TE Vfgh Erkenntnis 1985/12/4 B148/82

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Veröffentlicht am 04.12.1985
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Index

32 Steuerrecht
32/06 Verkehrsteuern

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art5
GrEStG 1955 §4 Abs1 Z3 idF BGBl 225/1962

Leitsatz

GrEStG §4 Abs1 Z3; Vorschreibung von Grunderwerbsteuer für den Kauf eines Liegenschaftsanteiles von einer Vereinigung mit der statutenmäßigen Aufgabe der Schaffung von Wohnungseigentum zur Begründung von Wohnungseigentum im von der Verkäuferin zu errichtenden Wohnhaus, weil der Bf. diesen begünstigten Zweck nicht innerhalb von acht Jahren erfüllt habe; Verletzung im Gleichheits- und im Eigentumsrecht

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Bf. erwarb mit Kaufvertrag vom 8. August 1972 von einer Vereinigung mit der statutenmäßigen Aufgabe der Schaffung von Wohnungseigentum einen Liegenschaftsanteil zur Begründung von Wohnungseigentum in dem zu errichtenden Wohnhaus in der KG Unter-Sievering. Mit Bescheid vom 23. September 1980 wurde für diesen Vorgang Grunderwerbsteuer vorgeschrieben, weil der Bf. den begünstigten Zweck nicht innerhalb von acht Jahren erfüllt habe. Die Finanzlandesdirektion wies die Berufung gegen diesen Bescheid mit der Begründung ab, Gegenstand des Kaufvertrages sei der Erwerb der Liegenschaft und des damit verbundenen Nutzungsrechtes an der (erst) zu errichtenden Wohnhausanlage gewesen und Bauherr sei die Verkäuferin geblieben, sodaß der Befreiungstatbestand des §4 Abs1 Z3 GrEStG weder nach lita (arg. "zur Schaffung ...") noch nach litb (arg. "... geschaffen") erfüllt sei.

In der Beschwerde gegen den Berufungsbescheid wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz gerügt. Die Beschwerde räumt ein, daß sich die Auffassung der bel. Beh. auf das Erk. des VwGH vom 25. Juni 1981, 16/1637/80, stützen könne, hält aber die dort vertretene - nach ihrer Auffassung mit einer jahrzehntelangen Praxis brechende - Auslegung für gleichheitswidrig; allenfalls sei das Gesetz selbst verfassungswidrig. Es sei kein Grund erkennbar, dem Grundstückserwerb von einem begünstigten Rechtsträger die Steuerbefreiung nur deshalb zu verweigern, weil dieser das Wohnhaus erst nachher errichtet oder fertiggestellt habe. Außerdem sei Verjährung eingetreten und die Begründung von Wohnungseigentum innerhalb von acht Jahren gar nicht erforderlich.

II. Die Beschwerde ist begründet.

Nach §4 Abs1 GrEStG idF BGBl. 225/1962 ist von der Besteuerung ua. ausgenommen

"3. beim Wohnungseigentum

a) der Erwerb eines Grundstücksanteiles von einer Vereinigung mit der statutenmäßigen Aufgabe der Schaffung von Wohnungseigentum oder von einem gemeinnützigen Bauträger durch eine Person, die zur Schaffung eines Wohnhauses und zur Begründung des Wohnungseigentums den Grundstücksanteil erwirbt,

b) der erste Erwerb eines Anteiles eines Grundstückes, auf dem eine in lita genannte Vereinigung oder ein gemeinnütziger Bauträger ein Wohnhaus geschaffen hat, durch eine Person, die den Grundstücksanteil zur Begründung von Wohnungseigentum erwirbt".

Dieser Bestimmung unterstellt der VwGH im genannten Erk. vom 25. Juni 1981, 16/1637/80 = VwSlg. 5605 F, und in einer Reihe weiterer Entscheidungen (vgl. Arnold, Muß der Erwerbsvorgang nach Errichtung ... des Wohnhauses liegen ...?, AnwZ 1984, 239 ff.) den Inhalt, daß entweder die Erwerber das Wohnhaus gemeinsam schaffen (lita) oder die geminnützige Vereinigung bzw. der gemeinnützige Bauträger es selbst bereits errichtet haben müssen (litb). Demnach genießt der Erwerb von Liegenschaftsanteilen dann keine Steuerbefreiung, wenn das Wohnhaus vom begünstigten Rechtsträger nach der Veräußerung errichtet oder fertiggestellt wird. So heißt es etwa im Erk. 16/0557/79 vom 22. Oktober 1981:

"Die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach ... §4 Abs1 Z3 litb GrEStG - lita kam deswegen nicht in Betracht, weil es unbestrittenermaßen nicht der Beschwerdeführer war, der auf dem Grundstück ein Wohnhaus zu schaffen beabsichtigte, sondern von der Errichtung durch die Verkäuferin ausgegangen wurde - setzt den (ersten) Erwerb eines Grundstücksanteiles voraus, auf dem eine im Sinne des §4 Abs1 Z3 GrEStG begünstigte Vereinigung ein Wohnhaus geschaffen hat. Ist die relevante Tatbestandsvoraussetzung des im maßgebenden Zeitpunkt bereits geschaffenen Wohnhauses nicht gegeben, so ist es den Abgabenbehörden verwehrt, die Befreiung von der Grunderwerbsteuer auszusprechen" (Hervorhebung im Original).

Dieser Auslegung kann der VfGH nicht beipflichten. Sie unterstellt dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt.

1. Zunächst gibt das Beschwerdevorbringen allerdings Anlaß darauf hinzuweisen, daß der VfGH die Richtigkeit der Rechtsansicht der Behörde nicht zu überprüfen hat. Da es Sache des VwGH ist, den Inhalt des Gesetzes zu ermitteln, und der VfGH von jener Deutung ausgehen muß, welche die Behörde dem Gesetz unterstellt (sofern nicht die Verfassung eine andere Auslegung gebietet), ist aus dem Umstand, daß VfSlg. 8940/1980 sich nicht mit der (von der Behörde damals offenkundig anders als hier beantworteten) Frage beschäftigt hat, ob §4 Abs1 Z3 litb GrEStG die Fertigstellung des Wohnhauses vor Veräußerung verlangt, sondern bloß die Möglichkeit der Steuerbefreiung unabhängig vom Fortschritt des Baues bejaht, nichts zu gewinnen. Jenes Verfahren hatte nur Anlaß zur Klärung der - im Ergebnis zu verneinenden - Frage gegeben, ob die Anwendung der Befreiungsbestimmung davon abhängt, daß das Wohnhaus zur Gänze vom begünstigten Rechtsträger errichtet wurde oder ob es genügt, daß er den vom Erwerb erfaßten Teil geschaffen hat.

Die Verfassungswidrigkeit der inzwischen von der Behörde übernommenen Rechtsansicht des VwGH läßt sich auch nicht durch einen Hinweis auf den in VfSlg. 8940/1980 (allgemein) umschriebenen Zweck der Befreiungsbestimmung dartun. Gewiß ist der Zweck der Norm die Begünstigung der Schaffung von Wohnraum zur Begründung von Wohnungseigentum. So wie diese Begünstigung aber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auf den Erwerb von bestimmten Rechtsträgern beschränkt ist (vgl. VfSlg. 5477/1967, 8925/1980, 9398/1982 und 10031/1984), können auch weitere Einschränkungen in der Verfolgung dieses Zweckes sachlich sein.

Andererseits ist die hier zu lösende Frage auch nicht schon durch VfSlg. 8925/1980 und 9398/1982 präjudiziert. Zwar heißt es in der ersten Entscheidung (die durch die zweite nur bestätigt wurde):

"Der Behörde ist zuzubilligen, daß der Wortlaut des §4 Abs1 Z3 litb GrEStG ... die Auslegung noch vertretbar erscheinen läßt, der Bauträger müsse bereits im Zeitpunkt der Schaffung (also Fertigstellung) des Wohnhauses begünstigt iS des §4 Abs1 Z3 GrEStG gewesen sein."

Wie aus dem Zusammenhang aber deutlich wird, ist damit nur ausgesprochen, es sei denkmöglich anzunehmen, daß der Bauträger das Wohnhaus zu einem Zeitpunkt geschaffen haben muß, in dem er das Erfordernis der Gemeinnützigkeit erfüllt hat.

2. Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Z3 des §4 Abs1 GrEStG lassen die Auslegung des VwGH wohl zu, lassen sie aber nicht zwingend erscheinen.

Nach der Stammfassung war von der Besteuerung ausgenommen

"3. beim Bau von Eigentumswohnungen

der Erwerb eines Grundstücksanteiles von einer Vereinigung, deren statutenmäßige Aufgabe die Schaffung von Wohnungseigentum ist, durch eine Person, die den Grundstücksanteil mit einem Wohnungseigentum verbunden erwirbt".

Der Bericht des Finanz- und Budgetausschusses des Nationalrates über den Initiativantrag zur GrEStG-Nov. 1962 (779 BlgNR IX. GP) hat die Neufassung dieser Gesetzesstelle und die Schaffung eines zusätzlichen Tatbestandes wie folgt begründet:

"Nach der Bestimmung des §4 Abs1 Z3 des Grunderwerbsteuergesetzes 1955 in seiner bisherigen Fassung ist der Erwerb eines Grundstücksanteiles von einer Vereinigung, deren statutenmäßige Aufgabe die Schaffung von Wohnungseigentum ist, durch eine Person, die den Grundstücksanteil mit einem Wohnungseigentum verbunden erwirbt, nur dann von der Grunderwerbsteuer befreit, wenn der Erwerber des Grundstücksanteiles die Wohnung selbst tatsächlich errichtet hat, Als Folge dieser Regelung ergibt sich auf Grund der Vorschrift des §4 Abs2 GrEStG 1955, daß die den Grundstücksanteil veräußernde Vereinigung ihre gemäß §4 Abs1 Z2 lita dieses Gesetzes in Anspruch genommene Befreiung wegen Nichtverwirklichung des steuerbegünstigten Zweckes verliert. Den Schwierigkeiten, die bei der Errichtung von Eigentumswohnungen durch mehrere Grundstücksmiteigentümer bestehen, wird damit ebensowenig wie den Aufgaben der als Hilfe für die Miteigentümer eingeschalteten Vereinigungen Rechnung getragen.

Durch die Neufassung des §4 Abs1 Z3 GrEStG 1955 soll nunmehr bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen nicht nur der Erwerb von Grundstücksanteilen zur Schaffung eines Wohnhauses und der Begründung von Wohnungseigentum, sondern auch der Erwerb von Grundstücksanteilen, auf denen eine Vereinigung mit der statutenmäßigen Aufgabe der Schaffung von Wohnungseigentum bereits ein Wohnhaus errichtet hat, grunderwerbsteuerlich begünstigt werden."

Es scheint, daß der in Rede stehende Fall in der Mitte zwischen den in lita und litb geregelten Fällen liegt: Der Erwerber schafft zwar nicht selbst ein Wohnhaus, an dem Wohnungseigentum begründet wird (lita), aber das Wohnhaus wird durch den geschaffen, der es noch nach Fertigstellung begünstigt veräußern könnte (litb); es ließe sich daher auch eine Gesetzeslücke annehmen, die durch zweifache Analogie zu beiden geregelten Fälle zu schließen wäre.

Der VfGH kann der gegenteiligen Auffassung des VwGH indessen nur entgegentreten, wenn eine solche Auslegung von Verfassungs wegen - insbesondere vom Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes her - geboten wäre.

Das ist - wie im folgenden gezeigt wird - der Fall.

3. Der VwGH sieht den sachlichen Grund der von ihm angenommenen Differenzierung in VwSlg. 5605/F/1981 insbesondere darin, daß steuerlich begünstigt werden solle, wer das Unternehmerrisiko getragen hat, ohne auf Anzahlungen von Wohnungswerbern zurückgreifen zu können.

Die Beschwerde hält diese Argumentation für brüchig, weil sie keine Berechtigung für die Schlechterstellung des Wohnungseigentumswerbers darstelle, der bereits vor Vollendung des Baues den Vertrag abschließe und damit - im Gedankengang des VwGH - dem Bauträger das Unternehmerrisiko abnehme, und weil dann die Befreiung jedem zukommen müsse, der das wirtschaftliche Risiko trage.

Nach Czurda (Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, Rdz. 116a, zu §4; Oktober 1983) kommt die Begünstigung bei der (im Wortlaut gedeckten) Auslegung des VwGH

"nur einem kleinen Kreis von Wohnungseigentümern zugute, ohne daß erkennbar wäre, aus welchen sachlichen Gründen der Gesetzgeber diese Differenzierung vorgenommen habe. Es kann nicht angenommen werden, daß Z3 litb eine steuerliche Begünstigung für den Veräußerer sein sollte, daß die GrESt stets der Erwerber zu tragen hat."

Dorazil (Grunderwerbsteuer - ein Unsicherheitsfaktor? ÖStZ 1985, 51 f.) hält dem VwGH folgendes Beispiel entgegen:

"Angenommen, ein Bauträger beabsichtigt, ein Wohnhaus mit 25 Eigentumswohnungen zu bauen. Mit 24 Wohnungseigentumswerbern schließt er Kaufverträge ab, bevor er mit dem Bau beginnt. Mit dem 25. Bewerber schließt er den Kaufvertrag erst nach Fertigstellung des Baues ab. Der 25. Bewerber genießt die Freiheit von der GrESt und alle anderen 24 müssen die Abgabe leisten. In einem solchen Fall ist anzunehmen, daß der Bauträger überhaupt kein Unternehmerrisiko zu tragen hat, weil er den Bau jedenfalls mit den Vorleistungen der 24 Bewerber und mit allfälligen Krediten vollenden wird."

Im Ergebnis ist die Beschwerde tatsächlich im Recht:

Es ist davon auszugehen, daß die Begründung von Wohnungseigentum wegen der Notwendigkeit der genauen Nutzwertfeststellung zur Ermittlung des erforderlichen Mindestanteils (§§3 bis 6 WEG 1975; früher §2 WEG 1948) meist längere Zeit in Anspruch nimmt. Die Bauvorhaben werden in aller Regel nicht durch die Bauträger, sondern durch die künftigen Wohnungseigentümer finanziert, die neben Eigenmitteln und Bauspardarlehen insbesondere auch geförderte Darlehen und Möglichkeiten der Zwischenfinanzierung in Anspruch nehmen, bei deren Beschaffung der Bauträger nur technische Hilfe leistet. In Betracht gezogen werden muß ferner, daß das im Bereich der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft geltende Kostendeckungsprinzip jegliche Nutzziehung aus einem Hinauszögern der Verwendung des Objekts verhindert. Das wirtschaftliche Risiko der Errichtung der Wohnungen wird praktisch zur Gänze auf den Wohnungseigentümer überwälzt, dem auch die Grunderwerbsteuerbefreiung letztlich allein zugute kommt.

Von einem förderungswürdigen Unternehmerrisiko des gemeinnützigen Bauträgers kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein. Auch sonst ist nichts erkennbar, was den Ausschluß gerade des Regelfalles der Schaffung von Eigentumswohnungen unter Einschaltung eines gemeinnützigen Bauträgers rechtfertigen könnte. Aus Gründen verfassungskonformer Interpretation ist folglich die Lücke, die das Gesetz für die in Rede stehenden Vorgänge aufweist, nicht durch einen Umkehrschluß (iS des VwGH), sondern durch Analogie zu schließen.

Die bel. Beh. hat dem Gesetz also fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und den Bf. dadurch im Gleichheitsrecht verletzt. Damit steht zugleich fest, daß sie das Gesetz - iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH - denkunmöglich ausgelegt und den Bf. durch die Belastung mit einer Abgabe im Eigentumsrecht verletzt hat.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

Schlagworte

Grunderwerbsteuer, Wohnungseigentum, Auslegung verfassungskonforme, Analogie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B148.1982

Dokumentnummer

JFT_10148796_82B00148_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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