TE Vfgh Erkenntnis 1986/9/27 V6/86, V7/86

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Veröffentlicht am 27.09.1986
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung 1973

Norm

B-VG Art18 Abs2
GewO 1973 §52 Abs4
AutomatenV des Bürgermeisters der Gemeinde Nußdorf-Debant vom 19.05.83

Beachte

Kundmachung am 5. Dezember 1986, BGBl. 646/1986; Anlaßfälle B665/84 und B824/84, beide vom 29. September 1986 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster VfSlg. 10698/1985

Leitsatz

AutomatenV des Bürgermeister der Gemeinde Nußdorf-Debant vom 19. Mai 1983; keine Deckung des (weiten) Untersagungsbereiches der Verordnung in §52 Abs4 GewO (unter Hinweis auf Erk. VfSlg. 10594/1985); Aufhebung der Verordnung als gesetzwidrig

Spruch

I. Die Z5 in §1 Abs1 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Nußdorf-Debant (Bezirk Lienz) vom 19. Mai 1983, mit welcher aufgrund des §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981 die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Mj. ausgerichtet sind, untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im BGBl. kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim VfGH ist zu B665/84 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tir. vom 18. Juni 1984 richtet. Mit diesem Bescheid wurde eine Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 2. April 1984 als unbegründet abgewiesen, mit welchem der Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO), iVm. 1 Abs1 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Nußdorf-Debant vom 19. Mai 1983 (künftig: AutomatenV) zu einer Geldstrafe von 2500 S, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Arreststrafe von 5 Tagen verurteilt wurde. Das angefochtene Erkenntnis wurde jedoch insofern abgeändert, als die Verwaltungsübertretung auf §367 Z15 GewO iVm. "§1 Abs1 lita" der AutomatenV gestützt wurde (V7/86).

1.2. Weiters ist zu B824/84 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde desselben Bf. anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tir. vom 3. September 1984 richtet, mit dem der Bf. wegen der gleichen Verwaltungsübertretung (gemäß §67 Z15 GewO iVm. §1 Abs1 Z5 lita der AutomatenV), die er zu einem anderen Zeitpunkt begangen habe, bestraft wurde (V6/86).

2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerden beschlossen, die Z5 in §1 Abs1 der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.

2.2. §1 Abs1 der Verordnung - die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben - lautet:

"(1) Zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten (z.B.: Kaugummiautomaten an Hauswänden, Zäunen usw.), die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im Umkreis von 200 m von der Volksschule Nußdorf und Volks-, Sonder- und Hauptschule Debant;

2. im Umkreis von 200 m vom Kindergarten Nußdorf-Debant, Industriestraße;

3. im Umkreis von 200 m vom Kinderspielplatz Nußdorf-Debant, Pestalozzistraße;

4. im Umkreis von 200 m vom SOS-Kinderdorf in Debant;

5. im Umkreis von 200 m von Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs (Post, ÖBB- u. Schülerzubringerdienst)

a) im Bereich der Großglockner Bundesstraße B 107a in Debant (auf Höhe der Schuhfabrik GABOR, Getränkevertrieb SCHWARZER, des Gasthauses Dolomitenrast und Kaufhauses FIECHTNER, der Volks-, Haupt- und Sonderschule Nußdorf-Debant)

b) im Bereich der Drautal-Bundesstraße B 100 (auf Höhe des Gasthauses 'Kristallstüberl' in Debant)

c) im Bereich Nußdorf-Dorfplatz und Nußdorf-Wartschensiedlung

untersagt."

2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, der lautet:

"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume

untersagen."

2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenV wie folgt umschrieben:

"Mit der in Prüfung gezogenen Regelung wird u. a. eine Verbotszone in einem Umkreis von 200 m für bestimmte Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs im Sinne des §52 Abs4 Z2 und 3 GewO verfügt. Die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle scheint §52 Abs4 GewO zu widersprechen, weil die Festlegung eines 'näheren Umkreises' als Verbotszone nur nach dessen Z1 und 5, also für Schulen und Plätze, die von unmündigen Minderjährigen frequentiert werden, vorgesehen ist, nicht aber nach dessen Z2 und 3, die Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und Schulbushaltestellen betreffen und ein Verbot, Automaten aufzustellen, lediglich in unmittelbarer Nähe der Haltestellen erlauben (vgl. VfGH 2. 10. 1985 V36/84).

Der VfGH hat aber auch das weitere Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle dem Einleitungssatz des Abs4 des §52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu VfGH 16. 6. 1984, B410/83). Hieran gemessen ist nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 200 m einer Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs gegeben ist.

Der VfGH hegt daher das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen ist. §1 Abs1 Z5 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Nußdorf-Debant vom 19. Mai 1983 dürfte zufolge seiner sprachlichen Fassung untrennbar sein und daher zur Gänze mit Gesetzwidrigkeit seines Inhaltes belastet sein."

3. Die Verfahren sind zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der Verordnung zweifeln ließe.

4. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat zu den Verfahren (gleichlautende) Äußerungen erstattet. Der Bürgermeister der Gemeinde Nußdorf-Debant hat weder die Verwaltungsakten vorgelegt noch eine Äußerung erstattet.

Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie nimmt zu diesen Bedenken wie folgt Stellung:

"In seinem Erkenntnis vom 2. Oktober 1985, GZ V36/84, ist der VfGH davon ausgegangen, daß bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie schließt sich den Bedenken des VfGH gegen die durch die in Prüfung gezogen Regelung geschaffene Verbotszone in einem Umkreis von 200 m bestimmter Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs grundsätzlich an.

Die Festlegung einer Verbotszone in einem Umkreis von mehr als 50 m von bestimmten Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs scheint jedoch dann nicht völlig ausgeschlossen, wenn für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels bestimmter Automaten, geeignete Anbringungs- oder Aufstellungsorte erst in einer größeren Distanz als 50 m zu finden sind oder wenn die durchschnittliche Wartezeit der unmündigen Minderjährigen bei Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs größer ist als jene Gehzeit, die sie zum Aufsuchen von im näheren Umfeld der Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs aufgestellten Automaten und zur Rückkehr zu der betreffenden Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs benötigen.

Mangels Kenntnis des am Ort gegebenen Sachverhaltes kann im vorliegenden Fall aber keine abschließende Beurteilung vorgenommen werden.

Es ist auch nicht völlig undenkbar, daß die Schutzbedürftigkeit unmündiger Minderjähriger in Hinsicht auf die durch die gewerbliche Tätigkeit mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, ausgelösten unüberlegten Geldausgaben auch noch im Umkreis von 200 m einer Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs gegeben ist und damit auch die Voraussetzungen des Einleitungssatzes des §52 Abs4 GewO 1973 vorliegen. Zu der verbreiteten Erscheinung, daß sich der Appetit auf die durch die Automaten angebotenen Waren gleichsam von einem Mitglied einer Gruppe unmündiger Minderjähriger auf die anderen Mitglieder dieser Gruppe überträgt, kann es unter Umständen auch noch im Umkreis von 200 m von einer Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs kommen.

Im Hinblick auf das Vorgesagte sieht das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."

5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

Der Sache nach hat der VfGH gegen diese AutomatenV dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Fall V36/84 vom 2. Oktober 1985 zur Aufhebung der dort geprüften Verordnung bewogen haben. In diesem Erkenntnis hat der VfGH zur Frage, was unter "bei" einer Haltestelle verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes geäußert:

"Der VfGH verschließt sich auch nicht der Überlegung des Bürgermeisters, daß die konkreten Umstände dafür maßgeblich sind, ob ein Untersagungsbereich weiter oder enger zu ziehen ist. Der VfGH ist jedoch der Meinung, daß für Haltestellen im Ortsbereich die Festlegung eines Umkreises von 300 m im Gesetz keinesfalls Deckung findet; das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, da bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet."

Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des §52 Abs4 GewO abzugehen. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat lediglich darauf verwiesen, daß bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine größere Distanz als 50 m im Umkreis von Haltestellen zu rechtfertigen wäre, konnte aber nicht begründen, warum im konkreten Fall die Festlegung eines Umkreises von 200 m gerechtfertigt sein sollte.

Daraus ergibt sich, daß die aufgeworfenen Bedenken zutreffen und die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle nicht dem Gesetz entspricht.

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Gewerberecht, Automaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:V6.1986

Dokumentnummer

JFT_10139073_86V00006_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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