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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzBeachte
Kundmachung am 28. November 1986, BGBl. 629/1986, Anlaßfall B348/1985 vom 9. Oktober 1986 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Muster VfSlg. 10404/1985Leitsatz
Nö. TierkörperverwertungsV 1975; Gesetze müssen nicht nur zum Zeitpunkt der Erlassung, sondern jederzeit sachgerecht sein; auch bei einer an sich zulässigen Durchschnittsbetrachtung ist es dem Gesetzgeber verwehrt, bei Regelung einer Bauschgebühr von weitgehend überholten Zahlen auszugehen; keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß die Bauschgebühr noch im Jahre 1984 auf der Grundlage von - weitgehend überholten - Sachverhaltselementen aus den Jahren 1972, 1973 und 1974 bestimmt wird - Gleichheitswidrigkeit des §2 der auf Gesetzesstufe stehenden Nö. TKVVSpruch
§2 der gemäß ArtII Z1 des BG vom 14. Dezember 1977, BGBl. 660, über die Tragung der Kosten für die Beseitigung von Tierkörpern als BG geltenden Verordnung des Landeshauptmannes von NÖ vom 23. Juni 1975, LGBl. 6440/2-0, über die Festsetzung der Gebühren für die Abholung und unschädliche Beseitigung der Kadaver, Konfiskate und tierischen Abfälle wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1987 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im BGBl. kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VfGH ist zu Z B348/85 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:
Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz setzte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 29. März 1985 aufgrund der gemäß ArtII Z1 des BG vom 14. Dezember 1977, BGBl. 660, über die Tragung der Kosten für die Beseitigung von Tierkörpern, als BG in Geltung stehenden Verordnung des Landeshauptmannes von NÖ vom 23. Juni 1975, LGBl. 6440/2-0, über die Festsetzung der Gebühren für die Abholung und unschädliche Beseitigung der Kadaver, Konfiskate und tierischen Abfälle (im folgenden kurz: Nö. TKVV) die von der Gemeinde R für das zweite Halbjahr 1984 zu entrichtende Bauschgebühr mit 26799,85 S fest.
Dieser Berufungsbescheid bildet den Gegenstand der eingangs erwähnten VfGH-Beschwerde.
2. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Nö. TKVV einzuleiten.
a) aa) Mit ArtI des oben näher zitierten BG BGBl. 660/1977 wurden dem §6 der Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Land- und Forstwirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Volksernährung vom 19. April 1919, StGBl. 241, betreffend die Verwertung von Gegenständen animalischer Herkunft in Tierkörperverwertungsanstalten (Tierkörperverwertung) als Abs3 und 4 Bestimmungen angefügt, mit denen der Landeshauptmann ermächtigt wird, das Entgelt für die Einsammlung, die Abfuhr und die Beseitigung der abzuliefernden Gegenstände (also von Tierkörpern, deren Teilen und sonstigen Gegenständen animalischer Herkunft) in einem kostendeckend begrenzten Entgelttarif durch Verordnung festzulegen.
ArtII des BG BGBl. 660/1977 lautet auszugsweise:
"Folgende, den Gegenstand dieses Bundesgesetzes regelnde Verordnungen der Landeshauptmänner werden als Bundesgesetze solange in Kraft gesetzt, bis ihren Gegenstand regelnde Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes in Wirksamkeit getreten sind:
1. Verordnung des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 23. Juni 1975, LGBl. Nr. 6440/2-0, über die Festsetzung der Gebühren für die Abholung und unschädliche Beseitigung der Kadaver, Konfiskate und tierischen Abfälle;
2. ..."
bb) Da der Landeshauptmann von NÖ bisher keine Verordnung aufgrund des §6 Abs3 und 4 der Vollzugsanweisung idF der Nov. BGBl. 660/1977 erlassen hat, gilt die Nö. TKVV 1975 nach wie vor, steht jedoch auf der Stufe eines BG.
Die Nö. TKVV hat folgenden Wortlaut:
"§1
Für die Abholung und unschädliche Beseitigung aller Körper und Körperteile verendeter oder zum Zwecke der Beseitigung getöteter Tiere, der nach der Schlachtung zum menschlichen Genusse für untauglich befundenen ganzen Tiere oder Tierteile (Konfiskate) sowie der Schlachtungsabfälle und der verdorbenen Waren animalischer Herkunft ist eine jährliche Bauschgebühr zu entrichten. Diese hat gemäß §61 Abs2 des Gesetzes vom 6. August 1909, RGBl. Nr. 177, betreffend die Abwehr und Tilgung von Tierseuchen, in der Fassung der Tierseuchengesetznovelle 1974, BGBl. Nr. 141, die Gemeinde zu tragen.
§2
Die Bauschgebühr ist nach dem Bestand an Haustieren unter Zugrundelegung des Jahresdurchschnitts der Viehzählungsergebnisse vom 3. Dezember der Jahre 1972, 1973 und 1974, bei Hunden nach dem Jahresdurchschnitt der in den bei den Gemeinden aufliegenden Hundeverzeichnissen der Jahre 1972, 1973 und 1974 eingetragenen Hunde, und nach dem Jahresdurchschnitt der in den Jahren 1972, 1973 und 1974 nicht in öffentlichen Schlachthöfen der Vieh- und Fleischbeschau unterzogenen Großtiere und Schweine wie folgt zu errechnen:
1. für jedes in der Gemeinde vorhandene lebende Tier, und zwar:
a) für ein Pferd über ein Jahr oder ein Rind über drei Monate 3,20 S
b) für ein Kalb bis zu drei Monaten, für ein Fohlen bis zu einem Jahr, für einen Esel, einen Maulesel, ein Maultier, ein Schaf, eine Ziege oder ein Schwein 1,60 S
c) für ein Ferkel bis zu acht Wochen oder einen Hund 0,80 S
2. für jedes in der Gemeinde der Vieh- und Fleischbeschau unterzogene
a) Pferd über ein Jahr oder Rind über drei Monate 22,05 S
b) Schwein 3,50 S
§3
(1) Die Bauschgebühr ist binnen vier Wochen nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung durch jene Bezirkshauptmannschaft zu errechnen, in deren Amtsbereich die beitragspflichtige Gemeinde liegt. Die errechneten Bauschgebühren sind an Hand eines Gemeindeverzeichnisses unverzüglich dem Amt der Nö. Landesregierung bekanntzugeben.
(2) Städte mit eigenem Statut haben die Bauschgebühr innerhalb der im Abs1 angeführten Frist selbst zu errechnen und dem Amt der Nö. Landesregierung unverzüglich mitzuteilen.
(3) Die Vorschreibung der Bauschgebühr erfolgt durch den Landeshauptmann. Die Bauschgebühr ist in zwei gleichen Halbjahresraten in den Monaten Jänner und Juli an das Amt der Nö. Landesregierung einzuzahlen.
§4
Diese Verordnung tritt mit 1. Juli 1975 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. Dezember 1969, LGBl. Nr. 26/1970, über die Festsetzung der Gebühren für die Abholung und unschädliche Beseitigung der Kadaver, Konfiskate und tierischen Abfälle, außer Kraft."
b) Der VfGH ging im Einleitungsbeschluß vorläufig davon aus, daß der gesamte §2 der Nö. TKVV präjudiziell sei, da er eine untrennbare Einheit bilde.
Er äußerte das Bedenken, daß diese (nunmehr auf Gesetzesstufe stehende) Norm dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche: Anscheinend bestehe keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß die Bauschgebühren nach wie vor aufgrund von Sachverhaltselementen festgelegt sind, die längst überholt sein dürften.
3. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens sprechen würde.
2. a) Die im Einleitungsbeschluß geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken haben sich als zutreffend herausgestellt:
Wie der VfGH wiederholt dargetan hat (vgl. zB VfSlg. 8871/1980, 9995/1984), müssen Gesetze nicht nur zum Zeitpunkt der Erlassung, sondern jederzeit sachgerecht sein. Eine zum Zeitpunkt ihrer Erlassung sachgerechte Norm kann durch Änderung der Umstände gleichheitswidrig werden.
Derartiges trifft hier zu:
Gegen die von der Nö. TKVV angewandte Methode, Bauschgebühren für die Beseitigung von tierischen Abfällen auf der Grundlage der in der Gemeinde vorhandenen lebenden und in der Gemeinde der Vieh- und Fleischbeschau unterzogenen Tiere festzusetzen, ist an sich verfassungsrechtlich nichts einzuwenden (vgl. die Judikatur des VfGH zu §6 Abs3 der Vollzugsanweisung idF der Nov. BGBl. 660/1977, zB VfSlg. 9897/1983, 10038/1984, 10640/1985).
Hier ist davon auszugehen, daß sich innerhalb von zehn und mehr Jahren der Viehbestand in einer Gemeinde ändert, ein Umstand, der nach der Berechnungsmethode des §2 NÖ TKVV auf die Höhe der Bauschgebühr von Einfluß ist; zur Feststellung der neuen Zahlen ist es durchaus möglich, auf die Ergebnisse der inzwischen stattgefundenen Viehzählungen (s. Verordnungen BGBl. 17/1977, 25/1980, 569/1980, 8/1982, 450/1982) zurückzugreifen. Vor allem aber reduziert etwa der (ohne Schwierigkeiten feststellbare) Wegfall des einzigen Fleischhauereibetriebes in einer Gemeinde (wie im Anlaßfall) die Zahl der der Fleischbeschau zugeführten Tiere auf null und hat damit nach der Methode des §2 Nö. TKVV besonders bedeutsame Auswirkungen auf die Höhe der Bauschgebühr. Dazu kommt, daß der in der Nö. TKVV für das einzelne, der Beschau unterzogene Tier vorgesehene Betrag relativ hoch ist.
Unter diesen Voraussetzungen besteht keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß nach wie vor (also auch noch im Jahre 1984, auf dessen zweites Halbjahr sich der Bescheid bezieht, der mit der Anlaßbeschwerde bekämpft wird) die Bauschgebühr auf der Grundlage von Sachverhaltselementen aus den Jahren 1972, 1973 und 1974 bestimmt wird.
Auch bei einer - an sich zulässigen - Durchschnittsbetrachtung ist es dem Gesetzgeber durch das Sachlichkeitsgebot verwehrt, bei Regelung der Bauschgebühr von derartigen - weitgehend überholten - Zahlen auszugehen.
§2 der auf Gesetzesstufe stehenden Nö. TKVV widerspricht sohin dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz und ist aus diesem Grund verfassungswidrig.
Diese Vorschrift war daher aufzuheben.
b) Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.
Schlagworte
Veterinärwesen, Tierkörperverwertung, Gebühr (Tierkörperverwertung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:G91.1986Dokumentnummer
JFT_10138992_86G00091_00