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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Art141 B-VG; Anfechtung der Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Lieboch; rechtmäßige Wertung von vier Stimmzetteln als ungültig iS der §§67 Abs2 und 69 Abs1 Z6 Stmk. GemeindewahlO 1960Spruch
Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Am 24. März 1985 fand die Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Lieboch (politischer Bezirk Graz-Umgebung, Bundesland Steiermark) statt.
1.1.2. Dieser Wahl lagen von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und der Interessengemeinschaft der Belastungsgegner (I. d. B.) eingebrachte und von der Gemeindewahlbehörde überprüfte, gemäß §48 Abs1 der Stmk. Gemeindewahlordnung 1960, LGBl. 6, idF LGBl. 10/1985 (GWO) abgeschlossene und veröffentlichte Wahlvorschläge zugrunde.
1.1.3. Der Gemeindewahlleiter ließ folgendes Wahlergebnis verlautbaren. Von 1955 abgegebenen gültigen Stimmen - 55 Stimmen wurden als ungültig erachtet - entfielen auf:
ÖVP 923 (7 Gemeinderatssitze)
SPÖ 810 (7 Gemeinderatssitze)
I. d. B. 121 (1 Gemeinderatssitz)
FPÖ 101 (0 Gemeinderatssitze)
1.2.1. P F erhob als zustellungsbevollmächtigter Vertreter der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) am 25. März 1985 gemäß §81 GWO Einspruch gegen die ziffernmäßige Ermittlung des Wahlergebnisses: Die Wahlbehörde habe zu Unrecht insgesamt fünf abgegebene Stimmzettel als gültig angesehen und der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) zugezählt. Nur infolge dieser rechtswidrigen Stimmenzählung sei es zur Zuweisung eines siebenten Mandates an die Sozialistische Partei Österreichs gekommen.
1.2.2. Mit Bescheid der (Stmk.) Landeswahlbehörde vom 17. Mai 1985, Z 7-5 I Li 10/19-1985, wurde diesem Einspruch Folge gegeben und das Ergebnis der Gemeinderatswahl in der Marktgemeinde Lieboch wie folgt festgesetzt:
"Gesamtsumme der gültigen und ungültigen Stimmen: 2.010
ungültige Stimmen: 59 (früher 55)
gültige Stimmen: 1.951 (früher 1.955)
davon gültig für die:
Österreichische Volkspartei 923 (früher 923)
Sozialistische Partei Österreichs 806 (früher 810)
Freiheitliche Partei Österreichs 101 (früher 101)
Interessengemeinschaft der Belastungsgegner 121 (früher 121)
Aufgrund dieses nunmehr festgestellten Stimmenergebnisses beträgt bei 15 zu vergebenden Gemeinderatssitzen die Wahlzahl 115,37 (früher 115,71).
Es entfallen somit auf die:
Österreichische Volkspartei 8 Mandate (früher 7 Mandate)
Sozialistische Partei Österreichs 6 Mandate (früher 7 Mandate)
Freiheitliche Partei Österreichs 0 Mandate (früher 0 Mandate)
Interessengemeinschaft der
Belastungsgegner 1 Mandat (früher 1 Mandat)
Außerdem wird die Wahl des Wahlwerbers Albert Kranyecz der wahlwerbenden Partei 'Sozialistische Partei Österreichs' in den Gemeinderat für nichtig erklärt und festgestellt, daß anstelle des Vorangeführten der Wahlwerber Franz Stadler der wahlwerbenden Partei 'Österreichische Volkspartei' als Gemeinderat gewählt ist."
Begründend führte die Landeswahlbehörde ua. aus:
"a) Wahlsprengel II
Nach den Behauptungen in der Anfechtung waren hier sämtliche der Liste 2 (SPÖ) zugeordneten Stimmzettel zu überprüfen.
Bei den 180 der 'Sozialistischen Partei Österreichs' als gültig zugeordneten Stimmzetteln wurden 3 Stimmzettel festgestellt, die durch ein über sämtliche Parteien führendes liegendes Kreuz derart entwertet sind, daß sie eindeutig als ungültige Stimmzettel zu werten gewesen waren.
Diese Ansicht gründet sich im §69 Abs1 Z6 (GWO), da aus dem vom Wähler in der vorliegenden Form angebrachten Zeichen, nämlich dem liegenden Kreuz über alle Parteilisten, nicht unzweideutig hervorgeht, welche Parteiliste er wählen wollte.
b) Wahlsprengel IV
Im Wahlsprengel IV wurden ebenfalls gemäß den Behauptungen in der Anfechtung die der 'Sozialistischen Partei Österreichs' als gültig zugeordneten Stimmzettel überprüft.
Bei den 244 gültig der 'Sozialistischen Partei Österreichs' zugeordneten Stimmzetteln wurde festgestellt, daß wiederum, wie bereits unter lita geschildert, ein Stimmzettel durch ein über sämtliche neben der Kurzbezeichnung der wahlwerbenden Parteien angeordneten Kreise führendes liegendes Kreuz derart entwertet war, daß er unter derselben Begründung wie unter lita bereits geschildert eindeutig als ungültiger Stimmzettel zu werten gewesen wäre.
Bei einem Stimmzettel wurde festgestellt, daß bei dem neben der Liste 1 angeordneten Kreis dieser eindeutig mit Bleistift ausgefüllt bzw. durchgestrichen war, während bei der Liste 2 in diesem Kreis ein eindeutiges liegendes Kreuz angebracht ist. Dieser Stimmzettel war im Sinn des §67 Abs2 (GWO) richtig als gültig ausgefüllt beurteilt, da aus ihm eindeutig zu erkennen ist, welche Parteiliste der Wähler wählen wollte."
1.3.1. Die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) focht die Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Lieboch mit einer am 18. Juni 1985 zur Post gegebenen und auf Art141 B-VG gestützten Eingabe beim VfGH an. In der Anfechtungsschrift wurde der Sache nach die Nichtigerklärung (eines Teiles) des Wahlverfahrens (in Form der Aufhebung des Bescheides der Landeswahlbehörde) begehrt; dies deshalb, weil die bel. Beh. vier Stimmzettel zu Unrecht als ungültig angesehen habe, statt sie richtigerweise der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) zuzurechnen. Infolgedessen sei der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) ein achtes Mandat zugeteilt worden.
1.3.2. Die Landeswahlbehörde legte die Wahlakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
1.4.1. Der mit "Gültige Ausfüllung" überschriebene §67 GWO lautet:
"(1) Zur Stimmenabgabe darf nur der vom Wahlleiter gleichzeitig mit dem Wahlkuvert dem Wähler übergebene amtliche Stimmzettel verwendet werden.
(2) Der Stimmzettel ist gültig ausgefüllt, wenn aus ihm eindeutig zu erkennen ist, welche Parteiliste der Wähler wählen wollte. Dies ist der Fall, wenn der Wähler in einem der links von jeder Parteibezeichnung vorgedruckten Kreise ein liegendes Kreuz oder ein anderes Zeichen mit Tinte, Farbstift oder Bleistift anbringt, aus dem unzweideutig hervorgeht, daß er die in derselben Zeile angeführte Parteiliste wählen will. Der Stimmzettel ist aber auch dann gültig ausgefüllt, wenn der Wille des Wählers auf andere Weise, zB durch Anhaken, Unterstreichen, sonstige entsprechende Kennzeichnung einer wahlwerbenden Partei, durch Durchstreichen der übrigen wahlwerbenden Parteien oder durch Bezeichnung eines, mehrerer oder aller Bewerber einer Parteiliste, eindeutig zu erkennen ist.
(3) Der Stimmzettel ist auch gültig ausgefüllt, wenn zwar eine Parteiliste angezeichnet wurde, auf der Rückseite des Stimmzettels aber die Bewerber einer anderen Partei oder verschiedener Parteien gereiht oder gestrichen wurden. Diese Reihungen und Streichungen gelten in diesem Falle als nicht beigesetzt bzw. als nicht erfolgt."
1.4.2. Der mit "Ungültige Stimmzettel" betitelte §69 GWO hat folgenden Wortlaut:
"(1) Der Stimmzettel ist ungültig, wenn
1. ein anderer als der amtliche Stimmzettel zur Abgabe der Stimme verwendet wurde, oder
2. der Stimmzettel durch Abreißen eines Teiles derart beeinträchtigt wurde, daß nicht mehr unzweideutig hervorgeht, welche Parteiliste der Wähler wählen wollte, oder
3. überhaupt keine Parteiliste oder kein Bewerber angezeichnet wurde, oder
4. zwei oder mehrere Parteilisten oder Bewerber verschiedener Parteilisten angezeichnet wurden, oder
5. eine Liste angezeichnet wurde, die nur eine Listennummer, aber keine Parteibezeichnung enthält, oder
6. aus dem vom Wähler angebrachten Zeichen oder der sonstigen Kennzeichnung nicht unzweideutig hervorgeht, welche Parteiliste er wählen wollte.
(2) Leere Wahlkuverts zählen als ungültige Stimmzettel. Enthält ein Wahlkuvert mehrere Stimmzettel, die auf verschiedene Parteien lauten, so zählen sie, wenn sich ihre Ungültigkeit nicht schon aus anderen Gründen ergibt, als ein ungültiger Stimmzettel.
(3) Worte, Bemerkungen oder Zeichen, die auf den amtlichen Stimmzetteln außer zur Kennzeichnung der wahlwerbenden Partei angebracht wurden, beeinträchtigen die Gültigkeit eines Stimmzettels nicht, wenn sich hiedurch nicht einer der vorangeführten Ungültigkeitsgründe ergibt. Im Wahlkuvert befindliche Beilagen aller Art beeinträchtigen die Gültigkeit des amtlichen Stimmzettels nicht."
2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:
2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der VfGH ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 8973/1980). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.
2.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein.
2.1.3. Einen derartigen, die unmittelbare Anfechtung der Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Lieboch beim VfGH ausschließenden Instanzenzug richtet die Bestimmung des §81 Abs1 GWO ein.
Danach steht es dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter jeder wahlwerbenden Partei frei, gegen die ziffernmäßigen Ermittlungen einer Gemeindewahlbehörde binnen drei Tagen und wegen behaupteter Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens binnen zwei Wochen - vom Ablauf des ersten Tages der Kundmachung des Wahlergebnisses an gerechnet - schriftlich Einspruch an die Landeswahlbehörde zu erheben.
Über den bei der Gemeindewahlbehörde anzubringenden Einspruch entscheidet in erster und letzter Instanz die Landeswahlbehörde (§81 Abs3 und 6 GWO).
2.1.4. Wie sich aus den Ausführungen zu Punkt 1.2.2. ergibt, wurde dem von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ergriffenen Einspruch mit Bescheid der Landeswahlbehörde vom 17. Mai 1985 teilweise, und zwar zu Lasten der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), Folge gegeben.
2.1.5. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der Gemeinderatswahl vor dem VfGH (vgl. auch §81 Abs6 Satz 2 GWO) ist hier somit der 23. Mai 1985, das ist der Tag der Zustellung des Bescheides der Landeswahlbehörde an den Zustellungsbevollmächtigten der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ).
Die (am 18. Juni 1985 zur Post beförderte - s. Punkt 1.3.1.) Wahlanfechtungsschrift wurde darum rechtzeitig eingebracht.
2.1.6. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.
2.2.1. Der VfGH geht aufgrund der Aktenlage - ebenso wie die Parteien - davon aus, daß jeder der streitverfangenen (vier) Stimmzettel mit einem liegenden Kreuz angezeichnet war, das alle (vier) links neben den Parteibezeichnungen vorgedruckten Kreise erfaßte.
2.2.2. Nun erfordert die gültige Ausfüllung eines Stimmzettels, daß "aus ihm eindeutig zu erkennen ist, welche Parteiliste der Wähler wählen wollte" (§67 Abs2 Satz 1 GWO). Dies ist der Fall, wenn der Wähler in einem links von jeder Parteibezeichnung aufgedruckten Kreis ein liegendes Kreuz anbringt (§67 Abs2 Satz 2 GWO): Diese (hier allein zu erwägende) Voraussetzung trifft nicht zu, denn das Kreuz wurde - wie eingangs festgehalten - jeweils über insgesamt vier Kreise gezogen. Daran vermag entgegen der in der Anfechtungsschrift vertretenen Auffassung auch nichts zu ändern, daß der Schnittpunkt des Kreuzes in einem der vier Kreise liegt, die von der Anzeichnung erfaßt und betroffen wurden: Betrachtet man die strittigen (vier) Stimmzettel, entsteht den Umständen nach jedenfalls der Eindruck, daß der Wähler sämtliche Kreise durchstreichen wollte.
Der Landeswahlbehörde ist darum beizupflichten, wenn sie sinngemäß darlegt, daß eine derartige Anzeichnung (zumindest) offenlasse, für welche Parteiliste sich der Wähler tatsächlich entschied (§69 Abs1 Z6 GWO), und damit die Ungültigkeit der (vier) Stimmzettel zur Folge habe.
2.2.3. Da somit dem Wahlverfahren die geltend gemachten Rechtswidrigkeiten nicht anhaften, war die Wahlanfechtung - allein schon aus dieser Erwägung - als unbegründet abzuweisen.
Schlagworte
Wahlen, Stimmzettel, VfGH / WahlanfechtungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:WI5.1985Dokumentnummer
JFT_10139694_85WI0005_00