TE Vfgh Erkenntnis 1986/10/4 B313/85

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Veröffentlicht am 04.10.1986
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Index

98 Wohnbau
98/05 Sonstiges

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 09.12.1919. DRGBl. S 1968

Leitsatz

Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9. Dezember 1919, DRGBl. S 1968 (eingeführt mit Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich vom 28. Feber 1939, GBlÖ 1939/375); Verordnung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung, betreffend Ausführungsbestimmungen GBlÖ 1939/1097; erstinstanzliche Abweisung eines Antrages auf Aufhebung der mit Bescheid des Reichsstatthalters für Tir. und Vbg. vom 3. April 1941 verfügten Enteignung und Zurückweisung des Rückübereignungsbegehrens; hier Bürgermeister von Innsbruck für Entscheidung in erster Instanz zuständig; Landesregierung jedenfalls als Berufungsbehörde zuständig; die Sachentscheidung des Bürgermeisters bestätigender Berufungsbescheid verletzt das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht; zur Beurteilung der Frage, ob der mit einer Enteignung verfolgte Zweck erreicht wurde oder nicht; in der Herstellung der Wohnanlage für Südtiroler Rückwanderer hat sich hier der rechtlich maßgebliche Enteignungszweck erschöpft; Enteignung irreversibel, auch wenn der einmal verwirklichte Zweck in späterer Folge aufgegeben würde; keine Verletzung im Eigentumsrecht durch denkunmögliche Gesetzesanwendung; keine Willkür

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit Bescheid des Reichsstatthalters für Tir. und Vbg. vom 3. April 1941 waren aufgrund des §3 der Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9. Dezember 1919, DRGBl S 1968 (eingeführt mit Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich vom 28. Feber 1939, GBlÖ 1939/375), und der (nicht datierten) Verordnung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung, betreffend Ausführungsbestimmungen, GBlÖ 1939/1097, auch sieben Parzellen des J

S und seiner drei damals mj. Söhne in der KG P in Innsbruck nördlich und südlich der G-Straße von zusammen 27643 Quadratmeter enteignet worden. Den Zweck der Maßnahme umschreibt der Enteignungsbescheid eingangs so:

"In der Stadt Innsbruck, Pradl-Ost werden zur Ansiedlung von Südtiroler Rückwanderern zunächst Klein- und Mittelwohnungen errichtet. Mit der Durchführung dieser Aufgabe wurde von mir u. a. auch die 'Neue Heimat' Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der DAF in Innsbruck betraut."

Einer Berufung der Enteigneten war von der Berufungsbehörde in Enteignungssachen mit Bescheid vom 20. September 1941 in bezug auf die Höhe der Entschädigung teilweise stattgegeben worden. Der Begründung des Berufungsbescheides ist zu entnehmen, daß damals die beabsichtigten Bauten (nach einer Baubewilligung vom 2. April 1940) schon errichtet waren.

1. Unter ausdrücklicher Berufung auf das Erkenntnis des VfGH über die Folgen einer Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes, VfSlg. 8981/1980, begehrten die beiden jüngeren Söhne und die Erbin des älteren Sohnes und Erben des Vaters von der Tir. Landesregierung die Aufhebung der Enteignung und die Verpflichtung der derzeitigen Eigentümer (der "Neuen Heimat Tirol" und - für den Straßengrund - der Stadtgemeinde Innsbruck) zur lastenfreien Rückübereignung der Grundstücke: Die enteigneten Flächen seien größtenteils unbebaut geblieben oder nur geringfügig verbaut, teilweise als Verkehrsfläche gewidmet oder für Gebäude verwendet worden, die nicht Wohnzwecken dienen, und selbst die Wohnungen seien nicht nur an Südtiroler Rückwanderer, sondern auch an andere Personen vergeben worden. Die Landesregierung übermittelte diesen Antrag unter Berufung auf die Zuständigkeiten nach dem BodenbeschaffungsG (dessen §29 Abs1 Z1 und 2 die in Rede stehenden Verordnung aufgehoben hatte) dem Stadtmagistrat Innsbruck zur Entscheidung, erließ aber über Begehren der Bf. am 2. Feber 1984 einen Bescheid, womit der Antrag förmlich zurückgewiesen wurde.

Auch der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck wies indessen mit Bescheid vom 12. März 1984 den Antrag zurück. Die Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9. Dezember 1919 (deren Grundlage der Bürgermeister im Gesetz vom 24. Juli 1917, (ö)RGBl 307 - dem sog. kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz - sah) sei formell noch in Geltung, und an die Stelle des Reichsstatthalters als Bezirkswohnungskommissar sei nach §4 Behörden-ÜG die Landeshauptmannschaft getreten, die von der Landesregierung abgelöst worden sei; der Bescheid der Landesregierung vom 2. Feber 1984 habe nur deren eigene Zuständigkeit verneint, nicht jene der Bezirksverwaltungsbehörde begründet. Dieser Bescheid des Bürgermeisters wurde über Berufung der Bf. von der Tir.

Landesregierung am 10. April 1984 wegen Verstoßes gegen die von der Landesregierung angenommene Bindungswirkung des Bescheides vom 2. Feber 1984 aufgehoben. Daraufhin zogen die Bf. eine gegen den Zurückweisungsbescheid erhobene Beschwerde an den VfGH (B208/84) wieder zurück.

2. Mit Bescheid vom 21. November 1984 gab der Bürgermeister von Innsbruck nunmehr dem Antrag auf Aufhebung der Enteignung nicht statt und wies jenen auf Rückübereignung der Grundstücke zurück. Die von der "Neuen Heimat" errichtete Wohnanlage entspreche dem Baubescheid vom 2. August 1940, der auf der Grundlage des Verbauungsplanes vom 4. Mai 1938 den Plan der Gesellschaft vom 4. März 1940 genehmigt habe. Der Vorwurf zu niedriger Bebauung sei also unberechtigt. Die damalige BauO habe verlangt, daß die Haushöfe bei Neubauten im Verhältnis zur Höhe der Gebäude hinreichend geräumig anzulegen seien und in der Regel 15% des Gesamtausmaßes unverbaut blieben; schon deshalb gehe der Hinweis auf die Größe der unbebauten Fläche fehl. Zum Zweck der Errichtung öffentlicher Gehwege und Straßen hätten ferner aufgrund der Bauordnung an die Stadtgemeinde Grundflächen abgetreten werden müssen. Nur vereinzelt seien nach Auskunft der "Neuen Heimat" - und andere Unterlagen stünden der Behörde nicht zur Verfügung - in die Wohnungen auch andere Personen als Südtiroler eingewiesen worden, und auch dies nur, weil sich die Gesellschaft unter den damaligen politischen Umständen nicht dagegen zur Wehr habe setzen können. Zumindest ursprünglich seien auch nur Geschäfte untergebracht gewesen, die Waren des täglichen Bedarfes führten; Garagen und eine Halle seien erst nach dem zweiten Weltkrieg gebaut worden. Der Enteignungszweck sei sonach schon 1940 verwirklicht gewesen.

Die Rückübereignung gehöre schließlich dem Bereich des Privatrechtes an, sodaß darüber gar nicht bescheidmäßig abzusprechen sei.

Die Berufung der Bf., die ua. darauf hinwies, daß nicht 15% der Fläche unverbaut geblieben, sondern umgekehrt nur rund 15% bebaut worden seien, und die Behörde für verpflichtet hielt, die Verwendung entsprechend dem Enteignungszweck vollständig nachzuweisen oder die Rückübereignung wenigstens in jenem Umfang anzuordnen, in dem die Wohnungen dem Enteignungszweck entzogen worden seien, wurde mit Bescheid der Landesregierung vom 1. April 1985 abgewiesen. Abzustellen sei auf den im Gesetz genannten Enteignungszweck, also die Förderung der Herstellung von Klein- und Mittelwohnungen zwecks Befriedigung eines aufgrund gegebener Wohnungsnot bestehenden dringenden Bedürfnisses. Die in der Begründung des Enteignungsbescheides bekundete Absicht der Vergabe an Südtiroler Rückwanderer sei nicht maßgeblich. Das Bedürfnis nach einschlägigen Wohnungen sei aber unbestreitbar. Die in der Bauordnung verankerte Grundabtretungspflicht sei vom Enteignungszweck miterfaßt, weil der Bau von Wohnungen öffentliche Verkehrsflächen nötig mache und aufgrund der herangezogenen Bestimmungen sonst gar nicht möglich wäre. Den Enteignungszweck auf die bloße Schaffung von Wohnraum zu beschränken und die Unterbringung der für die Wohnbevölkerung erforderlichen Versorgungseinrichtungen auszunehmen, stünde auch im Widerspruch zu den praktischen Bedürfnissen des Lebens. Da auf früher landwirtschaftlich genutzten Flächen eine ganze Wohnsiedlung neu geschaffen worden sei, hatte es eben solcher Einrichtungen bedurft.

Abschließend führt die Berufungsbehörde aus:

"Der von der Erstbehörde angefertigten planlichen Darstellung sämtlicher den Berufungswerbern enteigneter Flächen ist zu entnehmen, daß diese keine zusammenhängende Grundfläche bildeten, sondern aus mehreren länglichen, parallel verlaufenden Streifen bestanden, zwischen denen sich im Eigentum nicht am Verfahren beteiligter Personen stehende, gleichfalls in die Siedlung miteinbezogene Grundflächen befanden. Stellt diese Siedlung aber ein einheitliches Ganzes dar, so kann rechtserheblich nur die Gesamtverbauungsdichte, nicht jedoch die speziell auf den den Einschreitern enteigneten Flächen verwirklichte Bebauungsdichte sein. Wurden aber - wie die bezogenen Planunterlagen unschwer zeigen - die Gebäude zu einem überwiegenden Teil auf den nicht diesen gehörenden Parzellen angeordnet, so ergibt die hier gebotene Gesamtschau eine wesentlich größere als von den Berufungswerbern behauptete Verbauungsdichte, wobei diesen jedoch beizupflichten ist, daß sich die gewählte Verbauung alleine mit der Bestimmung des §46 Abs2 der Innsbrucker Bauordnung nicht begründen läßt. Abgesehen von der Erwägung aber, daß zum damaligen Zeitpunkt wesentlich geringere Verbauungsdichten als heutzutage üblich waren, ist dazu jedoch auszuführen, daß sogenannte 'Südtiroler-Siedlungen' in Tirol in vielen Orten durchwegs nach dem gleichen Muster eingerichtet wurden und die dabei verwirklichte Wohnqualität in Fachkreisen auch heute nach nunmehr über 40 Jahren allgemeine Anerkennung findet. Eine vorausschauende, den Bedürfnissen der Wohnbevölkerung angepaßte und damit im auffallenden Gegensatz zu manch verfehlter, allzu 'rationeller' Neuplanung stehende Bauplanung, kann jedoch keinesfalls, wie dies die Einschreiter versuchen, mit Verschwendung von Grund und Boden gleichgesetzt werden. Was die Anzahl der verwirklichten Stockwerke betrifft, so vermag schließlich auch die Berufungsbehörde nicht zu erkennen, daß die Neue Heimat niedriger als in dem für sie jedenfalls verbindlichen Verbauungsplan vom 4. 5. 1938 gebaut hätte."

Nach Erreichung des Enteignungszweckes errichtete Bauten könnten nicht mehr zur Aufhebung der Enteignung führen.

3. Die gegen den Berufungsbescheid gerichtete Beschwerde an den VfGH rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums, allenfalls auch des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Durch Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in den wesentlichen Fragen habe die Behörde dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und Willkür geübt. Es sei denkunmöglich, allein auf den im Gesetz genannten Enteignungszweck abzustellen. Der VfGH habe mehrfach betont, daß der konkrete Bedarf ausschlaggebend sei, und der verfassungsrechtlich gebotene Inhalt der Enteignungsnorm fließe auch in den Enteignungsbescheid ein. Die Verordnung aus 1919 stelle auf die Übergangszeit nach dem Kriege und die Notwendigkeit der Unterbringung obdachloser Familien ab. Der 2. Weltkrieg sei gar nicht erfaßt gewesen; außerdem sei Tirol 1941 von Kriegswirren und landesweiter Zerstörung noch verschont geblieben (wie übrigens auch im 1. Weltkrieg). Auf dem Wohnungssektor hätten entspannte Verhältnisse bestanden. Maßgebend sei daher nur der im Enteignungsbescheid festgehaltene Zweck der Ansiedlung Südtiroler Rückwanderer. Bloß praktische Bedürfnisse reichten nicht aus, für die Errichtung von Geschäftslokalen in Rechte Dritter einzugreifen. Eine Eisenspezialhandlung sei außerdem kein Geschäft für Güter des täglichen Bedarfes. Die Wohnungen hätten nur Familien, nicht aber Einzelpersonen zugewiesen werden dürfen. Gegen die Verpflichtung zur Grundabtretung hätte die "Neue Heimat" Rechtsmittel ergreifen müssen. Die Bebauungsdichte habe die Behörde infolge unzureichender Ermittlungen überhaupt falsch eingeschätzt. Auch ohne die ins öffentliche Gut abgetretenen Teile sei das Geviert, in dem die strittigen Grundstücke lagen, 39.000 Quadratmeter groß. Lasse man das zirka 500 Quadratmeter große Garagen- und Werkstättengebäude außer Betracht, seien zirka 10.900 Quadratmeter, also weniger als 30% der enteigneten Fläche, verbaut worden. Das entspreche zwar der im Osten anschließenden Einzelvillenverbauung, im (städtischen) Bereich der angrenzenden Langestraße sei aber ungleich dichter gebaut worden.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sei verletzt, weil die Landesregierung eingeschritten sei, obwohl die von den Reichsstatthaltern geführten Geschäfte auf die Landeshauptmannschaften, somit auf die Ämter der Landesregierung übergegangen seien, die insoweit selbst Behördenqualität erlangt hätten, und weil ein und derselbe Antrag ab- und zurückgewiesen worden sei.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wäre nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen hätte. Auch eine gesetzwidrige Inanspruchnahme der sachlichen Zuständigkeit in unterer Instanz verletzt das Recht auf den gesetzlichen Richter, selbst wenn in oberer Instanz die zuständige Behörde eingeschritten ist (zB VfSlg. 9599/1983). Gleichwohl hat der VfGH hier nicht zu prüfen, wer für die Aufhebung von Enteignungen nach der Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot derzeit zuständig wäre: Der Bescheid der Landesregierung vom 10. April 1984 hat jedenfalls den Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck als Bezirksverwaltungsbehörde zur Sachentscheidung über dieses Begehren berufen, diesen Bescheid haben die Bf. unbekämpft gelassen. Damit steht die Zuständigkeit des Bürgermeisters von Innsbruck für dieses Verfahren in erster Instanz fest. Berufungsbehörde ist folglich jedenfalls die Landesregierung. Für Überlegungen, auf wen die Zuständigkeit des Reichsstatthalters übergeleitet wurde, ist unter diesen Umständen kein Raum. Der die Sachentscheidung des Bürgermeisters bestätigende Berufungsbescheid verletzt das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht.

Mit der Behauptung, der Antrag sei im Ergebnis sowohl ab - wie auch zurückgewiesen worden, übersehen die Bf. die deutliche Unterscheidung, die der Spruch des Bescheides erster Instanz zwischen dem (abgewiesenen) Antrag auf Aufhebung des Berufungsbescheides der Berufungsbehörde aus 1941 und dem (zurückgewiesenen) Antrag auf Rückübereignung von Grundstücken trifft. Von einer durch allfällige Widersprüche bewirkten Ablehnung einer Sachentscheidung kann deswegen keine Rede sein.

2. Eine Gleichheits- und Eigentumsverletzung erblickt die Beschwerde in der These der Landesregierung, für die Beurteilung sei nur der vom Gesetz genannte Enteignungszweck maßgeblich. Die Kritik an dieser These trifft zwar zu, wäre aber nur dann zielführend, wenn auch das Ergebnis mit dem Ausgangspunkt der Behörde stehen und fallen würde.

Das ist aber offenkundig nicht der Fall:

a) Ob der mit einer Enteignung verfolgte Zweck erreicht wurde oder nicht, kann schon deshalb nur an jenem Zweck gemessen werden, den die konkrete Enteignung verfolgt, weil die Rechtmäßigkeit des Enteignungsbescheides nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Der Zweck eines rechtskräftigen Enteignungsbescheides kann nicht mehr aus den abstrakten Normen des Gesetzes beantwortet werden. Häufig ist er aus dem Bescheid zwar nur iZm. dem Gesetz feststellbar und im Zweifel muß dem Bescheid auch jener Inhalt beigemessen werden, den das Gesetz bei verfassungskonformer Auslegung verlangt; Ausgangspunkt ist aber entgegen der Auffassung der Landesregierung der individuelle Enteignungsakt, nicht das generelle Gesetz.

Entgegen dem Standpunkt der Beschwerde kann aber andererseits nicht am Wortlaut des Bescheides gehaftet werden. Enteignungen erfolgen notwendig für bestimmte Projekte, die Konkretisierung muß aber im Enteignungsbescheid nicht auch bis ins kleinste Detail getrieben werden. Selbst wenn der Bescheid das Projekt bis ins kleinste Detail beschreiben sollte, schließt das eine andere Gestalt der Vewirklichung des zur Enteignung führenden Vorhabens nicht aus. Nicht jeder Bezugnahme auf Einzelheiten des Vorhabens kommt daher die Wirkung einer Beschränkung des Enteignungszwecks auf die Verwirklichung eben dieser Einzelheiten zu. Vielmehr ist unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Behelfe zu ermitteln, welcher Enteignungszweck derart maßgeblich sein soll, daß seine Verfehlung eine Aufhebung der Enteignung nach sich ziehen muß.

b) Im vorliegenden Fall sind dazu freilich keine weitwendigen Überlegungen erforderlich. Es ist nämlich zu beachten, daß die Enteignung nicht zur Verwirklichung bloßer Absichten, sondern für ein schon bewilligtes und vollendetes Vorhaben ausgesprochen wurde: die Errichtung der konkret geplanten und gebauten Klein- und Mittelwohnungen zum Zweck der Ansiedlung von Südtiroler Rückwanderern. Da die geplante Siedlung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides schon - planmäßig - fertiggestellt war, kommt der Vorwurf der Zweckverfehlung unter dem Gesichtspunkt ihrer baulichen Ausgestaltung von vornherein nicht in Betracht. Die Enteignung ist für genau dieses Vorhaben verfügt worden. Seine Verwirklichung hat daher den Enteignungszweck erfüllt. Selbst wenn die bewilligte Bebauung dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines konkreten Bedarfes nicht entsprochen und daher gegen das Gesetz verstoßen hätte, wäre dieser Mangel durch die Rechtskraft der Enteignung für das bewilligte Projekt geheilt. Der VfGH hat nicht mehr zu prüfen, ob zum Zweck dieser Bebauung das Mittel der Enteignung eingesetzt werden durfte.

Daß die Wohnanlage zur Ansiedlung von Südtiroler Rückwanderern bestimmt und geeignet war, ist nicht zweifelhaft und wird auch von der Beschwerde nicht bezweifelt. Die Absicht der Ansiedlung Südtiroler Rückwanderer ist auch nicht etwa nur vorgeschoben und nach Fertigstellung der Siedlung wieder aufgegeben worden. Damit ist aber der Beschwerde auch schon der Boden entzogen. Denn Zweck der Maßnahmen zur Beseitigung der dringendsten Wohnungsnot war nicht etwa die Ansiedlung selbst, sondern nur die Bereitstellung von dazu geeigneten Wohnungen. Der Bescheid bringt dies selbst deutlich zum Ausdruck, wenn er einleitend sagt, es würden (zur Ansiedlung von Südtiroler Rückwanderern) "zunächst" Klein- und Mittelwohnungen errichtet. Mit dem weiteren - in der Verordnung aus 1919 mit der Wendung "Behebung der dringendsten Wohnungsnot" und den Worten "Unterbringung obdachloser Familien" umschriebenen Fernziel, dem der Enteignungsbescheid auch die Ansiedlung Südtiroler Rückwanderer unterstellt hat, kann das Schicksal der Enteignung schon deshalb nicht mehr verknüpft werden, weil dessen Verwirklichung weder in der Hand des Enteignungswerbers liegt noch mit der enteigneten Sache selbst erfolgen muß: Ist es doch auch erreicht, wenn andere als Südtiroler Rückwanderer die errichteten Wohnungen beziehen und dadurch andere Wohnungen für Rückwanderer frei bleiben, frei werden oder doch der Wohnungsmarkt entlastet wird. In der Herstellung der Wohnanlage für Südtiroler Rückwanderer hat sich daher der rechtlich maßgebliche Enteignungszweck erschöpft. Wie der VfGH bereits im Erk. VfSlg. 8981/1980 (S 370) ausgesprochen hat, wird die Enteignung unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie irreversibel, wenn der Zweck unter Verwendung der enteigneten Sache einmal verwirklicht worden ist, selbst wenn er in späterer Folge aufgegeben würde.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erweisen sich sowohl der Vorwurf denkunmöglicher Gesetzesanwendung als auch der Vorwurf der Willkür durch Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in entscheidenden Punkten als unbegründet. Der allerdings verfehlte Ansatzpunkt der bel. Beh. ist ohne Einfluß auf das Ergebnis geblieben. Die Berufung der Bf. durfte schon aufgrund des Berufungsvorbringens ohne Verstoß gegen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte abgewiesen werden. Nur die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat aber der VfGH aufgrund der vorliegenden Beschwerde zu prüfen.

Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.

Schlagworte

Eigentumseingriff, Enteignung, Rückübereignung, Enteignungszweck, Behördenzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B313.1985

Dokumentnummer

JFT_10138996_85B00313_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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