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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Art144 Abs1 B-VG; "Einleitungsbeschluß" nach §29 Abs3 Disziplinarstatut - schlichte Verfahrensanordnung; kein Bescheid; Zurückweisung der Beschwerde Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des §29 Abs4 zweiter Satz Disziplinarstatut (betreffend Rechtsmittelausschluß gegen Einleitungsbeschluß), dem ausschließlich klärende und belehrende Wirkung zukommt; kein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre - mangelnde AntragslegitimationSpruch
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Gesetzesprüfung wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland faßte am 18. September 1985 folgenden "Einleitungsbeschluß" iS des §29 Abs3 und 4 des Gesetzes vom 1. April 1872, RGBl. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut - DSt):
"Es ist Grund zur Disziplinarbehandlung Dris. K M, Rechtsanwalt in Wien, vorhanden, weil ihm zur Last gelegt wird, er habe in der Zeit von Juni 1983 bis 24. September 1984 in Wien in Vertretung des A S, W-Straße, Wien,
a) diesen über die Höhe eines Versicherungsabfindungsanbotes und dessen spätere Erhöhung unrichtig informiert;
b) für seine Tätigkeit ein unangemessen hohes Honorar einbehalten.
Es ist hierüber die mündliche Verhandlung anzuordnen."
1.2. §29 Abs3 und 4 DSt lauten:
"(3) Nach Abschluß der Untersuchung hat der Untersuchungskommissär dem Disziplinarrate über das Ergebnis der Erhebungen zu berichten. Auf Grund seiner Anträge hat der Disziplinarrat nach Anhörung des Kammeranwaltes durch Beschluß zu erkennen, ob Grund zu einer Disziplinarverhandlung gegen den Beschuldigten vorhanden ist.
(4) Von dem Beschlusse, daß Grund zur Disziplinarbehandlung vorhanden ist (Einleitungsbeschluß), sind der Beschuldigte und der Kammeranwalt zu verständigen. Gegen diesen Beschluß findet kein Rechtsmittel statt."
2.1. Gegen diesen Einleitungsbeschluß wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
2.2. Der VfGH hat in seinem Beschl. vom 16. Juni 1982 B386/81 (VfSlg. 9425/1982) eingehend begründet und dargelegt, aus welchen Erwägungen sich ein Einleitungsbeschluß nach §29 Abs3 DSt als schlichte Verfahrensanordnung darstellt, die weder mit einem ordentlichen Rechtsmittel noch mit einem außerordentlichen Rechtsbehelf selbständig bekämpft werden kann. Bei einem Beschluß nach §29 Abs3 DSt handle es sich nicht um einen Bescheid iS des Art144 Abs1 B-VG. Diese Rechtsmeinung wurde vom VfGH auch in seinen Beschl. vom 16. Juni 1982 B336/80 und vom 11. Juni 1983 B440/80 vertreten.
Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzurücken.
2.3. Da nach Art144 B-VG Voraussetzung für die Zuständigkeit des VfGH das Vorliegen einer behördlichen Erledigung ist, der Bescheidcharakter zukommt, dies hier jedoch nicht zutrifft, war die Beschwerde wegen Unzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.
3.1. Mit der vorliegenden Eingabe stellt der Einschreiter des weiteren unter Berufung auf Art140 Abs1 B-VG den Antrag, den zweiten Satz des §29 Abs4 DSt als verfassungswidrig aufzuheben. Aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmung werde ihm die Beschwerdemöglichkeit gegen den Einleitungsbeschluß genommen, dies sei gleichheitswidrig, zumal gegen einen Ablassungsbeschluß eine Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission erhoben werden könne. Aufgrund der bekämpften Gesetzesstelle werde nicht bloß potentiell, sondern aktuell in seine Rechtssphäre eingegriffen.
3.2. Gemäß Art140 B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen (Gesetzesstellen) auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der VfGH in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz (die Gesetzesstelle) in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit - verletzt.
3.3. Die angegriffene Gesetzesstelle besagt, daß gegen einen Einleitungsbeschluß kein Rechtsmittel stattfindet. Wie sich aus den Ausführungen unter 2.2. und der dort zitierten Vorjudikatur ergibt, handelt es sich bei einem Einleitungsbeschluß um eine schlichte Verfahrensanordnung, die aus den in VfSlg. 9425/1982 dargelegten Gründen weder mit einem ordentlichen Rechtsmittel noch mit einem außerordentlichen Rechtsbehelf bekämpft werden kann. Dies erweist, daß der angegriffenen Gesetzesstelle ausschließlich eine klärende und belehrende Wirkung zukommt. Da demnach ein unmittelbarer Eingriff in Rechte nicht stattfindet, fehlt es an dieser für eine Antragstellung nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG geforderten Voraussetzung.
Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund mangels Legitimation des Antragstellers zurückzuweisen.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Bescheidbegriff, VerfahrensanordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:B477.1986Dokumentnummer
JFT_10139375_86B00477_00