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53 WirtschaftsförderungNorm
B-VG Art10 Abs1Beachte
Kundmachung am 9. September 1986, BGBl. 485/1986; Anlaßfälle B202/84 vom 23. Juni 1986 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Muster VfSlg. 10600/1985; Anlaßfall B894/84 vom 23. Juni 1986 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Muster VfSlg. 10698/1985Leitsatz
Verordnungen des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 24. 1. 1983 und vom 16. 3. 1983 über die Festsetzung von Betriebszeiten für Schifflistickmaschinen; grundsätzliche Kompetenz des Materiengesetzgebers, die dazugehörende Rechtserzeugungsregel aufzustellen, soweit sie nicht vom Verfassungsgesetzgeber aufgestellt wurde; wenn der Materiengesetzgeber keine Kundmachungsregel aufstellt, Rückgriff auf die Organisationskompetenz; hier Organisationskompetenz des Landesgesetzgebers; Auslegung des §2 Vbg. LGBlG nach seinem Wortlaut dahingehend, daß die vom Landeshauptmann als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung erlassenen Verordnungen im Vbg. LGBl. zu publizieren sind, da der Materiengesetzgeber nichts anderes verfügt hat; Kundmachungsmangel der beiden im Amtsblatt für das Land Vorarlberg veröffentlichten Verordnungen - Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Verordnungen gemäß Art139 Abs3 litc B-VG zur GänzeSpruch
Die Verordnungen des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 24. Jänner 1983 und vom 16. März 1983 über die Festsetzung von Betriebszeiten für Schifflistickmaschinen, kundgemacht im Amtsblatt für das Land Vorarlberg 1983 Nr. 5 und Nr. 12, waren gesetzwidrig.
Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im BGBl. kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VfGH sind zu B202/84 und B894/84 Verfahren über Beschwerden anhängig, die auf Art144 B-VG gestützt werden; sie wenden sich gegen im Instanzenzug ergangene Bescheide, die auf Durchführungsverordnungen zum Stickereiförderungsgesetz, BGBl. 222/1956, idF der Stickereiförderungsgesetz-Nov. 1962, BGBl. 62, - also idF vor der Nov. BGBl. 187/1985 - (in der angegebenen Fassung wird dieses Gesetz in der Folge als StickereiförderungsG zitiert) gestützt werden.
Mit dem zu B202/84 bekämpften Berufungsbescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 25. Jänner 1984 wurde der Bf. schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §1 der - im Amtsblatt für das Land Vorarlberg 1983 Nr. 5 kundgemachten - V des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 24. Jänner 1983 über die Festsetzung der Betriebszeiten für Schifflistickmaschinen (im folgenden kurz: 1. V) begangen zu haben, daß er am 21. Feber 1983 gegen 23.35 Uhr und am 22. Feber 1983 gegen 0.05 Uhr in seinem Stickereibetrieb in Lustenau eine Schifflistickmaschine betrieben habe. Es wurden deshalb gegen ihn eine Geldstrafe und eine Ersatzarreststrafe verhängt.
Dem zu B894/84 angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie (BMHGI) vom 5. Oktober 1984 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die bf. Gesellschaft suchte am 27. April 1983 beim Landeshauptmann von Vorarlberg um Bewilligung einer längeren als der im §1 in der - im Amtsblatt für das Land Vorarlberg 1983 Nr. 12 kundgemachten - V des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 16. März 1983 über die Festsetzung von Betriebszeiten für Schifflistickmaschinen (im folgenden kurz: 2. V) vorgesehenen Betriebszeit (nämlich 5 Uhr bis 24 Uhr) auf die Dauer von zwei Monaten für die Schifflistickmaschinen in ihrem Betrieb in Lustenau an. Der BMHGI gab mit dem erwähnten Berufungsbescheid diesem Antrag gemäß §13 StickereiförderungsG und §2 der 2. V keine Folge.
2. Der VfGH beschloß gemäß Art139 Abs1 B-VG, aus Anlaß der zu B202/84 erhobenen Beschwerde die Gesetzmäßigkeit der (gesamten) 1. V (V54/85) und aus Anlaß der zu B894/84 erhobenen Beschwerde die Gesetzmäßigkeit der (gesamten) 2. V (V55/85) von Amts wegen zu prüfen.
Die Bedenken des VfGH gingen zum einen dahin, daß beide Verordnungen des Landeshauptmannes wegen eines Kundmachungsmangels gesetzwidrig seien; dies deshalb, weil sie - entgegen dem §2 Abs1 des Gesetzes über das Vbg. Landesgesetzblatt, Vbg. LGBl. 15/1948, (Vbg. LGBlG) - nicht im Landesgesetzblatt, sondern (bloß) im Amtsblatt für das Land Vorarlberg publiziert wurden.
Zum anderen hatte der VfGH das materielle Bedenken, daß §2 der 1. und der 2. V weder im §13 StickereiförderungsG noch in einer anderen gesetzlichen Bestimmung Deckung finde.
3. a) Der BMHGI tritt in seiner Äußerung den inhaltlichen Bedenken des VfGH nicht entgegen. Er meint jedoch, daß die in Prüfung gezogenen Verordnungen nicht deshalb mit Gesetzwidrigkeit belastet (gewesen) seien, weil sie nicht im Landesgesetzblatt kundgemacht wurden.
b) Eine andere Ansicht vertritt der Landeshauptmann von Vorarlberg. Die Kundmachung hätte tatsächlich im Landesgesetzblatt erfolgen müssen. Materiell seien die Verordnungen aber unbedenklich.
II. Die in Prüfung gezogenen Verordnungen und die sonstigen, hier maßgebenden Rechtsvorschriften lauten:
1. a) Die 1. V bestimmt folgendes:
"Gemäß §13 des Bundesgesetzes, mit dem Maßnahmen zur Förderung der Maschinenstickerei im Land Vorarlberg getroffen werden, BGBl. Nr. 222/1956, in der Fassung BGBl. Nr. 62/1962, wird verordnet:
§1
(1) Die Betriebszeiten für Schifflistickmaschinen werden mit Montag bis Freitag von 5 Uhr bis 23 Uhr festgesetzt.
(2) Die Bestimmungen des Feiertagsruhegesetzes 1957 werden hiedurch nicht berührt.
§2
Wenn infolge der im §1 Abs1 festgesetzten Betriebszeiten die Ausführung von Stickaufträgen nicht innerhalb der üblichen Lieferzeiten möglich ist, kann in Einzelfällen mit Bescheid des Landeshauptmannes eine längere Betriebszeit bewilligt werden.
§3
Diese Verordnung tritt am 31. Jänner 1983 in Kraft."
b) Die 2. V hat nahezu denselben Wortlaut wie die 1. V. Die Abweichung besteht darin, daß im §1 die Betriebszeiten von 5 Uhr bis 21 Uhr festgelegt werden. Dem §3 zufolge ist die 2. V am 21. März 1983 in Kraft getreten.
2. Der in der 1. und in der 2. V als deren gesetzliche Grundlage angeführte §13 StickereiförderungsG legt fest:
"§13. Der Landeshauptmann für Vorarlberg hat nach Anhörung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Vorarlberg und der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg mit Verordnung unter Bedachtnahme auf die einschlägige Preisentwicklung auf dem Weltmarkt, die Konjunkturlage, die allgemeine Marktlage, die vorhandenen Aufträge und die die Maschinenstickerei sonst berührenden wirtschaftlichen Vorgänge die Mindeststichpreise (§10 Abs1 Z5) und erforderlichenfalls auch bestimmte Laufzeiten (Betriebszeiten) für die Stickmaschinen (§10 Abs1 Z5) festzusetzen."
3. a) Mit BG vom 17. April 1985, BGBl. 187/1985, wurde das StickereiförderungsG in wesentlichen Bestimmungen geändert.
Ua. wurde dem §13 ein Abs2 angefügt, demzufolge bescheidmäßig von den nach Abs1 (verordnungsmäßig) festgesetzten Betriebszeiten Ausnahmen bewilligt werden können.
ArtII der Novelle 1985 lautet auszugsweise:
"(1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Mai 1985 in Kraft.
(2) Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes in Geltung stehenden Verordnungen, die auf Grund des Stickereiförderungsgesetzes idF vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes erlassen worden sind, bleiben, soweit nicht durch dieses Bundesgesetz eine diesbezügliche Regelung getroffen wird, als Bundesgesetz in Geltung. Sie treten mit der Neuerlassung der jeweiligen Verordnung auf Grund des Stickereiförderungsgesetzes idF des ArtI dieses Bundesgesetzes außer Kraft.
(3) ..."
b) Aufgrund des StickereiförderungsG idF der Novelle 1985 erließ der Landeshauptmann von Vorarlberg eine V über Maßnahmen nach dem Stickereiförderungsgesetz, kundgemacht im Vbg. LGBl. 1985 unter Nr. 28.
Dem §4 dieser 3. V zufolge wurden die Betriebszeiten für Schifflistickmaschinen mit Montag bis Freitag, ausgenommen gesetzliche Feiertage, von 5 bis 21 Uhr festgesetzt.
Nach ihrem §5 Abs1 trat diese 3. V mit 1. Juni 1985 in Kraft.
III. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Der zu B202/84 bekämpfte Bescheid wird auf §1 der 1. V, der zu B894/84 angefochtene Bescheid wird auf §2 der 2. V gegründet. Auch der VfGH hätte bei Entscheidung über die Beschwerden dieselben Verordnungsbestimmungen anzuwenden.
Eine Erörterung, ob darüber hinaus auch die weiteren in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen präjudiziell in der Bedeutung des Art139 Abs1 B-VG sind, ist im Hinblick auf das Ergebnis dieser Verordnungsprüfungsverfahren (s. unter III.2.c.dd) entbehrlich.
b) Die Prozeßvoraussetzungen sind gegeben; die Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig.
2. Der VfGH hat in formeller Hinsicht im Einleitungsbeschluß das Bedenken geäußert, daß die 1. und die 2. V nicht gesetzmäßig kundgemacht wurden. Dieses Bedenken hat sich als zutreffend erwiesen:
a) Nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 4865/1964, 5890/1969) gebietet das Rechtsstaatsprinzip, daß Verordnungen ausreichend kundgemacht werden müssen; die Verfassung schreibt aber eine bestimmte Form der Kundmachung von Verordnungen nicht vor.
Nicht von Verfassungs wegen, wohl aber soweit dies in einfachen Gesetzen vorgesehen ist, muß die Kundmachung von Verordnungen in einer bestimmten Form erfolgen (s. VfSlg. 4865/1964).
Nun schreibt §2 Vbg. LGBlG folgendes vor:
"§2.
(1) Im Landesgesetzblatt sind außer den Gesetzesbeschlüssen des Landtages auch die Verordnungen der Landesregierung und des Landeshauptmannes, die mit Erkenntnis des VfGH gemäß Art139 und 140 B-VG. ausgesprochene Aufhebung verfassungswidriger Landesgesetze oder gesetzwidriger Verordnungen, sowie jene Beschlüsse des Landtages kundzumachen, deren Verlautbarung im Landesgesetzblatt vom Landtag beschlossen wird.
(2) Welche weiteren Verlautbarungen durch das Landesgesetzblatt zu erfolgen haben, bestimmt von Fall zu Fall der Landeshauptmann."
Durch die Nov. LGBl. 6/1950 wurde §2 nicht geändert.
Der Wortlaut dieser landesgesetzlichen Vorschrift legt die Annahme nahe, daß sie dazu verpflichtet, alle Verordnungen des Landeshauptmannes im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Im Einleitungsbeschluß wurde die Meinung geäußert, der Landesgesetzgeber sei von Verfassungs wegen grundsätzlich (auch) dazu berufen zu bestimmen, wie vom Landeshauptmann für den Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung erlassene Durchführungsverordnungen zu publizieren sind; unter dieser Voraussetzung spreche nichts dagegen, dem §2 Vbg. LGBlG den von seinem Wortlaut her naheliegenden Inhalt zu unterstellen, daß nämlich auch derartige Verordnungen des Landeshauptmannes von Vorarlberg im Vbg. LGBl. kundzumachen seien. Die in Prüfung gezogenen Verordnungen seien nicht auf diese Weise publiziert worden; daraus resultiere, daß sie wegen eines Kundmachungsfehlers gesetzwidrig seien.
b) aa) Dem hat der Landeshauptmann in der von ihm im Beschwerdeverfahren B202/84 erstatteten Gegenschrift entgegengehalten, daß sich bei verfassungskonformer Auslegung §2 Vbg. LGBlG nur auf Verordnungen des Landeshauptmannes im Rahmen der Landesvollziehung beziehen könne, nicht aber auch auf Verordnungen des Bundes, die - wie hier - der Landeshauptmann im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung erläßt. Im Verordnungsprüfungsverfahren ist der Landeshauptmann jedoch von dieser Ansicht abgerückt. Er führt hiezu abschließend aus:
"Im allgemeinen wird demnach davon auszugehen sein, daß bei der Kundmachung von Rechtsvorschriften der Bezug zur abstrakten Organisation im Vordergrund steht und daß es daher Sache jenes Gesetzgebers ist, dem die Aufstellung und Einrichtung des Organs zu regeln obliegt, auch zu bestimmen, wie Rechtsvorschriften dieses Organs kundzumachen sind. Davon geht offenkundig auch der Art11 Abs3 B-VG. aus, der als besondere Ausnahme dieses Grundsatzes ausdrücklich anordnet, daß die Art der Kundmachung von Durchführungsverordnungen, zu deren Erlassung die Länder in den Angelegenheiten des Abs1 Z4 und 6 bundesgesetzlich ermächtigt werden, durch Bundesgesetz geregelt werden kann.
Im vorliegenden Fall geht es um die Kundmachung von Verordnungen des Landeshauptmannes im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung. Die Organisationsgesetzgebung für diesen Bereich ist - vom Fall des Art102 Abs1 zweiter Satz B-VG. abgesehen - gemäß Art15 Abs1 B-VG. Landessache (siehe hiezu VfGH Erk. Slg. Nr. 8466/78). Es steht also - von besonderen Ausnahmefällen abgesehen - dem Landesgesetzgeber zu, die Kundmachung der Verordnungen des Landeshauptmannes in mittelbarer Bundesverwaltung zu regeln. Ein solcher Ausnahmefall liegt aber - wie der VfGH im Einleitungsbeschluß richtig festgehalten hat - hier nicht vor. Daraus folgt, daß die in Prüfung gezogenen Verordnungen richtigerweise doch gemäß §2 des Gesetzes über das Vorarlberger Landesgesetzblatt hätten kundgemacht werden müssen."
bb) Der BMHGI vertritt in seiner Äußerung die Meinung, daß die Nichtveröffentlichung der in Prüfung gezogenen Verordnungen im Landesgesetzblatt keinen Kundmachungsfehler darstelle:
"Ein Landesgesetz über das Landesgesetzblatt kann nach Ansicht des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie keine Regelungen darüber treffen, daß Verordnungen des Landeshauptmannes, die in mittelbarer Bundesverwaltung ergehen, im Landesgesetzblatt kundzumachen sind. Denn es ist Aufgabe des Bundesgesetzgebers, die Kundmachung von Bundesrecht zu regeln. Macht er dies nicht, dann kommen die weiter oben angeführten allgemeinen Grundsätze über die Publikation von Rechtsvorschriften zum Tragen.
Eine gegenteilige Auffassung würde zu einer Konkurrenz zwischen Landesgesetzgebung und Bundesgesetzgebung führen können, wenn einerseits das Landesgesetz den Landeshauptmann zur Publikation im Landesgesetzblatt verpflichtet und der Bundesgesetzgeber eine bestimmte Publikationsform vorschreibt. Da es keine Rechtsregel gibt, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht, müßte der Landesgesetzgeber in seinem Landesgesetz über das Landesgesetzblatt die Kundmachung von in mittelbarer Bundesverwaltung ergehenden Verordnungen des Landeshauptmannes mit dem Vorbehalt anordnen, daß nicht die einschlägigen bundesgesetzlichen Regelungen anderes bestimmen. Eine solche Vorbehaltsregelung müßte aber als dynamische Verweisung des Landesrechts auf bundesrechtliche Vorschriften verstanden werden; daß eine derartige dynamische Verweisung unzulässig wäre, bedarf keiner weiteren Erörterung.
Würde man nun die Anordnung des §2 Abs1 des Gesetzes über das Vorarlberger Landesgesetzblatt in der Richtung auslegen, daß hier nicht nur die landesrechtlichen Verordnungen, sondern auch die in mittelbarer Bundesverwaltung ergehenden Verordnungen des Landeshauptmannes gemeint sind, so würde dann eine Normenkollision vorliegen, wenn der Bundesgesetzgeber in einer bestimmten Angelegenheit eine besondere Regelung über die Kundmachung der in mittelbarer Bundesverwaltung ergehenden Verordnungen trifft. Welche Kundmachung dann die verbindliche ist, müßte dann vom Normunterworfenen beurteilt werden, zumal ja der Bundesgesetzgeber bei der besonderen Regelung der Publikation nicht anordnen könnte, daß in diesem besonderen Fall die Kundmachungsregelung des Landesgesetzes außer Kraft tritt, also das Landesrecht durch Bundesrecht gebrochen wird.
Diese Betrachtung zeigt, daß es zu unhaltbaren Ergebnissen führen müßte, wenn man den §2 Abs1 des Landesgesetzes über das Vorarlberger Landesgesetz in der Richtung interpretiert, daß die darin angeführten Verordnungen des Landeshauptmannes auch die in mittelbarer Bundesverwaltung ergehenden Verordnungen sind. Das Prinzip der verfassungskonformen Interpretation von Normen legt daher nach Ansicht des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie den Schluß nahe, daß hier nur Verordnungen des Landeshauptmannes gemeint sein können, die nicht in mittelbarer Bundesverwaltung ergehen.
Im übrigen darf darauf hingewiesen werden, daß es ja tatsächlich Verordnungen des Landeshauptmannes gibt, die nicht in mittelbarer Bundesverwaltung ergehen. Es sei hier auf Verordnungen verwiesen, die sich auf §3 Abs3 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 289/1925 betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien stützen. Die Anordnung des Überganges der Verantwortlichkeit auf ein einzelnes Landesregierungsmitglied stellt eine Rechtsverordnung dar, bezüglich der der VfGH in seinem Erkenntnis Slg. 4572/1963 davon ausgegangen ist, daß sie im Landesgesetzblatt zu publizieren ist. Weitere nicht in mittelbarer Bundesverwaltung ergehende Verordnungen des Landeshauptmannes sind in der Richtung denkbar, daß der Landeshauptmann in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt seines Bundeslandes eine Rechtsverordnung erläßt. Die Regelung des §2 Abs1 des Landesgesetzes über das Vorarlberger Landesgesetzblatt ist somit nicht inhaltsleer; es kann daher jedenfalls nicht damit argumentiert werden, daß sich die Interpretation, der Landeshauptmann habe die in mittelbarer Bundesverwaltung erlassenen Verordnungen im Landesgesetzblatt zu publizieren, deswegen aufgedrängt, weil ansonsten die bezügliche Regelung des Landesgesetzes über das Vorarlberger Landesgesetzblatt inhaltsleer wäre.
Daß sich §2 Abs1 nicht auf in Bundesverwaltung ergehende Verordnungen des Landeshauptmannes bezieht, wird auch durch Art11 Abs3 zweiter Satz B-VG deutlich. Hier wird eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zur Regelung der Art der Kundmachung landesrechtlicher Verordnungen in bestimmten Materien festgelegt. Würde der einfache Bundesgesetzgeber solche Regelungen treffen dürfen, wäre diese verfassungsgesetzliche Regelung nicht notwendig. Es ist also aus dieser Regelung eindeutig zu schließen, daß die Regelung der Art der Kundmachung dem Landesgesetzgeber obliegt, wenn es sich bei den kundzumachenden Normen um Landesrecht handelt; hingegen ist es Sache des Bundesgesetzgebers, die Kundmachung von Normen zu regeln, die Bundesrecht sind.
Dieser Betrachtung tut auch Art11 Abs3 erster Satz B-VG keinen Abbruch. Denn diese Regelung enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach in den Angelegenheiten des Art11 Abs1 und 2 B-VG die Gesetzgebung Bundessache, die Vollziehung aber Landessache ist. Denn wenn Art11 Abs3 erster Satz B-VG die Erlassung von Durchführungsverordnungen grundsätzlich dem Bund vorbehält, so liegt diesbezüglich Vollziehung der Angelegenheiten des Art11 Abs1 und 2 B-VG durch den Bund vor, so daß diese Durchführungsverordnungen als bundesrechtliche Vorschriften anzusehen sind. Daß die Kundmachung bundesrechtlicher Vorschriften durch den Bundesgesetzgeber zu regeln ist, steht aber ohnehin außer Zweifel.
Wenn man sich nun die Rechtslage bei den Verordnungen des Landeshauptmannes auf Grund des Stickereiförderungsgesetzes vor Augen hält, so muß man feststellen, daß der Bundesgesetzgeber diesbezüglich keine Regelung über die Kundmachung dieser Verordnungen getroffen hat. Da der Landesgesetzgeber aus den dargelegten Gründen nicht für die Regelung der Kundmachung bundesrechtlicher Vorschriften zuständig ist, kann ein Landesgesetz über das Landesgesetzblatt keine zwingende Norm festsetzen, wonach die Verordnungen des Landeshauptmannes in mittelbarer Bundesverwaltung im Landesgesetzblatt zu publizieren sind. Die ordnungsgemäße Kundmachung kann daher in einem allgemeinen zugänglichen Publikationsorgan erfolgen, wie es etwa das Amtsblatt für das Land Vorarlberg darstellt.
Die letzteren Ausführungen würden aber nach Ansicht des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie nicht ausschließen, daß der Landeshauptmann das Landesgesetzblatt zur Publikation solcher Verordnungen benützen kann, wenn ihm dies nicht durch das entsprechende Landesgesetz über das Landesgesetzblatt ausdrücklich verwehrt wäre. Wenn ihm aber auch die Publikation solcher Verordnungen im Landesgesetzblatt möglich wäre, so besteht aber kein Zwang, daß Verordnungen des Landeshauptmannes in mittelbarer Bundesverwaltung im Landesgesetzblatt publiziert werden müßten."
c) Diese Argumente sind nicht geeignet, die im Einleitungsbeschluß geäußerte vorläufige Rechtsansicht des VfGH zu widerlegen:
aa) Entscheidungsrelevant ist die Frage, ob der Bundes- oder Landesgesetzgeber kompetent ist zu regeln, auf welche Art und Weise vom Landeshauptmann in mittelbarer Bundesverwaltung erlassene Verordnungen zu publizieren sind.
bb) Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 2985/1956 dargetan, daß es dem Landesgesetzgeber nicht verwehrt sei, den Landeshauptmann zu verpflichten, die von ihm als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung erlassenen Verordnungen auf eine bestimmte Art und Weise (etwa im Landesgesetzblatt) kundzumachen. Der Landeshauptmann sei ja eine Landesbehörde, die allerdings auch die mittelbare Bundesverwaltung zu besorgen hat; dieses funktionelle Moment trete aber hier in den Hintergrund.
An dieser Judikatur übten Ermacora - Klecatsky - Ringhofer, Die Rechtsprechung des VfGH im Jahre 1956, ÖJZ 1959, 3 (ihnen folgend:
Traxler, Die Kundmachung von Verordnungen der Landesregierung und des Landeshauptmannes im Burgenland, ÖJZ 1973, 368) Kritik: Der Landesgesetzgeber sei nicht berechtigt, einen in verfassungsmäßiger Weise in die Bundesvollziehung fallenden Akt der mittelbaren Bundesverwaltung (Art102 B-VG) in irgendeiner Weise zu determinieren; der Landesgesetzgeber sei daher auch nicht berechtigt, den Landeshauptmann zu verpflichten, die von ihm im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung erlassenen Verordnungen im Landesgesetzblatt zu verlautbaren; der Landesgesetzgeber könne ihm höchstens eine solche Verlautbarung freistellen.
cc) Der VfGH bleibt im Ergebnis bei seiner Judikatur:
In der Bundesverfassung wird (von einer noch zu erörternden Ausnahme abgesehen) nicht ausdrücklich bestimmt, welche Gesetzgebungsautorität (nämlich jene des Bundes oder der Länder) zuständig ist zu regeln, wie eine V kundzumachen ist.
Die Kundmachung einer V ist ein Abschnitt - und zwar der abschließende Teil - des Normerzeugungsverfahrens. Daraus ergibt sich, daß es - sofern die Bundesverfassung nicht ausnahmsweise explizit anderes bestimmt - dem Gesetzgeber jener Gebietskörperschaft obliegt, die Art und Weise der Publizierung der V zu regeln, der zur Regelung der Materie zuständig ist. Grundsätzlich ist also der Materiengesetzgeber auch kompetent, die dazugehörende Rechtserzeugungsregel (soweit sie nicht vom Verfassungsgesetzgeber aufgestellt wurde) zu setzen. Der Bundesverfassungsgesetzgeber ging aber offenkundig davon aus, daß es dem Organisationsgesetzgeber nicht untersagt ist, subsidiäre Vorschriften über die Methode der Kundmachung von Rechtsvorschriften zu erlassen, also eine generelle, materienunspezifische Kundmachungsregel aufzustellen. Wenn der Materiengesetzgeber zur Frage schweigt, auf welche Weise und in welcher Form generelle Rechtsnormen (hier: Verordnungen) nach außen zu ergehen haben (hier: kundzumachen sind), ist auf die Organisationskompetenz zurückzugreifen (vgl. die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzartikel (1. Oktober 1925) - "Versteinerungszeitpunkt" - geltende Rechtsordnung: Für den Bundesbereich das BG über das Bundesgesetzblatt, BGBl. 33/1920 (wiederverlautbart unter BGBl. 200/1985); für den Landesbereich zB das Nö. LGBlG, LGBl. 2/1920, und das Tir. LGBlG, LGBl. 1/1919; zum Bezug einer Norm sowohl zur abstrakten Organisation als auch zur konkreten Funktion s. etwa VfSlg. 8466/1978, S 527 f.).
Die Organisationskompetenz kommt im gegebenen Zusammenhang - da der Landeshauptmann organisatorisch ein Landesorgan ist - dem Landesgesetzgeber zu.
dd) Aus Art11 Abs3 letzter Satz B-VG ist - entgegen der Meinung des BMHGI - für die Lösung der anstehenden Frage nichts zu gewinnen. Zwar enthält diese Bestimmung (ausnahmsweise) eine ausdrückliche, die Regelung der Kundmachungsart betreffende Kompetenznorm: "Die Art der Kundmachung von Durchführungsverordnungen, zu deren Erlassung die Länder in den Angelegenheiten des Absatzes 1, Z4 und 6" (Straßenpolizei und ua. Schiffahrtspolizei) "bundesgesetzlich ermächtigt werden, kann durch Bundesgesetz geregelt werden." Sie bezieht sich aber auf die Kundmachung von Durchführungsverordnungen, die in Angelegenheiten der Landesvollziehung ergehen, während es hier um die Kundmachung von Durchführungsverordnungen geht, die vom Landeshauptmann als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung (in den in Art10 Abs1 B-VG aufgezählten Angelegenheiten) erlassen werden, in denen also funktionell ein Bundesorgan handelt. Die in den EB zu den nachmaligen B-VG-Novelle 1960 und 1974 (21 BlgNR, IX. GP und 182 BlgNR, XIII. GP) zur Erklärung des Umstandes, daß die zitierte Kundmachungsnorm auf Verfassungsstufe zu erlassen wäre ("Es obliegt allein dem Landesgesetzgeber, die Art der Kundmachung von Organen der Länder festzulegen"), enthaltenen Ausführungen belegen für das hier zu klärende Problem nichts, da in den Art11-Angelegenheiten die in Betracht kommenden Organe sowohl organisatorisch als auch funktionell solche der Länder sind, und das Argument daher auf Art10-Angelegenheiten nicht übertragbar ist, in denen funktionell ein Bundesorgan tätig wird.
ee) Zusammenfassend ergibt sich, daß nichts dagegen spricht, §2 Vbg. LGBlG nach seinem Wortlaut dahin auszulegen, daß diese landesgesetzliche Bestimmung (gegen die bei diesem Inhalt keine kompetenzrechtlichen Bedenken bestehen) auch dazu verpflichtet, die vom Landeshauptmann als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung erlassenen Verordnungen im Vbg. LGBl. zu publizieren, da der Materiengesetzgeber nichts anderes verfügt hat.
Da dies unterblieben ist, liegt ein Kundmachungsmangel vor. Dieser belastet offenkundig die beiden Verordnungen in ihrer Gesamtheit mit Gesetzwidrigkeit, sodaß - unabhängig davon, welche ihrer Bestimmungen präjudiziell sind (s. oben III.1.a) - nach Art139 Abs3 litc B-VG vorzugehen ist. Hindernisse iS des Art139 Abs3 letzter Satz B-VG liegen nicht vor.
3. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob auch die im Einleitungsbeschluß enthaltenen materiellen Bedenken (daß nämlich §2 beider Verordnungen weder im §13 StickereiförderungsG noch in einer anderen gesetzlichen Bestimmung Deckung finde) zutreffen oder nicht, zumal der Bundesgesetzgeber offenbar angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit des §2 der Verordnungen dem §13 StickereiförderungsG mit der Novelle 1985 einen Abs2 angefügt hat, der ausdrücklich bescheidmäßige Ausnahmegenehmigungen vorsieht (s. oben II.3.a).
4. a) Die beiden in Prüfung gezogenen Verordnungen gehören als solche nicht mehr dem Rechtsbestand an (s. oben II.1.b und II.3.). Es war daher gemäß Art139 Abs4 B-VG auszusprechen, daß die beiden in Prüfung gezogenen Verordnungen gesetzwidrig waren.
b) Die Verpflichtung des BMHGI zur Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art139 Abs5 erster und zweiter Satz B-VG.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Rechtsstaatsprinzip, Verordnung Kundmachung, Kundmachung, Kompetenz Bund - Länder VerwaltungsorganisationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:V54.1985Dokumentnummer
JFT_10139384_85V00054_00