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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung einer Wortfolge in §89a Abs5 StVO 1960; nur auf sog. "Zulassungsbesitzer" anzuwendende (Sonder-)Norm; hier keine aufrechte Zulassung für das abgeschleppte Fahrzeug; unmittelbares Wirksamwerden der Norm für die antragstellende Bank (Vorbehaltseigentümerin) ausgeschlossen; Mangel der Antragslegitimation Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des 1. Satzes des §89a Abs6 StVO 1960; mangels einer nach §89a Abs5 ordnungsgemäßen Übernahmsaufforderung an den "unbekannten Eigentümer" gemäß §89a Abs6 kein Eigentumsübergang (auf den Straßenerhalter) möglich; kein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre der antragstellenden Bank (Vorbehaltseigentümerin); Mangel der AntragslegitimationSpruch
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1. Aus den insoweit unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Antragstellerin, der Äußerung der Bundesregierung, den - in Kopie - vorgelegten Schriftstücken (Rechnung und Kreditantrag vom 28. April 1982, Zessionsanbot vom 30. April 1982) und aus dem vom VfGH beigeschafften Verwaltungsakt des Magistrats der Stadt Wien AZ MA 48/A3-J11/83 ergibt sich folgender Sachverhalt:
1.1.1. Im April 1982 wurde zwischen P S, Wien, ..., als Käufer und der ... Auto Gesellschaft mbH, Wien, ..., als Verkäuferin ein Kaufvertrag über einen LKW, VW LT 35, mit der Motornummer: CH 019485 und der Fahrgestellnummer: 2972506414 abgeschlossen; darin wurde ua. der Vorbehalt des Eigentumsrechts der Verkäuferin bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises in der Höhe von 60000 S vereinbart.
Die Verkäuferin trat in der Folge ihre Kaufpreis(rest)forderung der Kreditbank ... Gesellschaft mbH (das ist die nunmehrige Antragstellerin in diesem Gesetzesprüfungsverfahren; fortan Antragstellerin genannt) - aufgrund einer Einlösungszahlung - ab und übertrug ihr zugleich das Vorbehaltseigentum an dem Kaufgegenstand.
1.1.2. Wie sich aus dem Verwaltungsakt des Magistrats der Stadt Wien AZ MA 48/A3-J11/83 ergibt, wurde der verkaufte LKW am 28. April 1982 unter dem Kennzeichen W ... zum Verkehr zugelassen. Diese auf P S, Wien, ..., lautende Zulassung wurde bereits am 24. Juni 1982 aufgehoben.
1.1.3.1. Aufgrund einer Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien wurde der in Rede stehende, in Wien, ..., ohne Kennzeichentafeln abgestellte (nicht mehr zum Verkehr zugelassene) LKW am 18. Jänner 1983 von Organen des Magistrats der Stadt Wien gemäß §89a StVO 1960 abgeschleppt und nach 1100 Wien, Eibesbrunnergasse 9, verbracht.
1.1.3.2. Am 19. Jänner 1983 erließ der Magistrat der Stadt Wien in Handhabung der Bestimmung des §89a Abs5 StVO 1960 unter der Zahl MA 48/A3-J11/83 folgende "Aufforderung":
"MAGISTRAT DER STADT WIEN
Magistratsabteilung 48
1100 Wien, Eibesbrunnergasse 9
MA 48/A3-J 11/83 Wien, 1983 01 19
Fahrzeugabschleppung gem. §89a Abs2 StVO 1960 -
Aufforderung zur Übernahme
des Fahrzeuges
Parteiengehör gem. §45 Abs3 AVG
An den
unbekannten Eigentümer
Sehr Geehrte!
Sie wurden als letzter Zulassungsbesitzer/Inhaber des Kraftfahrzeuges VW LT 35, weiß, ermittelt. Dieses Fahrzeug wurde am 18. 1. 1983 gemäß §89a Abs2 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159, in der geltenden Fassung, von Wien, ..., entfernt.
Sofern das Fahrzeug noch nicht übernommen worden ist, hat die Behörde den Eigentümer aufzufordern, das Fahrzeug innerhalb einer Frist von zwei Monaten, gerechnet vom Tage der Zustellung der Aufforderung, zu übernehmen. Nach erfolglosem Ablauf der gemäß §89a Abs5 leg. cit. gesetzten Frist geht das Fahrzeug in das Eigentum des Erhalters jener Straße über, von der das Fahrzeug entfernt worden ist.
Die Kosten sind gemäß §89a Abs7 leg. cit. von demjenigen zu tragen, der im Zeitpunkt des Aufstellens des Fahrzeuges dessen Inhaber war. Diese betragen für die Entfernung 1231 S und für die Aufbewahrung pro Tag 29 S.
Sollten Sie zum Zeitpunkt des Aufstellens des Fahrzeuges nicht dessen Inhaber bzw. Eigentümer gewesen sein, werden Sie eingeladen, bis zum Ende der Verwahrungsfrist gemäß §89a Abs5 StVO entweder schriftlich Stellung zu nehmen oder, unter Mitnahme dieses Schreibens und eines Identitätsnachweises, bei diesem Amte, 1100 Wien, Eibesbrunnergasse 9, von Montag bis Freitag in der Zeit von 8 - 10 Uhr persönlich zu erscheinen bzw. einen mit der Sachlage vertrauten und schriftlich bevollmächtigten Vertreter zu entsenden. Gleichzeitig werden Sie aufgefordert, zweckdienliche Beweismittel, die zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet sind, beizubringen.
Falls Sie diesem Ersuchen keine Folge leisten bzw. die Weitergabe des Fahrzeuges nicht glaubhaft machen können, so werden Ihnen die o. a. Kosten bescheidmäßig auferlegt werden ..."
Dieses (Aufforderungs-)Schreiben wurde durch Anschlag an der Amtstafel der Magistratsabteilung 48 in der Zeit vom 19. Jänner 1983 bis 2. Feber 1983 kundgemacht.
1.1.3.3. Ein nahezu wortgleiches, an P S gerichtetes (Aufforderungs-)Schreiben des Magistrats der Stadt Wien vom 22. Feber 1983, Z MA 48/A3-J11/83, konnte, wie aus dem Verwaltungsakt ersichtlich, wegen unbekannten Aufenthaltes des Adressaten (s. Blatt 12 des Verwaltungsaktes) nicht zugestellt werden.
1.1.3.4. Zu weiteren Maßnahmen iS des §89a Abs5 StVO 1960 kam es nach der Aktenlage nicht.
1.1.4. Am 1. Juni 1983 wurde der zu Punkt 1.1.1. bezeichnete LKW von der Stadt Wien - in der Annahme, sie sei infolge des "erfolglosen Ablaufes" der gemäß §89a Abs5 StVO 1960 gesetzten Abholungs-(Übernahms-)Frist iS des §89a Abs6 Satz 1 leg. cit. Eigentümerin geworden - einer wirtschaftlichen Verwertung, und zwar in Form einer Versteigerung durch das Dorotheum, Zweigstelle 1080 Wien, Feldgasse 8, zugeführt (s. dazu Bl. 23 und 53 verso des Verwaltungsaktes). Dabei wurde ein Erlös von 25000 S erzielt.
1.2.1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten (Individual-)Antrag begehrt die Kreditbank ... Gesellschaft mbH die Aufhebung der Wortfolge "im Falle des Entfernens eines zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeuges oder Anhängers jedoch den Zulassungsbesitzer" in §89a Abs5 StVO 1960 sowie des 1. Satzes des §89a Abs6 StVO 1960 wegen Verfassungswidrigkeit.
Die Verfassungswidrigkeit der oben angeführten Wortfolge des §89a Abs5 leg. cit. wird darin erblickt, daß bei einem abgeschleppten, jedoch zum Verkehr zugelassenen KFZ nur der Zulassungsbesitzer, nicht auch der Eigentümer zur Übernahme aufgefordert werden müsse; bleibe der Zulassungsbesitzer untätig, bedeute das, daß der Eigentümer seines dinglichen Rechtes ex lege verlustig gehe, ohne selbst Maßnahmen zur Verteidigung seiner Rechtsposition treffen zu können.
Ferner wird vorgebracht, daß weder die durch §89a Abs6 Satz 1 leg. cit. verfügte Enteignung im öffentlichen Interesse liege noch sachliche Gründe für einen entschädigungslosen Eigentumsübergang erkennbar seien.
1.2.2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zur Wortfolge "im Falle ... den Zulassungsbesitzer" in §89a Abs5 leg. cit. die Zurückweisung, zum 1. Satz des §89a Abs6 leg. cit. hingegen die Abweisung des Antrages begehrte.
1.3. Die Absätze 5 und 6 des mit "Entfernung von Hindernissen" überschriebenen §89a StVO 1960 haben folgenden Wortlaut:
"(5) Sofern der Gegenstand noch nicht übernommen worden ist, hat die Behörde innerhalb einer Frist von einer Woche nach dem Entfernen des Gegenstandes den Eigentümer, im Falle des Entfernen seines zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeuges oder Anhängers jedoch den Zulassungsbesitzer, durch Zustellung zu eigenen Handen (§24 AVG 1950) aufzufordern, den Gegenstand innerhalb einer Frist von sechs Monaten, einen im letzten Satz des Abs2 genannten Gegenstand aber innerhalb einer Frist von zwei Monaten, gerechnet vom Tage der Zustellung, zu übernehmen.
Die Bestimmung des §29 AVG 1950 über die Zustellung an Personen, deren Wohnung unbekannt ist, gilt in diesem Falle sinngemäß, wenn die Person, an welche die Aufforderung zu richten wäre, nicht festgestellt werden kann.
(6) Nach erfolglosem Ablauf der gemäß Abs5 gesetzten Frist geht das Eigentum am entfernten Gegenstand auf den Erhalter jener Straße über, von der der Gegenstand entfernt worden ist. Dieser Eigentumsübergang findet jedoch nicht statt, wenn
a) der Gegenstand zu einem Zeitpunkt aufgestellt oder gelagert worden ist, zu dem die Voraussetzungen zur Entfernung nach Abs2 oder 3 noch nicht vorlagen und dem Inhaber des Gegenstandes der bevorstehende Eintritt der Voraussetzungen nicht bekannt war und
b) die Aufstellung oder Lagerung nicht schon von Anbeginn gesetzwidrig war."
(Die Hervorhebungen kennzeichnen die zur Aufhebung begehrten Bestimmungen.)
2. Über die Anträge wurde erwogen:
2.1. Voraussetzung der Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG ist es auch, daß das angefochtene Gesetz für den Antragsteller nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam wurde (s. zB VfSlg. 8009/1977).
Anfechtungsberechtigt ist also von vornherein nur derjenige, an den sich die angefochtene Bestimmung wendet (Normadressat). Der VfGH hat hiebei lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Rechtswirkungen des Gesetzes vorliegen; hingegen ist nicht zu prüfen, ob die Norm für den Antragsteller (auch) andere Wirkungen entfalten könnte.
2.2. Zur Wortfolge "im Falle des Entfernens ... jedoch den Zulassungsbesitzer" in §89a Abs5 StVO 1960
2.2.1. Diese Gesetzesstelle verpflichtet die Behörde, den Zulassungsbesitzer eines zum Verkehr zugelassenen KFZ oder Anhängers - nicht etwa auch den Besitzer eines nicht (mehr) zum Verkehr zugelassenen KFZ (Anhängers) oder sonstigen Gegenstands - zur Abholung aufzufordern, wenn eine Abschleppung stattgefunden hatte; sie stellt sich somit als eine nur auf sog. "Zulassungsbesitzer" anzuwendende (Sonder-)Norm dar.
2.2.2. Angesichts dieses Gesetzesinhaltes und des Umstandes, daß für das hier abgeschleppte Fahrzeug gar keine aufrechte Zulassung bestand (vgl. dazu den zu Punkt 1. 1.2. festgestellten Sachverhalt), ist es ausgeschlossen, daß die zur Aufhebung beantragte Wortfolge des §89a Abs5 StVO 1960 für die Einschreiterin unmittelbar wirksam wurde, wie dies Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Prozeßvoraussetzung fordert.
In diesem Umfang kommt daher der Kreditbank ... Gesellschaft mbH keine Antragsberechtigung nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG zu.
2.3. Zum 1. Satz des §89a Abs6 StVO 1960
2.3.1. Diese Bestimmung sieht vor, daß das Eigentum an dem abgeschleppten Gegenstand nach ergebnislosem Verstreichen der gemäß §89a Abs5 leg. cit. bestimmten Übernahmsfrist von Gesetzes wegen, dh. ohne Dazwischentreten weiterer Verwaltungsakte, auf den Straßenerhalter übergeht.
Ein derartiger Eigentumsübergang iS des §89a Abs6 leg. cit. tritt aber nur unter zwei Voraussetzungen ein: Zum einen bedarf es einer gültigen, den (Mindest-)Erfordernissen des §89a Abs5 leg. cit. genügenden Übernahmsaufforderung, zum anderen muß die - ab rechtmäßiger Zustellung der Aufforderung gemäß Abs5 zu berechnende - Abholfrist ungenützt verstrichen sein.
2.3.2. Schon die erste dieser beiden Voraussetzungen war nicht gegeben:
2.3.2.1. Fest steht, daß der entfernte LKW am 18. Jänner 1983 (das ist der Tag der Abschleppung) nicht zum Verkehr zugelassen war. Somit hätte die Behörde den Fahrzeugeigentümer iS des §89a Abs5 leg. cit. zur Übernahme auffordern müssen. In einer solchen Aufforderung, sofern sie - wie hier - an "unbekannte Eigentümer" ergeht, ist der zu übernehmende Gegenstand aber ausreichend zu bezeichnen, dh. in einer jede Verwechslung ausschließenden Art und Weise zu umschreiben, und zwar sowohl im Lichte der nach §89a Abs6 Satz 1 leg. cit. eintretenden Rechtsfolgen (Eigentumsverlust) als auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß nur eine objektbezogene, verwechslungssichere Kennzeichnung - bei KFZ regelmäßig durch Angabe der Fahrgestell- und unter Umständen der Motornummer - dem Leser des Anschlags (der Aufforderung) an der Amtstafel - und so auch dem zu verständigenden unbekannten Eigentümer - eine annähernd verläßliche Identifizierung der Sache ermöglicht.
2.3.2.2. Die im konkreten Fall an den "unbekannten Eigentümer" erlassene Aufforderung entspricht nicht den gesetzlichen Mindesterfordernissen:
Das zu übernehmende (kennzeichenlose) KFZ wurde lediglich - völlig unzulänglich - mit "VW LT 35, weiß" bezeichnet, ohne die Motorund/oder Fahrgestellnummer zu nennen, was wegen der Vielzahl derartiger LKW eine zweifelsfreie Zuordnung zu einem bestimmten Eigentümer keineswegs zuließ.
2.3.3. Von einer ordnungsgemäßen (rechtswirksamen) Verständigung des (unbekannten) Eigentümers iS des §89a Abs5 leg. cit. kann nach den Ausführungen zu Punkt 2.3.2. also nicht die Rede sein.
Daraus folgt zugleich, daß es - entgegen der Auffassung der Stadt Wien - zum Eigentumsübergang iS des §89a Abs6 leg. cit. (auf den Straßenerhalter) nicht kommen konnte.
2.3.4. Demgemäß erweist sich auch der §89a Abs6 Satz 1 leg. cit. betreffende Aufhebungsantrag der Einschreiterin - mangels eines unmittelbaren Eingriffes in ihre Rechtssphäre - als unzulässig.
Es war darum spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Straßenpolizei, AbschleppungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:G85.1985Dokumentnummer
JFT_10139071_85G00085_00