TE Vfgh Erkenntnis 2006/9/26 B1001/06

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Veröffentlicht am 26.09.2006
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art7, Art8, Art10
DSt 1990 §1, §3

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen standeswidrigen Verhaltens in Zusammenhang mit einer Besitzstörung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 13. Dezember 2004 wurde der Beschwerdeführer des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße in Höhe von € 1.000,- sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt, weil

        "er als Eigentümer des dienenden Grundstückes ... Grundbuch J

den über dieses Grundstück zu Gunsten der jeweiligen Eigentümer der

Grundstücke ... und ... des selben Grundbuches, dies sind derzeit

Dr. E H und Mag. H R, führenden grundbücherlich sichergestellten Geh- und Fahr[t]weg, trotz vorangegangener wiederholt ausdrücklicher Widersprüche der genannten Eigentümer der herrschenden Grundstücke ab 2. Oktober 2003 hat verlegen lassen und dadurch, wie mittlerweile vom BG Steyr rechtskräftig festgestellt, eigenmächtig den ruhigen Besitz der Eigentümer der herrschenden Grundstücke gestört hat".

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 23. Jänner 2006 keine Folge gegeben. Begründend wird unter anderem ausgeführt:

"Nach den auf der Aktenlage basierenden unbedenklichen Feststellungen des Disziplinarrates haben sich die Servitutsberechtigten dem Disziplinarbeschuldigten gegenüber wiederholt eindeutig gegen die Verlegung des Weges ausgesprochen. Der Disziplinarbeschuldigte musste daher damit rechnen, dass diese im Falle seiner eigenmächtigen Verlegung der Trasse allenfalls ihrerseits selbst den Rechtsweg beschreiten und mit einer Besitzstörungsklage vorgehen würden, wie dies auch tatsächlich geschehen ist. Wenngleich der Disziplinarbeschuldigte mit seiner Auffassung, ein Recht auf die bloße Verlegung auch gegen den Willen der Berechtigten zu haben, tatsächlich im Recht war, ändert dies nichts daran, dass es ihm an der Berechtigung zur eigenmächtigen Abänderung des bisherigen Wegverlaufes mangelte. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage hätte der Disziplinarbeschuldigte ... als Rechtsanwalt den Zivilrechtsweg zu beschreiten gehabt. Er durfte nicht eigenmächtig den Weg verlegen lassen, weil für eine Selbsthilfesituation (§344 ABGB) dergestalt, dass behördliche Hilfe zu spät gekommen wäre, keine Anhaltspunkte vorliegen.

... Auf die Auskunft einer Konzipientin konnte sich der Disziplinarbeschuldigte nicht mit Recht berufen, abgesehen davon, dass inhaltlich der Berufungsausführungen diese Auskunft bloß dahin erteilt wurde, dass der Disziplinarbeschuldigte ein Recht auf Verlegung des Weges ohne Zustimmung der Berechtigten hatte, wogegen vom Recht auf seine eigenmächtig ohne Beschreitung des Rechtsweges vorzunehmende Vorgangsweise nicht die Rede ist. Gerade von einem Rechtsanwalt wird generell ein höherer Grad an Rechtsverbundenheit verlangt und ist in höherem Maße zu erwarten, dass er zur Durchsetzung seiner Ansprüche den Rechtsweg beschreitet."

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsbetätigung, auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie - gestützt auf Art7 EMRK - die Missachtung des Grundsatzes "nullum crimen, nulla poena sine lege" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Unter dem Titel des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und gestützt auf Art7 EMRK führt der Beschwerdeführer aus, dass weder den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter noch der Standesjudikatur verfestigte Standesauffassungen entnommen werden können, wonach sein Verhalten als Verstoß gegen Ehre und Ansehen des Standes zu werten sei. Die belangte Behörde habe kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und das Vorbringen des Beschwerdeführers ignoriert. Schließlich sei seine Verurteilung auch deswegen gleichheitswidrig, weil sie gegen den "Willen des Kammeranwaltes und des Vertreters der Generalprokuratur" erfolgt sei.

2.2.1. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.2.2. Das Fehlen eines konkretisierten Vorwurfes, worin die Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes zu erblicken sei, belastet einen Bescheid mit Willkür (vgl. VfSlg. 11.776/1988). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor: Die belangte Behörde hat sich bei der Beurteilung des Sachverhaltes im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation der Begriffe "Ehre und Ansehen des Standes" für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich, dass er sich durch sein Verhalten einer Bestrafung aussetzt. Nach Auffassung des Gerichtshofes unterliegt ein Rechtsanwalt inner- und außerhalb seines Berufes den Standesvorschriften (VfSlg. 5129/1965). Der Beruf des Rechtsanwaltes steht im Blickfeld der Öffentlichkeit und soll daher ein besonderes Vertrauen rechtfertigen. Der belangten Behörde kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass ein standeswidriges Verhalten auch darin gelegen sein kann, dass "ein Rechtsanwalt zur Durchsetzung seiner eigenen zivilrechtlichen Ansprüche zu ungerechtfertigter Selbsthilfe greift, anstatt den erforderlichen ordentlichen Rechtsweg zu beschreiten".

2.2.3. Dem Verfassungsgerichtshof ist darüber hinaus nicht einsichtig, inwiefern der Beschwerdeführer die geltend gemachte Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte aus dem Umstand ableitet, dass die belangte Behörde einer von der Generalprokuratur vorgebrachten Anregung nicht gefolgt ist. Sollte der Beschwerdeführer meinen, dass die Verurteilung von einer derartigen Anregung abhängig sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich hiefür keine gesetzliche Grundlage findet.

Im Hinblick auf den Antrag des Kammeranwaltes ist auszuführen, dass dieser in der mündlichen Verhandlung vom 23. Jänner 2006 beantragte, "der Senat möge das erstinstanzliche Erkenntnis gegebenenfalls unter Berücksichtigung des §3 DSt [1990] modifizieren".

§3 Disziplinarstatut 1990 (im Folgenden: DSt 1990), BGBl. Nr. 474/1990, lautet:

"§3. Ein Disziplinarvergehen ist vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat."

Der Verfassungsgerichtshof hält es allein aufgrund des - in einem unbedenklichen Ermittlungsverfahren festgestellten - Verhaltens des Beschwerdeführers für vertretbar, wenn die belangte Behörde keinen Anlass zur Anwendbarkeit des §3 DSt 1990 sieht. Ob die Bestimmung in jeder Hinsicht richtig angewendet wurde, ist eine Frage der Anwendung des einfachen Gesetzes, für deren Beurteilung dem Verfassungsgerichtshof keine Zuständigkeit zukommt (vgl. dazu bereits VfGH 28.2.2006, B3248/05, VfGH 6.6.2006, B3561/05).

2.2.4. Der Beschwerdeführer wurde somit weder in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz noch in dem auf Art7 EMRK gestützten Grundsatz "nulla poena sine lege" verletzt.

3.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt worden zu sein, weil er aufgrund der Disziplinarverurteilung nicht mehr unbescholten sei. Unter dem Titel der Unversehrtheit des Eigentums rügt der Beschwerdeführer die Verhängung der Geldbuße in Höhe von € 1.000,-.

3.2. Ausgehend von der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen könnte der Vorwurf des Beschwerdeführers, der angefochtene Bescheid verletze ihn in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur dann zutreffen, wenn der belangten Behörde vorzuwerfen wäre, dass sie das Gesetz (die Richtlinien) verfassungs-(gesetz-)widrig ausgelegt oder denkunmöglich angewendet hätte. Dass dies nicht angenommen werden kann, wurde bereits unter Punkt II.2.2.2. dargelegt.

Es liegt somit auch keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums vor. Inwieweit eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsbetätigung vorliegen soll, ist unerfindlich.

4.1. Der Beschwerdeführer meint außerdem, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt worden zu sein. Er habe eine begründete Rechtsmeinung vertreten, die sich als unzutreffend erwiesen habe. Die belangte Behörde habe eine Auslegung vorgenommen, die zur Erreichung eines in Art10 Abs2 EMRK genannten Zweckes in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig sei.

4.2. Da sich die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe über den Beschwerdeführer auf verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsvorschriften stützt, könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn dem Gesetz fälschlicherweise ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt oder wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre, was aber nur dann der Fall wäre, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 7907/1976 mwN, 14.005/1995, 16.265/2001). Derartiges kann der belangten Behörde - wie bereits zuvor dargestellt - nicht vorgeworfen werden.

5.1. Schließlich erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens beeinträchtigt. Er habe lediglich "seine privaten Interessen sowie die seiner Familie und anderer in seinem Haus lebender Kinder verfolgt".

5.2. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist das Benehmen eines Rechtsanwaltes inner- oder außerhalb seines Berufes, welches Ehre und Ansehen des Standes der Rechtsanwälte beeinträchtigt, keine Angelegenheit des Privat- und Familienlebens des betreffenden Rechtsanwaltes (vgl. VfSlg. 5129/1965). Für den Gerichtshof ist daher keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens ersichtlich.

6. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1001.2006

Dokumentnummer

JFT_09939074_06B01001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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