Index
61 Familienförderung, JugendfürsorgeNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
FLAG §5 Abs2 erster Satz; Anspruch auf Familienbeihilfe verneint; verfassungskonforme - weite - Interpretation der in §5 Abs2 erster Satz enthaltenen Aussage geboten, ein Lehrverhältnis sei nach Vollendung des 18. Lebensjahres nur dann nicht beihilfenschädlich, wenn es unmittelbar nach Beendigung der Schulausbildung des Kindes begonnen wird; keine Bedenken gegen diese Bestimmung; keine Gleichheitsverletzung; keine EigentumsverletzungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Unstrittig steht folgender - durch die vorgelegten Verwaltungsakten bestätigter - Sachverhalt fest:
Die Gattin des Bf. betreibt in Graz eine Fleischhauerei mit Verkaufsgeschäft. Ihre am 30. Juni 1964 geborene Tochter besuchte nach Abschluß der Hauptschule eine zweijährige Büroschule und war sodann vom 4. August 1980 bis 30. April 1981 bei einem anderen als dem elterlichen Fleischhauereibetrieb als Arbeiterin beschäftigt. Ab 4. Mai 1981 war sie als Lehrling im Betrieb ihrer Mutter tätig; das Lehrverhältnis wurde am 3. Mai 1984 beendet.
b) Das Finanzamt Graz (FA) forderte mit Bescheid vom 25. Mai 1983 die für die Tochter nach Vollendung des 18. Lebensjahres (1. Juli 1982) bis zum 31. März 1983 von ihrem Vater (dem Bf.) bezogene Familienbeihilfe im Gesamtbetrag von 10800 S als - dem §5 Abs1 und 2 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. 376, (FLAG) zufolge - zu Unrecht bezogen zurück. Dagegen erhob der Bf. Berufung.
Er beantragte gleichzeitig, für die Zeit vom 1. April 1981 bis 31. Mai 1984 die ihm gebührende, bislang nicht ausbezahlte Familienbeihilfe zu gewähren. Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 12. November 1984 ab. Auch dagegen berief der Bf.
c) Die Finanzlandesdirektion für Stmk. (FLD) wies mit Bescheid vom 19. August 1985 die Berufungen gegen die beiden erwähnten Bescheide des Finanzamtes ab und begründete dies im wesentlichen wie folgt:
"Gemäß §5 Abs2 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und im Betrieb des Anspruchswerbers oder dessen Ehegatten hauptberuflich tätig sind, sofern nicht ein gesetzlich anerkanntes Lehrverhältnis vorliegt, welches unmittelbar nach Beendigung der Schulausbildung begonnen wurde.
Der Bw stellt selbst außer Streit, daß im vorliegenden Fall das Lehrverhältnis nach einer zwischenzeitigen Berufsausübung und damit nicht unmittelbar nach Beendigung der Schulausbildung eingegangen wurde. Der Bw stellt weiters außer Streit, daß damit der Tatbestand erfüllt ist, der nach dem Familienlastenausgleichsgesetz einen Ausschließungsgrund darstellt. Das Finanzamt hat daher - auch nach Ansicht des Bw - gesetzeskonform entschieden, und es kann daher auch keine anderslautende Entscheidung getroffen werden. Die Beurteilung einer nach Meinung des Bw bestehenden Verfassungswidrigkeit des Gesetzes kommt den Abgabenbehörden nicht zu; sie ist dem VfGH vorbehalten."
2. Gegen den Bescheid der FLD wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (des §5 Abs2 erster Satz FLAG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die FLD als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift. Sie begehrt die Abweisung der Beschwerde.
II. Der Bf. begründet seine Behauptung, in den erwähnten Rechten verletzt worden zu sein, ausschließlich damit, daß §5 Abs2 erster Satz FLAG verfassungswidrig sei.
Diese Bestimmung und der vorangehende Abs1 lauten (auszugsweise):
"§5 (1) Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und selbst Einkünfte gemäß §2 Abs3 des Einkommensteuergesetzes 1972 in einem 2.500 S monatlich übersteigenden Betrag beziehen. ... Bei Ermittlung der Einkünfte des Kindes bleiben außer Betracht:
a) ...,
b) Entschädigungen aus einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis,
c) ...
(2) Keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und im Betrieb dieser Person oder deren Ehegatten hauptberuflich tätig sind, sofern nicht ein gesetzlich anerkanntes Lehrverhältnis vorliegt, welches unmittelbar nach Beendigung der Schulausbildung des Kindes begonnen wurde. Eine hauptberufliche Tätigkeit des Kindes liegt nicht vor, wenn ein Kind, das sich in Schulausbildung befindet, ausschließlich während der Schulferien im Betrieb des Anspruchsberechtigten oder dessen Ehegatten beschäftigt ist.
(3) ..."
Der Bf. meint, die getroffene Regelung benachteilige unsachlich jene anspruchsberechtigten Personen, deren Kinder im elterlichen Betrieb als Lehrling tätig sind, gegenüber Anspruchsberechtigten, deren Kinder die Lehre außerhalb des elterlichen Betriebes absolvieren. Während nämlich bei der zweiten Fallgruppe eine Lehre auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres keinesfalls beihilfenschädlich sei, sei es eine Lehre bei der ersten Fallgruppe nur dann nicht, wenn die Lehre unmittelbar nach Beendigung der Schulausbildung des Kindes begonnen wird. Die Schlechterstellung erfolge nur wegen des verwandtschaftlichen Naheverhältnisses; dies sei verfassungswidrig (Hinweis auf die Erk. VfSlg. 9417/1982 und 10157/1984). Ein Vorgehen wie beim Kind des Bf. (nämlich nach Abschluß der Schulausbildung zunächst praktische Tätigkeit in einem anderen Betrieb, dann erst Beginn des Lehrverhältnisses in jenem der Eltern) sei keineswegs atypisch, sondern sei bei Kindern, die dafür vorbereitet werden sollen, später einmal den elterlichen Betrieb zu übernehmen, geradezu die Regel; es könne daher nicht von einem - vernachlässigbaren - Härtefall gesprochen werden (Hinweis auf die Erk. VfSlg. 8656/1979 und 8793/1980).
III. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) Um beurteilen zu können, ob die gegen §5 Abs2 erster Satz FLAG in der Beschwerde vorgetragenen Bedenken zutreffen oder sonstige Bedenken gegen diese Gesetzesbestimmung bestehen, ist es vorweg nötig, den Inhalt dieser Vorschrift zu erörtern.
Die in dieser Gesetzesbestimmung enthaltene Aussage, ein Lehrverhältnis sei nach Vollendung des 18. Lebensjahres nur dann nicht beihilfenschädlich, wenn es unmittelbar nach Beendigung der Schulausbildung des Kindes begonnen wird, ist weit auszulegen, nämlich einerseits derart, daß es hinreicht, wenn überhaupt ein Lehrverhältnis (wenn auch nicht im elterlichen Betrieb) angetreten wird, andererseits derart, daß eine - bloß kurzfristige - Verzögerung des Antrittes des Lehrverhältnisses dann nicht den Verlust des Anspruches auf Familienbeihilfe bewirkt, wenn die Verzögerung sachlich bedingt war (wenn sie etwa darauf zurückzuführen ist, daß weder im elterlichen noch in einem anderen Betrieb vorübergehend ein geeigneter Lehrplatz offen ist).
Diese nach dem Wortlaut des Gesetzes mögliche Interpretation ist nach dem Grundsatz, daß Gesetze im Zweifel verfassungskonform auszulegen sind, geboten.
Würde nämlich das Gesetz anders verstanden, so wäre für Kinder, die ihre Lehre im elterlichen Betrieb absolvieren, im Verhältnis zu der für andere Kinder geltenden Vorschrift eine Regelung getroffen worden, die die Beihilfenempfänger aus sachlich nicht begründbaren Überlegungen benachteiligt.
b) Bei diesem Inhalt des §5 Abs2 erster Satz FLAG hegt der VfGH gegen diese Gesetzesbestimmung keine verfassungsrechtlichen Bedenken:
Denn selbst wenn - und gerade wenn - die in der Beschwerde aufgestellte Tatsachenbehauptung zutrifft, daß es für die Berufsausbildung der Kinder, die für eine Übernahme des elterlichen Betriebes vorgesehen sind, günstig sei, vor Beginn der Lehre bei den Eltern in einem anderen Betrieb praktisch zu arbeiten, und daß ein solches Vorgehen daher üblich sei, ist die Regelung sachlich gerechtfertigt:
Die FLD weist in ihrer Gegenschrift zutreffend darauf hin, daß es für Kinder, die nicht die Chance haben, im elterlichen Betrieb die Lehre zu absolvieren, in der Regel unmöglich ist, die Lehre nicht sofort nach Beendigung der Schulausbildung zu beginnen, sodaß die Lehre meist mit Vollendung des 18. Lebensjahres oder doch bald danach abgeschlossen wird; hingegen liegt es in der Regel im Belieben der Eltern, die Inhaber eines Betriebes sind, wann sie das Lehrverhältnis mit ihren Kindern beginnen, sodaß es in die Hand der Eltern gegeben ist, die Beendigung der Lehrzeit weit über das 18. Lebensjahr des Kindes hinauszuzögern. Dies aber würde - hätte der Gesetzgeber die vom Bf. für im elterlichen Betrieb ihre Lehre absolvierende Kinder geltende Einschränkung nicht getroffen - zu einer Begünstigung des zweitgenannten Personenkreises führen, für eine solche Bevorzugung wäre aber kaum eine sachliche Rechtfertigung zu finden. Es kann also beim dargestellten Inhalt des Gesetzes (s. die vorstehende lita) keine Rede davon sein, daß der Gesetzgeber mit §5 Abs2 erster Satz FLAG den ihm von Verfassungs wegen eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum verlassen hätte. Die oben geschilderten oder ähnliche Aspekte waren bei den vom Bf. zitierten hg. Vorerkenntnissen nicht maßgebend, sodaß aus ihnen hier nichts zu gewinnen ist.
Der VfGH hat auch aus anderen Gründen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §5 Abs2 erster Satz FLAG (vgl. VfSlg. 7351/1974).
Der Bf. ist nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
2. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz käme bei diesem Ergebnis nur in Betracht, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie Willkür geübt hätte.
Davon kann nicht gesprochen werden. Insbesondere hat die Behörde dem Gesetz nicht einen Inhalt beigemessen, der, hätte ihn das Gesetz, nach den obigen Darlegungen (II.1.a) die Vorschrift mit Verfassungswidrigkeit belasten würde. Die Behörde ist auch nicht willkürlich vorgegangen.
b) Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der den bekämpften Bescheid tragenden Rechtsgrundlagen hätte das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur dann verletzt sein können, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich gehandhabt hätte.
Anhaltspunkte für ein solches Verhalten der Behörde hat das Verfahren nicht ergeben. Auch der Bf. behauptet derartige Fehler nicht.
c) Der Bf. ist durch den bekämpften Bescheid weder in den erwähnten noch in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde war also abzuweisen.
Schlagworte
Familienlastenausgleich, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B727.1985Dokumentnummer
JFT_10139689_85B00727_00