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10 VerfassungsrechtNorm
ZPO §146 Abs1Leitsatz
ZPO §146 Abs1; Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei nur leicht fahrlässiger Versäumung der BeschwerdefristSpruch
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde wird bewilligt.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit der am 7. Oktober 1985 zur Post gegebenen Beschwerde bekämpft der Bf. den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Juli 1985 (der dem Bf. am 21. August 1985 zugestellt wurde) und beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung.
2. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird vorgebracht, daß einer seit mehr als 15 Jahren beim Beschwerdevertreter mit der Terminvormerkung befaßten, überaus verläßlichen Kanzleikraft ein einmaliger Irrtum dadurch unterlaufen sei, daß sie für die VfGH-Beschwerde den Termin für eine VwGH-Beschwerde, der zwei Tage nach dem für die VfGH-Beschwerde vorgesehenen Termin lag, eintrug.
Der Irrtum sei erst am 3. Oktober 1985 anläßlich der Ausarbeitung der Beschwerde aufgefallen.
II. Die Vernehmung des Rechtsanwaltes Dr. P P (des Beschwerdevertreters) und seiner Kanzleiangestellten C K hat ergeben:
In der Rechtsanwaltskanzlei langten nahezu zur selben Zeit zwei (letztinstanzliche) Bescheide (des Landeshauptmannes von Wien) ein, die zwar verschiedene Personen, aber gleiche Sachen betrafen, und zwar Abweisung von Anträgen, Taxikonzessionen zu erteilen. Der eine Bescheid, nämlich der an den Bf. gerichtete, war am 21. August, der andere Bescheid am 23. August 1985 zugestellt worden. Es war in Aussicht genommen, gegen beide Bescheide Beschwerden an den VwGH oder an den VfGH zu erheben.
Die seit 15 Jahren beim Beschwerdevertreter beschäftigte und seit zehn Jahren mit der Führung des Terminvormerkes betraute Kanzleikraft K, die dem Beschwerdevertreter als verläßliche Angestellte bekannt war und von ihm stichprobenartig kontrolliert wurde, trug irrtümlich für beide Beschwerden im Terminkalender dieselbe Frist ein, nämlich den 3. Oktober 1985. Sie vermeinte, das wäre in beiden Fällen ein Tag vor Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist. Dies traf wohl für den am 23., nicht aber für den am 21. August 1985 zugestellten (den Bf. betreffenden) Bescheid zu.
Als nun am 3. Oktober 1985 Rechtsanwalt Dr. P beide Beschwerden ausarbeiten wollte, stellte er fest, daß für den Bf. die sechswöchige Beschwerdefrist tags zuvor bereits abgelaufen war.
III. Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet:
1. Da das VerfGG 1953 in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 ff.) sinngemäß anzuwenden.
2. a) Nach §146 Abs1 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Hiebei hindert ein Verschulden der Partei an der Versäumung die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Ein Ereignis ist dann unvorhergesehen, wenn es die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt von ihr unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte (vgl. Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, Wien 1984, S 272).
Der Maßstab "minderer Grad des Versehens" findet sich bereits im §2 Dienstnehmerhaftpflichtgesetz bzw. §3 Organhaftpflichtgesetz. Darunter ist leichte Fahrlässigkeit zu verstehen (VfSlg. 10382/1985).
b) Nach dem vom VfGH als glaubhaft gemacht angenommenen Vorbringen des Antragstellers kann das Verschulden des Rechtsvertreters des Bf. und der Kanzleikraft - deren Verschulden einem Verschulden der Partei gleichzuhalten ist (§39 ZPO) - daran, daß sie die ihnen zumutbare Aufmerksamkeit bei der Wahrung der Frist nicht aufbrachten, unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles nur als leichte Fahrlässigkeit angesehen werden. Bei der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles kann nicht davon gesprochen werden, daß nicht auch einem sorgfältigen Menschen eine derartige Fehlleistung gelegentlich unterlaufen kann.
3. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher - gemäß §33 VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung - zu bewilligen.
Schlagworte
VfGH / WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B709.1985Dokumentnummer
JFT_10139699_85B00709_00