Index
66 SozialversicherungNorm
B-VG Art18 Abs2Beachte
Kundmachung BGBl. 275/1986 am 27. Mai 1986 und BGBl. 276/1986 am 27. Mai 1986; Anlaßfälle B62/85, B905/84, B63/85 vom 12. Juni 1986, B670/85 vom 9. Juni 1986 und VfSlg. 10887/1986Leitsatz
ASVG; in §346 geregelte Bundesschiedskommission befindet auch über "civil rights"; keine Regelung der Funktionsdauer der Mitglieder der Bundesschiedskommission - Unabhängigkeit dieser Organwalter nicht voll gewährleistet; Widerspruch des §346 Abs2 und 3 zu Art6 MRK V des BMSV vom 8. Mai 1956, BGBl. 105/1956; §28 (über Einrichtung und Organisation der Bundesschiedskommission) auf §346 Abs2 und 3 ASVG gestützt; nach Aufhebung dieser Bestimmung durch den VfGH Widerspruch des §28 zu Art18 B-VGSpruch
I. §346 Abs2 und 3 ASVG, BGBl. 189/1955, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Diese Vorschriften sind auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung obiger Aussprüche im BGBl. verpflichtet.
II. §28 der V des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 8. Mai 1956, BGBl. 105/1956, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Diese Vorschrift ist auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.
Der Bundesminister für soziale Verwaltung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. In der Rechtssache des Dr. med. K K wider die Wr. Gebietskrankenkasse wegen Unwirksamerklärung einer (Einzelvertrags-)Kündigung gab die Bundesschiedskommission der Berufung des antragstellenden Arztes gegen das Erk. der Landesschiedskommission für Wien vom 28. Feber 1984, Cg 4/82-30, womit die Kündigung aufrechterhalten worden war, mit Bescheid vom 23. November 1984, R 9-BSK/84-28, Folge und erklärte die (von der Antragsgegnerin ausgesprochene) Kündigung des mit dem Antragsteller abgeschlossenen Einzelvertrags für unwirksam.
1.1.2.1. Gegen diesen Bescheid der Bundesschiedskommission brachte die Wr. Gebietskrankenkasse eine auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH ein (protokolliert zu B62/85), womit die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, und zwar auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG, Art6 MRK) sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG), ferner der Sache nach die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§§344 - 347 ASVG) und einer gesetzwidrigen V (BGBl. 105/1956) gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt wird.
Die Bf. machte ua. sinngemäß geltend, daß die Bundesschiedskommission nicht die Eigenschaften eines "Tribunals" iS des Art6 MRK aufweise, weil ihre Mitglieder nicht für bestimmte Zeit bestellt, dh. also jederzeit abberufbar seien.
1.1.2.2. Die Bundesschiedskommission als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
1.2.1. Aus Anlaß dieser Beschwerdesache leitete der VfGH mit Beschl. vom 7. Oktober 1985, B62/85-11, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung des §346 Abs2 und 3 ASVG, BGBl. 189/1955, ob seiner Verfassungsmäßigkeit (Art140 Abs1 B-VG) und der Bestimmung des §28 der V des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 8. Mai 1956, BGBl. 105/1956, ob ihrer Gesetzmäßigkeit (Art139 Abs1 B-VG) ein (protokolliert zu G232/85 und V63/85).
1.2.2. In den Gründen des Prüfungsbeschlusses heißt es ua. wörtlich:
"... (Bei der Bundesschiedskommission) handelt es sich ... um eine aus - in Ausübung dieses Amtes - weisungsfreien Mitgliedern (darunter ein Richter) zusammengesetzte und in oberster Instanz einschreitende Kollegialbehörde, deren Bescheide weder der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen (vgl. VfSlg. 8692/1979 uam.) noch - da es an einer ausdrücklichen gegenteiligen Vorschrift fehlt - vor dem VwGH bekämpft werden können (Art133 Z4 B-VG).
2.1.3.2. Es scheint, daß diese Kollegialbehörde in ihrer Eigenschaft als Rechtsmittelinstanz (auch) über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ('civil rights') in der Bedeutung des Art6 Abs1 MRK zu entscheiden hat, demnach gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen und als 'unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht' konstituiert sein muß; sie befindet nämlich kraft §§345 Abs2, 346 Abs1 ASVG ua. auch über Berufungen gegen Entscheidungen der Landesschiedskommission zur Zulässigkeit der Auflösung sogenannter Einzelverträge (§343 Abs4 ASVG), ds. privatrechtliche Übereinkommen, welche die Beziehungen der Sozialversicherungsträger (ua.) zu freiberuflich tätigen Ärzten regeln (§338 Abs1 ASVG).
Wie der VfGH bereits wiederholt aussprach (vgl. VfSlg. 5100/1965, 5102/1965, 7099/1973; s. auch VfSlg. 5666/1968), werden unter 'zivilen Rechten' iS dieser Verfassungsstelle nicht bloß Ansprüche und Verpflichtungen verstanden, die als 'bürgerliche Rechtssache' (vor ordentlichen Gerichten) geltend zu machen sind und unter den Kompetenztatbestand 'Zivilrechtswesen' (Art10 Abs1 Z6 B-VG) fallen. Vielmehr erfaßt Art6 Abs1 MRK - darüber hinaus - jedes Verfahren, dessen Ausgang für Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur entscheidend ist (s. auch VfSlg. 8856/1980; VfGH 5. 12. 1983 B622/82).
Dies scheint hier zuzutreffen.
Nun müssen aber (unabhängige) Mitglieder eines 'Tribunals' iS der MRK nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 7099/1973, 7284/1974, 8523/1979) zumindest für einen gewissen Zeitraum unabsetzbar sein. Fehlt es nämlich an einer (gesetzlichen) Regelung der Funktionsdauer, besteht die grundsätzliche Möglichkeit jederzeitiger Abberufung (VfSlg. 7099/1973, 8317/1978), weil die Bestimmungen über die Bestellung allein die Ermächtigung zur Enthebung des Bestellten - und sei es auch während eines laufenden Verfahrens - notwendig miteinschließen.
2.1.4. Hält man an dieser Rechtsauffassung fest, besteht jedoch das Bedenken, daß die - den Umständen nach eine untrennbare Einheit bildende - Norm des §346 Abs2 und 3 ASVG der (auf Verfassungsstufe stehenden) Vorschrift des Art6 MRK widerspricht. Denn sie läßt die Funktionsdauer der Kommissionsmitglieder ungeregelt und vermag darum nach dem schon Gesagten die Unabhängigkeit dieser Organwalter nicht voll zu gewährleisten.
2.2.1. Die Norm des - mit 'Zusammensetzung' (der Bundesschiedskommission) betitelten - §28 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 8. Mai 1956 über die Geschäftsordnungen der in den §§344 bis 346 ASVG vorgesehenen Schiedskommissionen, BGBl. 105/1956, - einer Verordnung iS des Art139 Abs1 B-VG - findet ihre ausschließliche Basis in der Bestimmung des §346 ASVG, gegen die der VfGH die zu Abschnitt 2.1.3.2. und 2.1.4. dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken hegt. Sollten diese Bedenken zutreffen und zur Aufhebung der in Rede stehenden Gesetzesstellen führen, wäre die angegebene Stelle dieser Verordnung (§28) so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage erlassen worden sei (vgl. VfSlg. 4172/1962, 6945/1972). Sie würde also Art18 B-VG widersprechen.
2.2.2. Demgemäß war (auch) §28 der zitierten Verordnung (als verfassungsrechtlich bedenklich) in Prüfung zu ziehen ..."
1.3. Im wesentlichen gleichlautende Prüfungsbeschlüsse ergingen am 7. Oktober 1985 in den hg. Beschwerdefällen B905/84 (hg. Verfahren G233/85, V64/84) und B63/85 (hg. Verfahren G237/85, V68/85) sowie am 16. Oktober 1985 in den hg. Beschwerdesachen B660/85 (hg. Verfahren G235/85, V66/85) und B670/85 (hg. Verfahren G236/85, V67/85):
1.3.1.1. In der Rechtssache des Mag. pharm. et Dr. med. F B wider die Stmk. Gebietskrankenkasse und die anderen durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vertretenen Krankenversicherungsträger Österreichs wegen Unwirksamerklärung einer Kündigung aller Vertragsbeziehungen gab die Bundesschiedskommission der Berufung des antragstellenden Apothekers gegen das Erk. der Landesschiedskommission für Stmk. vom 8. März 1984, LSK 15/83-38, welches die Kündigung aufrechterhalten hatte, mit Bescheid vom 3. Oktober 1984, R 8-BSK/84-15, dahin Folge, daß die von den Antragsgegnern ausgesprochene Kündigung aller mit dem Antragsteller abgeschlossenen Verträge für unwirksam erklärt wurde.
1.3.1.2. Dagegen richtete sich eine auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde der Stmk. Gebietskrankenkasse und der anderen durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vertretenen Krankenversicherungsträger Österreichs an den VfGH (protokolliert zu B905/84), in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, und zwar auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG, Art6 MRK), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG), ferner der Sache nach die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§§345 - 347 ASVG) und einer gesetzwidrigen Verordnung (BGBl. 105/1956) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wurde.
1.3.2.1. Auch im Rechtsstreit des Dr. med. H B wider die Wr. Gebietskrankenkasse wegen Unwirksamerklärung einer (Einzelvertrags-)Kündigung gab die Bundesschiedskommission der Berufung des antragstellenden Arztes gegen das - die Kündigung aufrechterhaltende - Erk. der Landesschiedskommission für Wien vom 10. April 1984, Cg 5/82-17, mit Bescheid vom 23. November 1984, R 11-BSK/84-15, dahin statt, daß sie die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Kündigung des mit dem Antragsteller abgeschlossenen Einzelvertrags für unwirksam erklärte.
1.3.2.2. Gegen diesen Bescheid der Bundesschiedskommission ergriff die Wr. Gebietskrankenkasse gemäß Art144 Abs1 B-VG Beschwerde an den VfGH (protokolliert zu B63/85), in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, und zwar auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG, Art6 MRK) sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG), ferner der Sache nach die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§§343 - 347 ASVG) und einer gesetzwidrigen V (BGBl. 105/1956) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes beantragt wurde.
1.3.3.1. In der Rechtssache des Dr. med. H G S wider die Nö. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte wegen Unwirksamerklärung einer (Einzelvertrags-)Kündigung gab die Bundesschiedskommission der Berufung des antragstellenden Arztes gegen das - die Kündigung bestätigende - Erk. der Landesschiedskommission für NÖ vom 13. November 1984, Cg 8/83-41, mit Bescheid vom 17. Juli 1985, R 6-BSK/85-6, Folge und erklärte die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Kündigung des mit dem Antragsteller abgeschlossenen Einzelvertrags für unwirksam.
1.3.3.2. Die Nö. Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte brachte gegen dieses Erk. der Bundesschiedskommission gemäß Art144 Abs1 B-VG Beschwerde an den VfGH ein (protokolliert zu B670/85), in der sie die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG, Art6 MRK), ferner der Sache nach die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§§345 - 347 ASVG) und einer gesetzwidrigen V behauptete und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrte.
1.3.4.1. Im Verfahren des Dr. med. H G S wider die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wegen Unwirksamerklärung einer (Einzelvertrags-)Kündigung gab die Bundesschiedskommission der Berufung des antragstellenden Arztes gegen das Erk. der Landesschiedskommission für NÖ vom 13. November 1984, Cg 4/83-41, welches die Kündigung bestätigt hatte, mit Bescheid vom 17. Juli 1985, R 5-BSK/85-6, keine Folge.
1.3.4.2. Gegen diesen Bescheid der Bundesschiedskommission erhob Dr. H G S eine auf Art144 Abs1 B-VG gegründete Beschwerde an den VfGH (protokolliert zu B660/85), in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Berufswahl (Art18 StGG) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt wurde.
1.4.1. Die im Gesetzesprüfungsverfahren zur schriftlichen Äußerung aufgeforderte Bundesregierung gab in der Sache selbst keine Stellungnahme ab.
1.4.2. Der im Verordnungsprüfungsverfahren zur Stellungnahme aufgeforderte Bundesminister für soziale Verwaltung äußerte sich ua. wie folgt:
"... Die von den Beschwerdeführern zum Ausdruck gebrachte Auffassung, wonach die Bundesschiedskommission nicht die Eigenschaften eines 'Tribunals' iS des Art6 MRK aufweise, weil ihre Mitglieder jederzeit abberufbar seien, und die verfassungsrechtlichen Bedenken des VfGH gegen die in Rede stehenden Gesetzesstellen werden im wesentlichen auch vom Bundesministerium für soziale Verwaltung geteilt ..."
1.5.1. Die mit "Bundesschiedskommission" überschriebene Bestimmung des §346 ASVG idF der 33. Nov. BGBl. 684/1978 hat folgenden Wortlaut:
"(1) Zur Entscheidung über Berufungen, die gemäß §345 Abs2 erhoben werden, ist eine Bundesschiedskommission zu errichten.
(2) Die Bundesschiedskommission besteht aus einem Richter des Obersten Gerichtshofes als Vorsitzenden und aus sechs Beisitzern; Beisitzer sind zwei Richter des Ruhestandes sowie je zwei Beisitzer, die von der Österreichischen Ärztekammer und dem Hauptverband berufen werden.
(3) Der Vorsitzende der Bundesschiedskommission und die beiden Beisitzer, die Richter des Ruhestandes sein müssen, werden vom Bundesministerium für Justiz bestellt.
(4) Die Mitglieder der Bundesschiedskommission sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden.
(5) Entscheidungen der Bundesschiedskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungswege."
1.5.2. §28 der "Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 8. Mai 1956 über die Geschäftsordnungen der in den §§344 bis 346 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, vorgesehenen Schiedskommissionen" - erlassen aufgrund der Ermächtigung der §§347 Abs4 und 351 ASVG - lautet folgendermaßen:
"(1) Die Bundesschiedskommission besteht aus dem gemäß §346 ASVG vom Bundesministerium für Justiz als Vorsitzenden (Stellvertreter) bestellten Richter des Obersten Gerichtshofes und den vom gleichen Bundesministerium als Beisitzer (Beisitzer-Stellvertreter) bestellten zwei Richtern des Ruhestandes sowie aus vier weiteren Beisitzern (Stellvertretern) und zwar je zwei Vertretern der in Betracht kommenden gesetzlichen Interessenvertretung und des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger.
(2) Je zwei der weiteren Beisitzer (Stellvertreter) sind von jeder der in Betracht kommenden gesetzlichen Interessenvertretungen und vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger bis zum 31. Dezember für das folgende Kalenderjahr zu bestellen und unverzüglich dem Vorsitzenden der Bundesschiedskommission bekanntzugeben. Je nachdem, ob es sich um eine Angelegenheit handelt, welche die Ärzte, Dentisten, Hebammen oder Apotheker betrifft, sind die Beisitzer aus der in Betracht kommenden Berufsgruppe zur Verhandlung heranzuziehen."
2. Der VfGH hat erwogen:
2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:
2.1.1. Entscheidungen der Bundesschiedskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungsweg (§346 Abs5 ASVG); in sämtlichen Anlaßbeschwerdefällen ist darum der administrative Instanzenzug erschöpft (VfSlg. 8692/1979).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind alle Beschwerden zulässig.
2.1.2. Die in Prüfung stehenden generellen Normen über die Einrichtung und Organisation der Bundesschiedskommission zählen (mit) zu den Rechtsgrundlagen der angefochtenen Verwaltungsakte (vgl. auch VfSlg. 9887/1983, S 507); sie sind demnach auch vom VfGH bei Schöpfung des Erk. über die von den Bf. erhobenen Beschwerden gemäß Art144 Abs1 B-VG anzuwenden und somit in diesen Beschwerdesachen präjudiziell iS des Art140 Abs1 Satz 1 B-VG und Art139 Abs1 Satz 1 B-VG jeweils idF BGBl. 302/1975.
Damit ist auch die Zulässigkeit der Normenkontrollverfahren zu bejahen.
2.2. Zur Sache:
Die Bedenken des VfGH sowohl gegen §346 Abs2 und 3 ASVG als auch gegen die V des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 8. Mai 1956, BGBl. 105/1956, sind begründet.
2.2.1. Zu §346 Abs2 und 3 ASVG:
Im Gesetzesprüfungsverfahren - die Bundesregierung gab, wie schon erwähnt, keine Stellungnahme ab - kam nichts hervor, was die im Prüfungsbeschluß ausgebreiteten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Abs2 und 3 des §346 ASVG entkräften hätte können. Die im Beschl. des VfGH vom 7. Oktober 1985, B62/85-11, aufgezeigten Bedenken erwiesen sich vielmehr aus den dort dargelegten Erwägungen als voll zutreffend:
Da das Gesetz (§346 Abs2 und 3 ASVG) die Funktionsdauer der Mitglieder der Bundesschiedskommission - die hier über privatrechtliche Beziehungen zwischen Sozialversicherungsträgern und Ärzten bzw. Apothekern, dh. über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights") iS der bisherigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 5100/1965, 5102/1965, 7099/1973; s. auch VfSlg. 5666/1968) befindet - ungeregelt läßt, ist die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit dieser Organwalter derzeit nicht voll gewährleistet (VfSlg. 7099/1973, 7284/1974, 8523/1979). Die Abs2 und 3 des §346 ASVG widersprechen demnach der Verfassungsvorschrift des Art6 MRK.
Demzufolge mußte zu Abschnitt I spruchgemäß entschieden werden.
Der Ausspruch über die Rückwirkung der Aufhebung stützt sich auf Art140 Abs7, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende auf Art140 Abs6 B-VG. Dabei ging der VfGH von der Überlegung aus, daß eine auch nur befristete Aufrechterhaltung des hier als verfassungs- und konventionswidrig erkannten Zustandes vermieden werden soll.
2.2.2. Zur V BGBl. 105/1956:
§28 der V des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 8. Mai 1956, BGBl. 105/1956, findet ihre materielle Basis unbestrittenermaßen in den Bestimmungen der Abs2 und 3 des §346 ASVG, die unter einem (s. Punkt I des Spruches) als verfassungswidrig aufgehoben wurden. Die zu prüfende Stelle dieser V ist darum nunmehr so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage erlassen worden wäre (vgl. VfSlg. 4172/1962, 6945/1972; VfGH 4. 12. 1984 V61/83 ua.). Sie widerspricht also Art18 B-VG und war aufzuheben.
Die übrigen Entscheidungen fußen auf Art139 Abs5 und 6 B-VG.
Schlagworte
VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Präjudizialität, Sozialversicherung, Schiedskommission (Sozialversicherung), Kollegialbehörde, Tribunal, Behörde Organe, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:G232.1985Dokumentnummer
JFT_10139695_85G00232_00