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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Tir. GemeindewahlO 1973; Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Birgitz; rechtswidrige Wertung einiger Stimmzettel als ungültig iS der §§47 Abs2, 52 Abs1 letzter Satz und 52 Abs2 lite; Aufhebung der Gemeinderatswahl vom Ermittlungsverfahren an, weil die erwiesenen Rechtswidrigkeiten von Einfluß auf das Wahlverfahren waren (Benachteiligung einer der anfechtenden Wahlparteien bei der Vergebung der Mandate)Spruch
Den Wahlanfechtungen wird stattgegeben.
Das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Birgitz am 16. März 1986 wird vom Ermittlungsverfahren an aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Am 16. März 1986 fanden die - von der Landesregierung mit Kundmachung vom 19. November 1985 (LGBl. 73/1985) ausgeschriebenen - allgemeinen Wahlen der Gemeinderäte im Bundesland Tirol, darunter die Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Birgitz (pol. Bezirk Innsbruck-Land) - statt.
1.1.2. Für die Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Birgitz brachten vier Wählergruppen (wahlwerbende Parteien) Wahlvorschläge ein, die gemäß §37 der Tir. Gemeindewahlordnung 1973 (TGWO 1973), LGBl. 63/1973 idF LGBl. 4/1980, - entsprechend der Reihenfolge ihres Einlangens - wie folgt kundgemacht wurden:
"Liste 1 - Allgemeine Liste Birgitz,
Liste 2 - Bürgermeisterliste,
Liste 3 - Arbeiter, Angestellte und Wirtschaft,
Liste 4 - Gemeinschaftsliste Birgitz Wirtschaft, Sport,
Fremdenverkehr".
1.1.3. Laut Niederschrift der Gemeindewahlbehörde Birgitz vom 16. März 1986 entfielen von den 549 gültig abgegebenen Stimmen - 38 Stimmzettel wurden als ungültig erkannt - auf:
Allgemeine Liste Birgitz
154 (3 Gemeinderatsmandate),
Bürgermeisterliste
290 (6 Gemeinderatsmandate),
Arbeiter, Angestellte und Wirtschaft
57 (1 Gemeinderatsmandat) und Gemeinschaftsliste Birgitz Wirtschaft, Sport, Fremdenverkehr
48 Stimmen (0 Gemeinderatsmandate).
Das Wahlergebnis (§58 Abs2 TGWO 1973) wurde am 18. März 1986 kundgemacht.
1.2.1. Am 24. März 1986 erhob die Wählergruppe "Gemeinschaftsliste Birgitz Wirtschaft, Sport, Fremdenverkehr" durch ihren Zustellungsbevollmächtigten G H unter Bezugnahme auf §58 Abs3 TGWO 1973 Einspruch gegen die Ermittlung des Wahlergebnisses, weil "zehn bis zwölf" amtliche Stimmzettel mit dem handschriftlichen Vermerk Liste 1 bzw. Liste 2, Liste 3, Liste 4 zu unrecht als ungültig gewertet worden seien.
1.2.2. Die Bezirkswahlbehörde Innsbruck wies diesen Einspruch mit Bescheid vom 28. März 1986, Z 1a-GRWahlen 86-1/20-1986, der Sache nach als unzulässig zurück, weil sie kraft §58 Abs3 TGWO 1973 lediglich zur Entscheidung über Einsprüche gegen die ziffernmäßige Ermittlung des Wahlergebnisses, nicht aber wegen behaupteter Rechtswidrigkeiten anderer Art zuständig sei.
1.3.1. Mit ihrer am 12. April 1986 zur Post gegebenen und auf Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift (protokolliert zur hg. AZ WI-7/86) begehrte die Wählergruppe "Allgemeine Liste Birgitz", der VfGH möge die Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Birgitz vom 16. März 1986 wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens, und zwar ab dem Ermittlungsverfahren an, aufheben.
1.3.2. Begründend wurde dazu - sinngemäß zusammengefaßt vorgebracht, die Gemeindewahlbehörde habe insgesamt dreizehn amtliche Stimmzettel, die jeweils nur den handschriftlichen Vermerk "Liste 1" (4 Stimmzettel) bzw. "Liste 2" (6 Simmzettel), "Liste 3" (1 Stimmzettel), "Liste 4" (2 Stimmzettel) aufwiesen, zu unrecht als ungültig erklärt, obwohl sie - vor allem im Hinblick auf die Art der gemeindebehördlichen Kundmachung der Wahlvorschläge - die Bezeichnung der Wählergruppen unzweifelhaft erkennen ließen. Da auch die Gemeindewahlbehörde in allen ihren (fünf) Kundmachungen die einzelnen Wahlvorschläge jeweils mit dem Wort "Liste" und einer entsprechenden Listennummer versehen habe, sei die Listenbezeichnung zu einem signifikanten Teil der Bezeichnung der Wählergruppe geworden.
1.4.1. In der zur hg. AZ WI-9/86 protokollierten, am 12. April 1986 zur Post beförderten und auf Art141 Abs1 B-VG gegründeten Wahlanfechtung begehrte die Wählergruppe "Gemeinschaftsliste Birgitz Wirtschaft, Sport, Fremdenverkehr", sowohl den Bescheid der Bezirkswahlbehörde Innsbruck vom 28. März 1986 (s. Punkt 1.2.2.) als auch die Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Birgitz vom 16. März 1986, und zwar vom Ermittlungsverfahren an, wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens aufzuheben.
1.4.2. Die Begründung dafür stimmt - soweit sie sich auf das von der Gemeindewahlbehörde durchgeführte Wahlverfahren bezieht - mit dem zu Punkt 1.3.2. dargelegten Vorbringen der Wählergruppe "Allgemeine Liste Birgitz" weithin überein. Weiters wurde von der Anfechtungswerberin eingewendet, daß die Bezirkswahlbehörde Innsbruck ihren administrativen Einspruch gegen die Ungültigerklärung näher bezeichneter Stimmzettel (s. Punkt 1.2.1.) meritorisch behandeln hätte müssen; eine Zurückweisung des die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffenden Einspruches finde im Gesetz keine Deckung.
1.5. Die Gemeindewahlbehörde der Gemeinde Birgitz legte die Wahlakten vor und erstattete Gegenschriften, in denen sie die Abweisung der beiden Wahlanfechtungen beantragte.
2. Über die - gemäß §§187, 404 ZPO (§35 VerfGG 1953) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Wahlanfechtungen wurde erwogen:
2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der VfGH ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 8973/1980). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.
2.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein.
2.1.3. Einen derartigen, die unmittelbare Anfechtung der Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Birgitz beim VfGH ausschließenden Instanzenzug richtet die TGWO 1973 (§58 Abs3) nur gegen die - von den Anfechtungswerberinnen ungerügt gelassene - "Ermittlung (das ist die ziffernmäßige Ermittlung (VfSlg. 9085/1981; s. auch VfSlg. 1968/1950)) des Wahlergebnisses" ein, die mit Einspruch (an die Bezirkswahlbehörde) bekämpft werden kann.
Soweit es aber - wie hier - um Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens geht, die - wie die Frage der Gültigkeit einzelner Stimmzettel (VfSlg. 7391/1974 ua.) - nicht die ziffernmäßige Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen, ist die unmittelbare Anrufung des VfGH eröffnet (VfSlg. 9065/1981, 9085/1981).
2.1.4. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der in Rede stehenden Gemeinderatswahl vor dem VfGH ist der 18. März 1986, das ist der Tag der ortsüblichen Kundmachung des Wahlergebnisses in der Gemeinde Birgitz.
Die jeweils am 12. April 1986 zur Post beförderten Wahlanfechtungsschriften wurden darum rechtzeitig eingebracht.
2.1.5. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind die Wahlanfechtungen zulässig.
2.2.1. Nach §47 Abs2 TGWO 1973 hat ein Wähler, der keinen vorgedruckten Stimmzettel verwendet,
"auf den amtlichen Stimmzettel oder auf ein von ihm selbst mitgebrachtes weißes Stück Papier die Bezeichnung der Wählergruppe oder den Namen wenigstens eines auf dem betreffenden Wahlvorschlag genannten Wahlwerbers ... handschriftlich zu setzen."
Dementsprechend bestimmt §52 Abs1 letzter Satz TGWO 1973:
"Vom Wähler handschriftlich hergestellte Stimmzettel sind auch gültig und gelten als Listenstimmen, wenn sie die Bezeichnung einer Wählergruppe oder den Namen mindestens eines Wahlwerbers einer Wählergruppe unzweifelhaft erkennen lassen".
§52 Abs2 lite TGWO 1973 ordnet dazu ausdrücklich an, daß Stimmzettel, welche "die gewählte Wählergruppe nicht eindeutig ersehen lassen", ungültig sind. Zur gültigen Stimmabgabe bedarf es - der in der Gegenschrift offenbar verfochtenen Meinung zuwider - also durchaus nicht der vollständigen Wiedergabe des Wortlautes der "unterscheidbaren Bezeichnung" einer Wählergruppe iS des §29 Abs3 litc TGWO 1973. Es genügt, wenn die Eintragung auf dem Stimmzettel die gewählte Wählergruppe "eindeutig" umschreibt.
2.2.2. Wie die Wahlakten zeigen, tragen die dreizehn von den beiden Anfechtungswerberinnen in Streit gezogenen, von der Gemeindewahlbehörde als ungültig erklärten (unbedruckten) amtlichen Stimmzettel die folgenden handschriftlichen Vermerke:
"Liste 1" (zwei Stimmzettel),
"Liste I" (zwei Stimmzettel),
"Liste 2" (sechs Stimmzettel),
"Liste 3" (ein Stimmzettel),
"Liste 4" (ein Stimmzettel),
"L 4" (ein Stimmzettel).
2.2.3. Auch angesichts des Umstands, daß nach der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Rechtsanschauung des VfGH alle - die Wahlbehörden streng bindenden - Formalvorschriften der Wahlordnungen strikt nach ihrem Wortlaut auszulegen sind (VfSlg. 6750/1972, 8848/1980 und die dort angeführte Vorjudikatur; s. auch VfSlg. 10610/1985, 10907/1985), werden alle dreizehn strittigen Stimmzettel den Erfordernissen der §§47 Abs2, 52 Abs1 letzter Satz iVm. §52 Abs2 lite TGWO 1973 gerecht, weil sie, wie der VfGH bereits in seinem in einem vergleichbaren Wahlanfechtungsfall ergangenen Erk. VfSlg. 7391/1974 der Sache nach aussprach, durch nummernmäßige Nennung einer "Liste" abgekürzt auch "L" - (eines Wahlvorschlages - vgl. §37 Abs2 TGWO 1973) iS der Kundmachung des Bürgermeisters der Gemeinde Birgitz vom 8. März 1986 "die gewählte Wählergruppe ... eindeutig ersehen lassen" (: §52 Abs2 lite TGWO 1973).
Die dreizehn Stimmzettel wären darum rechtsrichtig für gültig zu erklären gewesen.
2.2.4. Einer Wahlanfechtung ist stattzugeben, "wenn die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und auf das Wahlergebnis von Einfluß war" (Art141 Abs1 Satz 3 B-VG, §70 Abs1 VerfGG 1953).
Dies trifft hier zu, denn die festgestellten, der Wahlbehörde unterlaufenen Rechtswidrigkeiten (im Zug der Bewertung der zu Punkt 2.2.2. genannten Stimmzettel) hatten zur Folge, daß die anfechtende Wahlpartei "Gemeinschaftsliste Birgitz Wirtschaft, Sport, Fremdenverkehr" bei der Vergebung der Gemeinderatsmandate unzulässig benachteiligt wurde, wie nachstehende Ausführungen zeigen:
2.2.4.1. Die Gemeindewahlbehörde ging bei der Errechnung der Wahlzahl (§55 Abs1 TGWO 1973) von den ermittelten Parteisummen (§54 Abs1 TGWO 1973) aus, und zwar
Liste 1: Allgemeine Liste Birgitz 154,
Liste 2: Bürgermeisterliste 290,
Liste 3: Arbeiter, Angestellte und Wirtschaft 57 und
Liste 4: Gemeinschaftsliste Birgitz
Wirtschaft, Sport, Fremdenverkehr 48 Stimmen,
sodaß eine Auflistung und Teilung der Parteisummen iS des §55 Abs1 1. c. folgendes Ergebnis brachte:
Wählergruppen: Liste 2 Liste 1 Liste 3 Liste 4
Listensummen: 290 154 57 48
1/2 145 77 (28,5) (24)
1/3 96,66 51,33
1/4 72,50
1/5 58
1/6 48,33
------
Wahlzahl: 48,33
Demnach entfielen von den zehn zu vergebenden Gemeinderatsmandaten auf die
Liste 1: Allgemeine Liste Birgitz
3 Gemeinderatsmandate,
Liste 2: Bürgermeisterliste
6 Gemeinderatsmandate,
Liste 3: Arbeiter, Angestellte und Wirtschaft
1 Gemeinderatsmandat und
Liste 4: Gemeinschaftsliste Birgitz Wirtschaft, Sport,
Fremdenverkehr
0 Gemeinderatsmandate.
2.2.4.2. Legt man der Wahlzahlberechnung jedoch das iS der Ausführungen zu Punkt 2.2.3. korrigierte Wahlergebnis, nämlich
Liste 1: 158 Stimmen (154 + 4),
Liste 2: 296 Stimmen (290 + 6),
Liste 3: 58 Stimmen ( 57 + 1),
Liste 4: 50 Stimmen ( 48 + 2),
zugrunde, so ergibt sich folgendes Bild:
Wählergruppen Liste 2 Liste 1 Liste 3 Liste 4
Listensummen: 296 158 58 50
----
1/2 148 79 (29) (25)
1/3 98,66 52,66
1/4 74
1/5 59,2
1/6 (49,33)
Angesichts der richtigen Wahlzahl (= 50) kämen - anders als laut dem kundgemachten Wahlergebnis - der Liste 4 (das ist die Anfechtungswerberin "Gemeinschaftsliste Birgitz Wirtschaft, Sport, Fremdenverkehr") 1 (bisher 0) und der Liste 2 bloß 5 (bisher 6) Mandate zu.
2.3. Da somit die von den Anfechtungswerberinnen geltend gemachten Rechtsverletzungen nicht nur erwiesen, sondern auch auf das Wahlergebnis von Einfluß sind, mußte den Wahlanfechtungen Folge gegeben und spruchgemäß entschieden werden.
2.4. Bei diesem Ergebnis war auf das Beschwerdevorbringen zur Rechtmäßigkeit des Bescheides der Bezirkswahlbehörde Innsbruck (s. Punkt 1.2.2.) nicht mehr einzugehen, weil dieser Verwaltungsakt einen Teil des aufgehobenen Wahlverfahrens bildet (vgl. VfSlg. 7391/1974).
Schlagworte
Wahlen, Stimmzettel, Parteibezeichnung, VfGH / WahlanfechtungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:WI7.1986Dokumentnummer
JFT_10138998_86WI0007_00