TE Vfgh Erkenntnis 1986/2/27 B605/84

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Veröffentlicht am 27.02.1986
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Beachte

Anlaßfall zu VfSlg. 10716/1985

Leitsatz

FinStrG; Rechtsverletzung im Anlaßfall (Beschwerde gegen schriftlichen Hausdurchsuchungsbefehl) nach Aufhebung einiger Worte in §93 Abs2 als verfassungswidrig - Anwendung dieses Gesetzes als nachteilig nicht auszuschließen

Spruch

Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Unter Berufung auf §93 Abs1 FinStrG erließ das Finanzamt St. Pölten als Finanzstrafbehörde erster Instanz am 6. Juli 1982 zur Straflisten-Nr. 85/82 einen schriftlichen (Hausdurchsuchungs-)Befehl gegen die Raiffeisenbank N reg. Genossenschaft mbH zur Vornahme einer Hausdurchsuchung in den Betriebsräumen des Unternehmens in N ..., weil dort - wie es in der Begründung dieses Befehls sinngemäß zusammengefaßt hieß - laut Angaben des Geschäftsleiters der Bank Sparkonten mit der Bezeichnung "F und/oder E L" geführt würden, die für ein bereits eingeleitetes Finanzstrafverfahren gegen E L (als Beweismittel) von Bedeutung seien.

Die solcherart angeordnete Hausdurchsuchung wurde von finanzbehördlichen Organen am 15. Juli 1982 an Ort und Stelle durchgeführt.

1.1.2. In einer Beschwerde an den VfGH gemäß Art144 Abs1 B-VG begehrte die Raiffeisenbank N reg. Genossenschaft mbH die kostenpflichtige Feststellung, daß sie durch die dem Finanzamt St. Pölten als bel. Beh. zuzurechnende Amtshandlung vom 15. Juli 1982, und zwar die "tatsächlich vorgenommene Hausdurchsuchung" (S 6 der Beschwerdeschrift), demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei, so im Hausrecht (Art9 StGG), im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG; Art1 1. ZP MRK), im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG).

1.1.3.1. Mit Beschluß des VfGH vom 25. Feber 1983, B439/82, wurde diese Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

1.1.3.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:

"... Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte (natürliche oder juristische) Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für Hausdurchsuchungen in verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren zutrifft, die nicht auf Grund eines - sie anordnenden - verwaltungsbehördlichen Bescheides stattfanden.

Der VfGH sprach bereits aus - und hält an dieser Rechtsauffassung fest -, daß ein schriftlicher Hausdurchsuchungsbefehl nach §93 Abs1 FinStrG - weil die Rechtslage des Betroffenen der Finanzbehörde gegenüber bindend gestaltend - als solcher Bescheid anzusehen ist (VfSlg. 7067/1973, VfGH 3. 3. 1982 B357/81).

Daraus folgt, daß der bekämpfte Verwaltungsakt vom 15. Juli 1982 nur dann einer selbständigen Anfechtung vor dem VfGH unterläge, wenn er nicht durch einen bescheidmäßig verfügten Hausdurchsuchungsbefehl gedeckt gewesen wäre ...

Die etwaige Annahme, daß die bekämpfte Durchsuchung über die Anordnungen des (bescheidmäßigen) Hausdurchsuchungsbefehls vom 6. Juli 1982 - dessen Gesetzmäßigkeit in diesem verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht nachzuprüfen ist (s. VfGH 11. 6. 1982 B236 bis 238/81) - exzessiv hinausgegangen sei (s. VfGH 3. 3. 1982 B357/81), scheidet schon im Hinblick auf die Sachverhaltsschilderung in der Beschwerdeschrift selbst aus.

Demgemäß erweist sich, daß der in Beschwerde gezogene Verwaltungsakt vom 15. Juli 1982, der seine rechtliche Grundlage allein in dem vom Finanzamt St. Pölten am 6. Juli 1982 gemäß §93 Abs1 FinStrG gegen die bf. Genossenschaft erlassenen (bescheidmäßigen) Hausdurchsuchungsbefehl hatte, ... beim VfGH nicht unmittelbar anfechtbar ist, weshalb die auf Art144 Abs1 B-VG gegründete Beschwerde bereits aus dieser Erwägung als unzulässig zurückgewiesen werden mußte, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen eingegangen zu werden brauchte.

Dieses Ergebnis bliebe unverändert, wollte man die Beschwerde - ihrem ausdrücklichen Wortlaut zuwider - als gegen den Bescheid (den 'Hausdurchsuchungsbefehl') vom 6. Juli 1982 gerichtet werten: Denn dieser Bescheid unterliegt, weil nicht ein Rechtsmittel gesetzlich für unzulässig erklärt wurde, der Anfechtung mit (Administrativ-)Beschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG (VfSlg. 7067/1973). Da nach Art144 Abs1 letzter Satz B-VG (§82 Abs1 VerfGG 1953) Beschwerde an den VfGH erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden kann, wäre im gedachten Fall - angesichts der gegen den Hausdurchsuchungsbefehl offen gestandenen und auch tatsächlich ergriffenen (Administrativ-)Beschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG - nämlich gleichermaßen ein Prozeßhindernis, und zwar der Unzuständigkeitsgrund der Nichterschöpfung des Instanzenzuges, zu bejahen ...".

1.2.1. Unbeschadet der Beschwerdeführung zu Punkt 1.1.2. brachte die Raiffeisenbank N reg. Genossenschaft mbH, wie schon in der Begründung des Beschl. des VfGH vom 25. Feber 1983, B439/82, (s. Punkt 1.1.3.2.) erwähnt, eine (Administrativ-)Beschwerde gegen den Hausdurchsuchungsbefehl vom 6. Juli 1982 ein (§152 Abs1 FinStrG), die mit Entscheidung der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. als Finanzstrafbehörde 2. Instanz vom 1. Juni 1984, Z GA 10-574/82, als unbegründet abgewiesen wurde.

1.2.2.1. Gegen diesen (Berufungs-)Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde der Raiffeisenbank N reg. Genossenschaft mbH, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZP MRK), auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes (Art9 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie im Recht auf Datenschutz (§1 DSG), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt wird.

1.2.2.2. Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die Abweisung der Beschwerde.

2.1.1. Aus Anlaß dieser - zulässigen (s. VfSlg. 10716/1985) - Beschwerde leitete der VfGH von Amts wegen mit Beschl. vom 7. Juni 1985, GZ B605/84-7, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Teiles des §93 Abs2 Finanzstrafgesetz (FinStrG), BGBl. 129/1958, und zwar der Wortfolge "oder die im Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht kommen", ein.

2.1.2. Mit Erk. VfSlg. 10716/1985, wurde der in Prüfung gezogene Teil des §93 Abs2 FinStrG, BGBl. 129/1958, als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, daß diese Aufhebung mit Ablauf des 30. November 1986 in Kraft tritt. Ferner wurde angeordnet, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit zu treten haben.

2.2. Gemäß Art140 Abs7 Satz 2 B-VG war die als verfassungswidrig aufgehobene Wortfolge "oder die im Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht kommen" des §93 Abs2 FinStrG, auf die sich der hier angefochtene, die Beschwerde (§152 FinStrG) gegen den Hausdurchsuchungsbefehl abweisende Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. in der Hauptsache gestützt hatte, im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) anzuwenden.

Es ist nicht auszuschließen, daß sich die Heranziehung des verfassungswidrigen Gesetzes im Administrativverfahren zum Nachteil der bf. Partei auswirkte.

Demnach bleibt festzuhalten, daß die Bf. durch den in Rede stehenden Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt wurde (s. auch VfSlg. 10317/1985 und 10319/1985).

Der Bescheid ist somit aufzuheben.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B605.1984

Dokumentnummer

JFT_10139773_84B00605_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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