TE Vfgh Erkenntnis 2006/9/28 V27/06

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Veröffentlicht am 28.09.2006
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Flächenwidmungsplan Nr 4 der Stadtgemeinde Schärding vom 10.12.02
Oö RaumOG 1994 §36, §38

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Umwidmung eines Grundstückes von "Bauland Kerngebiet" auf "Ruhender Verkehr, Parkplatz" in einem Flächenwidmungsplan mangels ausreichender Grundlagenforschung, auch angesichts einer mittlerweile zuerkannten Umwidmungsentschädigung

Spruch

Der Flächenwidmungsplan Nr. 4 der Stadtgemeinde Schärding, Beschluss des Gemeinderats vom 10. Dezember 2002, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 11. Juli 2003, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 21. Juli 2003 bis 5. August 2003, wird, soweit er die Festlegung "Ruhender Verkehr, Parkplatz" für die östlich der Parzelle .277 gelegene Fläche trifft, als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1285/04 protokollierte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 61 KG Schärding-Stadt. Der Flächenwidmungsplan Nr. 4 trifft für dieses Grundstück die Festlegung "Ruhender Verkehr, Parkplatz". Mit dem bekämpften Bescheid wies die Oberösterreichische Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde eine Vorstellung des Beschwerdeführers ab, die gegen die Abweisung seines Ansuchens um Erteilung einer Bauplatzbewilligung für dieses Grundstück durch die Behörden der Stadtgemeinde Schärding gerichtet war. Gemäß §3 Abs2 Z2 OÖ BauO 1994 sei für Baubewilligungen für Gebäude auf Verkehrsflächen keine Bauplatzbewilligung erforderlich. Die erfolgte Abweisung des Ansuchens auf Bauplatzbewilligung sei allein aufgrund des Fehlens des Erfordernisses einer Bauplatzbewilligung rechtmäßig.

2. Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung des "gesetz- und verfassungswidrigen" Flächenwidmungsplans Nr. 4 behauptet wird.

Das Grundstück des Beschwerdeführers sei mit dem Flächenwidmungsplan Nr. 4 von "Kerngebiet" auf "Ruhender Verkehr, Parkplatz" umgewidmet worden. Die Gemeinde Schärding habe im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung des Flächenwidmungsplans Nr. 4 nicht einmal im Ansatz dargelegt, welchen Grundsätzen die Umwidmung entsprechen solle. Das Grundstück des Beschwerdeführers sei keinesfalls Teil einer vorausschauenden Verkehrsplanung der Stadtgemeinde. Dies werde auch dadurch deutlich, dass konkrete verkehrsgestalterische Maßnahmen für das gegenständliche Grundstück noch gar nicht geplant bzw. in Angriff genommen worden seien. Ein öffentliches Interesse an der Errichtung der betreffenden Verkehrsfläche liege nicht vor. Die mangelnde Frequenz der Tiefgarage im Gebiet des Stadtplatzes zeige deutlich, dass ein zusätzliches Bedürfnis an der Schaffung von Verkehrsflächen für den ruhenden Verkehr im Stadtzentrum nicht bestehe.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie feststellt, die Stadtgemeinde Schärding werde zu den Behauptungen der Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplans Nr. 4 Stellung zu nehmen haben, und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Die Stadtgemeinde Schärding legte die Akten betreffend das Zustandekommen des Flächenwidmungsplans Nr. 4 vor, nahm zu den Behauptungen des Beschwerdeführers jedoch nicht Stellung.

II. 1. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 9. März 2006 beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplans Nr. 4 der Stadtgemeinde Schärding, Beschluss des Gemeinderats vom 10. Dezember 2002, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 11. Juli 2003, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 21. Juli 2003 bis 5. August 2003, soweit er die Festlegung "Ruhender Verkehr, Parkplatz" für die östlich der Parzelle .277 gelegene Fläche trifft, von Amts wegen zu prüfen.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ging vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei seiner Entscheidung darüber den Flächenwidmungsplan Nr. 4, soweit er in Prüfung gezogen wird (dh. hinsichtlich der Festlegungen für das Grundstück des Beschwerdeführers - der Prüfungsumfang musste wegen Unleserlichkeit der Parzellennummer des Grundstücks des Beschwerdeführers anknüpfend an ein benachbartes Grundstück umschrieben werden), anzuwenden hätte.

Er nahm an, dass daran auch der Umstand nichts ändern dürfte, dass gemäß §3 Abs2 Z2 iVm §3 Abs1 OÖ BauO für Gebäude auf Verkehrsflächen Baubewilligungen auch ohne Vorliegen einer Bauplatzerklärung erteilt werden dürfen. Denn der angefochtene Bescheid begründet die Abweisung des Antrages mit der Widmung als Verkehrsfläche.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen die in Prüfung gezogene Widmung des Grundstücks des Beschwerdeführers im Flächenwidmungsplan Nr. 4 die folgenden Bedenken:

"Den Planungsunterlagen betreffend die Änderung der Widmung des Grundstücks des Beschwerdeführers von 'Bauland Kerngebiet' auf 'Ruhender Verkehr Parkplatz' dürfte entgegen §36 Abs6 OÖ ROG die erforderliche Grundlagenforschung (vgl. etwa VfSlg. 16.199/2001, 15.361/1998) nicht zu entnehmen sein. An öffentlichen Interessen, die für die Umwidmung sprechen, führte der Stadtplaner lediglich ins Treffen, das Grundstück des Beschwerdeführers sei Bestandteil des historischen Burggrabens und grenze unmittelbar an das unter Denkmalschutz stehende, als Heimatmuseum genützte ehemalige Burgtor; da durch eine Bebauung eine wesentliche Veränderung des Stadtbildes, insbesondere eine Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Heimatmuseums eintreten würde, solle durch eine Änderung der Widmung eine Bebauung ausgeschlossen werden. Damit dürfte die verordnungserlassende Behörde nicht ausreichend dargelegt haben, dass gerade eine Widmung als 'ruhender Verkehr, Parkplatz' entweder aus dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls erforderlich sei (§36 Abs1 OÖ ROG) oder überhaupt im öffentlichen Interesse liege (§36 Abs2 OÖ ROG); denn die verordnungserlassende Behörde führte - nach den Planungsunterlagen, die dem Verfassungsgerichtshof bislang vorliegen - nicht etwa einen Mangel an Parkplätzen oder eine vorausschauende Verkehrsplanung ins Treffen."

2. Die Stadtgemeinde Schärding erstattete im Verordungsprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie ua. ausführte:

"Für das [in Rede stehende Grundstück] wurde vom [Beschwerdeführer im Anlassverfahren] ein Antrag auf Umwidmungsentschädigung nach §38 Abs2 Oö. ROG 1994 gestellt.

Der rechtskräftige Beschluss des Bezirksgerichtes Schärding vom 30. März 2006, AZ: 2 Nc 22/2005b-9 mit dem Urteil, dass ein Anspruch auf Zahlung einer Umwidmungsentschädigung nach §38 Abs2 Oö. ROG dem Grunde nach zu Recht besteht, liegt bereits vor.

Um von der Entschädigungspflicht abzuwenden wurde nun in der Ausschusssitzung für Bauangelegenheiten, örtliche Raumplanung und Sport am 27. April 2006 die Einleitung für die Flächenwidmungsplanänderung 4/6 von derzeit 'Ruhender Verkehr - Parkplatz' in 'Kerngebiet' beschlossen. Weiters wurde in der Gemeinderatssitzung am 9. Mai 2006 der Beschluss für die Einleitung der Änderung des Örtlichen Entwicklungskonzeptes 1/3 gefasst."

3. Die Äußerung der Oberösterreichischen Landesregierung im Verordnungsprüfungsverfahren lautet auszugsweise wie folgt:

"[Zu den Bedenken des Verfassungsgerichtshofs] darf nach Einsicht in die von der Stadtgemeinde Schärding vorgelegten Verfahrensunterlagen [...] festgestellt werden, dass als das im Vordergrund stehende Motiv für die Widmung als 'ruhender Verkehr, Parkplatz' die Absicht zu betrachten ist, mit dieser Widmung eine dem Ortsbild abträgliche Bebauung hintan zu halten. Eine dezidierte Feststellung, warum gerade diese Widmung im Interesse des Gemeinwohls gelegen sei, enthalten die Planungsunterlagen jedoch nicht.

Allerdings kann auf den Problem-Ziel-Maßnahmenkatalog des Örtlichen Entwicklungskonzeptes (Seite 6) hingewiesen werden, wo als Problem grundsätzlich festgehalten ist, dass kein ausreichender Parkraum im Kernbereich vorhanden sei. Die 'Schaffung von ausreichenden Parkmöglichkeiten' wird demnach auch als Entwicklungsziel formuliert. Die zur Vertretung der Verordnung berufene Landesregierung geht daher davon aus, dass die Schaffung von Stellplätzen im Kernbereich des Stadtzentrums jedenfalls im Interesse des Gemeinwohls gelegen ist. Den Interessen des Beschwerdeführers stehen sohin Interessen des Gemeinwohls, betreffend die Erhaltung des Ortsbildes und auch betreffend die Schaffung von Parkplätzen im Stadtzentrum gegenüber."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes, dass die zu B1285/04 protokollierte Beschwerde zulässig ist und dass die in Prüfung gezogene Verordnung bei der Behandlung der Beschwerde präjudiziell ist, haben sich als zutreffend erwiesen.

2. Auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs ob der Gesetzmäßigkeit der geprüften Verordnung treffen zu.

2.1. §36 OÖ ROG 1994, LGBl. Nr. 114/1993 lautete - in der hier maßgeblichen Fassung vor Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 115/2005 - und §38 OÖ ROG lautet auszugsweise:

"§36

Änderung des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes

(1) Flächenwidmungspläne (einschließlich dem örtlichen Entwicklungskonzept) und Bebauungspläne sind

1. bei Änderung der maßgeblichen Rechtslage oder

2. wenn es das Gemeinwohl erfordert,

zu ändern.

(2) Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne können geändert werden, wenn

1. öffentliche Interessen, die nach diesem Landesgesetz bei der Erlassung von solchen Plänen zu berücksichtigen sind, dafür sprechen oder

2. diese Änderung den Planungszielen der Gemeinde nicht widerspricht und

3. Interessen Dritter nicht verletzt werden.

[...]

(6) Die Änderung eines Flächenwidmungsplanes oder eines Bebauungsplanes ist durch den Gemeinderat zu begründen; bei der Änderung von Flächenwidmungsplänen muß der Begründung oder den Planungsunterlagen überdies die erforderliche Grundlagenforschung und Interessenabwägung zu entnehmen sein.

[...]

§38

Entschädigung

[...]

(2) Wird durch Erlassung oder Änderung eines Flächenwidmungsplanes ein als Bauland im Sinne des §21 Abs1 geeignetes Grundstück zur Gänze oder überwiegend von Bauland umschlossen und entsteht dadurch, daß das umschlossene Grundstück nicht ebenfalls als Bauland gewidmet wird, eine Wertverminderung gegenüber seinem Wert vor der Erlassung oder Änderung des Flächenwidmungsplanes, so hat die Gemeinde dem Eigentümer dieses Grundstückes Entschädigung im Ausmaß der Wertverminderung zu leisten.

[...]"

2.2. Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs gründete sich darauf, dass den Planungsunterlagen betreffend die Änderung der Widmung des in Rede stehenden Grundstücks von "Bauland Kerngebiet" auf "Ruhender Verkehr Parkplatz" entgegen §36 Abs6 OÖ ROG die erforderliche Grundlagenforschung nicht zu entnehmen sein dürfte. Diesen Befund unterstreicht die Äußerung der Oberösterreichischen Landesregierung, indem auch sie ausführt, eine dezidierte Feststellung, warum gerade diese Widmung im Interesse des Gemeinwohls gelegen sei, enthielten die Planungsunterlagen nicht. Der Verweis der Oberösterreichischen Landesregierung auf den "Problem-Ziel-Maßnahmenkatalog" des Örtlichen Entwicklungskonzeptes der Stadtgemeinde Schärding (als "Problem" sei festgehalten, dass "kein ausreichender Parkraum im Kernbereich" vorhanden sei; die "Schaffung von ausreichenden Parkmöglichkeiten" werde als "Entwicklungsziel" formuliert) vermag das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs nicht zu entkräften: Eine ausreichende Grundlagenforschung im Sinne des §36 Abs6 OÖ ROG müsste sich konkret auf das Vorliegen der Änderungsvoraussetzungen für die im Einzelnen vorgenommenen Planänderungen an bestimmten Grundstücken beziehen. Es ist schon angesichts der mittlerweile beabsichtigten Wiederherstellung der früheren Widmung als "Bauland - Kerngebiet" (vgl. die Äußerung der Stadtgemeinde Schärding) wenig plausibel, dass das in Rede stehende Grundstück für Zwecke der Parkraumschaffung notwendig ist. Die von der Oberösterreichischen Landesregierung an erster Stelle ins Treffen geführte Absicht der Stadtgemeinde Schärding, mit dieser Widmung eine dem Ortsbild abträgliche Bebauung hintan zu halten, rechtfertigt die vorgenommene Widmung als "Ruhender Verkehr Parkplatz" schon deshalb nicht, da - wenn es nur um die Verwirklichung dieses Ziels ginge - andere, möglicherweise weniger eingreifende und sogar wirkungsvollere planerische Vorkehrungen getroffen werden hätten können; in einer ordnungsgemäßen Grundlagenforschung hätten allenfalls Überlegungen über eben solche Alternativen angestellt werden können, um ausreichend darzulegen, dass gerade die letztlich gewählte Widmungskategorie entweder aus dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls erforderlich sei (§36 Abs1 OÖ ROG) oder überhaupt im öffentlichen Interesse liege (§36 Abs2 OÖ ROG).

Auch der Umstand, dass - der Äußerung der Stadtgemeinde Schärding zufolge - der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens mittlerweile für die Umwidmung des in Rede stehenden Grundstücks die rechtskräftige Zuerkennung eines Anspruchs auf Zahlung einer Umwidmungsentschädigung nach §38 Abs2 OÖ ROG dem Grunde nach erreicht hat, ändert an der Gesetzwidrigkeit der geprüften Verordnung nichts:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. etwa VfSlg. 13.282/1992, 16.637/2002, 17.149/2004) spielt die Frage, ob nach einer Widmungsänderung eine Entschädigung zusteht, zwar eine Rolle bei der Beurteilung, ob anlässlich der Widmungsänderung eine hinreichende Interessenabwägung vorgenommen wurde bzw. diese sogar entfallen kann; die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs bezogen sich im vorliegenden Fall jedoch nicht auf eine mangelnde Interessenabwägung, sondern auf eine nicht ausreichende Grundlagenforschung; das Bestehen eines Entschädigungsanspruchs verringert nicht die Anforderungen, die an die Grundlagenforschung für eine Widmungsänderung zu stellen sind.

3. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:V27.2006

Dokumentnummer

JFT_09939072_06V00027_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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