TE Vfgh Erkenntnis 2006/10/4 G43/06 ua

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Veröffentlicht am 04.10.2006
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Index

60 Arbeitsrecht
60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
KinderbetreuungsgeldG §5 Abs5, §3a

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit des Kinderbetreuungsgeldgesetzes hinsichtlich des Verlustes des Kinderbetreuungsgeldes für das erste Kind mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind; keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers zur Berücksichtigung des Grades der Belastung durch die Kinderbetreuung bzw der Vermögens- und Einkommenslage der Eltern, auch nicht angesichts der Bevorzugung von Mehrlingsgeburten

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl. I 103/2001, gebührt einem Elternteil für ein Kind, für welches Anspruch auf Familienbeihilfe oder eine gleichartige ausländische Leistung besteht und mit dem er im gemeinsamen Haushalt lebt, Kinderbetreuungsgeld, falls der Gesamtbetrag der Einkünfte den Grenzbetrag von 14.600 Euro jährlich nicht übersteigt (§2 Abs1), und zwar frühestens ab dem Tag der Geburt (der In-Pflege-Nahme, §4 Abs1) und längstens bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats (§5 Abs1). Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld endet aber spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind; endet dann der Anspruch für das weitere Kind vorzeitig, lebt der Anspruch für jenes Kind, für welches davor Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde, wieder auf (§5 Abs5). Ab dem 21. Lebensmonat ist der Anspruch nur gegeben, wenn während der Schwangerschaft und nach der Geburt näher bestimmte Untersuchungen (Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen) vorgenommen wurden und nachgewiesen werden (§7 Abs2). Für Mehrlingsgeburten gebührte nach der Stammfassung des Gesetzes Kinderbetreuungsgeld nur für ein Kind (§2 Abs6); mit der Novelle BGBl. I 58/2003 wurde dem Gesetz jedoch ein §3a folgenden Inhaltes eingefügt:

"§3a. (1) Bei Mehrlingsgeburten erhöht sich das Kinderbetreuungsgeld für das zweite und jedes weitere Kind um 50 vH des Betrages gemäß §3 Abs1.

(2) Werden für das zweite oder weitere Mehrlingskind die im §7 Abs2 vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht nachgewiesen, so reduziert sich der Zuschlag für dieses Mehrlingskind gemäß Abs1 ab dem 21. Lebensmonat dieses Kindes um 50 vH."

(BGBl. I 97/2006 novellierte diese Bestimmung dahin, dass "nach §3a Abs1 ... folgender neuer Abs2 eingefügt" wird:

"(2) Bei einem neuen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für ein weiteres Kind gebührt unbeschadet des §5 Abs5 der Zuschlag nach Abs1 bis maximal zur Vollendung des 36. Lebensmonates des Mehrlingskindes weiter.")

II. Der Oberste Gerichtshof stellt zu 10 ObS 8/06h und zu 10 ObS 24/06m gleichlautende Anträge, §5 Abs5 des Kinderbetreuungsgeldgesetzes aufzuheben. In zwei bei ihm als Revisionsgericht anhängigen Verfahren begehrt die jeweilige Klägerin eine Erhöhung des Kinderbetreuungsgeldes um 50 vH für ein zweites Kind (das im ersten Fall rund 14, im zweiten Fall etwa 17 Monate nach dem ersten geboren war). Diese Begehren waren von den Untergerichten mit Hinweis auf §5 Abs5 KBGG abgewiesen worden. Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht hatte dargelegt, warum es sich den verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht anschließen könne, es sei unsachlich, wenn Kinderbetreuungsgeld ohne Rücksicht auf die Zahl der Kinder nur einmal gebühre und nur für Mehrlingsgeburten eine Erhöhung vorgesehen sei, und dass es daher keinen Anlass sehe, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung dieser Bestimmung zu begehren. Der antragstellende Oberste Gerichtshof begründet die von ihm gestellten Anträge jedoch nunmehr (gleichlautend) wie folgt:

"Von der Klägerin wird §5 Abs5 KBGG, wonach der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind (zur Gänze) endet, als verfassungswidrig angesehen. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, dass auch schon vor Inkrafttreten des §3a KBGG eine generelle Gleichheitswidrigkeit bestanden habe, die durch die Einführung dieser Bestimmung nur partiell aufgelöst worden sei; nunmehr seien diejenigen Fälle, in denen während des Kindergeldbezuges (also in der Regel etwa 1 - 3 Jahre nach der Geburt des ersten Kindes) ein weiteres Kind geboren werde, erst recht - vom Betreuungsaufwand her betrachtet - so zu behandeln wie Mehrlingsgeburten.

Die Frage der Verfassungskonformität von Bestimmungen des KBGG bildete den Gegenstand der beiden (zu Mehrlingsgeburtenfällen ergangenen) Entscheidungen 10 ObS 110/04f und 10 ObS 281/03a. Darin hat der Oberste Gerichtshof die Verfassungsgemäßheit sowohl der Gesetzeslage vor Inkrafttreten des §3a KBGG (bis 31.12.2003 gebührte gemäß §2 Abs6 der Stammfassung des KBGG bei Mehrlingsgeburten Kinderbetreuungsgeld nur für ein Kind) als auch der ab 1.1.2004 geltenden Rechtslage (mit einem Zuschlag von 'nur' 50 % pro Kind bei Mehrlingsgeburten) bestätigt.

Es ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich, die hinter der Schaffung des KBGG und der Novellierung BGBl I 2003/58 liegenden gesetzgeberischen Erwägungen darzustellen.

Mit der Einführung der Familienleistung Kinderbetreuungsgeld wurde das Karenzgeld, eine an eine frühere Erwerbstätigkeit anknüpfende Versicherungsleistung abgelöst (RV 620 BlgNR 21. GP 53). Das Kinderbetreuungsgeld knüpft in erster Linie an den Bezug der Familienbeihilfe an (§2 Abs1 Z1 KBGG), wobei zu erwähnen ist, dass diese grundsätzlich für jedes Kind gebührt; gleichzeitig mit dem KBGG wurde außerdem der Mehrkindzuschlag (§9 FamLAG) für jedes dritte und weitere Kind angehoben, sodass der Lastenausgleich mit einer größeren Kinderzahl stärkere Berücksichtigung findet. Der Systemwechsel vom Karenzgeld zum Kinderbetreuungsgeld (mit der noch näher darzustellenden Hinwendung zu einer teilweisen Abgeltung der Betreuungsleistung) führte auch dazu, dass die im Anwendungsbereich des K[B]GG gebotene Möglichkeit, nach zwei oder mehr hintereinander geborenen Kindern auch parallel Karenzgeld zu beziehen (siehe etwa Burger-Ehrnhofer, Ab 1.1.2002: Das Kinderbetreuungsgeld, RdW 2002, 29 [30 FN 10]), wegfiel.

Nach den Gesetzesmaterialien der Stammfassung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (RV 620 BlgNR 21. GP 55) wird durch das Kinderbetreuungsgeld 'die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten und gleichzeitig, im Sinne einer größeren Wahlfreiheit bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Art der Kinderbetreuung, wird die mit einer außerhäuslichen Betreuung von Kindern verbundene finanzielle Belastung teilweise abgegolten. Als universelle Familienleistung und in Anerkennung der Betreuungsleistung bzw. der Betreuungskosten aller Eltern wird das Kinderbetreuungsgeld unabhängig von einer vor der Geburt eines Kindes ausgeübten Erwerbstätigkeit ausbezahlt.' Verwiesen wird weiters darauf, dass das Kinderbetreuungsgeld einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Absicherung in der Phase der Familiengründung bilde. Diese Zeit der notwendigen intensiven Betreuung von Kleinkindern sei neben der persönlichen Beanspruchung auch in finanzieller und zeitlicher Hinsicht sehr sensibel; sie sei in der Regel neben dem zeitweisen Ausfall eines - meist zweiten - Einkommens von niedrigen Anfangsgehältern bei gleichzeitig größeren Anschaffungskosten für die Eltern geprägt. Mit dem Kinderbetreuungsgeld würden Eltern von Kleinkindern im Übrigen über höhere finanzielle Mittel zur Finanzierung einer (zeitweisen) außerhäuslichen Kinderbetreuung verfügen.

Der Zweck der Bestimmung des §5 Abs5 KBGG, wonach der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind endet, wird in den Gesetzesmaterialien (RV 620 BlgNR 21. GP 61) nicht näher erklärt; es wird nur darauf Bezug genommen, dass ab dem Tag der Geburt des nachfolgenden Kindes ein neuer Anspruch für dieses weitere Kind beginne. In diesem Zusammenhang ist - die in den Materialien ebenfalls nicht näher erläuterte Bestimmung des - §2 Abs6 KBGG (in der Stammfassung BGBl I 2001/103) zu sehen, dass bei Mehrlingsgeburten Kinderbetreuungsgeld nur für ein Kind gebührt. Der Schluss liegt nahe, dass den beiden Gesetzesbestimmungen (auch) der Gedanke zugrunde liegt, den Einkommensausfall aufgrund des weitgehenden oder gänzlichen Wegfalls des Einkommens eines Elternteils infolge persönlicher Erbringung von Kinderbetreuungsleistungen teilweise aufzufangen. Dem weiteren aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Ziel, höhere finanzielle Mittel zur Finanzierung einer (zeitweisen) außerhäuslichen Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen und den Eltern bei verschiedenen Anschaffungskosten unter die Arme zu greifen, wird dadurch allerdings für den Fall, dass gleichzeitig mehrere Kinder zu betreuen sind, gerade nicht Rechnung getragen, erhöhen sich doch typischerweise vor allem die außerhäuslichen Betreuungskosten mehr oder weniger proportional zur Zahl der Kinder.

Mit der Novelle BGBl I 2003/58 wurde §3a in das KBGG eingeführt, wonach sich bei Mehrlingsgeburten das Kinderbetreuungsgeld für das zweite und jedes weitere Kind um 50 vH erhöht. Der Hintergrund ist nach den Gesetzesmaterialien (RV 123 BlgNR 22. GP 2) einerseits darin zu sehen, dass die finanziellen Aufwendungen von Eltern von Mehrlingen 'im Verhältnis zu jenen Eltern, deren Kinder nacheinander geboren werden, deutlich höher sind', andererseits auch darin, dass Eltern von Mehrlingen hinsichtlich der Betreuung stärker belastet sind als andere Eltern und dass bei einer außerhäuslichen Betreuung die Kosten entsprechend ansteigen; dieser erhöhte Aufwand soll durch die Einführung eines Zuschlages teilweise abgegolten werden (RV aa0 3).

In diesen Erwägungen kommen verstärkt die Abgeltung eines höheren (persönlichen) Betreuungsaufwandes sowie die erhöhte Kostenbelastung zum Ausdruck, während der Gedanke des Einkommensausfallsersatzes naturgemäß keine Rolle spielt. Ganz bewusst wird vom Gesetzgeber jedenfalls die Betreuung von Mehrlingskindern im Vergleich zur Betreuung von nacheinander geborenen Kindern 'privilegiert': für den zweiten Fall bewirkt §5 Abs5 KBGG, dass jedenfalls Kinderbetreuungsgeld immer nur in der einfachen Höhe gebührt (wobei dann, wenn zuerst Mehrlinge geboren werden und danach ein weiteres Kind, durch dessen Geburt auch der ursprünglich gewährte Zuschlag wegfällt, was vom Gesetzgeber ganz offensichtlich nicht bedacht war und nun auch korrigiert werden soll; siehe RV 1437 BlgNR 22. GP).

Der Oberste Gerichtshof ist sich bewusst, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der Gesetzgeber bei Verfolgung familienpolitischer Ziele weitgehend frei ist und der ihm zustehende Gestaltungsspielraum durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt wird, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (G112/99 = VfSlg 16.542 mwN). Weiters liegt es nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes gerade bei neuartigen Sozialleistungen im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, die Anspruchsberechtigung sozusagen stufenweise zu präzisieren oder auszudehnen (G47/03 = VfSlg 17.012 zur Kriegsgefangenenentschädigung).

Die im vorliegenden Fall anzuwendende und daher präjudizielle Bestimmung des §5 Abs5 KBGG bewirkt, dass (außer im Fall von Mehrlingsgeburten) ein Elternteil zur gleichen Zeit nur Kinderbetreuungsgeld in einfacher Höhe erhalten kann, auch wenn während des Bezugszeitraums von Kinderbetreuungsgeld ein weiteres Kind geboren wird. Dessen Betreuung hat - entsprechend den Erwägungen des Gesetzgebers - aber ebenfalls eine stärkere Belastung der Eltern zur Folge. Im Fall von Mehrlingsgeburten wird diese auch durch einen 50 %-igen Zuschlag abgegolten. Gleiches gilt für die mit der Sorge für zwei Kinder verbundenen höheren Kosten, sowohl für eine außerhäusliche Betreuung als auch für verschiedene Anschaffungskosten. Auch der dem Kinderbetreuungsgeld zugrunde liegende Gedanke des teilweisen Ersatzes eines betreuungsbedingten Einkommensausfalls kommt insofern ins Spiel, als die Zuverdienstmöglichkeiten bei zwei Kindern eingeschränkter sind als bei einem.

Auf der Grundlage dieser Erwägungen wird eine Person in der Situation der Klägerin, die in relativ knappem zeitlichen Abstand hintereinander zwei Kinder zur Welt gebracht hat und mit der Geburt des zweiten Kindes das nach der Geburt des ersten Kindes gewährte Kinderbetreuungsgeld zur Gänze verloren hat,

-

gegenüber anderen Personen, die nur für ein Kind zu sorgen haben und dafür ebenfalls Kinderbetreuungsgeld in einfacher Höhe erhalten (vgl in diesem Zusammenhang VfGH G81/90 ua = VfSlg 12.420), sowie

-

gegenüber Personen, die nach einer Mehrlingsgeburt einen 50%-igen Zuschlag zum Kinderbetreuungsgeld erhalten, in unsachlicher Weise ungleich behandelt, sodass eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vorliegt."

III. Die Bundesregierung bezweifelt zunächst die Zulässigkeit der Anträge. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes müssten die Grenzen der Aufhebung einer angefochtenen Gesetzesbestimmung so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Teil nicht einen völlig anderen Inhalt annimmt und andererseits die mit der Aufhebung in Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch alle erfasst werden:

"Nun erblickt der Oberste Gerichtshof in seinen Anträgen eine Ungleichbehandlung in zweifacher Hinsicht. Zunächst gegenüber Personen, die nur ein Kind zu versorgen haben. Eine Aufhebung des §5 Abs5 KBGG hätte nun zur Folge, dass auch im Fall der Geburt eines weiteren Kindes der Bezug des Kinderbetreuungsgeldes für das erste Kind nicht mit der Geburt des zweiten Kindes endet. Damit wäre aus Sicht des Obersten Gerichtshofes die Ungleichbehandlung gegenüber von Personen, die nur ein Kind zu betreuen haben, beseitigt.

Der Oberste Gerichtshof erblickt aber auch eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die in Folge einer Mehrlingsgeburt mehrere Kinder zu betreuen haben und einen Zuschlag zum Kinderbetreuungsgeld von 50% erhalten. Dieser Zuschlag ist allerdings in §3a KBGG geregelt. Diese Bestimmung wird vom Obersten Gerichtshof jedoch nicht zur Aufhebung begehrt, sodass eine Aufhebung des §5 Abs5 KBGG das vom Obersten Gerichtshof als unsachlich behauptete System nicht beseitigen würde."

In der Sache tritt die Bundesregierung den Anträgen unter Hinweis auf die Freiheit des Gesetzgebers bei der Verfolgung familienpolitischer Ziele und den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum (Bezug nehmend etwa auf VfSlg. 16.542/2002) wie folgt entgegen:

"4. Wie der Oberste Gerichtshof selbst richtig ausführt, wird durch das Kinderbetreuungsgeld die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten und gleichzeitig - im Sinne einer größeren Wahlfreiheit bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Art der Kinderbetreuung - die mit einer außerhäuslichen Betreuung eines Kindes verbundene finanzielle Belastung teilweise abgegolten (RV 620 BlgNR XXI. GP, 53).

Diese in den Erläuterungen zum Ausdruck kommende bloß teilweise Abgeltung der Betreuungsleistungen der Eltern durch das Kinderbetreuungsgeld ist nach Ansicht der Bundesregierung eine Folge des mit dem KBGG erfolgten Systemwechsels.

War das Karenzgeld als Versicherungsleistung naturgemäß als Einkommensersatzleistung für unselbständig Erwerbstätige konzipiert (ein Elternteil konnte übrigens für mehrere Kinder nicht gleichzeitig Karenzgeld beziehen) und bedurfte daher einer bestimmten Zahl an Versicherungs- und Beitragszeiten, dient das Konzept des KBGG auf Grund der 'teilweisen Anerkennung und Abgeltung' der Erhöhung der Wahlfreiheit. Die je nach Familie unterschiedliche Einkommens-, Vermögens- und Betreuungssituation hat der Gesetzgeber dabei außer Acht gelassen. Entsprechend wurde der Bezieherkreis auf Nicht-Erwerbstätige erstreckt, der tägliche Betrag und die Zuverdienstmöglichkeit erhöht und die Bezugsdauer um ein Jahr verlängert.

Der Gesetzgeber war sich dabei im Klaren, dass insbesondere hinsichtlich der Art und des Ausmaßes der Betreuung eines Kindes regionale, familiäre und persönliche Unterschiede bestehen. Manche Eltern entscheiden sich für eine persönliche Betreuung des Kindes und gehen in Karenz bzw. bleiben daheim, andere wiederum nehmen stunden- oder tageweise eine Fremdbetreuung in Anspruch, um eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Bei einigen Familien betreuen Familienmitglieder (Großeltern, Tante, Onkel, etc.) die Kinder, andere Eltern entscheiden sich wiederum für eine Tagesmutter, eine Kinderkrippe oder einen Kindergarten. Auch die finanzielle Belastung einer Fremdbetreuung ist für jede einzelne Familie eine andere, manchen entstehen keine externen Betreuungskosten, etwa durch die Kindesbetreuung im Familienkreis, kostenlose Betriebs- oder Landeskindergärten (z.B. in Niederösterreich vormittags), andere haben die Kosten - abhängig vom jeweiligen Bundesland und den in jedem Bundesland unterschiedlich ausgestalteten Förderungen und Beihilfen zu den Kindergartenkosten mit sozialen Staffelungen und österreichweit üblichen Ermäßigungen für Geschwisterkinder - ganz oder teilweise selbst zu tragen.

5. Was nun speziell §5 Abs5 KBGG betrifft, ging der Gesetzgeber davon aus, dass das Kinderbetreuungsgeld für das jeweils jüngste Kind, also für das Kind, das den höchsten Betreuungsaufwand verursacht, gebühren soll. Für ältere Kinder sah der Gesetzgeber keine Veranlassung, zusätzlich zu anderen Familienleistungen und Beihilfen (wie etwa die Familienbeihilfe mit Alters- und Geschwisterstaffel, Absetzbeträge, Mehrkindzuschlag oder Leistungen der Länder und Gemeinden) auch noch Leistungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz vorzusehen. Der Oberste Gerichtshof selbst hat in seinen auch im gegenständlichen Antrag erwähnten Urteilen vom 27. Juli 2004 (10 ObS 110/04f) und vom 14. September 2004 (10 ObS 281/03a) gegen dieses Konzept keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben.

Auch entspricht §5 Abs5 KBGG in Verbindung mit der Bezugsdauer des Kinderbetreuungsgeldes von maximal 30 bzw. 36 Monaten der lebensweltlichen Praxis. Dieser Zeitraum spiegelt den in Österreich seit Jahren etwa gleich bleibenden durchschnittlichen Geburtenabstand von mehr als drei Jahren wider. So liegt nach Erhebungen der STATISTIK AUSTRIA der Medianwert für das Jahr 2005 bei 3,3 Jahren. Der Gesetzgeber konnte daher mit guten Gründen davon ausgehen, dass für die überwiegende Zahl von Familien - mag es davon auch Ausnahmen geben, wie sie etwa den Anträgen des Obersten Gerichtshofes zu Grunde liegen - eine Regelung geschaffen wurde, die sich mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen deckt.

Daraus folgt aber, dass eine Ungleichbehandlung gegenüber Familien mit nur einem Kind bei einer Durchschnittsbetrachtung nicht vorliegt und §5 Abs5 KBGG in diesem Umstand ebenso wie in dem Konzept der bloß 'teilweisen Abgeltung' seine sachliche Rechtfertigung findet.

6. Aber auch eine Ungleichbehandlung von Personen, die in zeitlich kurzem Abschnitt zwei Kinder zur Welt gebracht haben, gegenüber Familien mit Mehrlingsgeschwisterkindern liegt nicht vor.

Gemäß §3a Abs1 KBGG erhöht sich das Kinderbetreuungsgeld bei Mehrlingsgeburten für das zweite und jedes weitere Kind um 50%. Diese Bestimmung wurde mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 58/2003 eingeführt.

Festzuhalten ist, dass der Oberste Gerichtshof in den beiden bereits genannten Urteilen sowohl die Rechtslage vor der Einfügung des §3a in das KBGG, als auch jene danach für Geschwisterkinder (in diesem Fall Mehrlingskinder) für verfassungskonform hielt. Nach Ansicht der Bundesregierung gilt dies auch vor dem Hintergrund des in den gegenständlichen Anträgen gezogenen Vergleichs. Es ist evident, dass sich Personen, die mehrere gleichzeitig geborene Kinder zu betreuen haben, in einer tatsächlich anderen Situation befinden, als Personen, die in zeitlich größerem Abstand Kinder zur Welt bringen und diese betreuen, sodass auch der Gesetzgeber an diese tatsächlichen Unterschiede eine rechtlich andere Behandlung anschließen kann. Kinder, die in Minutenabstand (heutzutage meist mit Kaiserschnitt) geboren werden, sind Kindern, die etwa in 16-monatigem Abstand geboren werden, nicht gleich. Ältere Geschwisterkinder sind hinsichtlich ihrer Entwicklung, Eigenständigkeit und Verständnisfähigkeit nicht mit Säuglingen zu vergleichen. Die gleichzeitige Betreuung zweier (oder mehrerer) Säuglinge erfordert daher zweifelsohne aufwändigere Aufsichts- und Versorgungsleistungen als die eines Neugeborenen und eines älteren Geschwisterkindes.

In diesen Umständen findet §3a KBGG seine sachliche Rechtfertigung, sodass eine Ungleichbehandlung in Bezug auf Personen, die einen Zuschlag erhalten, ebenfalls nicht vorliegt."

IV. Die Anträge sind zulässig, aber nicht begründet.

1. §5 Abs5 Kinderbetreuungsgeldgesetz lautet:

"(5) Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld endet spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind. Endet der Anspruch für das weitere Kind vorzeitig, lebt der Anspruch für jenes Kind, für welches davor Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde, wieder auf."

2. Der Oberste Gerichtshof erachtet den Umstand für gleichheitswidrig, dass das Kinderbetreuungsgeld nur einmal (und zwar bis zum Ablauf der Bezugsdauer für das jüngste Kind) gewährt wird, auch wenn (zur gleichen Zeit) mehrere Kinder zu betreuen sind. Dabei stellt er einerseits auf den Unterschied zwischen der Lage von Eltern mehrerer (in kurzen Zeitabständen geborener) Kinder und Eltern bloß eines Kindes ab und zieht andererseits die Parallele zwischen Eltern mehrerer Kinder aus mehreren (in kurzen Zeitabschnitten erfolgten) Geburten und Eltern von Kindern aus Mehrlingsgeburten. Die von ihm vorgetragenen Bedenken versteht der Verfassungsgerichtshof also dahin, dass sie beseitigt wären, wenn auch für weitere Kinder wenigstens der halbe Betrag des Kinderbetreuungsgeldes gebühren würde. Einen solchen Rechtszustand könnte der Oberste Gerichtshof durch seine Antragstellung jedoch nicht herbeiführen. Präjudiziell ist für ihn mangels Vorliegens einer Mehrlingsgeburt nur §5 Abs5. Dass durch die Aufhebung einer Bestimmung als gleichheitswidrig allenfalls eine Gleichheitswidrigkeit an anderer Stelle herbeigeführt wird - wie die Bundesregierung anscheinend im Verhältnis der Regelung für Mehrlingsgeburten zur Lage nach Aufhebung des §5 Abs5 annimmt - wäre kein Prozesshindernis (vgl. schon VfSlg. 8533/1979).

Die Anträge sind daher zulässig.

3. Das Kinderbetreuungsgeld ist an die näher umschriebene Voraussetzung der Notwendigkeit von Kinderbetreuung geknüpft. Ein solches Kinderbetreuungsgeld zu gewähren oder nicht steht dem Gesetzgeber frei. Gewährt er es, hat er freilich den Gleichheitssatz zu beachten. Dass Kinderbetreuung in einem von der Zahl der gleichzeitig zu betreuenden Kinder und sonstigen Verhältnissen und Umständen unabhängigen Pauschalbetrag gefördert wird, ist aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (zur Ausnahme der Mehrlingsgeburt siehe unten 4.). Die Lage kinderbetreuender Eltern kann aus den verschiedensten Blickwinkeln unterschiedlich sein. Der Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber weder auf den Grad der Belastung durch die Kinderbetreuung abzustellen - auch der Oberste Gerichtshof sieht ja offenbar keine Notwendigkeit darauf zu sehen, ob die Kinderbetreuung zu einem Einkommensausfall führt oder nicht und ob und welche zusätzlichen Kosten eine häusliche oder außerhäusliche Kinderbetreuung im konkreten Fall verursacht -, noch etwa dazu, auf die Vermögens- und Einkommenslage der Eltern Bedacht zu nehmen.

Nach der Regierungsvorlage (620 BlgNR, 21. GP, S 54f) wird durch das Kinderbetreuungsgeld

"die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten und gleichzeitig, im Sinne einer größeren Wahlfreiheit bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Art der Kinderbetreuung, ... die mit einer außerhäuslichen Betreuung von Kindern verbundene finanzielle Belastung teilweise abgegolten. Als universelle Familienleistung und in Anerkennung der Betreuungsleistung bzw. der Betreuungskosten aller Eltern wird das Kinderbetreuungsgeld unabhängig von einer vor der Geburt eines Kindes ausgeübten Erwerbstätigkeit ausbezahlt und tritt damit an die Stelle des bisherigen Karenzgeldes, das eine Leistung der Arbeitslosenversicherung ist.

Die damit erfolgende Ausweitung des BezieherInnenkreises der Familienleistung Kinderbetreuungsgeld betrifft neben den Selbständigen, Bäuerinnen und unselbständig Erwerbstätigen ohne ausreichende Anwartschaft auf das Karenzgeld, die bisher Anspruch auf Teilzeitbeihilfe in der Höhe des halben Karenzgeldes) hatten, die Hausfrauen, Studentinnen und Schülerinnen, die bisher keinen Anspruch auf Karenzgeld hatten und bei entsprechender Einkommenssituation allenfalls Karenzersatzleistungen der Bundesländer beziehen konnten. Damit profitiert vom Kinderbetreuungsgeld vor allem auch die unter den Bedingungen eines dynamischen und zunehmend flexiblen Arbeitsmarktes rasch wachsende Zahl der geringfügig Beschäftigten, freien Dienstnehmer und neuen Selbständigen, einer vor allem von Frauen gebildeten Gruppe von Erwerbstätigen.

Mit seiner gegenüber dem bisherigen Karenzgeld (etwa 16 Monate bzw. 22 Monate bei Inanspruchnahme beider Eltern) verlängerten Bezugsdauer (30 Monate bzw. 36 Monate bei Inanspruchnahme beider Eltern) und der Höhe von 436 € monatlich leistet das Kinderbetreuungsgeld einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Absicherung in der Phase der Familiengründung. Diese Zeit der notwendigen intensiven Betreuung von Kleinkindern, die die überwiegende Mehrheit der Eltern durch selbst wahrgenommene Betreuung nach ihren eigenen pädagogischen Vorstellungen gestalten möchte, ist neben der persönlichen Beanspruchung auch in finanzieller und zeitlicher Hinsicht sehr sensibel; diese Phase ist in der Regel neben dem zeitweisen Ausfall eines - meist zweiten - Einkommens von niedrigen Anfangsgehältern bei gleichzeitig größeren Anschaffungskosten für die Eltern geprägt.

Mit dem Kinderbetreuungsgeld soll auch eine im Vergleich zu bisher größere Wahlfreiheit in der Lebensgestaltung im Interesse einer besseren Vereinbarkeit der Lebensbereiche Familie und Beruf erreicht werden. Dies wird durch eine gegenüber der derzeitigen Rechtslage beim Karenzgeld (Gerinfügigkeitsgrenze) wesentlich erhöhte Zuverdienstgrenze von 14 600 € jährlich (der Einkommensbegriff wurde vom Bundesministerium für Finanzen ausformuliert) für den das Kinderbetreuungsgeld beziehenden Elternteil angestrebt. Dadurch soll es ermöglicht werden, während der intensiven Betreuungsphase durch Aufrechterhalten des Kontakts mit dem Arbeitgeber oder etwa in Form zeitlich reduzierter Beschäftigung den (gleitenden) beruflichen Wiedereinstieg bzw. Ersteinstieg besser zu bewältigen bzw. weiterhin erwerbstätig zu bleiben.

Mit dem Kinderbetreuungsgeld werden Eltern von Kleinkindern, unabhängig vom Zeitpunkt eines (Wieder-)Einstiegs in das Erwerbsleben, jedenfalls über höhere finanzielle Mittel zur Finanzierung einer (zeitweisen) außerhäuslichen Kinderbetreuung verfügen. Die dadurch bewirkte Erhöhung der Kaufkraft könnte auch eine Erweiterung des Angebots an Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder nach sich ziehen. Gerade für Kinder bis zu drei Jahren ist eine Unterversorgung mit (geförderten) Kinderbetreuungsplätzen feststellbar, sodass Eltern mit kleinen Kindern oft auf kostspielige private Angebote angewiesen sind. Durch das Kinderbetreuungsgeld wird damit auch ein Beitrag zu einer Gleichbehandlung von öffentlich subventionierten und privaten Betreuungsplätzen und auf diese Weise auch ein Beitrag zur Erhöhung der Wahlfreiheit für Eltern geleistet."

Das Gesetz gewordene Konzept des Kinderbetreuungsgeldes sieht also - von der erst später eingeführten und besonders zu erörternden Bevorzugung von Mehrlingsgeburten abgesehen - von der konkreten Lage gänzlich ab und berücksichtigt die Mehrbelastung für weitere Kinder nur dadurch, dass das Betreuungsgeld so lange gebührt, als Kinder unter drei Jahren zu betreuen sind. Auch wenn der Umstand, dass sowohl die Betreuungsleistung wie auch die mit der Betreuung verbundene finanzielle Belastung mit der Zahl der gleichzeitig zu betreuenden Kinder steigt, entsprechend der erklärten Zielsetzung der Materialien eine Berücksichtigung der Kinderzahl rechtfertigen, ja nahe legen würde, lässt sich daraus kein Maßstab für die Sachlichkeit des Gesetzes gewinnen. Dass die rechtspolitischen Überlegungen des Gesetzgebers mit der Betreuungsleistung und der finanziellen Belastung auf quantifizierbare Größen Bezug nehmen, verpflichtet ihn nämlich nicht, die Höhe der Leistung im Einzelfall oder für bestimmte Fallgruppen nach Maßgabe der Verhältnisse unterschiedlich zu bemessen. Die Motive des Gesetzgebers sind für sich allein kein Maßstab für die Sachlichkeit des Gesetzes. Soweit nicht verfassungsrechtliche Verpflichtungen bestehen - wie etwa punkto Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit im Steuerrecht, vgl. VfSlg. 12.940/1991 und 14.992/1997 -, bleibt es ihm überlassen, in welchem Grad er seine Absichten verwirklicht.

4. Was die Bevorzugung der Mehrlingsgeburten durch §3a KBGG betrifft, ist dem Verfassungsgerichtshof die - wohl auch vom Obersten Gerichtshof nicht bezweifelte - besondere Lage der Eltern von Mehrlingen offenkundig. Wie schon das OLG Graz in seinen Entscheidungen (7 Rs 78/05b ua.) betont, kann der Gesetzgeber davon ausgehen,

"dass Eltern von Mehrlingen hinsichtlich dieser Betreuung stärker belastet sind als andere Eltern und sich häufig mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass die finanziellen Aufwendungen im Verhältnis zu jenen Eltern, deren Kinder nacheinander geboren werden, deutlich höher sind".

Dazu kommt, dass die besondere Behandlung von Mehrlingsgeburten auch dem Umstand Rechnung trägt, dass die durch sie eintretende Mehrbelastung nicht einmal - wie sonst - durch eine längere Bezugsdauer ausgeglichen würde. Die Bedachtnahme auf diese besondere Art der Belastung zwingt den Gesetzgeber nicht, auch die höhere Belastung durch mehrere aufeinander folgende Kinder allgemein - über die längere Bezugsdauer hinaus - zu berücksichtigen.

Insgesamt erweisen sich die Bedenken des Obersten Gerichtshofes daher als nicht begründet.

Die Anträge sind abzuweisen.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs4 erster Satz VfGG).

Schlagworte

Kinderbetreuungsgeld, VfGH / Präjudizialität, Rechtspolitik

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:G43.2006

Dokumentnummer

JFT_09938996_06G00043_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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