TE Vfgh Erkenntnis 1986/10/9 B298/83

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Veröffentlicht am 09.10.1986
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

VfGG §87 Abs2
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

ZDG; VerfGG 1953; nach aufhebendem Erk. des VfGH (VfSlg. 9356/1982) im Instanzenzug ergangener Ersatzbescheid; Bindungswirkung des §87 Abs2 VerfGG 1953 auch bei formell neuer, aber materiell unveränderter Rechtslage; von der im Vorerkenntnis ausgedrückten Rechtsansicht abweichende, mit §2 Abs1 ZDG nicht im Einklang stehende Rechtsansicht - Verletzung des bereits im Vorerkenntnis als verletzt festgestellten, in §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. begehrte mit einem Antrag vom 27. Jänner 1977, ihn zwecks Zivildienstleistung von der Wehrpflicht zu befreien. Mit Bescheid vom 14. April 1977 wies die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres den Antrag ab, wogegen der Bf. Beschwerde an den VfGH erhob. Aufgrund dieser Beschwerde sprach der Gerichtshof mit Erk. B231/77 vom 5. März 1982 (VfSlg. 9356/1982) aus, daß der Bf. in dem (zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes in dessen Stammfassung verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt wurde, und hob den Bescheid auf. In den Entscheidungsgründen dieses Erkenntnisses legte der Gerichtshof ua. dar, daß der Bf. einen im Falle der Glaubhaftigkeit zur Wehrpflichtbefreiung führenden Gewissensgrund geltend gemacht habe. Der Bf. habe nämlich (in seinem Antrag) ausgeführt, da er versuche, sein Leben nach dem Grundsatz der Nächstenliebe aufzubauen, sei es mit seinem Gewissen unvereinbar, sich im Umgang mit Waffen zu üben, um später damit unter Umständen Menschen töten zu müssen oder sich dabei als Helfer zu betätigen; dieses Vorbringen beinhalte die vorbehaltlose Ablehnung, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden, eine Einstellung, die unter Bedachtnahme auf die dargelegte Motivation durchaus als Ursache schwerer Gewissensnot im Falle der Wehrdienstleistung in Betracht komme.

2. Im zweiten Rechtsgang entschied die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung neuerlich über den Antrag auf Wehrpflichtbefreiung und wies diesen ab. Die dagegen vom Bf. ergriffene Berufung blieb erfolglos. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDOK) begründete ihren - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen - abweisenden Bescheid im wesentlichen folgendermaßen:

"Der Berufungswerber beantwortete die an ihn gestellten Fragen in heftiger, manchmal sogar aggressiver Weise. Er versuchte, seine Meinung als die einzig richtige hinzustellen, ließ andere Auffassungen nicht gelten und ging auf Gegenargumente nicht ein. Ein derartiges Verhalten ist, einen ebenso auftretenden Kontrahenten vorausgesetzt, erfahrungsgemäß oftmals Ursprung eskalierender Auseinandersetzungen. Der Berufungssenat sah sich daher zunächst außerstande, dem Berufungswerber darin - wie er es in seiner Berufungsschrift behauptet - Glauben zu schenken, daß er sich aus tiefverwurzelter innerer Überzeugung im besonderen Maße für konfliktfreie bzw. gewaltfreie Lösung von Problemen einsetzt. Seine Tätigkeit im Rahmen der von ihm gegründeten Firma für Betriebswirtschaft und Kommunikation scheint demgemäß eher auf berufliche und wirtschaftliche Überlegungen zurückzuführen sein. Der Berufungswerber, der sich noch in seinem Antrag vom 27. 1. 1977 auf den zum Lebensprinzip gewählten Grundsatz der Nächstenliebe berief, erklärte im Gegensatz dazu in der Berufungsverhandlung, nicht willens und bereit zu sein, einem anderen Menschen in höchster Not und bei unmittelbar drohender Lebensgefahr gegen einen bewaffneten Angreifer wirksam zu helfen. Dementsprechend konnte auch die von ihm geltend gemachte Grundlage schwerer Gewissenskonflikte bei Leistung des Wehrdienstes nicht als tragfähig anerkannt werden. Insoweit seine übrigen Darlegungen überhaupt als schwerwiegende Gewissensgründe iS des Zivildienstgesetzes gewertet werden können, mangelt es an der vom Gesetz (§6 Abs1 ZDG) geforderten Glaubhaftmachung. Abgesehen davon, daß sich der persönliche Eindruck, den der Berufungssenat vom Rechtsmittelwerber gewinnen konnte, wie bereits oben näher dargelegt, als wenig überzeugend iS seiner schriftlichen Ausführungen erwies, hat er zur Bekräftigung seiner behaupteten inneren Einstellung als nach außen in Erscheinung getretene Tatsache vor allem seinen Wechsel vom festangestellten Hochschulassistenten in die selbständige berufliche Tätigkeit im Rahmen einer Firma für Betriebswirtschaft und Kommunikation ins Treffen geführt, wo er als Trainer für Gruppendynamik für gewaltfreie Problemlösungen wirke. Aus ihrer Bezeichnung ergibt sich bereits, daß die Firma des Berufungswerbers gewisse Dienstleistungen anbietet, die die wirtschaftlichen Ziele von Unternehmen und Betrieben fördern sollen. Eine Auftragserteilung kommt wohl nur dann in Betracht, wenn der wirtschaftliche Erfolg einigermaßen gesichert erscheint. Offensichtlich konnte der Berufungswerber bei Ausscheiden aus dem Universitätsdienst mit Aufträgen rechnen, die es ihm ermöglichen würden, für den Lebensunterhalt seiner Familie aufzukommen. Im Vordergrund der derzeitigen beruflichen Tätigkeit des Berufungswerbers dürften somit vor allem wirtschaftliche Gründe stehen, wobei am Rande gewisse Ideen der Konfliktbewältigung bzw. Vermeidung, besonders insoweit sie der Effektivität eines wirtschaftlichen Unternehmens dienlich sind, eine Rolle spielen mögen. Diese Auffassung des Berufungssenates findet auch darin eine Stütze, daß 'Gruppendynamik' nach herkömmlicher Auffassung nicht notwendig mit konflikt- oder gewaltfreier Problemlösung verbunden ist. Als Gruppendynamik werden nämlich die verschiedenen Methoden und Techniken bezeichnet, die der Verbesserung des Selbst- und Fremdverständnisses der sozialen Beziehungen sowie der Kommunikation und Kooperation dienen (Der Große Brockhaus in 12 Bänden, 18. Auflage, 1979, Band 5, Seite 1). Der Begriff Gruppendynamik wird für eine Reihe von Techniken verwendet, die in Trainingsprogrammen zur Verbesserung der Fertigkeiten im Bereich der mitmenschlichen Beziehungen, konkreter zB bei der Durchführung von Konferenzen, Diskussionen oder Ausschußverhandlungen angewendet werden (s. Günther Hartfiel, Wörterbuch der Soziologie, Alfred Kröner-Verlag Stuttgart, 1976, Seite 254).

Dem Berufungswerber wären vielerlei Möglichkeiten offen gestanden, in uneigennütziger Weise, auch ohne Zusammenhang mit seinem Beruf und seiner Erwerbstätigkeit, die von ihm verbal vertretenen Prinzipien in die Tat umzusetzen. Das als stark humanitäres Engagement mit geltend gemachte neu begonnene Medizinstudium muß iZm. den beruflichen Ambitionen des Berufungswerbers gesehen werden. Offensichtlich hat er nämlich nicht die Absicht, den Beruf eines Arztes auszuüben, sondern Erkenntnisse aus Bereichen der Medizin mit seinem ursprünglichen Fachgebiet zu verbinden.

Auch die Aussage der Vertrauensperson Dr. L (der noch vor der Berufungsverhandlung als Rechtsvertreter des Rechtsmittelwerbers fungiert hatte) vermochte keine entscheidende Wendung herbeizuführen. Seine Ausführungen enthalten keinerlei Darlegungen, die einen Einblick in die höchstpersönliche Gewissenssituation des Berufungswerbers geboten hätten und beschränken sich im übrigen lediglich darauf, die bereits vorgetragenen Argumente zu wiederholen. Abgesehen von der Vertrauensperson und der Parteienaussage des Berufungswerbers standen keine weiteren Bescheinigungsmittel zur Verfügung."

3. Gegen den Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung geltend gemacht und die Bescheidaufhebung begehrt wird.

II. Die Beschwerde ist berechtigt.

Die aus §87 Abs2 VerfGG erfließende Bindung der Verwaltungsbehörden (und zwar aller Behörden und nicht etwa bloß jener Verwaltungsbehörde, deren Bescheid aufgehoben wurde - s. VfSlg. 3802/1960) an die im Erkenntnis des VfGH zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung besteht im Hinblick auf den Zweck der Regelung auch dann, wenn die maßgebende Gesetzesbestimmung zwar neu erlassen wurde, im relevanten normativen Bereich aber keine Änderung erfuhr. Da dies für die im vorliegenden Beschwerdefall heranzuziehende neue Fassung des §2 Abs1 im Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974, durch die Nov. BGBl. 496/1980 zutrifft, welche die Anspruchsvoraussetzungen für die Anerkennung als Zivildienstpflichtiger nicht änderte (s. zB VfSlg. 9549/1982), der im Instanzenzug erlassene Ersatzbescheid - wie noch zu zeigen sein wird - von der im Erk. B231/77 ausgesprochenen Rechtsansicht des Gerichtshofes jedoch abweicht, hat iS der ständigen Rechtsprechung zu §87 Abs2 VerfGG (zB VfSlg. 8571/1979 mit weiteren Judikaturhinweisen) eine Verletzung des bereits im Vorerkenntnis als verletzt festgestellten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung stattgefunden. Im Erk. B231/77 hat der VfGH den Standpunkt eingenommen, daß das Antragsvorbringen des Bf. einen an sich tauglichen, im Fall der Glaubhaftmachung zur Wehrpflichtbefreiung führenden Gewissensgrund dartut. Die bel. Beh. geriet zu dieser Rechtsansicht des VfGH in Widerspruch, wenn sie in bezug auf das sinngemäß wiedergegebene Antragsvorbringen, der Bf. habe sich den Grundsatz der Nächstenliebe zum Lebensprinzip gewählt, meinte, die von ihm geltend gemachte Grundlage schwerer Gewissenskonflikte könne nicht als tragfähig anerkannt werden; dies, zumal der Bf. in der mündlichen Verhandlung sogar betonte, daß die von ihm in der Verhandlung dargelegte Anschauung - abgesehen von einer anderen Wortwahl - seinem "ursprünglichen", dh. seinem schriftlichen Antrag entspreche. Die von der ZDOK dabei gewählte Vorgangsweise, aus der Antwort des Bf. auf eine Frage nach seinem mutmaßlichen Verhalten in einer gedachten Nothilfesituation für ihn nachteilige Schlüsse zu ziehen, erweist sich - wie der Gerichtshof in seinen Erk. B49/85 vom 27. September 1985 und B421/85 vom 30. September 1985 mit ausführlicher Begründung nachgewiesen hat - als überhaupt unzulässig, sie ist also auch nicht geeignet, die an sich gegebene Tauglichkeit des im Antrag ausgeführten Gewissensgrundes in Frage zu stellen.

Da der angefochtene Bescheid im Kern auf einer dem Vorerkenntnis widersprechenden, mit der Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZivildienstG nicht im Einklang stehenden Rechtsansicht beruht, war er wegen der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigte es sich, auf das Beschwerdevorbringen und die übrige Bescheidbegründung im einzelnen einzugehen, etwa auf die Ausführungen der bel. Beh. über das von ihr vermißte Verhalten des Bf., "die von ihm verbal vertretenen Prinzipien in die Tat umzusetzen".

Schlagworte

Zivildienst, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH), VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B298.1983

Dokumentnummer

JFT_10138991_83B00298_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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