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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z6Beachte
Kundmachung am 1. September 1986, LGBl. für Wien 31/1986Leitsatz
WAO; in §222 Abs1 idF LGBl. 38/1983 enthaltene Vorschriften über prozeßrelevante Akte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - keine organisationsrechtliche Regelung der Vertretungsbefugnis ; weist der Bundesgesetzgeber nach Art10 Abs1 Z6 B-VG für das verwaltungsgerichtliche Verfahren die Erstattung einer Gegenschrift und die Stellung eines Antrages auf Kostenersatz der bel. Beh. zu, setzt dies bei einer Kollegialbehörde die Einhaltung der für die Willensbildung sonst maßgeblichen Regeln voraus; eine hievon abweichende landesgesetzliche Regelung greift verfassungswidrig in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers einSpruch
Die Wortfolge "oder Verwaltungs" in §222 Abs1 erster Satz der Wr. Abgabenordnung, LGBl. für Wien 21/1962 idF der Nov. 1983, LGBl. für Wien 38, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im LGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Durch ArtI Z19 des Gesetzes vom 30. September 1983, LGBl. für Wien 38, wurde §222 WAO derart geändert, daß der zum Abs2 gewordenen Vorschrift ein neuer Abs1 vorangestellt wurde, der wie folgt lautet:
"Dem Magistratsdirektor als Vorsitzenden der Abgabenberufungskommission oder dem von ihm bestimmten Vertreter (§205) obliegt es, die Entscheidungen der Abgabenberufungskommission zu unterfertigen und im Beschwerdefall vor dem VfGH oder VwGH ohne Einholung eines Beschlusses der Abgabenberufungskommission in deren Namen die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, Gegenschriften zu erstatten, Stellungnahmen abzugeben und einen Vertreter zu bestellen. Mit der Unterfertigung von Bescheiden, Gegenschriften und Stellungnahmen kann der Vorsitzende der Abgabenberufungskommission einen Beisitzer beauftragen."
2. In mehreren beim VwGH hinsichtlich des Kostenzuspruches noch anhängigen Beschwerdeverfahren erstattete der Vorsitzende der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien in deren Namen und unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift und stellte darin den Antrag, der Abgabenberufungskommission den Ersatz von Vorlage- und Schriftsatzaufwand nach dem VwGG zuzusprechen.
3. Aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren stellte der VwGH gemäß Art140 Abs1 B-VG zu den Zahlen A9/86, A50/86, A51/86, A52/86, A66/86 und A68/86 den Antrag, die Wortfolge "oder Verwaltungs"(gerichtshof) in §222 Abs1 erster Satz WAO idF LGBl. 38/1983 als verfassungswidrig aufzuheben.
Der VwGH begründet den Aufhebungsantrag im führenden Verfahren A9/86 (beim VfGH zu G24/86 protokolliert) wie folgt:
"Ob der belangten Behörde im Beschwerdefall Aufwandersatz (§48 Abs2 VwGG) zuzuerkennen ist, hängt ... sowohl davon ab, ob die Aktenvorlage und die Erstattung der Gegenschrift ihr zuzurechnen ist, als auch davon, ob ein ihr zuzurechnender Antrag gemäß §59 Abs1 VwGG vorliegt. Bei der Prüfung dieser Frage hat der VwGH die oben wiedergegebene Bestimmung des §222 Abs1 WAO insoweit anzuwenden, als namens der belangten Abgabenberufungskommission unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift erstattet wurde. Der in dieser Beziehung - also für das verwaltungsgerichtliche Verfahren - in Betracht kommende sachliche Geltungsbereich der Vorschrift wird durch die Wortfolge 'oder Verwaltungs'- (gerichtshof) ausgedrückt. Diese Bestimmung ist also für die zu treffende Kostenentscheidung präjudiziell.
Der VwGH hegt gegen die Vorschrift des §222 Abs1 erster Satz WAO in der zitierten Fassung gleichartige Bedenken, wie sie den VfGH veranlaßt haben, mit Erkenntnis vom 3. Oktober 1985, G131/85-8, die Wortfolge 'Verfassungs- oder' im §138 Abs8 der Bauordnung für Wien in der Fassung der Bauordnungsnovelle 1984, LGBl. Nr. 30, als verfassungswidrig aufzuheben. Der VfGH ging in seinem Erkenntnis davon aus, die im §138 Abs8 der Wiener Bauordnung enthaltene Regelung, wonach es dem Landesamtsdirektor oder dem von ihm bestellten Vertreter unter anderem oblag, im Verfahren vor dem VfGH ohne Einholung eines Beschlusses der Bauoberbehörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen und Gegenschriften zu erstatten, widerspreche der Vorschrift des §20 Abs2 und des §83 Abs1 VerfGG, welche die Vorlage der Verwaltungsakten und die Erstattung einer Gegenschrift als Prozeßhandlung der belangten Verwaltungsbehörde vorsehen. Ebenso greift auch die Bestimmung des §222 Abs1 erster Satz WAO, die dem Magistratsdirektor als Vorsitzendem der Abgabenberufungskommission oder den von ihm bestellten Vertreter gleichartige Rechte einräumt, verfassungswidrig in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers gemäß Art10 Abs1 Z6 ('Verwaltungsgerichtsbarkeit') ein, welcher auch im §36 Abs1 VwGG die Vorlage der Verwaltungsakten und die Erstattung der Gegenschrift durch die belangte Behörde vorsieht."
Unter Hinweis auf diese Darlegungen beantragt der VwGH auch in den anderen oben genannten Fällen die Aufhebung der nämlichen Wortfolge in §222 Abs1 WAO idF LGBl. 38/1983; diese Anträge sind beim VfGH zu G76, 77, 81, 97 und 98/86 protokolliert.
4. Die Wr. Landesregierung tritt mit ihrer in den Verfahren G24, 76, 77 und 81/86 abgegebenen Äußerungen dieser Auffassung entgegen und beantragt, den Antrag des VwGH abzuweisen. In den weiteren Verfahren
G 97 und 98/86 hat sie keine Äußerung erstattet.
Die Wr. Landesregierung sieht in der gegenständlichen Bestimmung eine organisationsrechtliche Regelung und führt dazu aus:
"Gemäß Art111 B-VG werden besondere Kollegialbehörden nur für Entscheidungen in oberster Instanz gefordert. Verfassungsrechtlich bedeutet dies, daß es solche Kollegialbehörden geben muß und wohl auch, daß sie ihre Entscheidungen als oberste Instanz kollegial fällen müssen. Keine Aussage ist jedoch für andere, diesen Kollegialbehörden zuzurechnenden Enuntiationen getroffen, die verfassungsgesetzliche Notwendigkeit der kollegialen Beschlußfassung ist hiefür nicht ableitbar.
Wenn die bezogenen Bestimmungen jedoch nicht unter dem Begriff 'Entscheidungen' zu subsumieren sind, kann es sich nur um Organisationsbestimmungen handeln. Zum Organisationsrecht einer Behörde gehört jedoch zu bestimmen, wer zur Vertretung der Behörde nach außen berufen ist. Bestimmungen über die Vertretung einer Behörde nach außen sind bei Kollegialorganen unbedingt erforderlich, weil man ansonsten zum Ergebnis kommen müßte, daß nur das Gesamtorgan nach außen handelnd auftreten kann, was bei strikter Befolgung dieser Auffassung zu unmöglichen Ergebnissen führen müßte. So wäre z. B., wenn alle Rechte und Pflichten als Partei ausschließlich der belangten Behörde zuordenbar wären, bei Verhandlungen das gesamte Kollegialorgan zu laden, und dieses müßte insgesamt zur Verhandlung erscheinen, insoweit es nicht vorzöge, von dem Recht, der Verhandlung fernzubleiben, Gebrauch zu machen oder sich von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen (§23 Abs1 VwGG).
Organisationsgesetzgeber ist nun hinsichtlich der Abgabenberufungskommission für Wien der Landtag für Wien. Bestimmungen, wer vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes handelnd für Personen oder Behörden auftreten darf, sind der Bundesgesetzgebung vorbehalten, z. B. könnte sie etwa Anwaltszwang vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts auch hinsichtlich der Vertretung von Behörden vorsehen. Die Bestimmung des behördeninternen (Innenverhältnis) zuständigen Organes zur Veranlassung verfahrensrechtlicher Schritte bleiben aber dem, das Organ einrichtenden Gesetzgeber vorbehalten. Eine Vertretung der Abgabenberufungskommission für Wien nach außen kommt, abgesehen von der Befugnis zur Unterfertigung der Erledigungen, nur vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes in Frage. Daher ist die Bestimmung des §222 Abs1 WAO nach Auffassung der Wiener Landesregierung verfassungskonform so auszulegen, daß sie regelt, wer organisationsrechtlich befugt ist, die Behörde nach außen zu vertreten, wer also etwa bei Anwaltszwang befugt wäre, einen Vertreter der belangten Behörde im Verfahren vor dem VwGH zu bestellen. Auch die Gerichtshofgesetze sehen ausdrücklich die Möglichkeit vor, daß sich die Parteien, anstatt ihre Sache vor dem Gerichtshof selbst zu führen, durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (§24 Abs2 VerfGG, §23 Abs1 VwGG). Diese Möglichkeit ist mangels entsprechender Einschränkung auch belangten Behörden (auch Kollegialbehörden) eingeräumt. Das 'Führen der Sache vor dem Gerichtshof' und damit die Möglichkeit, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, umfaßt auch die das Verfahren eröffnenden Schriftsätze (Beschwerde, Gegenschrift), was durch die Bezugnahme auf §17 Abs2 VerfGG im §24 Abs2 noch unterstrichen wird. Es kann nun kein Zweifel bestehen, daß der Rechtsanwalt die Gegenschrift selbst verfassen kann, ohne dazu einen Beschluß der belangten Behörde einholen zu müssen. Ja es wäre sogar eine ständige Bevollmächtigung denkbar, bei der der Anwalt im Einzelfall nicht einmal mehr einen konkreten Auftrag zur Vertretung erhält, sondern ihm nurmehr rein büromäßig die erforderlichen Unterlagen (Beschwerde, Verwaltungsakten) zugeleitet werden. Es scheint nun nicht einsichtig, warum einen gewillkürten Vertreter, der nicht aus dem Kreis der belangten Behörde entnommen ist, diese Vertretungsmacht eingeräumt sein soll, einem gesetzlichen Vertreter, der noch dazu Vorsitzender der vertretenen Behörde ist, jedoch nicht."
Weiters führt die Wr. Landesregierung aus, auch bei den mündlichen Verhandlungen würden die Behörden durch Bevollmächtigte vertreten, wobei der Vertreter alle argumentatorischen Möglichkeiten habe, ohne dabei an eine Beschlußfassung der Kollegialbehörde gebunden zu sein. Die Landesregierung kritisiert die Entscheidung des VfGH G131/85 vom 3. Oktober 1985 und meint, auch nach den Verfahrensgesetzen für die Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts seien einzelne Rechtshandlungen Einzelpersonen übertragen, die insoweit für das Kollegialorgan tätig werden könnten.
III. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was Zweifel daran erwecken könnte, daß der VwGH in den bei ihm anhängigen Verfahren §222 Abs1 WAO anzuwenden hat.
2. Die Bedenken des VwGH sind auch begründet.
Vorschriften über prozeßrelevante Akte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wie die Darlegung des Prozeßstandpunktes in einer Gegenschrift oder prozeßrelevante Antragstellungen, wie sie in §222 Abs1 WAO enthalten sind, unterliegen, soweit sie das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffen, kompetenzmäßig dem iZm. Art136 B-VG (wonach die näheren Bestimmungen über Einrichtung, Aufgabenkreis und Verfahren des VwGH durch ein besonderes BG geregelt werden) zu verstehenden Zuständigkeitstatbestand "Verwaltungsgerichtsbarkeit" (Art10 Abs1 Z6 B-VG); ihre Erlassung ist dem Landesgesetzgeber verwehrt. Nimmt man Maß an den kompetenzrechtlich wohl unbedenklichen §§36 Abs1 und 38 Abs2 VwGG, welche die Vorlage der Verwaltungsakten und die Erstattung einer Gegenschrift als Prozeßhandlungen der belangten Verwaltungsbehörde vorsehen, und am §59, der die Anträge auf Kostenersatz regelt, so wird die Unzulässigkeit einer geradezu die Substituierung der bel. Beh. als Prozeßpartei durch ein anderes Verwaltungsorgan bewirkenden Regelung durch den Landesgesetzgeber deutlich.
Der VfGH vermag der Wr. Landesregierung daher nicht beizupflichten, wenn sie die Anordnung, daß die Gegenschrift und der Antrag auf Kostenersatz durch den Magistratsdirektor (oder einen von ihm bestellten Vertreter) namens der Abgabenberufungskommission zu erstatten bzw. zu stellen ist, als eine organisationsrechtliche Regelung der Befugnis deutet, die Behörde nach außen zu vertreten. Wie der Gerichtshof schon mit Erk. vom 3. Oktober 1985, G131/85, festgestellt hat, geht es hier nicht um die Art und Weise, in der ein behördlicher Willensakt nach außen in einem Gerichtsverfahren in Erscheinung tritt, sondern darum, wie der einem Kollegium zuzurechnende Wille gebildet wird. Das unterscheidet diesen Fall auch von dem von der Landesregierung zum Vergleich dargestellten Fall der Setzung prozeßrelevanter Akte durch einen zur Vertretung herangezogenen Rechtsanwalt, dessen Bevollmächtigung im übrigen einer Willensbildung durch die Behörde im Einzelfall bedürfte.
Weist ein im Einklang mit der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung stehendes BG die Erstattung einer Gegenschrift - in deren Rahmen sich (wie angesichts der mißverständlichen Äußerung der Landesregierung betont sei) auch die Argumentation im Prozeß zu halten hat - und die Stellung eines Antrages auf Kostenersatz der bel. Beh. zu, so wird dieser Anordnung bei einer kollegial eingerichteten Behörde nur dann entsprochen, wenn die für die Willensbildung des Kollegiums sonst maßgeblichen Regeln eingehalten werden. Eine landesgesetzliche Bestimmung, welche ein hievon abweichendes Vorgehen erlaubt, greift sohin verfassungswidrig in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers ein.
Da die gegenständliche Bestimmung aus diesem Grunde verfassungswidrig ist, vermag die Landesregierung mit jenen Ausführungen, die die Zweckmäßigkeit der Regelung darzutun bemüht sind, ebensowenig für ihren Standpunkt abzuleiten wie mit dem Hinweis auf Einzelrichterkompetenzen im Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts.
Die Wortfolge "oder Verwaltungs" in §222 Abs1 WAO war daher als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung folgt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.
Schlagworte
Verwaltungsgerichrshof, Kollegialbehörde, Kompetenz Bund - Länder VerwaltungsgerichtsbarkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:G24.1986Dokumentnummer
JFT_10139376_86G00024_00