das Blut an die Wände gespritzt sei. An den Mißhandlungen hätten sich alle zu dem Zeitpunkt in der Wachstube befindlichen Gendarmeriebeamten mit Ausnahme der Beamten B G und W L, die sich zurückhaltend verhielten, beteiligt. Die Ursache des Verhaltens der Gendarmeriebeamten sei in einem erheblichen Alkoholkonsum gelegen, welcher Umstand an Hand zahlreicher leerer oder halb gefüllter Bierkrüge, die in der Wachstube herumgestanden seien, hätte festgestellt werden können.
Um zirka 1 Uhr seien die beiden Bf. in den Gemeindearrest der Stadt Dornbirn überstellt und dort festgehalten worden. Da der zuständige Gemeindesicherheitswachebeamte es abgelehnt habe, G P in seinem Zustand in den Arrest zu nehmen, sei dieser zuerst einer ärztlichen Untersuchung unterzogen worden.
O P sei um zirka 10 Uhr aus dem Arrest entlassen und zum Verhör in die Polizeiwachstube im Messegelände gebracht worden, wo er von einem Gendarmeriebeamten, welcher in der Nacht an der Schlägerei beteiligt gewesen sei und sich geweigert hätte, irgendetwas über die Vorgangsweise der Gendarmerie in das Protokoll aufzunehmen, vernommen worden sei. Auch G P sei zur Vernehmung in die Wachstube gebracht und erst danach der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vorgeführt worden.
Zum Zeitpunkt der Vernehmung seien in der Wachstube noch die Blutflecken an den Wänden sichtbar gewesen. Am selben Tag sei jedoch die Wand ausgemalt worden, sodaß die Spuren nicht mehr zu sehen gewesen seien.
Die beiden Bf. hätten Prellungen am ganzen Körper erlitten, O P besonders an beiden Handgelenken, an den beiden Kieferwinkeln und im Nacken, während G P am ganzen Körper, besonders aber am rechten Ober- und Unterschenkel und auch am Hinterkopf starke Blutunterlaufungen erlitten habe. Er hätte Schmerzen an beiden Handgelenken, Kratzspuren am rechten Handgelenk und am Hals und infolge der Schläge auf den Kopf starke Kopfschmerzen gehabt. Am Nasenrücken habe er eine Prellung an der Knochen-Knorpelgrenze erlitten.
Zu den Behandlungsmethoden der Gendarmeriebeamten in der Wachstube erübrige sich nach Ansicht der Bf. jede rechtliche Ausführung. Die Verbringung in den Gemeindearrest sei ebenfalls verfassungswidrig gewesen, da keiner der Haftgründe nach §175 StPO gegeben gewesen sei. Daß für eine eventuelle Vorführung bei der zuständigen Behörde weder Gefahr im Verzug noch ein besonderes Sicherungsinteresse bestanden habe, ergebe sich daraus, daß eine an den Vorfällen beteiligte und ebenfalls festgenommene dritte Person bereits um 5.30 Uhr über Intervention aus der Haft entlassen worden sei, keine Vorführung vor den Untersuchungsrichter stattgefunden habe und am darauffolgenden Morgen lediglich der Bf. G P der Bezirkshauptmannschaft vorgeführt worden sei.
b) Die Bf. erachten sich durch das Anlegen von Handschellen und das "darauffolgende Mißhandeln in der Wachstube" sowie durch ihre Anhaltung im Gemeindearrest der Stadt Dornbirn von zirka 2 Uhr bis 7 Uhr bzw. 10 Uhr des 4. August 1983 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.
Andere Beschwerdepunkte wurden in der Folge wieder zurückgezogen (s. unten unter Punkt II.).
2. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn hat als bel. Beh. in einer Gegenschrift im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Nach ihrer Festnahme seien die Bf. unter heftigster Gegenwehr in das Wachzimmer auf dem Messegelände gebracht worden. Auch dort wäre es notwendig gewesen, die Bf. mit Körperkraft zu überwältigen, wobei G P jedoch nicht geschlagen worden sei. Die Blutspuren an den Wänden rührten vielmehr daher, daß er - im Mund- und Nasenraum blutend - den blutigen Schleim an die Wände gespuckt habe. Beide Bf. seien im Gemeindearrest Dornbirn untergebracht worden. G P sei vorher im Stadtspital Dornbirn auf seine Haftfähigkeit hin untersucht worden.
O P sei am nächsten Morgen nach seiner Vernehmung auf seine dringende Bitte hin freigelassen worden, da er angegeben habe, einen Termin in Zürich zu haben, von dem seine berufliche Existenz abhänge. Er sei auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin freigelassen worden.
G P, der bei der Gendarmerie alle Angaben verweigert hätte, sei gemäß §36 VStG 1950 der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn übergeben und nach seiner Vernehmung freigelassen worden.
3. Aus Anlaß der der Festnahme der Bf. vorangegangenen Ereignisse wurde gegen die Bf. ein Strafverfahren durchgeführt. Mit - rechtskräftigem - Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 19. November 1984, 18b EVr 1709/83, wurden
G und O P des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§15, 269 Abs1 StGB sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4 StGB,
G P überdies des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach dem §270 StGB
für schuldig erkannt.
Das Gericht nahm als erwiesen an, daß die beiden Bf. gegen die Gendarmeriebeamten V und G tätlich geworden seien, welche versucht hätten, die Fortsetzung einer tätlichen Auseinandersetzung, an der die Bf. beteiligt gewesen seien, durch ihr Dazwischentreten zu verhindern. G P habe die Gendarmeriebeamten beschimpft und dem Beamten L Schläge gegen den Magen versetzt. Die Beamten hätten daraufhin versucht, die beiden wild um sich schlagenden Bf. vom Freihofstand wegzubringen. G P sei dabei gegen die Gendarmeriebeamten in der Absicht vorgegangen, die Beamten mit Gewalt an ihrer Amtshandlung zu hindern. Die beiden Bf. hätten mit Händen und Füßen auch in der Absicht zugeschlagen, die Gendarmeriebeamten dadurch zu verletzen. Erst durch das Hinzukommen mehrerer Gendarmeriebeamter sei es unter Gewaltanwendung möglich gewesen, die beiden Bf. in das Wachzimmer zu verbringen.
Mehrere der beteiligten Beamten hätten dabei Prellungen, Zerrungen und Hautabschürfungen erlitten.
4. Gegen die Gendarmeriebeamten W M, G L, A L, A F, W L, F S, K E, S J, B G und E L wurden gerichtliche Vorerhebungen wegen §§83, 303 und 313 StGB eingeleitet.
In Niederschriften gaben die einvernommenen Beamten übereinstimmend an, keiner der Bf. sei geschlagen worden. Die Bf. hätten allerdings nur durch Aufbietung von Körperkraft überwältigt werden können. Beim Eintritt in das Wachlokal sei G P samt den ihn festhaltenden Beamten aufgrund der heftigen Gegenwehr des Bf. zu Sturz gekommen. Bei diesem Vorfall könne G P verletzt worden sein, wobei es wahrscheinlich sei, daß er schon als Folge der Rauferei im Wirtschaftszelt aus dem Mund blutete.
Völlig ungerechtfertigt sei die Behauptung, er wäre derart geschlagen worden, daß das Blut an die Wände gespritzt sei. Die Blutspuren im Wachlokal rührten vielmehr daher, daß G P, der im Mund- und Nasenraum blutete, immer wieder den blutigen Schleim an die Wand spuckte. Unrichtig sei auch, der Wachraum sei noch am selben Tag ausgemalt worden.
Die Beamten bestreiten auch einen erheblichen Alkoholkonsum während des Dienstes. Die Gläser auf dem Tisch im Wachraum seien dadurch zu erklären, daß die Beamten dort ihre Mahlzeiten einnehmen würden und dazu fallweise auch ein Bier trinken würden, was ihnen nicht verboten sei. Das Geschirr würde nur sehr selten abgeräumt werden.
Das Strafverfahren gegen sämtliche Gendarmeriebeamten wurde gemäß §90 Abs1 StPO eingestellt.
II. Mit Schriftsatz vom 21. Jänner 1985 haben die Bf. "mit Rücksicht auf das bisher durchgeführte Strafverfahren 18b EVr 1709/83 des Landesgerichtes Feldkirch" die Beschwerde, soweit sie die Festnahme der Bf. sowie die Überwältigung des G P unter Anwendung eines schmerzhaften Festhaltegriffes und das gewaltsame Wegschleifen des O
P betraf, zurückgezogen.
Das Beschwerdeverfahren ist daher insoweit einzustellen.
III. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Aus den Feststellungen des Landesgerichtes Feldkirch in dessen Urteil vom 19. November 1984, dem auch die von den Bf. im verfassungsgerichtlichen Verfahren angebotenen Beweismittel zugrunde gelegen sind, geht hervor, daß die Gendarmeriebeamten gegen die Bf. zwar Gewalt angewendet haben, dies aber nicht in Mißhandlungsabsicht taten.
Dazu kommt noch folgender Umstand: Das Landesgericht Feldkirch hat im Strafverfahren gegen die beiden Bf. bereits im ersten Rechtsgang (das oben genannte Urteil vom 19. November 1984 erging im zweiten Rechtsgang nach einer Ergänzung des Beweisverfahrens) einen Lokalaugenschein durchgeführt und die von der Verteidigung angebotenen Zeugen in der Wachtstube der Messehalle Dornbirn vernommen. Das Gericht hat aufgrund dieser Beweisaufnahme in dem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil vom 14. Mai 1984 in diesem Zusammenhang festgestellt, daß die Blutflecken an der Wand des Wachzimmers nicht - wie behauptet - das Resultat von Schlägen (durch Gendarmeriebeamte) darstellten, sondern nur durch Spucken von Blut seitens G P an die Wand verursacht worden seien.
Die Beschwerdebehauptungen über die Mißhandlungen können daher nicht als erwiesen angesehen werden, zumal auch die gegen die Gendarmeriebeamten eingeleiteten gerichtlichen Vorerhebungen nichts Gegenteiliges ergeben haben.
Bei dem durch das Gericht festgestellten Sachverhalt kann auch keine Rede davon sein, daß das - von der Behörde nicht in Abrede gestellte - Anlegen von Handschellen einen Verstoß gegen Art3 MRK darstellt. Die Bf. sind gegen die Gendarmeriebeamten gewaltsam vorgegangen und haben ihnen sogar Verletzungen zugefügt. Die Beamten waren unter diesen Umständen gehalten, der aggressiven Vorgangsweise der Bf. entgegenzuwirken und diese zu beenden. Eine derartige Situation rechtfertigte (auch) das Anlegen von Handschellen (vgl. hiezu VfSlg. 9298/1981, S 415).
Die behauptete Verletzung des Art3 MRK ist somit insgesamt nicht gegeben.
2. Es ist aber auch die Beschwerdebehauptung nicht gerechtfertigt, daß die Bf. durch ihre Anhaltung in der Zeit von zirka 2 Uhr bis 7 Uhr bzw. 10 Uhr des 4. August 1983 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden seien.
Es kann nämlich schon im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des VfGH zur Dauer einer Anhaltung (die Festnahme als solche ist nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens), wonach an sich zu fordern ist, daß die Einvernahme des (während der Nacht) Verhafteten im Verwaltungsstrafverfahren in den Morgenstunden oder zumindest am frühen Vormittag zu erfolgen hat (s. VfSlg. 9208/1981, S 70 f., und 9368/1982, S 237), von einer unnötigen Verzögerung der Freilassung der beiden Bf. am Morgen bzw. am Vormittag des 4. August 1983 nicht die Rede sein. Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß die oben genannten Erwägungen aus der Rechtsprechung des VfGH auch für jene Fälle Gültigkeit haben, bei denen die Festnahme im Dienste der Strafrechtspflege erfolgt. An diesem Ergebnis ändert der Umstand nichts, daß ein anderer Verhafteter früher auf freien Fuß gesetzt wurde; ebensowenig ändert daran etwas, daß im Zuge des gegen die beiden Bf. (ebenfalls) eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens lediglich der Bf. G P der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vorgeführt wurde (während der Bf. O P bereits vor seiner Vorführung vor diese Behörde aus der Haft entlassen worden ist).
3. Da auch nicht hervorkam, daß die Bf. durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden sind, ist die Beschwerde - soweit sie nicht zurückgezogen worden ist - abzuweisen.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, MißhandlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1985:B573.1983Dokumentnummer
JFT_10148878_83B00573_00