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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Art144 Abs1 B-VG; ständige Mitbenützer einer durchsuchten Wohnung zur Beschwerdeführung gegen eine Hausdurchsuchung an sich legitimiert; Nachschau in der Wohnung des Bf. aus freiem Willen im voraus gestattet; Mangel eines (normativen) Zwangscharakters - keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt Gesetz zum Schutze des Hausrechts; StGG Art9; StPO §141 Abs2; Hausdurchsuchung im Dienst der Strafjustiz aus eigener Machtvollkommenheit (ersichtlich auf §2 Abs2 HausrechtsSchG gestützt); kein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der erforderlichen unmittelbaren Wahrnehmung (des Sicherheitsorgans) und der folgenden Durchsuchung aus eigener Macht - Verletzung im HausrechtSpruch
I. Die Bf. sind dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 22. Feber 1985 knapp nach 22.15 Uhr in ihrer Wohnung in Wien ... eine Hausdurchsuchung durchgeführt haben, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht (Art9 StGG) verletzt worden.
II. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antrag, die Beschwerde an den VwGH abzutreten, wird abgewiesen.
III. Die Verfahrenskosten werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. P und D M beantragten mit ihrer auf Art144 (Abs1) B-VG gestützten und gemeinsam eingebrachten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, sie seien am 22. und 23. Feber 1985 dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Neubau, in ihrer Wohnung in Wien ... insgesamt drei Hausdurchsuchungen durchführten, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht (Art9 StGG) verletzt worden.
Zugleich wurde hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
1.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin, die Beschwerde kostenpflichtig teils als unzulässig zurück-, teils als unbegründet abzuweisen.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Beweis wurde erhoben insbesondere durch Vernehmung der Kriminalbeamten E B und F E als Zeugen, ferner durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakten und den Akt AZ 2eE Vr 5559/85-Hv 3607/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien sowie durch Vernehmung der Bf. P und D M als Parteien.
2.1.2. Aufgrund dieser Beweismittel stellte der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:
Am 22. Feber 1985 nahm der Sicherheitswachebeamte Inspektor A H den nunmehrigen Bf. P M fest, der auf Anzeige des Verkäufers R H hin im Verdacht stand, mit einer Frau - den Umständen nach möglicherweise seiner Ehegattin - im Herrenmodengeschäft H in Wien eine Woche zuvor eine Lederjacke gestohlen zu haben.
Anläßlich seiner polizeilichen Einvernahme leugnete P M die Tat und gestattete mit den Worten "Ich habe die Lederjacke nicht gestohlen und habe sie auch nicht zu Hause, sie können sich davon überzeugen" eine Nachschau in seiner Wohnung.
Gegen 17.40 Uhr desselben Tages wurde im Verlauf dieser Nachschau die als gestohlen bezeichnete Lederjacke von den Kriminalbeamten E B und F E sichergestellt. Dabei wurden in der durchsuchten Wohnung Textilien wahrgenommen, die sich noch in Originalverpackung befanden.
Mit diesen Tatsachen konfrontiert, gestand P M, gemeinsam mit seiner Ehefrau, der nunmehrigen Bf. D M, die Lederjacke gestohlen zu haben.
Daraufhin begaben sich die Kriminalbeamten J D und F E zur Wohnung der beiden Bf., wo sie mit dem bereits das Haus beobachtenden Bezirksinspektor E B die Heimkehr der D M abwarteten.
Dann betraten die Beamten die Wohnung, nahmen dort D M - gestützt auf §177 iVm. §175 Abs1 StPO - fest und stellten - im Zuge einer Durchforschung der Räumlichkeiten (Hausdurchsuchung) knapp nach 22.15 Uhr - ua. jene Textilien sicher, welche zuvor schon anläßlich der freiwillig gestatteten Nachschau aufgefallen waren.
In den Vormittagsstunden des 23. Feber 1985 wurden die beiden Bf. auf freien Fuß gesetzt und dem Landesgericht für Strafsachen Wien angezeigt, welches sie (mit Urteil vom 25. Juni 1985) des Vergehens des Gesellschaftsdiebstahls nach §127 Abs1 und Abs2 Z1 StGB (Diebstahl der Lederjacke zum Nachteil der Firma H) rechtskräftig schuldig erkannte.
2.2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für Hausdurchsuchungen zutrifft, die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vornehmen (zB VfSlg. 7943/1976, 8680/1979, 9389/1982, 9766/1983).
2.2.2. Die Bf. sind als ständige Mitbenützer (Inhaber) der durchsuchten Wohnung zur Beschwerdeführung an sich legitimiert (VfSlg. 1906/1950, 5182/1965, 9389/1982, 10327/1985).
2.2.3.1. Wie schon die einleitenden Sachverhaltsfeststellungen zeigen, hatte der Bf. P M die Nachschau in der gegenständlichen Wohnung am 22. Feber 1985 um etwa 17.40 Uhr aus freiem Willen im voraus gestattet. Diese (Zustimmungs-)Erklärung ist im polizeilichen Vernehmungsprotokoll vom 22. Feber 1985 enthalten, das vom Bf. unterschrieben wurde.
Wenn der Bf. nunmehr dem Sinn nach einwendet, er hätte als Ausländer die Bedeutung seiner Enuntiation nicht erfaßt, ist dem entgegenzuhalten, daß der die Rechtshilfeeinvernahmen im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren durchführende Richter ausdrücklich festhielt, P M habe alle Fragen ausreichend verstanden und sofort beantwortet.
Die hier erörterte Amtshandlung entbehrt also, weil ihr P M freiwillig zugestimmt hatte, eines (normativen) Zwangscharakters (s. zB VfSlg. 5738/1968, 6696/1972). Sie ist daher nicht als ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person gerichteter Verwaltungsakt iS des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG zu werten. Die Beschwerde war sohin in diesem Umfang wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen (s. Punkt II des Spruchs).
2.2.3.2. Des weiteren war die Beschwerde, soweit sie sich gegen eine behauptete dritte Hausdurchsuchung am 23. Feber 1985 wendet, zurückzuweisen, weil diese weitere Durchsuchung, wie sich aus den Akten ergibt (s. Punkt 2.1.2.), offenkundig gar nicht (mehr) stattfand.
2.2.3.3. Die Beschwerde ist jedoch, soweit sie die Hausdurchsuchung am 22. Feber - knapp nach 22.15 Uhr - bekämpft, da ein administrativer Instanzenzug fehlt und auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.
2.3.1. Das Gesetz zum Schutze des Hausrechtes (HausrechtsG), RGBl. 88/1862, das gemäß Art9 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §1, daß eine Hausdurchsuchung, das ist die Durchsuchung der Wohnung oder der sonstigen zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten, in der Regel nur kraft eines (mit Gründen versehenen) richterlichen Befehls unternommen werden darf.
2.3.2. Es steht fest, daß die bekämpfte zweite Hausdurchsuchung (22. Feber 1985, knapp nach 22.15 Uhr) zwar im Dienst der Strafjustiz, aber nicht aufgrund eines richterlichen Befehls vor sich ging; sie wurde auch nicht kraft einer suppletorischen behördlichen Anordnung iS des §2 Abs1 HausrechtsG, vielmehr von Beamten des Bezirkspolizeikommissariats Neubau (D und E) - ersichtlich gestützt auf §2 Abs2 HausrechtsG - aus eigener Machtvollkommenheit veranstaltet.
2.3.3.1. Die belangte Bundespolizeidirektion Wien macht zur Rechtfertigung der angefochtenen Amtshandlung lediglich geltend, daß D M als (Mit-)Benützerin der durchsuchten Wohnung von den einschreitenden Organen "im Besitz von Gegenständen", nämlich von originalverpackten Textilien, die auf die Beteiligung an einer strafbaren Handlung hinwiesen, betreten worden sei.
2.3.3.2. Diese Einrede ist jedoch aus folgenden Erwägungen nicht zielführend:
§2 Abs2 HausrechtsG und §141 Abs2 StPO lassen eine Hausdurchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht dann zu, wenn a) gegen jemanden ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen oder wenn b) jemand auf der Tat betreten, c) durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder
d) im Besitz von Gegenständen betreten wird, welche auf die Beteiligung an einer solchen (Tat) hinweisen (s. VfSlg. 6488/1971, 6528/1971).
Die Wortfolge des hier allein in Betracht zu ziehenden Anwendungsfalls d): "(jemanden) im Besitz von Gegenständen betreten" erfordert zunächst eine unmittelbare Wahrnehmung (des Sachbesitzes) durch Sicherheitsorgane selbst (vgl. zB VfSlg. 10327/1985; VfGH 21. Feber 1985 B601/84). Das HausrechtsG, das - wie schon erwähnt - eine Hausdurchsuchung in der Regel nur aufgrund eines richterlichen Befehls gestattet (§1), verlangt aber darüber hinaus auch, daß zwischen dieser Wahrnehmung (des Sicherheitsorgans) und der folgenden Durchsuchung aus eigener Macht ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht, soll der Ausnahmecharakter des §2 Abs2 HausrechtsG voll gewahrt bleiben. Eine derartige enge zeitliche Verknüpfung der Betretung der D M einerseits und der angefochtenen Amtshandlung andererseits ist hier keinesfalls gegeben. Denn obgleich die Sicherheitsorgane die besagten Waren bereits während der Nachschau um etwa 17.40 Uhr des 22. Feber 1985 bemerkten, verließen sie die Wohnung ohne entsprechende Reaktion und nahmen ihre Wahrnehmung erst mehrere Stunden später zum Anlaß einer Hausdurchsuchung, die - da ein richterlicher Befehl nicht eingeholt wurde - den Umständen nach nur sogleich nach der Betretung (der Verdächtigen) mit bedenklichem Gut an Ort und Stelle in Betracht zu ziehen gewesen wäre.
Ganz unabhängig von der nicht näher zu erörternden Frage, ob im konkreten Fall Gefahr im Verzug vorlag, fehlte es also aus den dargelegten Überlegungen an den einleitend behandelten, von der bel. Beh. zu Unrecht bejahten notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Vornahme einer Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl, sodaß die Bf. durch die bekämpfte Amtshandlung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht (Art9 StGG) verletzt wurden.
2.3.4. Der Beschwerde war darum in diesem Umfang (s. Punkt I des Spruchs) stattzugeben.
2.4. Der Eventualantrag der Bf. auf Beschwerdeabtretung an den VwGH war schon deswegen abzuweisen, weil eine solche Abtretung bloß für den - hier nicht gegebenen - Fall einer ablehnenden Sachentscheidung des VfGH vorgesehen ist, niemals aber bei Zurückweisung einer unzulässigen Beschwerde (vgl. zB VfSlg. 9771/1983, 10272/1984).
2.5. Die Kostenentscheidung fußt auf §88 VerfGG 1953. Angesichts des Gesamtergebnisses des Beschwerdeverfahrens (teils Zurückweisung, teils Stattgebung) wurden die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben (§43 Abs1 ZPO iVm. §35 Abs1 VerfGG 1953; s. zB VfSlg. 9920/1984, 10083/1984, 10272/1984).
Schlagworte
Hausrecht, Hausdurchsuchung, VfGH / Abtretung, VfGH / Kosten Ausübung unmittelbarer Befehls- und ZwangsgewaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B226.1985Dokumentnummer
JFT_10139395_85B00226_00