TE Vfgh Erkenntnis 1985/11/27 B14/85

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Veröffentlicht am 27.11.1985
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
DSt 1872 §51 Abs2
DSt 1872 §51 Abs5
ZustellG §1 Abs1
ZustellG §24

Leitsatz

Disziplinarstatut 1872; Zulässigkeit der Beschwerde des (beschuldigten) Rechtsanwalts gegen den Teil des Bescheides der OBDK, mit dem über die Berufung des Disziplinaranwaltes entschieden wurde; iS des §51 Abs2 nicht ausgeschlossen, daß sich die Rechtsposition des Bf. dadurch, daß die OBDK die Berufung des Disziplinaranwaltes nicht zurückwies, verschlechterte; Bescheid des Disziplinarrates iS des §24 ZustellG an den Disziplinaranwalt innerhalb angemessener Frist ausgefolgt - Rechtzeitigkeit der Berufung des Disziplinaranwaltes; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) DDr. M N ist Rechtsanwalt mit dem Kanzleisitz in Wels.

Der Disziplinarrat der Oö. Rechtsanwaltskammer hat ihn mit Erk. vom 26. April 1983 der Disziplinarvergehen der Berufspflichtverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und über ihn gemäß §12 Abs1 litb des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, RGBl. 40/1872, idgF (DSt.) eine Geldstrafe verhängt. Hingegen wurde er von der weiteren gegen ihn erhobenen Anschuldigung, er habe am 24. Oktober 1981 Dr. H S gegenüber bestimmte beleidigende Äußerungen gemacht, freigesprochen.

Dieser Bescheid wurde Rechtsanwalt DDr. N im Wege der Post am 8. November 1983 zugestellt. Die für den Disziplinaranwalt bestimmte Ausfertigung wurde diesem am 14. November 1983 am Sitz des Disziplinarrates gegen schriftliche Übernahmebestätigung ausgefolgt.

b) Gegen dieses Erk. des Disziplinarrates erhob Rechtsanwalt DDr. N eine am 21. November 1983 zur Post gegebene Berufung, die sich gegen den Schuldspruch und den Ausspruch über die Strafe richtete. Der Disziplinaranwalt focht das Erk. im Strafausspruch mit der beim Disziplinarrat am 28. November 1983 eingelangten Berufung an.

Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) entschied mit Erk. vom 1. Oktober 1984 über diese Berufungen wie folgt:

"Der Berufung des Beschuldigten wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, in seinem schuldigsprechenden Teil aufgehoben und die Disziplinarsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang an den Disziplinarrat zurückverwiesen.

Der Kammeranwalt wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen."

Die OBDK setzte sich in diesem Bescheid mit dem Einwand des Beschuldigten, Rechtsanwalt DDr. N, in dessen Gegenausführung zur Berufung des Kammeranwaltes auseinander, wonach dieses Rechtsmittel verspätet erhoben worden sei:

"Wie die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission in der Kanzlei des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer erhoben hat, ist aus kostensparenden Gründen die jeweilige Zustellung von Beschlüssen, Erkenntnissen oder Rechtsmitteln an den Kammeranwalt derart organisiert, daß Ausfertigungen für den Kammeranwalt bis zu dessen nächster Intervention vor dem Disziplinarrat zurückbehalten und erst dabei ausgefolgt werden. Im Regelfall erfolgt eine derartige Intervention wenigstens einmal wöchentlich.

Die Zustellungen im Disziplinarverfahren haben sich nach den (auch in der hier heranzuziehenden Strafprozeßordnung anzuwendenden) Bestimmungen des Zustellgesetzes (BGBl. Nr. 200/82) zu richten (Bkd 77/83). Nach Lage des Falles wurde dem Kammeranwalt die für ihn bestimmte Ausfertigung des Erkenntnisses nicht im Postwege (§2 ZustellG), sondern durch unmittelbare Ausfolgung am Sitz des Disziplinarrates zugemittel (§24 ZustellG). Die Zustellung ist demnach mit der Ausfolgung des Schriftstückes gegen schriftliche Übernahmsbestätigung - hier am '14. 11. 83, - bewirkt.

Dessen ungeachtet hegt die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission Bedenken hinsichtlich der gehandhabten Zustellpraxis. Kann doch dadurch beim Beschuldigten der Eindruck der Manipulation oder zumindest einer sachfremden Ungleichbehandlung der Parteien entstehen. Die Bedenken können in ihren Auswirkungen aber nicht dazu führen, daß der Kammeranwalt nachteilige Konsequenzen einer solchen Zustellpraxis zu tragen hätte, für die ausschließlich die Rechtsanwaltskammer als für die Organisation verantwortliche Behörde einzustehen hat. Es wäre angezeigt, in Zukunft einen Zustellvorgang zu wählen, der den dargelegten Einwänden Rechnung trägt und den Anschein einer Parteilichkeit vermeidet. Im gegenständlichen Fall verliert der zeitliche Abstand der Zustellungen an Bedeutung, zieht man in Betracht, daß der 14. November 1983 auf einen Montag fiel. Die Berufung des Kammeranwaltes ist daher nicht als verspätet anzusehen. Sie war demnach nicht zurückzuweisen; vielmehr war der Kammeranwalt mit seiner Berufung auf die vorstehende Entscheidung zu verweisen."

2. Die von Rechtsanwalt DDr. N erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde wendet sich ausdrücklich nur gegen den zweiten Teil des Bescheides der OBDK vom 1. Oktober 1984 ("Der Kammeranwalt wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen"). Der Bf. meint, daß - entgegen der Auffassung der OBDK - die vom Disziplinaranwalt erhobene Berufung als verspätet zurückzuweisen gewesen wäre und behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein "faires Verfahren" verletzt worden zu sein. Er begehrt, den angefochtenen Teil des Bescheides der OBDK kostenpflichtig als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die OBDK als bel. Beh. hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

a) Der administrative Instanzenzug ist erschöpft.

b) §51 Abs5 DSt. lautet:

"Ist die Berufung lediglich zugunsten des Beschuldigten ergriffen worden, so kann weder die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission noch der Disziplinarrat in einer erneuerten Entscheidung (Abs2) über ihn eine strengere Strafe als in dem angefochtenen Erkenntnis verhängen."

Der verwiesene Abs2 des §51 sieht vor, daß die OBDK als Berufungsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen das Erk. des Disziplinarrates aufheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat zurückverweisen kann.

Das bedeutet, daß im zweiten Rechtsgang der Disziplinarrat dann, wenn im ersten Rechtsgang nur der Beschuldigte Berufung erhoben hat, keinesfalls eine strengere als die im ersten Rechtsgang verhängte Strafe aussprechen darf, daß aber dann, wenn im ersten Rechtsgang (auch) der Disziplinaranwalt berufen hat, der Disziplinarrat auch eine strengere Strafe verhängen darf.

Es kann also für die Rechtsposition des Beschuldigten im zweiten Rechtsgang von Einfluß sein, ob im ersten Rechtsgang auch der Disziplinaranwalt eine zulässige Berufung erhoben hat.

Von der Ermächtigung des §51 Abs2 DSt. hat die OBDK hier Gebrauch gemacht.

Es ist also nicht ausgeschlossen, daß sich die Rechtsposition des Bf. als Beschuldigter im Disziplinarverfahren dadurch, daß die OBDK die Berufung des Disziplinaranwaltes nicht als unzulässig zurückwies (wie dies der Bf. fordert), verschlechterte und daß damit der bekämpfte Bescheid ein subjektives Recht des Bf. verletzt (vgl. zB VfSlg. 9107/1981).

Die Beschwerdelegitimation ist daher gegeben.

c) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Zur Sache:

a) Der Bf. begründet seine Behauptung, in den oben erwähnten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein, ausschließlich damit, daß der Disziplinarrat verpflichtet gewesen wäre, die für den Beschuldigten und für den Disziplinaranwalt bestimmten Ausfertigungen auf die gleiche Weise (nämlich im Wege der Post) und zur gleichen Zeit zuzustellen. Der Disziplinarrat habe aber entgegen dieser Verpflichtung dem Bf. das erstinstanzliche Erk. im Wege der Post am 8. November 1983 zugestellt, während er die Ausfertigung für den Disziplinaranwalt bei der Behörde zur Ausfolgung zurückhielt. Der Disziplinaranwalt habe erst am 14. November 1983 diese Ausfertigung abgeholt. Diese Zustellpraxis des Disziplinarrates sei gleichheitswidrig. Der Bf. meint, die bel. Beh. hätte die Berufung des Kammeranwaltes als verspätet zurückweisen müssen, "weil bereits der gesamte rechtserhebliche Sachverhalt im Sinne des §26 Zustellgesetz vorlag".

b) aa) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 9696/1983). Zwar hat der VfGH im Erk. VfSlg. 9512/1982 erkannt, daß verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte nicht dadurch verletzt werden, daß die Berufung jener Person, die in der Folge beim VfGH Beschwerde führt, gegen einen Bescheid abgewiesen statt (richtigerweise) zurückgewiesen wird; dies deshalb, weil diesfalls die Zurückweisung der Berufung die Rechtsstellung des Berufungswerbers (anstelle der Abweisung) nicht hätte verbessern können.

Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht: Wie oben (II. 1. b) dargetan wurde, kann es sich aufgrund des §51 Abs5 DSt. im zweiten Rechtsgang für den Bf. rechtlich nachteilig auswirken, daß die OBDK die im Administrativverfahren vom Disziplinaranwalt erhobene Berufung nicht zurückwies. Wenngleich sie mit dem angefochtenen Bescheidteil über diese Berufung keine die Hauptsache meritorisch erledigende, sondern nur eine prozessuale Entscheidung traf (dem Inhalt nach erledigte die OBDK mit dem angefochtenen Bescheidteil (auch) die Berufung des Disziplinaranwaltes dahin, daß sie die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurückverwies), stellte sie auf diese Weise für den zweiten Rechtsgang bindend fest, daß nicht bloß eine Berufung des Beschuldigten, sondern auch eine zulässige Berufung des Disziplinaranwaltes vorliegt und daß damit der Disziplinarrat allenfalls eine höhere als die im ersten Rechtsgang verhängte Strafe aussprechen darf.

Unter diesen Umständen hätte die OBDK den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn sie rechtswidrig eine Kompetenz beansprucht und die Berufung des Disziplinaranwaltes zu Unrecht nicht zurückgewiesen hätte.

bb) Dies ist jedoch der OBDK nicht vorzuwerfen:

Gemäß §24 des Zustellgesetzes, BGBl. 200/1982, (das seinem §1 Abs1 zufolge auch für die Disziplinarbehörden der Rechtsanwälte gilt) kann ein bereits versandbereites Schriftstück dem Empfänger unmittelbar bei der Behörde gegen eine schriftliche Übernahmsbestätigung ausgefolgt werden. "Kann" bedeutet hier, daß der Behörde Ermessen eingeräumt ist; sie hat dieses bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach prozeßökonomischen Grundsätzen zu üben (s. Walter - Mayer, Das österreichische Zustellrecht, Wien 1983, Anm. 3 zu §24 und die dort zitierte Judikatur und weitere Literatur). Selbst wenn aber der Disziplinarrat hier das ihm eingeräumte Ermessen nicht richtig gehandhabt haben sollte (weil durch die Ausfolgung des Erk. beim Disziplinarrat anstelle einer Postzustellung eine Verzögerung eintrat), handelt es sich bei der am 14. November 1983 durchgeführten Ausfolgung des Schriftstückes an den Disziplinaranwalt doch um keinen nichtigen Vorgang. Vielmehr wurde dadurch - und erst dadurch - die (gültige) Zustellung des erstinstanzlichen Erk. an den Disziplinaranwalt bewirkt. Allerdings wäre der Disziplinarrat verpflichet gewesen, das Schriftstück dem Disziplinaranwalt auf andere Weise (etwa im Wege der Post) zuzustellen, wenn es der Disziplinaranwalt innerhalb angemessener Frist nicht abgeholt hätte. Hier wurde das Schriftstück innerhalb einer Woche abgeholt; von unangemessener Dauer kann also nicht gesprochen werden.

Für den Disziplinaranwalt begann daher die 14tägige Berufungsfrist mit 14. November 1983 zu laufen und endete mit 28. November. An diesem Tag brachte er beim Disziplinarrat die Berufung ein. Sie war rechtzeitig. Die OBDK hat sie daher zu Recht nicht als verspätet zurückgewiesen.

c) Der Bf. ist mithin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Damit ist weiters nachgewiesen, daß der Bf. auch nicht in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Es hat sich auch nicht die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm herausgestellt.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Zustellung, Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B14.1985

Dokumentnummer

JFT_10148873_85B00014_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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