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95 TechnikNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
V der Bundes-Ingenieurkammer, mit welcher Standesregeln der Ziviltechniker erlassen wurden; IngenieurkammerG; gehörige Kundmachung der V; hinreichende Bestimmtheit einiger Worte in Punkt 5.2. der V; Auftrag des Präsidenten der Ingenieur-Länderkammer an den Bf., ein Anbot vorzulegen - gesetzlich nicht gedeckt; willkürliche Annahme einer Pflichtverletzung gegenüber der Kammer durch die Weigerung, das Anbot vorzulegen - Verletzung im GleichheitsrechtSpruch
Der Bf. ist durch den Bescheid der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundes-Ingenieurkammer vom 1. Juli 1985, Z BKD 449/84, soweit mit diesem der Bescheid erster Instanz nicht aufgehoben wurde, und durch den Bescheid derselben Berufungskommission vom 1. Juli 1985, Z BKD 453/84, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Die Bescheide werden in dem bezeichneten Umfang aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Über die Berufung des Dipl.-Ing. K W, Ingenieur-Konsulent für Vermessungswesen in Salzburg, gegen den Bescheid des Präsidenten der Ingenieurkammer für Oberösterreich und Salzburg vom 17. April 1984, Z VI-4.22/84, hat die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundes-Ingenieurkammer mit Berufungserkenntnis vom 1. Juli 1985, 449/84, erkannt:
"Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch: 'Sie haben im Jahre 1983 an die Tauernkraftwerke in Salzburg ein Anbot über die Gebühr für Lichtbildauswertungen abgegeben, ohne die Tatsache der Einladung zur Anbotlegung der Kammer zu melden, wie es gemäß einem Beschluß des Kammervorstandes ihre Pflicht gewesen wäre' und im Strafausspruch aufgehoben.
Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Für den unberührt bleibenden Teil des Spruches: 'Sie haben es in der Folge (im Jahr 1983 und 1984 in Salzburg) beharrlich abgelehnt, Ihr Anbot der Kammer zur Einsichtnahme vorzulegen. Sie haben somit Pflichten gegenüber der Kammer vernachlässigt (und somit gegen Punkt 5.2. der Standesregeln der Ziviltechniker - §30 IKG - verstoßen) und sich gemäß §70 Absatz 1 IKG einer Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht,' wird gemäß §70 Absatz 2 IKG eine Ordnungsstrafe in der Höhe von S 3.332,- verhängt."
In der Begründung wurde ausgeführt:
"Der Berufung kommt nur zum Teil Berechtigung zu.
Gemäß §2 Absatz 1 IKG sind die Länderkammern unter anderem berufen, für die Wahrung des Standesansehens zu sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Ziviltechniker zu überwachen. Nach der Ziffer 2 des zweiten Absatzes der zitierten Gesetzesstelle sind sie insbesondere berufen, das standesgemäße Verhalten der Kammermitglieder zu beaufsichtigen.
Gemäß Punkt 5.2. der Standesregeln der österreichischen Ziviltechniker (§30 leg. cit.) verstößt die Nichtbefolgung von Aufträgen der gesetzlich zuständigen Kammerorgane gegen die Standespflicht.
Der Präsident der Länderkammern hat gemäß §8 Absatz 2 leg. cit. neben anderen Aufgaben für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zu sorgen; ferner obliegt ihm die Durchführung der Beschlüsse der Organe der Länderkammer.
Der Präsident der Länderkammer ist somit nach der bestehenden Gesetzeslage berufen, für die Einhaltung der gesetzlich normierten Überwachungspflicht der Kammer gemäß §2 Absatz 1 und Absatz 2 Ziffer 2 IKG zu sorgen. Aus dieser Pflicht ergibt sich zwingend das Recht des Präsidenten, Kammermitgliedern Aufträge zur Vorlage von Schriftstücken zu erteilen, welche sie in Ausübung ihres Berufes verfaßt haben, da er ja nur in Kenntnis der beruflichen Tätigkeit der Mitglieder zu beurteilen vermag, ob das Standesansehen gewahrt und die Berufspflichten erfüllt worden sind.
Der Betroffene hat sohin durch seine Weigerung, das gewünschte Anbot der Kammer zur Einsicht vorzulegen, gegen Punkt 5.2. der Standesregeln der (österreichischen) Ziviltechniker - einer gemäß §30 Absatz 1 IKG erlassenen Verordnung, an die der Beschuldigte ebenso wie die Kammerorgane und auch die Berufungskommission gebunden sind - verstoßen und damit eine Standespflicht (vorsätzlich) verletzt.
Soweit sich die Berufung gegen den zweiten Anschuldigungspunkt richtet, war sie somit nicht berechtigt.
Berechtigt ist hingegen die Berufung gegen den Vorwurf, die Einladung der Tauernkraftwerke in Salzburg aus dem Jahre 1983, ein Anbot für die Gebühr für Lichtbildauswertungen abzugeben, der Kammer zu melden, unterlassen zu haben ...
Insoweit war somit der Berufung Folge zu geben und der erste Anschuldigungspunkt des angefochtenen Bescheides aufzuheben. Demzufolge war aber auch der Strafausspruch aufzuheben und die Strafe für den unberührt bleibenden zweiten Anschuldigungspunkt nach §70 Absatz 2 IKG neu zu bemessen. Mit Rücksicht auf die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit des Betroffenen und den Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeit erscheint eine Ordnungsstrafe in der Höhe der 7fachen Zeitgrundgebühr (a S 476,-), somit von S 3.332,- angemessen. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden."
2. In der gegen dieses Erk. beim VfGH unter der Z B776/85 erhobenen Beschwerde behauptete Dipl.-Ing. K W durch den Bescheid, soweit mit ihm der Bescheid erster Instanz nicht aufgehoben wurde (so ist die Beschwerde offenbar zu deuten), in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Freiheit der Erwerbstätigkeit und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, regte die Prüfung der Worte "die Nichtbefolgung von Aufträgen der gesetzlich zuständigen Kammerorgane verstößt gegen die Standespflicht" in Punkt 5.2. der Standesregeln für Ziviltechniker, V vom 27. Juni 1972 bzw. vom 30. Oktober 1973, auf ihre Verfassungsmäßigkeit an und beantragte schließlich, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Die unter 1. genannte Berufungskommission erstattete als bel. Beh. eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde abzuweisen, allenfalls die Behandlung der Beschwerde abzulehnen und ihr Kostenersatz in der Höhe von 2400 S zuzusprechen.
II. 1. Der Berufung des Dipl.-Ing. K W gegen den Bescheid des Präsidenten der Ingenieurkammer für Oberösterreich und Salzburg vom 13. September 1984, Z XV-5/84, hat die genannte Berufungskommission mit Berufungserkenntnis vom 1. Juli 1985, Z 453/84, nicht Folge gegeben.
In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt:
"Der Berufung kommt keine Berechtigung zu:
Gemäß §2 Absatz 1 IKG sind die Länderkammern unter anderem berufen, für die Wahrung des Standesansehens zu sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Ziviltechniker zu überwachen. Nach Ziffer 2 des zweiten Absatzes der zitierten Gesetzesstelle sind sie insbesondere berufen, das standesgemäße Verhalten der Kammermitglieder zu beaufsichtigen.
Gemäß Punkt 5.2. der (gehörig kundgemachten) Standesregeln der Ziviltechniker (§30 IKG) verstößt die Nichtbefolgung von Aufträgen der gesetzlich zuständigen Kammerorgane gegen die Standespflicht.
Der Präsident der Länderkammer hat gemäß §8 Absatz 2 leg. cit. neben anderen Aufgaben für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zu sorgen; ferner obliegt ihm die Durchführung der Beschlüsse der Organe der Länderkammer.
Der Präsident der Länderkammer ist also nach der bestehenden Gesetzeslage berufen, für die Einhaltung der normierten Überwachungspflicht der Kammer gemäß §2 Absatz 1 und Absatz 2 Ziffer 2 IKG zu sorgen. Aus dieser Pflicht ergibt sich zwingend das Recht des Präsidenten, Kammermitgliedern Aufträge zur Vorlage von Schriftstücken zu erteilen, welche sie in Ausübung ihres Berufes verfaßt haben, da er ja nur in Kenntnis der beruflichen Tätigkeit der Mitglieder zu beurteilen vermag, ob das Standesansehen gewahrt und die Berufspflichten erfüllt worden sind.
Der Betroffene hat sohin durch seine Weigerung, das gewünschte Anbot der Kammer zur Einsicht vorzulegen, gegen Punkt 5.2. der Standesregeln der (österreichischen) Ziviltechniker - an die alle Mitglieder ebenso wie die Organe der Kammern gebunden sind - verstoßen und damit eine Standespflicht verletzt.
Das mit der Berufung vorgelegte Schreiben der Bundes-Ingenieurkammer vom 26. März 1984, GZ 581/84, vermag den Betroffenen nicht zu exculpieren, denn ihm wird gar nicht zur Last gelegt, gegen eine Gebührenempfehlung verstoßen zu haben.
Der Berufung war somit nicht Folge zu geben."
2. In der gegen diesen Bescheid beim VfGH erhobenen Beschwerde B777/85 machte Dipl.-Ing. K W die Verletzung der unter I.2. bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte geltend, regte ebenfalls die Aufhebung der Worte "die Nichtbefolgung von Aufträgen der gesetzlich zuständigen Kammerorgane verstößt gegen die Standespflicht" in Punkt 5.2. der Standesregeln der Ziviltechniker an, beantragte die kostenpflichtige Aufhebung des unter II.1. bezeichneten Bescheides.
3. Die Berufungskommission erstattete zur Beschwerde B777/85 eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde abzuweisen, allenfalls die Behandlung der Beschwerde abzulehnen und ihr einen Kostenersatz in der Höhe von 2400 S zuzusprechen; sie legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
III. Der VfGH hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Der Sache nach machen die Beschwerden die Gesetzwidrigkeit der Worte "Die Nichtbefolgung von Aufträgen der gesetzlich zuständigen Kammerorgane verstößt gegen die Standespflicht" in Punkt 5.2. der V der Bundes-Ingenieurkammer vom 27. Juni 1972, Zl. 1130/72, bzw. vom 30. Oktober 1973, Zl. 2090/73, mit welcher die Standesregeln der Ziviltechniker erlassen wurden, geltend. Die V wurde mit Bescheid des Bundesministers für Bauten und Technik vom 17. Dezember 1973, Zl. 37.122/Präs./II/73, genehmigt und in 10/1974 von "Konstruktiv", dem offiziellen Organ der Bundes-Ingenieurkammer, unter den Amtlichen Nachrichten verlautbart.
Der Bf. behauptet, daß diese V nicht iS des §30 Abs3 IKG gehörig kundgemacht worden sei. Die oben angeführte Bestimmung des Punktes
5.2. verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil damit ein ganz allgemein beschriebenes, nicht näher bestimmtes Verhalten mit Strafe belegt werde. Es fehle jede Substantiierung des Begriffes "Nichtbefolgung von Aufträgen". Es sei nicht zu ersehen, ob ein solcher Auftrag aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift erfolgen müsse oder nicht. Eine solche Bestimmung ermögliche den Kammerorganen jede Art von Aufträgen.
Der VfGH teilt diese Bedenken gegen die Kundmachung der V und den Inhalt des angeführten Satzes nicht. Die Beschwerden führen nicht aus, aus welchen Gründen sie der Ansicht sind, daß die V nicht gehörig kundgemacht ist. Diese ist unter Berufung auf die Genehmigung des Bundesministers im offiziellen Organ der Bundes-Ingenieurkammer verlautbart worden, in welchem auch die Amtlichen Nachrichten der Länderkammern verlautbart werden. Die Verlautbarung entspricht daher dem §30 Abs3 des BG vom 22. Jänner 1969, BGBl. 71, betreffend die Ingenieurkammern (Ingenieurkammergesetz - IKG). Die V ist gehörig kundgemacht.
Entgegen der in den Beschwerden vertretenen Auffassung hat der angeführte Satz nicht den von ihnen angenommenen unbestimmten Inhalt. Vielmehr geht aus der Verordnungsbestimmung eindeutig hervor, daß nach dieser Vorschrift nur die Nichtbefolgung von Aufträgen gegen die Standespflicht verstößt, die von den gesetzlich zuständigen Kammerorganen ergangen sind. Nur dann, wenn der Auftrag des jeweiligen Organs eine gesetzliche Deckung hat, verstößt seine Nichtbefolgung gegen die Standespflicht. Jede andere Auslegung dieser Verordnungsbestimmung würde die Kammermitglieder in ihrem Verhältnis zur Kammer einem weisungsgebundenen Organ gleichstellen, was weder in der Absicht des Gesetzgebers noch in der des Verordnungsgebers lag.
In Übereinstimmung mit dieser Rechtsansicht hat der VfGH in seinem Erk. VfSlg. 10368/1985 ausgesprochen, die Bestimmungen des IKG ermächtigten die Kammerorgane nicht, zur Erfüllung der Überwachungs- und Beaufsichtigungspflicht irgendwelche Zwangsmaßnahmen zu setzen, sondern nur zu Wahrnehmungen, die ohne Vornahme von Zwangsmaßnahmen zugänglich seien.
Die Bedenken des Bf. gegen die Verordnungsstelle sind daher unbegründet.
2. Eine Gleichheitsverletzung käme bei der Unbedenklichkeit der angewendeten generellen Normen nur in Betracht, wenn der Behörde der Vorwurf der Willkür gemacht werden könnte.
Gemäß §8 Abs2 IKG vertritt der Präsident in gemeinsamen Angelegenheiten (§4 Abs1) die Länderkammer nach außen, er leitet und überwacht die gesamte Geschäftsführung. Er beruft die Sitzungen des Präsidiums, des Kammervorstandes und der Kammervollversammlung ein und führt in diesen den Vorsitz. Ihm obliegt die Durchführung der Beschlüsse der Organe. Er hat für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften durch die Organe der Kammer, insbesondere für die Einhaltung des Wirkungsbereiches der Länderkammer zu sorgen. Er ist berechtigt, an den Sitzungen der Sektionsvorstände und der Sektionsvollversammlungen mit beratender Stimme teilzunehmen.
Der Präsident ist daher offenkundig nicht zuständig, an die Kammermitglieder irgendwelche Aufträge zu erteilen. Er durfte daher auch nicht dem Bf. den Auftrag erteilen, ein Angebot vorzulegen.
Ziviltechniker machen sich, sofern die Handlung oder Unterlassung nicht disziplinär zu verfolgen ist, ua. einer Ordnungswidrigkeit gemäß §70 Abs1 IKG schuldig, wenn sie ihre Pflichten gegenüber der Länderkammer sowie gegenüber der Bundeskammer (§6 Abs3 zweiter und dritter Satz IKG) vernachlässigen. Eine Verpflichtung, gesetzlich nicht gedeckte Aufträge des Präsidenten der zuständigen Landeskammer zu befolgen, besteht nicht. Der Bf. hat daher in den Beschwerdefällen seine Pflichten gegenüber der Landeskammer nicht verletzt. Daher ist es nicht vertretbar, dem Bf. wegen Verletzung seiner Pflichten gegenüber der Kammer eine Ordnungsstrafe aufzuerlegen. Die bel. Beh. hat somit den Bf. in beiden Fällen in einer in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stehenden und damit willkürlichen Weise einer Ordnungswidrigkeit schuldig erkannt und über ihn jeweils eine Ordnungsstrafe verhängt (vgl. in diesem Zusammenhang VfSlg. 10343/1985).
Der Bf. ist daher durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
Bei diesem Ergebnis hatte der VfGH nicht mehr auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
Die angefochtenen Bescheide waren aufzuheben.
Schlagworte
Ziviltechniker, Disziplinarrecht Ziviltechniker, Ingenieurkammer, Verordnung KundmachungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B776.1985Dokumentnummer
JFT_10139394_85B00776_00