TE Vfgh Erkenntnis 1986/3/1 G223/85

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Veröffentlicht am 01.03.1986
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Index

66 Sozialversicherung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
13. B-KUVG-Novelle, BGBl 593/1983 ArtIII Abs1
ASVG §447g

Beachte

Kundmachung am 14. Mai 1986, BGBl. 254/1986

Leitsatz

13. B-KUVG-Nov. ArtIII Abs1; im ArtIII Abs1 getroffene gesetzliche Anordnung der Überweisung von Geldbeträgen durch die BVA an den Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger nach §447g ASVG sachlich nicht gerechtfertigt (mit Hinweis auf VfSlg. 10451/1985)

Spruch

I. ArtIII Abs1 des BG vom 29. November 1983, BGBl. 593, mit dem das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wird, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im BGBl. verpflichtet.

II. Im übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) stellte gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG an den VfGH den Antrag, ArtIII des BG vom 29. November 1983, BGBl. 593, mit dem das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wird (im folgenden "13. B-KUVG-Novelle" genannt), zur Gänze kostenpflichtig als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Antrag ist hinsichtlich seiner Zulässigkeit wie folgt begründet:

Die BVA wird durch ArtIII der 13. B-KUVG-Nov. unmittelbar kraft Gesetzes verpflichtet, bestimmte Beträge an einen unselbständigen Fonds (beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger) zu überweisen. Das Gesetz selbst, so fährt die BVA fort, regle die Beträge und die Fälligkeit eindeutig und sehe keine Ausnahmen oder Befreiungsmöglichkeiten vor. Daher seien die genannten Bestimmungen "ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden". Die Antragstellerin sei aktuell und unmittelbar durch die beiden gesetzlichen Bestimmungen in ihrem Recht auf Nichtentzug des Vermögens beeinträchtigt.

Ein für die Antragstellerin iS der Rechtsprechung des VfGH "zumutbarer Umweg" zur Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit der sie in ihren Rechten beeinträchtigenden gesetzlichen Bestimmungen sei nicht gegeben. Weder das B-KUVG noch die Bestimmungen des §447g ASVG über den Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger ermächtigten zu behördlichen Entscheidungen in Angelegenheiten der vorliegenden Art.

In der Sache selbst verwies die BVA darauf, daß der VfGH bereits vollständig gleichlautende Bestimmungen des ArtIII der 11. und 12. B-KUVG-Nov., BGBl. 592/1981 und BGBl. 78/1983, mit Erk. VfSlg. 10451/1985 als verfassungswidrig aufgehoben habe.

Der Gerichtshof habe hiebei im wesentlichen ausgesprochen, daß die nach dem B-KUVG Versicherten unmittelbar gegenüber dem Dienstgeber den Anspruch auf Ruhe(Versorgungs)bezüge hätten und daher von der Pensionsversicherung ausgeschlossen seien. Zwischen der Sozialversicherung nach dem B-KUVG und der Pensionsversicherung bestehe daher kein persönlicher und kein sachlicher Zusammenhang. Insbesondere fehle auch jeder Zusammenhang zwischen den Beiträgen der Angehörigen der einen Versicherungsgemeinschaft und dem Leistungsanspruch der Angehörigen der anderen Versicherungsgemeinschaft. Unzutreffend sei die Vorstellung der Bundesregierung von einem alle Sozialversicherungen umfassenden Solidaritätsprinzip. Die Versicherungsgemeinschaft in der Sozialversicherung reiche jedenfalls nur so weit, als einer Beitragsverpflichtung im Prinzip ein Leistungsanspruch gegenüberstünde. Gemäß §447g ASVG könnten nur Pensionsversicherungsträger aus dem Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger nach dem ASVG Überweisungen erhalten. Unter diesen Umständen lasse sich aber jedenfalls eine gesetzliche Anordnung der Überweisung von Geldbeträgen durch die BVA an den Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger nach §447g ASVG sachlich nicht rechtfertigen. Daher seien die Gesetzesbestimmungen des ArtIII der 11. und 12. B-KUVG-Nov. gleichheitswidrig.

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragte, den Antrag der BVA, soweit er über ArtIII Abs1 der 13. B-KUVG-Nov. hinausgehe, zurückzuweisen, hilfsweise ArtIII Abs2 der

13. B-KUVG-Nov. nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Äußerung enthält folgende Begründung:

"Gemäß §62 Abs1 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 sind im Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen und ist im Falle einer Individualanfechtung auch darzutun, inwieweit das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für die anfechtende Person unmittelbar wirksam geworden ist. Die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter begründet die Verfassungswidrigkeit sowie die unmittelbare Wirksamkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung jedoch nur hinsichtlich des ArtIII Abs1 der 13. B-KUVG-Novelle. Eine entsprechende Darlegung hinsichtlich des Abs2 erfolgt nicht. Da davon ausgegangen werden muß, daß der Regelungsinhalt des Abs2 nicht untrennbar mit dem des Abs1 verbunden ist, vielmehr sogar einen gänzlich vom Abs1 unterschiedlichen Bereich des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsrechtes regelt, sind die Verfahrensvoraussetzungen hinsichtlich des Abs2 der in Prüfung stehenden Bestimmung nicht gegeben.

ArtIII Abs2 der 13. B-KUVG-Novelle ordnet an, daß abweichend von den Bestimmungen des §22 Abs3 für die Geschäftsjahre 1984 und 1985 zur Bestreitung der Auslagen der erweiterten Heilbehandlung vom Dienstgeber kein Zuschlag zu den Beiträgen zu entrichten ist. Diese Vorschrift dient zur finanziellen Entlastung der öffentlichen Dienstgeber. Ein Zusammenhang zu den Regelungen des ersten Absatzes dieser Bestimmung besteht nicht. Die Bundesregierung sieht auch im übrigen keine Argumente, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Abs2 sprechen könnten."

3. Mit Schriftsatz vom 3. Feber 1986 schränkte die BVA ihren Antrag insofern ein, als nur noch die kostenpflichtige Aufhebung des ArtIII Abs1 der 13. B-KUVG-Nov. beantragt wurde.

II. Durch die Einschränkung ihres Antrages hat die BVA im Ergebnis den Antrag, auch den 2. Abs. des ArtIII der 13. B-KUVG-Nov. aufzuheben, zurückgezogen. Das Gesetzesprüfungsverfahren war daher gemäß §19 Abs3 Z3 VerfGG in diesem Umfang einzustellen.

III. Im übrigen hat der VfGH über den Antrag der BVA erwogen:

1. Der Antrag der BVA, ArtIII Abs1 der 13. B-KUVG-Nov. aufzuheben, ist zulässig. Die BVA hat ihre Bedenken gegen diese Gesetzesstelle dargelegt und ausgeführt, daß ihr ein anderer zumutbarer Weg zur Bekämpfung der Verfassungswidrigkeit der Gesetzesstelle nicht zur Verfügung steht. Im übrigen ergibt sich die Zulässigkeit des Antrages auch aus den Ausführungen des VfGH in seinem Erk. VfSlg. 10451/1985.

2. Die antragstellende BVA macht geltend, daß ArtIII Abs1 der 13. B-KUVG-Nov. dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot widerspricht.

Der VfGH hat in dem schon mehrfach angeführten Erk. VfSlg. 10451/1985 ausgeführt, daß zwischen den in der Kranken- und Unfallversicherung nach dem B-KUVG und den Versicherten in der Pensionsversicherung nach dem ASVG eine Versicherungs(Risken)gemeinschaft im weiteren Sinn nicht besteht. Die nach dem B-KUVG Versicherten haben unmittelbar gegenüber ihrem Dienstgeber den Anspruch auf Ruhe(Versorgungs)bezüge. Sie sind deshalb von der Pensionsversicherung ausgeschlossen. Zwischen der Sozialversicherung nach dem B-KUVG und der Pensionsversicherung besteht daher kein persönlicher und kein sachlicher Zusammenhang. Insbesondere fehlt auch jeder Zusammenhang zwischen den Beiträgen der Angehörigen der einen Versicherungsgemeinschaft und dem Leistungsanspruch der Angehörigen der anderen Versicherungsgemeinschaft. Unzutreffend ist auch die Vorstellung der Bundesregierung von einem alle Sozialversicherten umfassenden Solidaritätsprinzip. Die Versicherungsgemeinschaft in der Sozialversicherung reicht jedenfalls nur so weit, als einer Beitragsverpflichtung im Prinzip ein Leistungsanspruch gegenübersteht. Gemäß §447g ASVG können aus dem Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger nur Pensionsversicherungsträger nach dem ASVG Überweisungen erhalten. Unter diesen Umständen läßt sich aber jedenfalls eine gesetzliche Anordnung der Überweisung von Geldbeträgen durch die BVA an den Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger nach §447g ASVG sachlich nicht rechtfertigen. ArtIII Abs1 der 13. B-KUVG-Nov. ist daher gleichheitswidrig.

ArtIII Abs1 der 13. B-KUVG-Nov. war aus den angeführten Gründen gemäß Art140 Abs1 B-VG und §64 Abs1 VerfGG als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art140 Abs5, der Ausspruch, daß früher in Geltung gestandene gesetzliche Vorschriften nicht wieder in Wirksamkeit treten, auf Art140 Abs6 B-VG.

Schlagworte

Sozialversicherung, Ausgleichsfonds (der Pensionsversicherungsträger)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:G223.1985

Dokumentnummer

JFT_10139699_85G00223_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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