TE Vfgh Erkenntnis 1986/9/27 V8/86, V9/86

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Veröffentlicht am 27.09.1986
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung 1973

Norm

AutomatenV des Bürgermeisters der Gemeinde Virgen vom 28.07.82
B-VG Art18 Abs2
GewO 1973 §52 Abs4

Beachte

Kundmachung am 19. Dezember 1986, BGBl. 674/1986; Anlaßfälle B6/84 und B193/84, beide vom 24. September 1986 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster VfSlg. 10698/1985

Leitsatz

AutomatenV des Bürgermeisters der Gemeinde Virgen vom 28. Juli 1982; keine Deckung des weiten Untersagungsbereiches der Verordnungsstelle in §52 Abs4 GewO (unter Hinweis auf Erk. VfSlg. 10594/1985); Aufhebung eines Ausdruckes in der Z3 des §1 Abs1 der Verordnung

Spruch

I. Das Wort ", Virgen-Dorf" in der Z3 des §1 Abs1 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Virgen (Bezirk Lienz, Osttirol) vom 28. Juli 1982, mit welcher, gestützt auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619, die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Mj. ausgerichtet sind, untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim VfGH ist zu B193/84 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tir. vom 31. Jänner 1984 richtet. Mit diesem Bescheid wurde ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 29. Dezember 1983 bestätigt, mit dem der Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 iVm. §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO), und der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Virgen vom 28. Juli 1982 (künftig: AutomatenV) mit einer Geldstrafe von 2000 S, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe von 3 Tagen bestraft wurde. Der Bf. habe in Virgen ... in einem Abstand von weniger als 200 m von der Postautohaltestelle Virgen-Dorf und demnach innerhalb des in §1 Abs1 Z3 der Verordnung festgelegten Verbotsbereiches einen Warenautomaten zum Vertrieb von Kaugummi und Spielzeug betrieben.

1.2. Weiters ist zu B6/84 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid richtet, mit dem die Bf. mit einer Verwaltungsstrafe wie der Bf. des Verfahrens B193/84 bestraft wurde, da sie in Virgen ... in einem Abstand von weniger als 200 m von der Postautohaltestelle Virgen-Dorf und demnach innerhalb des in §1 Abs1 Z3 der Verordnung festgelegten Verbotsbereiches einen Warenautomaten zum Vertrieb von Kaugummi und Spielzeug betreibe.

2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerden beschlossen, das Wort ", Virgen-Dorf" der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.

2.2. §1 Abs1 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Virgen vom 28. Juli 1982 - das in Prüfung gezogene Wort ", Virgen-Dorf" in der Z3 ist hervorgehoben - lautet:

"§1 (1) Zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten (z.B.: Kaugummiautomaten an Hauswänden, Zäunen usw.), die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im Umkreis von 200 m von der Volks- und Hauptschule Virgen,

2. im Umkreis von 200 m vom Kindergarten in Virgen Nr. 1,

3. im Umkreis von 200 m von den Postautohaltestellen in Mitteldorf, Virgen-Weite, Virgen-Dorf und Obermauern sowie

4. im Umkreis von 200 m von den Schülerbushaltestellen in Welzelach, Rain, Gries, Niedermauern, Obermauern, Virgen-Dorf, Virgen-Weite und Mitteldorf

untersagt."

2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, der lautet:

"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume

untersagen."

2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenV wie folgt umschrieben:

"Mit der in Prüfung gezogenen Regelung wird eine Verbotszone in einem Umkreis von 200 m von einer Postautohaltestelle, und damit von einer Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs im Sinne des §52 Abs4 Z2 GewO verfügt. Der in der Verordnung für den Ortsbereich Virgen-Dorf in der Z3 iVm dem Einleitungssatz des §1 Abs1 verfügte Verbotsbereich scheint §52 Abs4 GewO zu widersprechen, weil die Festlegung eines 'näheren Umkreises' als Verbotszone nur nach den Z1 und 5 des §52 Abs4 GewO, also für Schulen und Plätze, die von unmündigen Minderjährigen frequentiert werden, vorgesehen ist, nicht aber nach dessen Z2 und 3, die Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und Schulbushaltestellen betreffen und ein Verbot, Automaten aufzustellen, lediglich in unmittelbarer Nähe der Haltestellen erlauben (vgl. VfGH 2. 10. 1985 V36/84).

Der VfGH hat aber auch das weitere Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnung dem Einleitungssatz des Abs4 des §52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu VfGH 16. 6. 1984, B410/83). Es ist nämlich nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 200 m einer Postautohaltestelle gegeben ist.

Der VfGH hegt daher das Bedenken, daß die in Z3 des §1 Abs1 für die Haltestelle Virgen-Dorf verfügte (Verbots-)Regelung mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen ist. Die in Prüfung gezogene Haltestellenbezeichnung 'Virgen-Dorf' in der Z3 des §1 Abs1 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Virgen vom 28. Juli 1982 scheint daher mit Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes belastet zu sein."

3. Die Verfahren sind zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der AutomatenV zweifeln ließe.

4. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie und der Bürgermeister von Virgen haben in den Verfahren eine (jeweils gleichlautende) Äußerung erstattet.

Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie nimmt zu den Bedenken des VfGH wie folgt Stellung:

"In seinem Erkenntnis vom 2. Oktober 1985, GZ V36/84, ist der VfGH davon ausgegangen, daß bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie schließt sich den Bedenken des VfGH gegen die durch die in Prüfung gezogene Regelung geschaffene Verbotszone in einem Umkreis von 200 m einer Postautohaltestelle grundsätzlich an. Die Festlegung einer Verbotszone in einem Umkreis von mehr als 50 m von bestimmten Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs scheint jedoch dann nicht völlig ausgeschlossen, wenn für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels bestimmter Automaten geeignete Anbringungs- oder Aufstellungsorte erst in einer größeren Distanz als 50 m zu finden sind oder wenn die durchschnittliche Wartezeit der unmündigen Minderjährigen bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs größer ist als jene Gehzeit, die sie zum Aufsuchen von im näheren Umfeld der Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs aufgestellten Automaten und zur Rückkehr zu der betreffenden Haltestelle benötigen.

Mangels Kenntnis des am Ort gegebenen Sachverhaltes kann im vorliegenden Fall aber keine abschließende Beurteilung erfolgen.

Zu den weiteren Bedenken des VfGH, ob das im Einleitungssatz des §52 Abs4 GewO 1973 festgelegte Erfordernis im Umkreis von 200 m einer Postautohaltestelle gegeben sei, wird noch folgendes bemerkt:

Es ist nicht völlig undenkbar, daß die Schutzbedürftigkeit unmündiger Minderjähriger in Hinsicht auf die durch die gewerbliche Tätigkeit mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, ausgelösten unüberlegten Geldausgaben auch noch im Umkreis von 200 m einer Postautohaltestelle gegeben ist. Zu der verbreiteten Erscheinung, daß sich der Appetit auf die durch die Automaten angebotenen Waren gleichsam von einem Mitglied einer Gruppe unmündiger Minderjähriger auf die anderen Mitglieder dieser Gruppe überträgt, kann es unter Umständen auch noch im Umkreis von 200 m einer Postautohaltestelle kommen.

Im Hinblick auf das Vorgesagte sieht das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."

Der Bürgermeister von Virgen erstattete folgende Äußerung:

"1. In der Verordnung der Gemeinde Virgen vom 28. Juli 1982 wurden die Postautohaltestellen deshalb angeführt, weil diese auch von den Fahrschülern (Volks- und Hauptschüler, Schüler des Polytechnischen Lehrganges) während der Schultage frequentiert werden.

2. ...

3. Der im Abs1 Z1 bis 4 der Verordnung vom 28. 7. 1982 angeführte Umkreis von '200 m' wurde deshalb gewählt, weil angenommen wurde, daß die Schüler während der verschieden langen Wartezeiten auch die von der Haltestelle bis zu 200 m entfernt angebrachten Warenautomaten aufsuchen und diese Automaten auch noch in 200 m Entfernung von Schule und Haltestellen unmündige Minderjährige zur unüberlegten Geldausgabe verleiten würden."

5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

Der Sache nach hat der VfGH gegen diese AutomatenV dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Fall VfSlg. 10594/1985 zur Aufhebung der dort geprüften Verordnung bewogen haben. In diesem Erkenntnis hat der VfGH zur Frage, was unter "bei einer Haltestelle" verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes geäußert:

"Der VfGH verschließt sich auch nicht der Überlegung des Bürgermeisters, daß die konkreten Umstände dafür maßgeblich sind, ob ein Untersagungsbereich weiter oder enger zu ziehen ist. Der VfGH ist jedoch der Meinung, daß für Haltestellen im Ortsbereich die Festlegung eines Umkreises von 300 m im Gesetz keinesfalls Deckung findet; das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, da bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet."

Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des §52 Abs4 GewO abzugehen. Dem Bürgermeister und dem Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie gelingt es in ihren Äußerungen nicht zu begründen, warum bei einer Entfernung von 200 m noch davon gesprochen werden könnte, daß sich ein Warenautomat "bei" einer Haltestelle befindet. Die vage Vermutung, daß konkrete Umstände vorliegen könnten, die geeignet seien, in diesem Fall einen Verbotsumkreis von 200 m zu rechtfertigen, ist nicht geeignet, die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsstelle zu begründen.

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Gewerberecht, Automaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:V8.1986

Dokumentnummer

JFT_10139073_86V00008_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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