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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzBeachte
Kundmachung BGBl. 278/1986 am 28. Mai 1986; Anlaßfälle B151/84 und B142/85, beide vom 12. Juni 1986 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster VfSlg. 10699/1985Leitsatz
GewerbesteuerG §29 Abs2 und 3; Folgen einer fehlerhaften Selbstbemessung durch den Abgabepflichtigen - Verstoß der Regelung gegen den GleichheitsgrundsatzSpruch
Die Abs2 und 3 des §29 Gewerbesteuergesetz, BGBl. 2/1954, in der Stammfassung, waren verfassungswidrig.
Die Gesetzesstellen sind nicht mehr anzuwenden.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Lohnsummensteuer (Abschnitt III des Gewerbesteuergesetzes) ist eine Selbstbemessungsabgabe und für einen Kalendermonat am 15. des darauffolgenden Monates fällig (§28 Abs1). Bei ihrer Berechnung ist von einem Steuermeßbetrag auszugehen, der durch Anwendung eines Tausendsatzes (Steuermeßzahl) auf die Lohnsumme zu ermitteln ist (§27 Abs1). Dieser Steuermeßbetrag wird nur auf Antrag des Steuerschuldners oder einer beteiligten (hebeberechtigten) Gemeinde und nur dann festgesetzt, wenn ein berechtigtes Interesse an der Festsetzung dargetan wird; die Festsetzung erfolgt jeweils für ein Kalenderjahr unter Zugrundelegung der Lohnsummen, die der Unternehmer in den einzelnen Kalendermonaten gezahlt hat (§29 Abs1). Dazu bestimmten die Abs2 und 3 in der Stammfassung (vor der erstmalig für 1984 anzuwendenden Novelle BGBl. 531/1984):
"(2) Der Antrag auf Festsetzung des Steuermeßbetrages muß innerhalb der ersten sechs Monate nach Ablauf des Kalenderjahres gestellt werden.
(3) Die Antragsfrist ist eine Ausschlußfrist. Der Steuermeßbetrag ist aber auf Antrag der Gemeinde auch nach Ablauf dieser Frist festzusetzen, wenn festgestellt wird, daß der Unternehmer die Erklärungen über die Berechnungsgrundlagen (§28) vorsätzlich oder fahrlässig nicht oder nicht richtig abgegeben hat."
2. Beim VfGH ist zu B151/84 die Beschwerde einer Gesellschaft anhängig, die im Dezember 1982 beim Finanzamt Anträge auf Festsetzung des Steuermeßbetrages nach der Lohnsumme für die Kalenderjahre 1978 und 1979 gestellt hatte, weil durch einen Fehler bei der elektronischen Datenverarbeitung 461080 S zuviel an Lohnsummensteuer abgeführt worden seien. Mit dem angefochtenen Berufungsbescheid wurden die Anträge wegen Ablaufes der in §29 Abs2 GewStG dafür vorgesehenen Frist abgewiesen.
Ferner richtet sich eine zu B142/85 anhängige Beschwerde gegen den Bescheid einer Finanzlandesdirektion, worin die antragsgemäß erfolgte Festsetzung des Steuermeßbetrages für die Jahre 1979 bis 1981 in Ausübung des Aufsichtsrechtes mit der Begründung aufgehoben wird, der Antrag sei (im Mai 1984) verspätet gestellt worden.
Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der VfGH von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Abs2 und 3 des §29 GewStG in der Stammfassung beschlossen. Er hat vorläufig angenommen, daß die Beschwerden zulässig sind, bei ihrer Beurteilung §29 GewStG anzuwenden wäre und dessen Abs3 mit Abs2 in einem derart engen sprachlichen und sachlichen Zusammenhang stehe, daß Abs2 nicht isoliert gesehen werden könne. Die Bedenken werden im Prüfungsbeschluß sodann wie folgt dargelegt:
"2. In der Sache nimmt der Gerichtshof vorläufig an, daß der Steuerpflichtige eine Erstattung zuviel gezahlter Lohnsummensteuer immer nur durch einen Antrag gemäß §29 GewStG erreichen kann. Ein Rückerstattungsantrag an die Gemeinde dürfte unzulässig sein. Nach Erlassung des Steuermeßbescheides ist die Gemeinde vielmehr ihrerseits verpflichtet, einen diesem Meßbetrag entsprechenden Lohnsummensteuerbescheid zu erlassen (vgl. Philipp, Kommentar zum GewStG II, Anm. 6, 7 zu §29).
3. In den Erkenntnissen VfSlg. 8726/1980, 9754/1983 und 9755/1983 hat der VfGH nun aber klargestellt, daß der Gesetzgeber, der vom Grundsatz der Festsetzung einer Abgabe durch Bescheid der Behörde abgeht und eine Selbstbemessung durch den Abgabepflichtigen vorsieht, die Möglichkeit entsprechender Berichtigungen entweder durch den Abgabepflichtigen selbst oder durch behördliche Festsetzung vorsehen muß:
'Gemäß dem für den Gesetzgeber aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeitsgebot ... dürfen dabei im Sinne der sonst für das Abgabenverfahren maßgeblichen Verfahrensgrundsätze nicht nur den Abgabepflichtigen Verpflichtungen auferlegt werden, die eine Verkürzung der Abgabe verhindern ..., sondern muß auch dafür gesorgt sein, daß die für die Abgabenbemessung nach den materiellrechtlichen Abgabenvorschriften maßgeblichen Umstände in objektiver Weise und daher auch zugunsten der Abgabepflichtigen festgestellt werden können ... Demgegenüber treten Überlegungen der Verwaltungsökonomie, wenngleich diese für die Zulassung der Selbstbemessung von Abgaben eine Rolle spielen, in den Hintergrund.' (VfSlg. 8726/1980, S 23).
Im Hinblick auf die hier vertretene Rechtsansicht kann der Gerichtshof nicht an der im Erkenntnis VfSlg. 6298/1970 vertretenen Auffassung der Unbedenklichkeit von §29 Abs2 GewStG festhalten.
Ähnlich der Regelung des §149 WAO in der damaligen Fassung scheinen nämlich auch §29 Abs2 und 3 GewStG keine den materiell-rechtlichen Bestimmungen entsprechende Festsetzung in den Fällen vorzusehen, in denen der Abgabepflichtige nach Ablauf der ihm gesetzten - kurzen - Frist eine zu hohe Selbstbemessung feststellt oder in denen die Abgabenbehörde (hier die Gemeinde) anläßlich einer Prüfung eine solche Feststellung macht. Selbst für den Fall offenkundiger Schreib- oder Rechenfehler dürfte eine solche Möglichkeit fehlen. Das scheint hier gleichfalls eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung innerhalb der Selbstbemessungsabgaben wie auch im Verhältnis zu allen anderen Abgaben zu bewirken, bei deren Bemessung nach den Grundsätzen der Amtswegigkeit vorzugehen ist.
Es dürfte auch keine Auslegung dieser Bestimmungen möglich sein, die diesen Bedenken Rechnung trägt."
Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.
II. Das Verfahren ist zulässig.
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen, untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen zweifeln ließe.
III. Die Bedenken sind auch begründet. Abs2 und 3 des §29 GewStG waren gleichheitswidrig. Das Verfahren hat die Bedenken des VfGH nicht zerstreut. Wohl ist die Rechtslage im Bereich der Gewerbesteuer verschieden von der Regelung der Abgabengesetze, die Gegenstand der Erk. VfSlg. 8726/1980, 9754/1983 und 9755/1983 war. In dem hier entscheidenden Punkt der Folgen einer fehlerhaften Selbstbemessung durch den Abgabepflichtigen ist sie jedoch verfassungsrechtlich gleich zu beurteilen. Die Möglichkeit einer finanzbehördlichen Feststellung hängt nach Ablauf einer verhältnismäßig kurzen Zeit von der Willkür der Gemeinde ab, die im Feststellungsverfahren Gegner des Steuerpflichtigen ist und sich zur Antragstellung nur veranlaßt sehen wird, wenn die Selbstbemessung zu niedrig war. Auch dieses System bedeutet eine unsachliche Differenzierung innerhalb der Selbstbemessungsabgaben und im Verhältnis zu allen anderen Abgaben, bei deren Bemessung nach den Grundsätzen der Amtswegigkeit vorzugehen ist. Es ist keine Auslegung ersichtlich, die dieses Ergebnis vermeiden könnte.
Mit Wirkung für die Festsetzung der Steuermeßbeträge für das Kalenderjahr 1984 sind die in Prüfung gezogenen Bestimmungen allerdings neu gefaßt worden (Abschn. II ArtI Z6 iVm. ArtII Z5 der Nov. BGBl. 531/1984). Es kann daher nur mehr ihre Verfassungswidrigkeit in der Stammfassung festgestellt werden. Der Gerichtshof hält es aber im Hinblick auf den für die Handhabung des Gesetzes ausreichenden ersten Absatz des §29 GewStG für angebracht, die weitere Anwendung der verfassungswidrigen Regelung auszuschließen (Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG).
Schlagworte
Finanzverfahren, Selbstbemessung (Finanzverfahren), Gewerbesteuer, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:G241.1985Dokumentnummer
JFT_10139689_85G00241_00