TE Vfgh Beschluss 1986/9/29 V72/86, G146/86

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Veröffentlicht am 29.09.1986
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StadterneuerungsV 1984 §2
StadterneuerungsG §33

Leitsatz

Art139 Abs1, Art140 Abs1 B-VG; Individualanträge auf Aufhebung des §2 StadterneuerungsV und des §33 StadterneuerungsG; Einbringung einer zivilprozessualen (negativen) Feststellungsklage gegen den Wohnhaus-Wiederaufbau- und Stadterneuerungsfonds zumutbar; Mangel der Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. E R stellte mit Schriftsatz vom 15. September 1986 gemäß Art140 Abs1 letzter Satz und Art139 Abs1 letzter Satz B-VG den Antrag, der VfGH möge aus näher bezeichneten Gründen folgende, sie unmittelbar in ihren Rechten verletzende Normen, nämlich §33 Abs3 Stadterneuerungsgesetz, BGBl. 287/1974, idF BGBl. 483/1984 als verfassungswidrig und §2 der aufgrund dieser Gesetzesstelle erlassenen Verordnung des Bundesministers für Bauten und Technik vom 14. Dezember 1984, betreffend die Förderung von Maßnahmen zur Stadterneuerung (Stadterneuerungs-V 1984), BGBl. 528/1984, idF BGBl. 158/1985 als gesetzwidrig aufheben.

2. Über den Antrag wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz (Art139 Abs1 letzter Satz) B-VG idF BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Verfassungswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) von Gesetzen (Verordnungen) auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz (die Verordnung) ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides (für diese Person) wirksam geworden ist.

2.1.2. Der VfGH vertritt seit den Beschl. VfSlg. 8009/1977 und 8058/1977 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 (Art139 Abs1) B-VG setze voraus, daß die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen muß und daß der durch Art140 Abs1 (Art139 Abs1) B-VG eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, dem einzelnen Rechtsunterworfenen Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 9062/1981, 9685/1983).

2.2.1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin einer mit Mitteln des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds geförderten Eigentumswohnung. Ihr bzw. ihrem Rechtsvorgänger wurde ein Darlehen nach dem Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz, BGBl. 130/1948, zugezählt, welches mit einem Restbetrag aushaftet. Sie hat aufgrund der angefochtenen Gesetzesbestimmung und der ebenfalls angefochtenen Verordnung des Bundesministers für Bauten und Technik - anders als früher - Darlehenszinsen in bestimmter Höhe zu bezahlen.

Der abgeschlossene Darlehensvertrag ist ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis; Streitigkeiten daraus fallen als bürgerliche Rechtssachen in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte (vgl. VfSlg. 10785/1986). Davon geht der Sache nach auch die Einschreiterin aus.

2.2.2. Die Antragstellerin räumt zwar - teils ausdrücklich, teils sinngemäß - ein, daß ihr seit dem Inkrafttreten der angefochtenen Normen die Einbringung einer entsprechenden zivilprozessualen (negativen) Feststellungsklage gegen den Wohnhaus-Wiederaufbau- und Stadterneuerungsfonds möglich sei; sie vertritt aber die Auffassung, daß ihr die Führung eines solchen Prozesses nicht zugemutet werden könne.

Dieser Rechtsansicht kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Wie der VfGH bereits - in ähnlich gelagerten Fällen - aussprach (vgl. zB VfSlg. 9685/1983, 10785/1986), war und ist es einer Normunterworfenen wie hier der Antragstellerin durchaus zumutbar, einen Rechtsstreit der in Rede stehenden Art anzustrengen, in einem solchen Verfahren verfassungsrechtliche Bedenken gegen präjudizielle Bestimmungen des Stadterneuerungsgesetzes vorzutragen und vor dem Gericht der zweiten Rechtsstufe die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags beim VfGH anzuregen; aus dem Vorbringen der Antragstellerin resultierende Bedenken gegen die Stadterneuerungsverordnung würden sogar schon das Gericht erster Instanz zur Einbringung eines Aufhebungsantrags iS des Art89 Abs2 B-VG verpflichten.

Wollte man allein wegen des Prozeßrisikos und der damit verbundenen Kostenfolgen grundsätzlich davon ausgehen, daß die Beschreitung des Zivilrechtsweges unzumutbar sei, verlöre die in Art140 Abs1 (Art139 Abs1) B-VG enthaltene Einschränkung "sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung ... für diese Person wirksam geworden ist" ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich (VfSlg. 10785/1986).

Daran vermag auch nichts zu ändern, daß der VfGH mit Beschl. vom 6. März 1986, V41/85-11, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §33 Abs3 Stadterneuerungsgesetz, BGBl. 287/1974, idF BGBl. 483/1984 einleitete, das zur Zeit anhängig ist.

2.3. Der Antrag war - aus den dargelegten Erwägungen - mangels Legitimation der Antragstellerin als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Wohnsiedlungswesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:V72.1986

Dokumentnummer

JFT_10139071_86V00072_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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