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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / PrüfungsmaßstabLeitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; StGG Art8; MRK Art5; vertretbare Annahme, daß Bf. strafbare Handlung wiederholen würde (Wiederinbetriebnahme des Fahrzeugs in alkoholisiertem Zustand); Festnehmung und anschließende Anhaltung in §35 litc und §36 Abs1 erster Satz VStG 1950 gedecktSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Bf. sei am 24. Dezember 1982 von Organen des Gendarmeriepostenkommandos Zell am See gemäß §35 VStG 1950 festgenommen worden, "da er die Herausgabe seiner KFZ-Schlüssel" verweigert habe. Diese Herausgabe sei deshalb von den Gendarmerieorganen verlangt worden, da der Bf. in Verdacht gestanden sei, kurz zuvor seinen PKW im alkoholisierten Zustand gelenkt zu haben. Der Bf. sei jedoch infolge einer ernsthaften und chronischen Halsentzündung nicht in der Lage gewesen, den von ihm verlangten Röhrchentest durchzuführen. Das wiederholte, ausdrückliche Ersuchen des Bf., ihn unverzüglich dem zuständigen Sprengelarzt zur Vornahme der klinischen Untersuchung vorzuführen, sei von den Gendarmerieorganen nicht berücksichtigt worden; dies trotz des Hinweises des Bf. auf seinen Krankheitszustand.
Es sei zwar richtig, daß nach herrschendem Recht grundsätzlich kein Wahlrecht zwischen Vornahme der Atemluftprobe iS des §5 Abs2 StVO und der Vorführung zum Amtsarzt iS des §5 Abs4 StVO bestehe. Aufgrund des bedenklichen Gesundheitszustandes des Bf. hätte man ihm die Möglichkeit der geforderten klinischen Untersuchung einräumen müssen, um ihn auf diese Weise vom Vorwurf der Alkoholisierung entlasten zu können. Da dem Bf. dies jedoch nicht ermöglicht worden sei, könne man von einer Verweigerung des Alkotestes, wie von der Behörde behauptet, gar nicht sprechen.
Es sei somit die nachfolgende Festnahme des Bf. nicht zu Recht erfolgt, sie stelle eine willkürliche Verhaftung und damit eine rechtswidrige Beschränkung der persönlichen Freiheit des Bf. dar.
Die Gendarmerieorgane hätten den Bf. nach der erfolgten Festnahme rund 5/4 Stunden lang rechtswidrig im "Handarrest" des Gendarmeriepostenkommandos Zell am See verwahrt. Der Bf. sehe sich auch dadurch in seinem Grundrecht auf den Schutz der persönlichen Freiheit iS des Art8 StGG sowie des Art5 MRK verletzt.
Der Bf. stelle den Antrag auf Feststellung, daß er durch die Festnahme mit nachfolgender Verwahrung im Handarrest in seinem Recht auf Schutz der persönlichen Freiheit verletzt worden sei, für den Fall der Abweisung wird die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
2. Die belangte Bezirkshauptmannschaft Zell am See hat die Verwaltungsakten über das wegen Übertretungen straßenpolizeilicher und kraftfahrrechtlicher Bestimmungen am 24. Dezember 1982 gegen den Bf. durchgeführte Strafverfahren vorgelegt. In der Gegenschrift wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der VfGH stellt fest, daß sich die Beschwerde gegen die am 24. Dezember 1982 vorgenommene Festnahme und die anschließende Anhaltung richtet, sodaß die Verweigerung des Alkotestes und die sich daraus ergebenden Folgen nicht Gegenstand der Beschwerde sind.
Die Festnahme und die Anhaltung des Bf. sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte, die gemäß Art144 Abs1 vorletzter Satz B-VG beim VfGH bekämpft werden können (vgl. zB VfSlg. 9368/1982, 10670/1985).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. Nach den von der bel. Beh. vorgelegten Verwaltungsakten steht folgender Sachverhalt fest:
Der Bf. fuhr am 24. Dezember 1982 um etwa 0.15 Uhr mit seinem PKW auf der Bundesstraße B 311 von Maishofen in Richtung Zell am See - Schüttdorf. Von Organen des Gendarmeriepostenkommandos Zell am See wurden mehrere auf der Fahrtstrecke vom Bf. begangene Verstöße gegen Bestimmungen der StVO (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, Nichteinhalten der rechten Fahrbahnseite, Nichtbeachtung von Überholverboten) festgestellt; überdies entstand der Verdacht, daß sich der Bf. in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinde.
Bei der KFZ-Kontrolle in Schüttdorf wurden typische Merkmale einer Alkoholbeeinträchtigung (gerötete Bindehäute, starker Geruch der Atemluft nach Alkohol, schwankender Gang) festgestellt. Der Bf. folgte den Gendarmeriebeamten zum Gendarmeriepostenkommando, kam aber dort der an ihn gerichteten Aufforderung zur Vornahme des Alkotestes nicht nach. Dem Bf. wurde der Führerschein vorläufig abgenommen.
Weiters kam er der Aufforderung zur Abgabe des KFZ-Schlüssels nicht nach; er erklärte vielmehr, er würde sich nicht hindern lassen, sein Fahrzeug - allenfalls mit einem Reserveschlüssel - sofort wieder in Betrieb zu nehmen. Auf diesem seinem Standpunkt verharrte der Bf. trotz der Abmahnung, daß sein Verhalten als Fortsetzung einer strafbaren Handlung (Lenken des Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand) und als Versuch zur Wiederholung dieser strafbaren Handlung beurteilt und seine Festnahme ausgesprochen werden müßte.
Da trotz mehreren Abmahnungen für die Gendarmeriebeamten aufgrund der Äußerungen und des Verhaltens des Bf. kein Zweifel darüber bestand, daß der Bf. nach dem Verlassen des Gendarmeriepostenkommandos sein Fahrzeug wieder in Betrieb nehmen würde, wurde um 0.45 Uhr die Festnahme ausgesprochen und die Verwahrung im Arrestlokal des Gendarmeriepostenkommandos angeordnet. In Zusammenhang mit der dabei vorgenommenen Untersuchung wurde dem Bf. der KFZ-Schlüssel abgenommen.
Nachdem ein Einsatz der Gendarmerieorgane für einen von zirka 1 Uhr bis 1.20 Uhr dauernden Geldtransport beendet und das KFZ des Bf. auf einem Platz abgestellt worden war, von dem aus keine Möglichkeit für eine Inbetriebnahme durch den Bf. bestanden hat, wurde der Bf. um zirka 1.40 Uhr aus dem Arrest entlassen.
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten geht weiters hervor, daß über den Bf. wegen mehrerer am 24. Dezember 1982 um etwa 0.15 Uhr begangener Übertretungen der StVO (insbesondere wegen Verweigerung des Alkotestes nach §5 Abs2 iVm. §99 Abs1 litb) sowie des Kraftfahrgesetzes 1967 rechtskräftig Geldstrafen (Ersatzarreststrafen) verhängt wurden.
3. Der VfGH beurteilt den festgestellten Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit wie folgt:
Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (wozu die Organe der Bundesgendarmerie gehören) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die bel. Beh. beruft. Der Bf. wäre sohin durch die Festnehmung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nur verletzt worden, wenn die Festnehmung nicht in dieser Gesetzesvorschrift begründet wäre (vgl. zB VfSlg. 9368/1982, 10670/1985).
Die Festnehmung einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß §35 VStG 1950 setzt voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das Sicherheitsorgan muß also selbst ein Verhalten unmittelbar wahrnehmen, das es zumindest vertretbarerweise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren kann (vgl. die angeführten Erk. des VfGH).
Die einschreitenden Gendarmerieorgane haben mehrere Verstöße des Bf. gegen straßenpolizeiliche Vorschriften festgestellt, die - inzwischen rechtskräftig - als Verwaltungsübertretungen geahndet wurden. Nach der Lage des Falles und nach dem Verhalten des Bf. konnten sie vertretbarerweise annehmen, daß der Bf. trotz Abmahnung das Fahrzeug nach dem Verlassen des Gendarmeriepostenkommandos wieder in Betrieb nehmen (zur Fahrt in seinen Wohnort Fusch an der Glocknerstraße) und damit die strafbare Handlung wiederholen würde.
Bei dieser Sachlage war der Festnahmegrund der litc des §35 VStG 1950 gegeben.
Die Dauer der im Anschluß an die - durch das Gesetz gedeckte, wegen versuchter Wiederholung der strafbaren Handlung ausgesprochene - Festnahme des Bf. erfolgten Anhaltung war ebenfalls rechtmäßig. Sie währte etwa 5/4 Stunden. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sie dem §36 Abs1 erster Satz VStG 1950 widersprechend lange gedauert hätte (vgl. die zitierten Erk. des VfGH).
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, waren die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festnahme und die nachfolgende Anhaltung des Bf. gegeben. Er ist demnach durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.
4. Da die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gleichfalls nicht stattgefunden hat und auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Bf. infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.
5. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen, weil der VfGH die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung und Haftanhaltung (einschließlich aller Anhaltungsmodalitäten) zu untersuchen und sich nicht etwa auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzeshandhabung zu beschränken hat, sodaß für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich gewährleisteter - Rechte kein Raum mehr bleibt. Daraus ergibt sich, daß die Beschwerde nicht an den VwGH abzutreten ist (vgl. VfSlg. 10680/1985).
Schlagworte
VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Abtretung, VerwaltungsstrafrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B55.1983Dokumentnummer
JFT_10139773_83B00055_00