Index
50 GewerberechtNorm
B-VG Art18 Abs2Beachte
Kundmachung am 5. Dezember 1986, BGBl. 645/1986; Anlaßfälle B588/85, B697/85 und B948/85, alle vom 29. September 1986 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster VfSlg. 10698/1985Leitsatz
AutomatenV der Stadt Sbg.; in der Z2 des ersten Absatzes Verbotszonen bei sämtlichen Aufnahmestellen der Obus- und Autobuslinien festgesetzt - Überschreiten der eng auszulegenden Verordnungsermächtigung des §52 Abs4 Z2 GewO; Aufhebung dieser VerordnungsstelleSpruch
I. Die Z2 des ersten Absatzes der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Sbg. vom 16. April 1982, mit welcher, gestützt auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619, die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Zuckerl-, Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstiger Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Mj. ausgerichtet sind, untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Beim VfGH ist zu B588/85 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Sbg. richtet. Mit diesem Bescheid wurde einer Berufung gegen ein Straferkenntnis des Bürgermeisters von Sbg. vom 23. Oktober 1984 keine Folge gegeben, mit welchem der Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO), iVm. Z1 und 2 des ersten Absatzes der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Sbg. vom 16. April 1982 (künftig: AutomatenV) mit einer Geldstrafe von 19000 S, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe von 36 Tagen, bestraft wurde (V30/86).
1.2. Weiters sind zu B697/85 (V31/86) und zu B948/85 (V32/86) Verfahren über auf Art144 B-VG gestützte Beschwerden anhängig, in denen die Bf. wegen Verwaltungsübertretungen nach §367 Z15 GewO iVm. Z1 und 2 des ersten Absatzes der AutomatenV mit einer Geldstrafe, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe, bestraft wurden.
2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerden beschlossen, die Z2 des ersten Absatzes der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.
2.2. Z2 des ersten Absatzes der in Frage stehenden Verordnung samt Einleitungssatz - die in Prüfung gezogene Z2 ist hervorgehoben - lauten:
"Zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Zuckerl-, Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstiger Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, an folgenden Orten untersagt:
2. Im Umkreis von 25 m von sämtlichen Aufnahmestellen der Obus- und Autobuslinien, gemessen von den Aufstellungsorten der Haltestellentafeln (Standsäulen oder sonstigen Anbringungsorten). Bei Doppelhaltestellen sind als Meßpunkte die jeweils äußeren Haltestellentafeln heranzuziehen."
2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, der lautet:
"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,
1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,
2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,
3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,
4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder
5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume
untersagen."
2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenV wie folgt umschrieben:
"§52 Abs4 Z2 GewO räumt dem Verordnungsgeber die Möglichkeit ein, den Vertrieb von Waren mittels Automaten bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs zu verbieten, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden. Die Z2 des ersten Absatzes der Verordnung des Bürgermeisters scheint darüber hinauszugehen, weil sie eine Verbotszone im Umkreis von 25 m von sämtlichen Aufnahmestellen der Obus- und Autobuslinien festlegt. Damit dürfte die Ermächtigung des Gesetzgebers überschritten worden sein. Es ist unwahrscheinlich, daß alle Haltestellen von unmündigen Minderjährigen viel frequentiert werden. Der VfGH hat das weitere Bedenken, daß auch gegen den Einleitungssatz des §52 Abs4 GewO verstoßen wird.
Die in Prüfung gezogene Z2 des ersten Absatzes der Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Salzburg vom 16. April 1982 scheint daher mit Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes belastet zu sein."
3. Die Verfahren sind zulässig.
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der Verordnung zweifeln ließe.
4. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie und der Bürgermeister von Sbg. haben zu den Verfahren (jeweils gleichlautende) Stellungnahmen abgegeben. Der Bürgermeister von Sbg. hat den Verordnungsakt und einen Plan von Sbg., in dem sämtliche Haltestellen des öffentlichen Verkehrs und alle Schulen, Sportplätze, Bäder und andere Freizeit- und Erholungseinrichtungen eingezeichnet sind, vorgelegt.
Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie nimmt zu den Bedenken des VfGH wie folgt Stellung:
"...
Nach Ansicht des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie sind jedenfalls Gemeinden denkbar, in denen sämtliche Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden. Die Bedenken des VfGH, es sei unwahrscheinlich, daß sämtliche Aufnahmestellen der Obus- und Autobuslinien erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Weg zur oder von der Schule benützt werden, erscheinen zutreffend, denn wenn es in der Stadt Sbg. auch nur eine Aufnahmestelle einer Obuslinie oder eine Aufnahmestelle einer Autobuslinie gibt, bei der die Erfahrung erweist, daß sie nicht viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt wird, müßte die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung wohl als gesetzwidrig angesehen werden. Da das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie aber keine genauere Kenntnis von den Gegebenheiten in der Stadt Salzburg hat, kann die vom VfGH ausgesprochene Vermutung, es sei unwahrscheinlich, daß alle Haltestellen von unmündigen Minderjährigen viel frequentiert werden, weder bestätigt noch widerlegt werden.
Im Hinblick auf das Vorgesagte sieht das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."
Der Bürgermeister von Sbg. verteidigt die Z2 des ersten Absatzes der AutomatenV:
"...
3. Zu diesen Bedenken des VfGH ist zunächst grundsätzlich auszuführen, daß bei der Auslegung der Bestimmung des §52 Abs4 Z2 GewO sicherlich zwischen Orten bzw. kleineren Städten (wie bei den bisherigen Beschwerdefällen vor dem VfGH, z. B. V36/84) mit einer leicht überschaubaren Haltestellenanzahl und größeren Städten mit mehreren Verkehrslinien und vielen Haltestellen zu differenzieren ist, während es in kleineren Städten durchaus möglich sein wird, in concreto bei jeder Haltestelle festzustellen, wieviele minderjährige Schüler diese Haltestelle täglich frequentieren, ist diese konkrete Feststellung in größeren Städten, insbesondere auch dort, wie in Salzburg, wo es keine eigenen Schulbushaltestellen gibt, nicht möglich. Es muß daher die Gesetzesbestimmung des §52 Abs4 Z2 GewO dahingehend interpretiert werden, daß es genügt, daß potentiell, abstrakt diese Haltestellen von vielen minderjährigen Schülern frequentiert werden. Ansonsten ist diese Gesetzesbestimmung für größere Städte, insbesondere für Landeshauptstädte unvollziehbar und könnte der vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutzzweck der Norm niemals erzielt werden. Im Gesetzestext ist auch lediglich verlangt, daß die Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs erfahrungsgemäß viel von Minderjährigen benützt werden. Eine konkrete Feststellung der Anzahl der Minderjährigen ist nicht gefordert.
Im Stadtgebiet der Landeshauptstadt Salzburg gibt es insgesamt 7 Obuslinien und 10 Autobuslinien mit ca. insgesamt 480 Haltestellen (davon ca. 200 als Doppel- bzw. Mehrfachhaltestellen). Es entspricht den üblichen Erfahrungswerten, daß in der Stadt Salzburg sämtliche Obus- und Autobuslinien im starken Ausmaß von unmündigen Minderjährigen frequentiert werden. Dies war bei der Erlassung der Verordnung bekannt und mußte bei den Überlegungen berücksichtigt werden. Die Einbeziehung sämtlicher Haltestellen in den Anwendungsbereich der Verordnung findet seine Begründung vor allem darin, daß bei der bereits erfolgten dichten Verbauung auch in den Außenbezirken der Stadt eine starke Schülerfrequenz praktisch bei jeder Haltestelle gegeben ist. Gerade in den Randbereichen der Stadt entstehen immer neue Siedlungen, in denen Familien mit Kindern einziehen, sodaß sich die Anzahl der die Haltestellen frequentierenden Minderjährigen ständig ändert. Ohne eine exakte Zählung bei einzelnen Haltestellen vorgenommen zu haben, wurde doch festgestellt, daß in den Morgenstunden vor Schulbeginn sowie am späteren Vormittag und gegen Mittag, wenn jeweils ein Großteil der Schüler die Heimfahrt antritt, sich bei allen Haltestellen Ansammlungen wartender Schüler bilden, bzw. Schüler in größerer Zahl die öffentlichen Verkehrsmittel verlassen. Dazu muß noch bedacht werden, daß in der Stadtgemeinde Salzburg zwar an Schüler grundsätzlich zur Schulfahrt nur Streckenkarten ausgegeben werden, durch eine kleine Aufzahlung aber anstelle der Streckenkarten Netzkarten ausgegeben werden, die die Inhaber berechtigen, sämtliche Linien zu benützen. Derzeit gibt es ca. '3500' solcher Fälle, wo durch Aufzahlung anstelle der Streckenkarte eine Netzkarte ausgegeben wurde. Dies verdeutlicht auch den Umstand, daß in einer Stadt wie Salzburg, in welcher sich die von den Minderjährigen benützten Einrichtungen (Schulen, Sportplätze, Bäder und andere Freizeit- und Erholungseinrichtungen) quer über das Stadtgebiet verstreut befinden, zwar keine exakte Zählung bei den einzelnen Haltestellen durchführbar ist, erfahrungsgemäß aber davon auszugehen ist, daß sämtliche Haltestellen viel von Minderjährigen benützt werden.
4. Die Stadtgemeinde Salzburg ist daher der Ansicht, daß die Einbeziehung sämtlicher Haltestellen in die gegenständliche Verordnung nicht nur durch das Gesetz gedeckt ist, sondern gewissermaßen eine Notwendigkeit darstellt, wenn man dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragen und jenen Zustand herbeiführen will, der durch die Novellierung der Gewerbeordnung angestrebt wurde.
Aus diesem Grunde wird die Auffassung vertreten, daß die in Prüfung gezogene Verordnung keineswegs die vom Gesetzgeber in §52 Abs4 enthaltene Verordnungsermächtigung überschreitet und daher nicht mit einer Gesetzwidrigkeit behaftet ist."
5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:
Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:
Der Bürgermeister von Sbg. meint, daß §52 Abs4 Z2 GewO dahin interpretiert werden müsse, daß es für die Erlassung eines Verbotes genügt, wenn die Haltestellen (in größeren Städten) "potentiell, abstrakt" von vielen Mj. frequentiert werden. Dem ist nicht zuzustimmen. Der Wortlaut der Z2 des §52 Abs4 GewO spricht (konkret) von "Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die ... benützt werden". Hätte der Gesetzgeber die Verordnungsermächtigung so gestalten wollen, wie sie der Bürgermeister von Sbg. aus dem Gesetz entnehmen will, so hätte er dies im Wortlaut auch zum Ausdruck bringen müssen und können.
Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie führt daher zutreffend aus, daß die geprüfte Verordnungsstelle schon dann gesetzwidrig sei, "... wenn es in der Stadt Salzburg auch nur eine Aufnahmestelle ..." des öffentlichen Verkehrs gibt, die nicht erfahrungsgemäß viel von unmündigen Mj. auf dem Wege zur oder von der Schule benützt wird. Er könne dazu keine konkreten Angaben machen. Der Bürgermeister von Sbg. führt in der Äußerung aus, daß eine starke Schülerfrequenz "praktisch" bei jeder Haltestelle gegeben sei. Im Begleitschreiben zum vorgelegten Lageplan sagt er, daß "sicherlich" jede Haltestelle viel frequentiert werde. Diese Äußerungen deuten schon darauf hin, daß nicht konkret jede Haltestelle dem Erfordernis des §52 Abs4 Z2 GewO entspricht. Der dem VfGH vorgelegte Lageplan bestätigt dieses Bild. Es gibt mehrere Haltestellen, die offensichtlich nicht dem vom Gesetz aufgestellten Erfordernis entsprechen.
Für eine enge Auslegung der Verordnungsermächtigung sprechen auch die Ausführungen in den EB zur RV (798 BlgNR XV. GP, S 9):
"Mit der vorgesehenen neuen Verordnungsermächtigung des §52 Abs4, die auf eine Anregung des Dachverbandes der Elternvereine an den öffentlichen Pflichtschulen Österreichs zurückgeht, soll einer allzu großen Massierung von Automaten in der Nähe von Schulen, Kinderspielplätzen uä. entgegengetreten werden können."
Dies zeigt, daß es nicht genügt, wenn die Haltestelle von einigen in der Umgebung wohnenden unmündigen Mj. im üblichen Ausmaß benützt wird. Das Gesetz verlangt mehr: nämlich, daß die Haltestelle "viel" - also öfter als andere Haltestellen - von unmündigen Mj. auf dem Wege zur oder von der Schule benützt wird.
Insgesamt ergibt sich, daß die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle im Gesetz keine Deckung findet.
6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Gewerberecht, AutomatenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:V30.1986Dokumentnummer
JFT_10139073_86V00030_00