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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
GebührenG; Verletzung im Gleichheitsrecht infolge Aufhebung des §9 Abs2 erster Satz wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot durch den VfGHSpruch
Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Bf. hatte als Alleinerbin mit ihren beiden pflichtteilsberechtigten Kindern ein Pflichtteilsübereinkommen geschlossen. Zur Sicherstellung der Forderungen sowie einer Nebengebührenkaution wurde von der Bf. eine Liegenschaft zum Pfand bestellt. Das Pflichtteilsübereinkommen wurde abhandlungsbehördlich und pflegschaftsbehördlich genehmigt und anschließend der Abhandlungsakt dem Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern übermittelt. Eine Gebührenanzeige des Pflichtteilsübereinkommens erfolgte nicht.
2. a) Mit Bescheid vom 3. Oktober 1983 wurde vom Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien eine Rechtsgebühr gemäß §33 TP18 GebG in Höhe von 2640 S und gemäß §9 Abs1 GebG eine Gebührenerhöhung im Betrage von 1320 S vorgeschrieben.
b) In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung wurde (lediglich) die vorgeschriebene Gebührenerhöhung bekämpft. Die Bf. meinte, daß gemäß §16 Abs7 GebG die Gebührenschuld erst mit abhandlungsbehördlicher bzw. pflegschaftsbehördlicher Genehmigung entstanden sei. Da das BG unmittelbar nach Erteilung dieser Genehmigungen den Akt dem Finanzamt zur Gebührenbemessung übermittelt habe, sei die Anzeige rechtzeitig erfolgt. Zudem setze die Vorschreibung einer Gebührenerhöhung ein - im vorliegenden Fall nicht gegebenes - persönliches Verschulden des Gebührenschuldners voraus.
c) Die Berufung wurde mit der Begründung abgewiesen, die Bf. verkenne die seit der Gebührengesetznovelle 1976 geltende Rechtslage: demnach seien gemäß §31 GebG Rechtsgeschäfte, für die eine Hundertsatzgebühr mit Bescheid festzusetzen ist, innerhalb eines Monats nach Entstehen der Gebührenschuld mit einer beglaubigten Abschrift der die Gebührenpflicht begründenden Urkunde beim Finanzamt anzuzeigen. Gemäß §31 Abs2 GebG seien zur Gebührenanzeige die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen verpflichtet. Gemäß §9 Abs2 2. Satz (richtig müßte es heißen: 1. Satz) GebG idF der Novelle 1976 müsse bei verspäteter Anzeige bis zu einem Monat eine Gebührenerhöhung von 30 vH, darüber hinaus eine solche von 50 vH der gesetzmäßigen Gebühr entrichtet werden. Diese Gebührenerhöhung sei nach der derzeitigen Gesetzeslage ohne Rücksicht auf ein Verschulden oder sonstige Umstände zwingend zu erheben. Die Übersendung der Verlassenschaftsakten an das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern stelle keine Gebührenanzeige dar, da diese durch den Gebührenschuldner zu erfolgen habe. Unbestrittenermaßen sei jedoch eine Gebührenanzeige durch die Gebührenschuldnerin selbst unterblieben. Da die Nichterstattung der Gebührenanzeige jedenfalls einer verspäteten Anzeige (über einen Monat) gleichzuhalten sei, sei sohin die 50prozentige Erhöhung vorzuschreiben gewesen.
3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art6 Abs2 MRK gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt. Die Gebührenerhöhung trage strafartigen Charakter, werde aber ohne Rücksicht auf ein Verschulden verhängt; zudem stelle das Ausmaß der Erhöhung einen sachlich nicht zu rechtfertigenden Exzeß des Gesetzgebers dar.
II. 1. Mit Erk. VfSlg. 10617/1985 hat der VfGH den 1. Satz des §9 Abs2 GebG als gleichheitswidrig aufgehoben. Im Erk. wurde gemäß Art140 Abs7 B-VG ausgesprochen, daß die aufgehobene Bestimmung auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist.
2. Der angefochtene Bescheid stützt sich seinem Inhalt nach ausschließlich auf die mit dem genannten Erk. - rückwirkend - aufgehobene Bestimmung. Zufolge des Ausspruches gemäß Art140 Abs7 B-VG ist der Beschwerdefall wie ein Anlaßfall zu behandeln und der Bescheid, da sich die bel. Beh. bei seiner Erlassung auf ein gleichheitswidriges Gesetz gestützt hat, und die Bf. dadurch in ihrer Rechtssphäre nachteilig betroffen wurde, wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aufzuheben.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B800.1985Dokumentnummer
JFT_10139772_85B00800_00