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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Beachte
Kundmachung am 17. Dezember 1986, LGBl. für NÖ 8790/4-0Leitsatz
Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 3. Dezember 1981 betreffend ein Überholverbot; einem Anlaßfall (Art140 Abs7 B-VG) gleichzuhaltender Fall; Widerspruch der Verordnung zu Art18 Abs2 B-VG infolge Aufhebung der materiellen Grundlage der Verordnung (§43 Abs1 litb StVO 1960) als verfassungswidrig mit Erkenntnis des VfGH; Feststellung der Gesetzwidrigkeit der VerordnungSpruch
Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 3. Dezember 1981, Z 10-D-8090/11, betreffend Überholverbot auf der B 54 Wechsel-Bundesstraße im Bereich der Ortsdurchfahrt Ausschlag, war gesetzwidrig. Die Nö. Landesregierung ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen erließ am 3. Dezember 1981 zu Z 10-D-8090/11 eine Verordnung mit folgendem Wortlaut:
"Gemäß §43 Abs1 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) wird im Zuge der B 54 Wechsel Straße von km 36,850 bis km 37,150 im Bereich der Ortsdurchfahrt Ausschlag, Gemeindegebiet Aspangberg-St. Peter 'Überholen verboten' angeordnet. Diese Verordnung tritt gemäß §44 Abs1 StVO 1960 mit der Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen in Kraft."
Diese Verordnung wurde durch Aufstellen der entsprechenden Straßenverkehrszeichen nach §52 Z4a und Z4b StVO 1960 am 18. Jänner 1982 kundgemacht.
b) Mit Verordnung vom 7. Mai 1985, Z 10-D-832/26 hob die Bezirkshauptmannschaft ihre Verordnung vom 3. Dezember 1981 auf. Die erwähnten Straßenverkehrszeichen wurden entfernt.
2. Der VwGH stellt mit Beschl. vom 20. März 1986, Z A55/86 gemäß Art139 B-VG den Antrag, die Gesetzwidrigkeit der Verordnung vom 3. Dezember 1981 festzustellen.
Anlaß dieses Verordnungsprüfungsantrages ist das beim VwGH anhängige Verfahren über eine Beschwerde, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:
Der Bf. des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Nö. Landesregierung schuldig erkannt, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §16 Abs2 lita StVO 1960 begangen zu haben, daß er am 10. Juli 1983 als Lenker eines PKW entgegen der Verordnung vom 3. Dezember 1981 ein KFZ überholt habe.
Der VwGH begründet seine Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung damit, daß jedenfalls zum Tatzeitpunkt die Voraussetzungen des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 (auf diese Gesetzesbestimmung sei die Verordnung offenbar gestützt worden) nicht mehr vorgelegen seien.
3. Die Nö. Landesregierung und die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen verteidigen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung und beantragen festzustellen, daß die Verordnung nicht gesetzwidrig war.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der VwGH hat die Verordnung vom 3. Dezember 1981 bei Entscheidung über die bei ihm anhängige Beschwerde anzuwenden. Diese Verordnung trat zwar nach dem 7. Mai 1985 außer Kraft. Zum Zeitpunkt, der für die Entscheidung des VwGH maßgebend ist (Tatzeit - 10. Juli 1983) galt sie aber noch.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Verordnungsprüfungsantrag zulässig.
2. a) Der VfGH leitete aus Anlaß mehrerer bei ihm anhängiger Beschwerden von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §43 Abs1 litb StVO 1960 idF der Nov. BGBl. 412/1976 ein; er hob diese Gesetzesstelle mit Erk. VfSlg. 10949/1986 und Folgezahlen, als verfassungswidrig auf und setzte für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis 31. Mai 1987.
b) Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes (hier des §43 Abs1 litb StVO 1960) auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Gleiches gilt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung, die auf die aufgehobene Gesetzesbestimmung gegründet war.
c) Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig geworden sind (VfSlg. 10616/1985). Auch diese Regel ist im Verordnungsprüfungsverfahren in gleicher Weise wie im Verfahren nach Art144 B-VG anzuwenden.
d) Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren, das zur Aufhebung des §43 Abs1 litb StVO 1960 geführt hat, fand am 26. Juni 1986 statt.
Der vorliegende Verordnungsprüfungsantrag ist beim VfGH am 9. April 1986 - also noch vor der Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren - eingelangt.
Demnach ist der Fall einem Anlaßfall gleichzuhalten, dh. es ist so vorzugehen, als hätte der VfGH (auch) aus Anlaß dieses Verordnungsprüfungsverfahrens von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §43 Abs1 litb StVO 1960 eingeleitet.
e) Die in Prüfung gezogene Verordnung vom 3. Dezember 1981 findet ihre materielle Basis unbestrittenermaßen in der als verfassungswidrig erkannten Bestimmung des §43 Abs1 litb StVO 1960. Sie ist darum nunmehr so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage - also in Widerspruch zu Art18 B-VG - erlassen worden wäre (vgl. zB VfSlg. 10066/1984, 10950/1986).
Da die Verordnung inzwischen außer Kraft getreten ist (s. oben I.1. b), war gemäß Art139 Abs4 B-VG auszusprechen, daß die Verordnung gesetzwidrig war.
f) Die Entscheidung über die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Prüfungsmaßstab, Straßenpolizei, Verkehrsbeschränkungen, VfGH / Sachentscheidung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1986:V26.1986Dokumentnummer
JFT_10138991_86V00026_00