Index
32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Ab1 / GesetzBeachte
Kundmachung BGBl. 290/1986 am 4. Juni 1986 Anlaßfälle B794/84 und B290/85, beide vom 9. Juni 1986, und B667,668/85 vom 12. Juni 1986 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster VfSlg. 10699/1985; Anlaßfälle B771/85 vom 25. Juni 1985 und B917/85 vom 6. Juni 1986 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster VfSlg. 10723/1985Leitsatz
GebührenG; Verstoß der Regelung des §9 Abs1 gegen den Gleichheitssatz (mit Hinweis auf VfSlg. 10517/1985 und 10617/1985)Spruch
§9 Abs1 Gebührengesetz, Anlage zu BGBl. 267/1957, idF der Nov. BGBl. 48/1981 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 28. Feber 1987 in Kraft. Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. §9 Abs1 GebührenG bestimmt idF der Nov. BGBl. 48/1981:
"Wird eine Gebühr, die nicht vorschriftsmäßig in Stempelmarken entrichtet wurde, mit Bescheid festgesetzt, so ist eine Gebührenerhöhung im Ausmaß von 50 v. H. der verkürzten Gebühr zu erheben. Diese Gebührenerhöhung ist nicht zu erheben, wenn eine Gebühr im Ausland in Stempelmarken zu entrichten gewesen wäre."
1. Beim VfGH ist zu B667, 668/85 eine Beschwerde gegen Berufungsbescheide anhängig, die in Anwendung dieser Bestimmung eine Gebührenerhöhung erheben. Der Bf. ist Spediteur und hat in den Jahren 1980 bis 1983 beim Zollamt Wien nach Verwendung von Sammelwarenerklärungen die zollamtliche Bestätigung zahlreicher Ersatzbelege für Zwecke des Vorsteuerabzuges wegen entrichteter Einfuhrumsatzsteuer erwirkt. Über die ordnungsgemäß entrichteten Gebühren nach §14 TP14 (Zeugnisse) hinaus werden ihm nun Gebühren nach §14 TP6 (Eingaben) und TP5 (Beilagen) und eine Erhöhung vorgeschrieben. Es habe sich bei diesen Eingaben nicht um solche im Ermittlungs- und Rechtsmittelverfahren in Abgabensachen iS des §14 TP6 Abs5 Z4 gehandelt und die Gebühr werde auch nicht etwa für Klauseln verlangt, die aufgrund besonderer Rechtsvorschriften einzelnen Urkunden der Kontrolle wegen oder zur Beglaubigung amtlich beigefügt werden müssen (§14 TP14 Abs2 Z12). Den infolgedessen gebührenpflichtigen Eingaben seien Warenerklärungen, notwendige Fortsetzungsblätter und allenfalls erforderliche Erklärungen zur Ermittlung des Zollwertes, sowie Rechnungen und Eingangsabgabenbescheide beigelegt gewesen. Die nachgeforderte Gebühr beträgt 3420 S und 63450 S, die Erhöhung 1710 S und 31725 S.
Die gegen die Berufungsbescheide gerichtete Beschwerde rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, allenfalls auch der in Art6 MRK verankerten Rechte, und verweist auf die Erk. des VfGH VfSlg. 10517/1985 und VfSlg. 10617/1985).
Ferner sind beim VfGH zu B794/84 und B290/85 Beschwerden gegen Berufungsbescheide anhängig, in denen Eingaben bzw. Beilagengebühren vorgeschrieben und eine Erhöhung von 175 S bzw. 137 S erhoben wird (G10, 11/86).
2. Aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren hat der VfGH die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §9 Abs1 GebührenG beschlossen. Er hat vorläufig angenommen, daß die Beschwerden zulässig sind, daß er bei ihrer Beurteilung §9 Abs1 GebührenG anzuwenden hätte und daß der zweite Satz (arg. "Diese ...") mit dem ersten in untrennbarem Zusammenhang stehe. Er hatte gegen diese Bestimmung im führenden Anlaßfall
"... die gleichen Bedenken, die zur Aufhebung beider Sätze des §9 Abs2 GebührenG in den von der Beschwerde angezogenen Erkenntnissen geführt haben. Der Gerichtshof hat zwar dort angedeutet - ohne Anlaß zu weiteren Ausführungen gehabt zu haben -, daß im Bereich der Stempelgebühren eine andere Beurteilung möglich wäre, doch scheint ihm die gegenwärtige Regelung auch in diesem Bereich bedenklich, weil sie nicht nur auf feste Gebühren für Schriften und Amtshandlungen Anwendung findet, die vergleichsweise niedrig sind oder aber vorgeschrieben (§14 TP2) oder aufgrund klar erkennbarer Tatbestände geschuldet werden (§14 TP7 Z4), sondern auch für eine Rechtsgeschäftsgebühr - nämlich für Wechsel - gilt, die ohne Rücksicht auf ihre Höhe in Stempelmarken zu entrichten ist (§33 TP22 Abs6 GebührenG). Wenngleich die behördliche Kontrolle auch in diesem Bereich ähnlich schwierig ist, wie in anderen Bereichen des §14, scheint das doch keine ausreichende sachliche Rechtfertigung dafür zu sein, die Gebühr ohne jede Rücksicht auf ihre - als Hundertsatzgebühr unbegrenzte - Höhe ohne jede Möglichkeit einer Entschuldigung ausnahmslos immer um die Hälfte zu erhöhen. Auch das scheint eine im Verhältnis zu sonstigen Säumnisfolgen im Abgabenrecht das gerechtfertigte Anliegen so weit überschießende (exzessive) Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen zu sein, daß sie den rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers überschreitet und das dem Gleichheitssatz innewohnende Gebot der Sachlichkeit verletzt.
Daß es im vorliegenden Fall nicht um eine Wechselgebühr geht, verschlägt nichts: Sitz der allfälligen Verfassungswidrigkeit kann nur die in Prüfung gezogene - hier jedenfalls präjudizielle - Norm sein; daß sich die Verfassungswidrigkeit selbst auf den Anlaßfall nicht auswirkt, ist ohne Bedeutung."
Die Bundesregierung hat im Hinblick auf die genannten Erk. des VfGH von einer Äußerung abgesehen.
II. Die Verfahren sind zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was Zweifel an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden oder der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle erweckt hätte. Insbesondere stehen die beiden Sätze des §9 Abs1 GebührenG in so engem sprachlichen Zusammenhang, daß ein Verbleiben des zweiten Satzes zu Fehlschlüssen Anlaß geben würde; sie bilden daher eine untrennbare Einheit.
III. Die Bedenken sind begründet. Auch Abs1 des §9 GebührenG verstößt gegen den Gleichheitssatz.
Das Verfahren hat nichts ergeben, was die in den Erk. VfSlg. 10517/1985 und VfSlg. 10617/1985 für den Abs2 des §9 GebührenG für zutreffend erkannten Bedenken hier zerstreuen könnte. Da Abs1 auch für die Wechselgebühr und damit für eine Hundertsatzgebühr gilt, die der Höhe nach unbegrenzt ist, liegt in der starren, jede Möglichkeit einer Entschuldigung ausschließenden Erhöhung eine im Verhältnis zu sonstigen Säumnisfolgen im Abgabenrecht exzessive und damit unsachliche Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen.
Auch Abs1 ist daher aufzuheben.
Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich unbedenklichen Anwendungsfälle der Vorschrift sieht sich der Gerichtshof veranlaßt, für das Außerkrafttreten eine angemessene Frist zu setzen (Art140 Abs7 Satz 2 B-VG). Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG und §64 VerfGG.
Schlagworte
VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Trennbarkeit, GebührEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:G8.1986Dokumentnummer
JFT_10139692_86G00008_00