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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litbLeitsatz
Oö. GemO 1979; Anfechtung der Wahl des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Steyregg vom 16. November 1985; kein einstimmiger Gemeinderatsbeschluß gemäß §52 über nichtgeheime Stimmabgabe; durch Verwendung und Zulassung numerierter Stimmzettel keine geheime Wahl - Aufhebung der Wahl des BürgermeistersSpruch
In Stattgebung der Wahlanfechtung wird die Wabl des Peter Höller zum Bürgermeister aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Peter Grassnigg, Leopold Wurm, Karl Mahringer und Elfriede Obernberger, alle Mitglieder des Gemeinderats der Stadtgemeinde Steyregg (pol. Bezirk Urfahr-Umgebung, Bundesland Oberösterreich), fechten beim VfGH gemäß Art141 B-VG die Wahl des Peter Höller zum Bürgermeister dieser Gemeinde in der Gemeinderatssitzung vom 26. November 1985 an; sie beantragen, die angefochtene Wahl ab dem Beginn der Wahlhandlungen als rechtswidrig aufzuheben.
1.2. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Steyregg als Wahlbehörde (vgl. VfSlg. 4169/1962, 5008/1965) erstattete - unter Vorlage der Wahlakten - eine Gegenschrift, in der er der Sache nach für die Abweisung der Wahlanfechtung eintrat.
2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:
2.1.1. Die Oö. Gemeindeordnung 1979 (Oö. GemO 1979), LGBl. 119/1979, idF LGBl. 95/1985 sieht gegen Bürgermeisterwahlen kein administratives Rechtsmittel vor, sodaß die unmittelbare Wahlanfechtung beim VfGH offensteht (§67 Abs2 (1. Satz) iVm. §68 Abs1 VerfGG 1953).
2.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.
2.2.1. Für den 26. November 1985 war eine Sitzung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Steyregg - der aus 31 Mitgliedern (14 von der "Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ)", 11 von der "Österreichischen Volkspartei (ÖVP)" und 6 von der "Steyregger Bürgerinitiative für Umweltschutz (SBU)") besteht - ua. mit dem Tagesordnungspunkt "Wahl des Bürgermeisters" anberaumt. Schriftliche Wahlvorschläge hatten die Gemeinderatsfraktionen der ÖVP (Kandidat: Peter Höller) und der SPÖ (Kandidat: Karl Mahringer) erstattet. Ein während dieser Sitzung gestellter Antrag des Gemeinderats Josef Buchner (SBU), den Bürgermeister in offener Wahl zu bestellen, fand nicht die Zustimmung aller Gemeinderatsmitglieder (dafür: Gemeinderäte der ÖVP und SBU, dagegen: Gemeinderäte der SPÖ).
2.2.2. Der weitere Sitzungsablauf wurde in der "Verhandlungsschrift" vom 26. November 1985 folgendermaßen beurkundet:
"... Der Vorsitzende erklärt, daß die Wahl einzeln durchgeführt wird, und zwar in der Reihenfolge der Einladung zur Gemeinderatssitzung. Er ersucht die Fraktionen, je einen Vertrauensmann für die Auszählung der Stimmen namhaft zu machen. Nominiert werden für die SPÖ Peter Grassnigg, für die ÖVP J D und für die SBU F G.
Der Vorsitzende gibt bekannt, daß die Stimmzettel mit Kuvert ausgeteilt werden und diese nach der Wahl in die Wahlurne zu werfen sind.
Die Auszählung der Stimmen ergibt 14 Stimmen für Gemeinderat Karl Mahringer und 17 Stimmen für Gemeinderat Peter Höller.
Gemeinderat Peter Grassnigg erklärt, daß diese Wahl nicht als geheim angesehen werden kann, da sämtliche Stimmzettel für Peter Höller mit einem Nummernvermerk versehen worden sind.
Der Vorsitzende erklärt, daß er als Kandidat der ÖVP mit 17 gegen 14 Stimmen zum Bürgermeister gewählt wurde.
Bezirkshauptmann Hofrat Dr. V nimmt die Angelobung des Bürgermeisters vor."
2.2.3. Bezugnehmend auf den Umstand, daß jeder der für Peter Höller abgegebenen Stimmzettel einen Nummernvermerk enthielt, bringen die Anfechtungswerber sinngemäß zusammengefaßt vor, es sei zwischen den Fraktionen der ÖVP und SBU vereinbart worden, den Kandidaten Peter Höller zum Bürgermeister zu wählen und für den Fall geheimer Abstimmung jeden abzugebenden Stimmzettel durch Anbringung einer Nummer zu kennzeichnen, um - sollten sich nicht alle Fraktionsangehörigen an die Absprache halten - feststellen zu können, wer sich dem "Fraktionszwang" nicht gebeugt habe.
Wörtlich heißt es in der Anfechtungsschrift:
"... Die gegenständliche Wahl ist somit nicht 'geheim' durchgeführt
worden, da ... bei der Auszählung der Stimmen jederzeit feststellbar
war, welches Mitglied der beiden genannten Fraktionen nicht für den Wahlvorschlag 'Höller' gestimmt bzw. sich allenfalls der Stimme enthalten hat:
Die einzelnen Gemeinderatsmitglieder dieser Fraktion hätten ja im Falle einer beabsichtigten Abweichung vom Vorschlag 'Höller' nur die Möglichkeit gehabt, entweder die eigene zugewiesene Ziffer auf den Stimmzettel zu schreiben (womit sie direkt aufgedeckt gewesen wären), oder keine Nummer auf den Stimmzettel zu schreiben (womit bei Untersuchung der übrigen Stimmzettel feststellbar gewesen wäre, wessen Nummer fehlt), oder schließlich die Nummer eines anderen Gemeinderatsmitgliedes auf den Stimmzettel zu schreiben, womit sich der Kreis jener Personen, die abweichend gewählt haben, aber sofort auf zwei Personen eingeschränkt hätte ..."
2.2.4. Die Wahlbehörde führte in ihrer Gegenschrift ua. aus:
"... Zwischen der ÖVP-Gemeinderatsfraktion, die über elf Mandate verfügt, und zwischen der mit sechs Mandaten im Gemeinderat vertretenen Steyregger Bürgerinitiative für Umweltschutz (SBU) wurde am 3. November 1985 ein Abkommen, betreffend die Bürgermeisterwahl, abgeschlossen, das in Fotokopie an sämtliche 1.600 Steyregger Haushalte unmittelbar darauf versandt wurde. In diesem Abkommen ist klar vereinbart, daß die SBU den Bürgermeisterkandidaten der ÖVP, Peter Höller, bei der Bürgermeisterwahl unterstützen wird.
Daß Stimmzettel mit Zahlen versehen wurden, bleibt unbestritten, allerdings wurde dadurch das Wahlgeheimnis nicht verletzt, ... sondern dienten diese Zahlen zum Selbstschutz der einzelnen Mandatare. Zum Verständnis hiezu wird angeführt: Im Jahr 1973 war der Mandatsstand bei der Bürgermeisterwahl dreizehn SPÖ und zwölf ÖVP. Ein SPÖ-Gemeinderat wurde mit 13:12 Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Unmittelbar nach der geheimen Bürgermeisterwahl erklärten zwei SPÖ-Mandatare öffentlich und glaubhaft, sie hätten aus persönlichen Gründen den ÖVP-Bürgermeisterkandidaten gewählt. Damit war umgekehrt der Schluß verbunden, daß zwei ÖVP-Mandatare den SPÖ-Bürgermeisterkandidaten gewählt haben mußten. Namen von ÖVP-Gemeinderäten wurden in der Folge jahrelang als 'Verräter' kolportiert, obwohl letztendlich ein Beweis nie erbracht werden konnte.
Um solchen rufschädigenden Kampagnen vorzubeugen, wurde von beiden Vertragsfraktionen ein System entwickelt, das, ohne das geheime Wahlrecht zu verletzen, diese Schutzfunktion letztendlich gewährleisten sollte.
Jeder Mandatar der ÖVP- und der SBU-Fraktion zog aus einer Nummernserie eine Zahl, die nur er alleine kannte und die er auf seinem Stimmzettel vermerken sollte, wenn die bei der konstituierenden Sitzung zu beantragende offene Wahl des Bürgermeisters nicht einstimmig angenommen würde. Diese offene Abstimmung wurde von Vizebürgermeister Josef Buchner beantragt, ÖVP und SBU stimmten dafür, die SPÖ war dagegen.
Daraufhin wurde die geheime Wahl durchgeführt. Nachdem niemand vom anderen die vermerkte Zahl wußte, ist die Wahl als geheim anzusehen.
Gerüchten und rufschädigenden Verleumdungen wie nach dem Wahlgang 1973 hätte durch das nachträgliche Deklarieren der jeweils gezogenen Nummern der Boden entzogen werden können. Es ist allerdings diesmal zu solchen Gerüchten auch nicht gekommen, nachdem durch den öffentlichen Vertrag ohnehin klar war, mit welchen Stimmen der Bürgermeister gewählt wurde. Öffentliche Verträge bzw. öffentliche Parteiabkommen abzuschließen, sind normale, demokratische Vorgänge, wiewohl sie, wie in diesem Fall, eine geheime Wahl praktisch vorwegnehmen."
2.3.1. Gestützt auf den Inhalt der Wahlakten und das in diesen Punkten übereinstimmende Parteienvorbringen, geht der VfGH davon aus, daß die Wahlbehörde (auch) durch Nummern gekennzeichnete Stimmzettel als gültig anerkannte.
2.3.2. Gemäß §52 Oö. GemO 1979 sind Wahlen "durch den Gemeinderat", also auch die Wahl des Bürgermeisters, "stets geheim mit Stimmzetteln durchzuführen, es sei denn, daß der Gemeinderat einstimmig eine andere Art der Stimmabgabe beschließt". Da es hier zu keinem einstimmigen Gemeinderatsbeschluß über eine nichtgeheime Stimmabgabe kam, hatte die Wahl des Bürgermeisters - kraft §52 Oö. GemO 1979 - geheim mit Stimmzetteln stattzufinden. Nun setzt eine "geheime" Wahl voraus, daß niemand, weder die Behörde noch sonst jemand, erkennen kann, wen der Wähler gewählt hat (VfGH 16. März 1985 G18/85): Das Prinzip des geheimen Wahlrechts muß dem Wähler Gewißheit geben, daß Dritten unbekannt bleibt, wie gewählt wurde (VfSlg. 10217/1984).
2.3.3.1. Bei der hier vorgesehenen und eingehaltenen Prozedur war die Geheimhaltung der Wahlentscheidung aller Abstimmenden nicht (mehr) absolut gewährleistet. Da offensichtlich allgemein damit gerechnet werden mußte, daß die Beschaffenheit der abgegebenen Stimmzettel (Numerierung/Nichtnumerierung) - unter bestimmten Voraussetzungen - konkrete Rückschlüsse auf den Inhalt des Votums zumindest des einen oder anderen Wählers gestatte, wurde die gesetzlich garantierte volle Freiheit der im Wahlakt gelegenen Meinungsäußerung in der Tat unzulässig beeinträchtigt: Denn zum einen konnte dem Wähler die nachträgliche Aufdeckung einer der Fraktionslinie widersprechenden Stimmabgabe Vorwürfe und Nachteile verschiedenster Art eintragen, wie die Wahlbehörde der Sache nach selbst einräumt. Zum anderen muß jedem Wahlberechtigten, der an "geheimen" Wahlen teilnimmt, jedwede Angst vor solchen möglichen Folgen unbedingt erspart bleiben, soll dem Sinn und Zweck des fundamentalen Prinzips des geheimen Wahlrechts uneingeschränkt entsprochen werden. Die bel. Beh. negiert diesen Grundsatz und die Bedeutung des Wahlgeheimnisses vollkommen, wenn sie sinngemäß der Meinung anhängt, es seien im Wahlverfahren Maßnahmen - zu Lasten der unbedingten Geheimhaltung des Wählervotums - mit dem Ziel zu treffen gewesen, die Mitglieder des Gemeinderates bei ihrer Wahlentscheidung an vorausgegangene Fraktionsvereinbarungen zu binden.
2.3.3.2. Daraus folgt, daß die Bürgermeisterwahl vom 26. November 1985 angesichts der Verwendung und Zulassung numerierter Stimmzettel - in Verletzung der Vorschrift des §52 Oö. GemO 1979 - nicht geheim vor sich ging, die behauptete - sich möglicherweise auf das Wahlergebnis auswirkende - Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens also erwiesen wurde.
2.4. Der Wahlanfechtung war darum stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Wahlen, Bürgermeister, Stimmzettel, VfGH / WahlanfechtungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:WI20.1985Dokumentnummer
JFT_10139386_85WI0020_00