TE Vfgh Erkenntnis 1985/11/25 A15/83

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Veröffentlicht am 25.11.1985
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Index

30 Finanzverfassung, Finanzausgleich
30/02 Finanzausgleich

Norm

B-VG Art137 / Anlaßfall
B-VG Art137 / Klage zw Gebietsk
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
FAG 1979 §8
FAG 1985 §8
VfGG §41

Beachte

Anlaßfall zu VfSlg. 10633/1985; ähnlich bezüglich anderer nö., stmk. und vbg. Gemeinden und vergleichbarer Bestimmungen auch der FAG 1967 und 1973 A16/83, A19/83, A22/83, A23/83, A30/83, A36/83, A50/83, A54/83, A6/84, A7/84, A8/84 und A8/85, alle vom selben Tag, sowie A42/85 vom 5. Dezember 1985; alle ebenfalls Anlaßfälle zu VfSlg. 10633/1985

Leitsatz

Art137 B-VG; Klage wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus dem Finanzausgleich; Entfall des hauptsächlichen Rechtsgrundes des Klagsanspruches nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §8 FAG 1979 in der Stammfassung und idF BGBl. 569/1981 sowie Aufhebung des §8 FAG 1985 als verfassungswidrig - Abweisung des Klagebegehrens als unbegründet

Spruch

Das Klagebegehren wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Im Rechtsstreit der klagenden Partei Marktgemeinde Gablitz, Bezirk Wien-Umgebung, NÖ, wider die beklagte Partei Land NÖ wegen vermögensrechtlicher Ansprüche nach dem Finanzausgleichsgesetz 1979 (FAG 1979) - beim VfGH protokolliert zur Z A15/83 - wird die Fällung des folgenden Urteils begehrt:

"Die beklagte Partei ist schuldig, die Ertragsanteile der Klägerin an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben für die Zeit ab 1. Jänner 1982 unter Zugrundelegung einer Volkszahl vom 3.329 zu berechnen."

1.1.2. In der Klagserzählung wird - sinngemäß zusammengefaßt - vorgebracht:

Die klagende Partei erhalte jährliche Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben nach dem sogenannten abgestuften Bevölkerungsschlüssel (§§8 Abs3, 10 Abs2 FAG 1979), der von der "Volkszahl" ausgehe. Diese "Volkszahl" bestimme sich nach dem vom Österreichischen Statistischen Zentralamt aufgrund der letzten Volkszählung (1981) festgestellten Ergebnis, das mit dem Beginn des dem Zählungsstichtag nächstfolgenden Kalenderjahres (das ist 1982) wirke. In einer Kundmachung des Statistischen Zentralamtes (zur Volkszählung 1981) vom Feber 1983 sei die "Volkszahl" der Marktgemeinde Gablitz mit 2962 genannt, obwohl sie 3329 Personen betragen müsse. Unter Zugrundelegung dieser richtigen "Volkszahl" hätten sich für die klagende Gemeinde Ertragsanteile ergeben, welche höher seien als die tatsächlich berechneten und überwiesenen.

1.2.1. Das Land NÖ als beklagte Partei erstattete eine schriftliche Klagebeantwortung und beantragte darin der Sache nach die kostenpflichtige Abweisung des Klagebegehrens.

Die Begründung dazu läuft darauf hinaus, daß das Land NÖ alle Verpflichtungen, die ihm gegenüber der klagenden Gemeinde aus dem FAG 1979, und zwar unter Zugrundelegung des vom Statistischen Zentralamtes publizierten endgültigen Ergebnisses der Volkszählung, entstanden seien, bisher voll erfüllt habe.

1.2.2. Das beklagte Land NÖ verkündete dem Bund den Streit (§21 ZPO iVm. §35 Abs1 VerfGG 1953), weil es bei einem Obsiegen der klagenden Partei an diese Gebietskörperschaft zum Ausgleich des erhöhten Finanzbedarfes mit finanziellen (Nach-)Forderungen herantreten müsse. Der Bundesminister für Finanzen gab daraufhin bekannt, daß der Bund in den Rechtsstreit nicht einzutreten beabsichtige.

1.3.1. Nach Art137 B-VG erkennt der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Obwohl die Marktgemeinde Gablitz keine ziffernmäßig bestimmte Summe einklagt, betrifft die vorliegende Klage einen vermögensrechtlichen Anspruch iS des Art137 B-VG, weil die Feststellung der Verpflichtung des Landes NÖ zur Berechnung der Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben nach einem bestimmten Modus begehrt wurde (§38 VerfGG 1953). Ein solcher gegen ein Bundesland gerichteter Anspruch ist - wie es Art137 B-VG fordert - weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch verwaltungsbehördlichen Bescheid zu erledigen (vgl. VfSlg. 7644/1975).

1.3.2. Die Klage ist daher zulässig (Erk. des VfGH VfSlg. 10633/1985 - s. dazu: Punkt 1.6.2.).

1.4. Die Ertragsanteile der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben sind nach den Bestimmungen des §10 (Abs1 bis 4) FAG 1979 und des (bis auf Abs4 Z3 inhaltsgleichen) §10 FAG 1985, BGBl. 544/1984 - in Kraft getreten am 1. Jänner 1985 - zu ermitteln:

Zufolge Abs1 des §10 FAG 1979 (FAG 1985) werden zum Zweck der Ermittlung dieser Anteile (mit Ausnahme der Spielbankabgabe) zunächst - nach Ausscheidung der auf Wien als Gemeinde entfallenden Quote - die Ertragsanteile auf die Gemeinden länderweise unter Beachtung der im §8 Abs2 FAG 1979 (FAG 1985) angeführten Schlüssel rechnungsmäßig aufgeteilt. Von den so länderweise errechneten Beträgen sind 13,5 vH auszuscheiden und (vom Bund) den Ländern zu überweisen; sie sind für die Gewährung von Bedarfszuweisungen an Gemeinden und Gemeindeverbände bestimmt (zweckgebundene Landesmittel). Nach Abs2 leg. cit. haben die Länder die restlichen 86,5 vH als Gemeindeertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben auf die einzelnen Gemeinden nach folgendem Schlüssel aufzuteilen: Vorerst erhalten jene Gemeinden, deren Finanzkraft im Vorjahr den Finanzbedarf nicht erreichte, 30 vH des Unterschiedsbetrages zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft. Die verbleibenden Ertragsanteile sind nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel (§8 Abs3 dritter Satz FAG 1979 (FAG 1985)) auf alle Gemeinden des Landes zu verteilen.

Aus all dem ergibt sich, daß die sogenannte Unterverteilung der verbleibenden 86,5 vH der Ertragsanteile ausschließlich den Ländern obliegt: Wenngleich das FAG 1979 (FAG 1985) die Überweisung dieser Beträge an die Länder nicht ausdrücklich anordnet, folgt aus der Regelung des §10 FAG 1979 (FAG 1985) in ihrer Gesamtheit zwingend, daß der Bund die in Rede stehenden Gelder den Ländern zur Verteilung zur Verfügung stellen muß. Damit wird zugleich den Gemeinden ein Rechtsanspruch darauf eingeräumt, daß ihnen das Land die gemäß den Vorschriften des §10 Abs2 FAG 1979 (FAG 1985) ermittelten Ertragsanteile tatsächlich überweist (vgl. VfSlg. 7644/1975).

1.5. Wie der VfGH bereits in seinem Erk. VfSlg. 9598/1982 mit ausführlicher Begründung darlegte, handelt es sich bei einer (im "Amtsblatt der Wiener Zeitung" zu publizierenden) Kundmachung des Österreichischen Statistischen Zentralamtes gemäß §7 Abs2 Volkszählungsgesetz 1980 (über die "Bürgerzahl") um eine V in der Bedeutung des Art139 B-VG. Nun ist das Verfahren zur Berechnung der - hier der Höhe nach strittigen - Ertragsanteile im FAG 1979 (FAG 1985) geregelt (s. dazu schon: Punkt 1.4.). Dazu ordnet §8 Abs3 FAG 1979 (FAG 1985) an, daß sich das - für die Berechnung bedeutsame - Schlüsselelement "Volkszahl" nach dem vom Statistischen Zentralamt aufgrund der letzten Volkszählung festgestellten Ergebnis bestimmt, das mit dem Beginn des dem Stichtag der Volkszählung nächstfolgenden Kalenderjahres (hier: 1982) wirkt.

1.6.1. Aus Anlaß des vorliegenden Rechtsstreites leitete der VfGH mit Beschluß vom 19. Juni 1985 zur Z G159/85 gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §8 FAG 1979, BGBl. 673/1978, sowohl in der Stammfassung als auch idF des BG vom 9. Dezember 1981, BGBl. 569/1981, sowie des §8 FAG 1985, BGBl. 544/1984, ein.

1.6.2. Mit Erk. des VfGH VfSlg. 10633/1985 (auf dessen Begründung hingewiesen sei) wurde §8 FAG 1985, BGBl. 544/1984, als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, daß diese Aufhebung mit Ablauf des 30. September 1986 in Kraft tritt. Ferner wurde angeordnet, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit zu treten haben.

Der VfGH sprach mit demselben Erk. aber auch aus, daß die folgenden gesetzlichen Vorschriften verfassungswidrig waren, nämlich

§4 FAG 1948, BGBl. 46/1948,

§4 FAG 1950, BGBl. 36/1950, sowohl in der Stammfassung als auch idF

der FAG-Nov. 1952, BGBl. 18/1952,

§4 FAG 1953, BGBl. 225/1952, in der Stammfassung sowie §4 und §13

Abs4 dieses Gesetzes idF der FAG-Nov. 1955, BGBl. 9/1955,

§4 und §13 Abs4 FAG 1956, BGBl. 153/1955,

§4 und §13 Abs4 und 5 FAG 1959, BGBl. 97/1959, sowohl in der

Stammfassung als auch idF der FAG-Nov. 1964, BGBl. 263/1963,

§§9, 17 und 18 FAG 1967, BGBl. 2/1967,

§§8, 17 und 18 FAG 1973, BGBl. 445/1972, und schließlich

§§8, 20 und 21 FAG 1979, BGBl. 673/1978, in der Stammfassung sowie §8 dieses Gesetzes idF der FAG-Nov. 1981, BGBl. 569/1981.

2.1.1. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirken sowohl die Aufhebung des Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit (hier: §8 FAG 1985, BGBl. 544/1984) als auch der Ausspruch des VfGH, ein Gesetz (hier: §8 FAG 1979, BGBl. 673/1978, sowohl in der Stammfassung als auch idF des BG vom 9. Dezember 1981, BGBl. 569/1981) sei verfassungswidrig gewesen, auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig aufgehobenen bzw. erkannten Normen bereits zur Zeit der Verwirklichung des der Klage zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätten.

2.1.2. Da nun mit §8 FAG 1979, BGBl. 673/1978, sowohl in der Stammfassung als auch idF BGBl. 569/1981 sowie §8 FAG 1985 (ua. über die Volkszahl) der hauptsächliche Rechtsgrund des Klagsanspruches entfiel, war die Klage als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Klagen, VfGH / Anlaßfall, Finanzausgleich, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:A15.1983

Dokumentnummer

JFT_10148875_83A00015_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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