Kommentar zum § 9 BAO

Herbert Orlich am 19.10.2009

  • 0,0 bei 0 Bewertungen

Haftung des Geschäftsführers für Steuerschulden der Gesellschaft

1.  Allgemeines

Der VwGH (19.11.1998, 97/15/0115; ÖStZB 1999, 301) hat seine Judikaturlinie fortgesetzt, wonach bei Uneinbringlichkeit von Abgabenschulden einer Gesellschaft der Geschäftsführer (GF) beweisen muß, daß er für eine rechtzeitige und gleichmäßige Abgabenentrichtung durch die Gesellschaft gesorgt hat. Andernfalls wird schuldhafte Pflichtverletzung vermutet. Hatten die Gesellschaftsmittel zur Befriedigung der Abgabenschulden nicht ausgereicht, so muß der GF im Haftungsverfahren nachweisen, daß er die vorhandenen Mittel zur anteiligen Befriedigung aller Verbindlichkeiten verwendet und somit die Abgabenschulden nicht schlechter behandelt hat. Vorsicht: Dieser Beweis sollte gut vorbereitet und mit besonderer Sorgfalt geführt werden!

Weitere Judikatur dazu: VwGH 08.10.1998, 98/15/0124; ÖStZB 1999, 383; VwGH 26.01.1999, 98/14/0114; ÖStZB 1999, 419; VwGH 20.04.99, 94/14/0147, ÖStZB 1999, 618; VwGH 24.04.99, 98/13/0004-0005, ÖStZB 1999, 660; VwGH 24.04.99, 98/13/0074, ÖStZB 1999, 661; VwGH 25.01.2000, 96/14/0081, 82, 83, ÖStZB 2000/250; VwGH 27.01.2000, 97/15/0191; ÖStZB 2000/338; VwGH 26.11.2002, 99/15/0189, ÖStZB 2003/631, 598.

Die qualifizierte Mitwirkungspflicht des GF entbindet die Behörde nicht von ihrer Ermittlungspflicht: Bringt der GF Konkretes zu seiner Entlastung vor, so hat die Behörde erforderlichenfalls Präzisierungen oder zusätzliche Beweise einzufordern. Außerdem hat die Behörde konkrete Feststellungen zu den Entlastungsbehauptungen des GF zu treffen: VwGH 27.08.2008, 2006/15/0010, ÖStZB 2009/173, 159.

Die Abgabenbehörde darf bereits dann die Uneinbringlichkeit der Forderung annehmen, wenn im Laufe des Insolvenzverfahrens feststeht, daß die Konkursmasse zur vollständigen Befriedigung nicht ausreichen wird: VwGH 19.03.2002, 98/14/0056, ÖStZB 2003/150, 139. Bescheide, in denen die Behörde nichts zur Uneinbringlichkeit festgestellt hat, hebt der VwGH auf: 31.03.2004, 2003/13/0153, ecolex 2005/29, 74.

Der GF hat darzutun, aus welchen Gründen ihm eine Erfüllung der Abgabenpflichten nicht möglich war. Tut er das nicht, so darf die Behörde annehmen, daß er schuldhaft seine Pflichten verletzt hat: VwGH 21.01.2001, 98/16/0094, ÖStZB 2002/65; 29.03.2001, 2000/14/0149, ÖStZB 2002/293. Da für eine Haftung bereits leichte Fahrlässigkeit genügt, hat der GF zu beweisen, daß ihn nicht einmal leichte Fahrlässigkeit trifft: VwGH 27.04.2000, 98/15/0003, ÖStZB 2001/318. In diesem Sinne trägt der GF auch die Beweislast dafür, daß die Gesellschaft keine ausreichenden Mittel mehr hatte, um die Steuerschulden zu zahlen: VwGH 26.09.2000, 99/13/0090, ÖStZB 2002/160.

Bei schuldhafter Pflichtverletzung darf die Behörde auch vermuten, daß diese Pflichtverletzung auch kausal war für den Abgabenausfall: VwGH 29.05.2001, 2001/14/0006, ÖStZB 2002/820.

Der GF kann sich auch nicht damit entschuldigen, daß er an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten von Gesellschaftern oder Dritten gehindert wurde. In einem solchen Fall hätte er nämlich entweder den Rechtsweg zu beschreiten, um die Hindernisse zu beseitigen, oder aber seine Funktion sofort niederzulegen: VwGH 23.04.2001, 97/14/0145, ÖStZB 2002/330. Daher haftet er auch dann voll, wenn er sein Amt bloß formell übernommen und auf die tatsächliche Geschäftsführung keinen Einfluß genommen hat: VwGH 22.01.2004, 2003/14/0097, ÖStZB 2004/475, 497 = ecolex 2004/428, 897; VwGH 30.03.2006, 2003/15/0080, ecolex 2006/258, 606; VwGH 30.03.2006, 2003/15/0080, ÖStZB 2006/502, 605; VwGH 06.07.2006, 2006/15/0030, ÖStZB 2007/31, 34.

Der GF verstößt schon dann gegen seine Gleichbehandlungspflichten, wenn er zwar alle Zahlungen einstellt, aber zuläßt, daß auf einem negativen Kontokorrentkonto regelmäßig Zahlungen eingehen, und sich damit die Forderung der Hausbank kontinuierlich verringert: VwGH 22.09.2000, 2000/15/0050, ÖStZB 2002/161.

Zur Vertragsgestaltung mit Banken: Der GF darf sich auch in guten Zeiten nicht durch Verträge so binden, daß er in schlechten Zeiten die selbständige Disposition über die Gesellschaftsmittel verliert, etwa durch Mantelzessionsverträge: VwGH 22.02.2001, 2000/15/0227, ÖStZB 2002/248; VwGH 29.3.2001, 2000/14/0149, ÖStZB 2002/293; VwGH 25.09.2001, 96/14/0057, ÖStZB 2002/369; VwGH 25.09.2001, 2001/14/0109, ÖStZB 2002/506; VwGH 30.10.2001, 2001/14/0087, ÖStZB 2003/109, 106; VwGH 14.01.2003, 97/14/0176, ÖStZB 2003/249, 214; VwGH 22.01.2004, 2000/14/0015, ÖStZB 2004/440, 465; VwGH 28.09.2004, 2001/14/0176, ÖStZB 2005/184, 264; VwGH 22.09.2005, 2001/14/0013, ÖStZB 2006/161, 196; VwGH 25.01.2006, 2001/14/0126, ÖStZB 2006/331, 419; VwGH 24.09.2008, 2007/15/0282, ÖStZB 2009/283, 310 (ausführlich). Anders ist es bei Einzelzessionsverträgen: VwGH 17.05.2006, 2004/14/0094, ecolex 2006/298, 690 = ÖStZB 2006/597, 728.

Dem GF fällt auch als Verschulden zu Last, wenn er an Dienstnehmer Löhne auszahlt, ohne die darauf entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt zu entrichten: VwGH 22.02.2001, 2000/15/0227, ÖStZB 2002/248; VwGH 19.12.2002, 2001/15/0029.

Für eine Haftungsbefreiung reicht es noch nicht aus, wenn der GF gleiche Zahlungsquoten zu den Fälligkeitstagen nachweist, er muß auch nachweisen, welche Mittel ihm zu den Fälligkeitstagen zur Verfügung gestanden sind: VwGH 29.01.2004, 2000/15/0168, ÖStZB 2004/441, 465.

Der GF haftet nur für den Mehrbetrag, den die Abgabenbehörde hereingebracht hätte, wenn er seine Pflichten nicht verletzt hätte. Weist der GF nicht nach, daß die Abgabenbehörde selbst bei pflichtgemäßem Handeln nicht alle Abgabenrückstände hereingebracht hätte, so darf die Behörde dem GF die gesamten uneinbringlichen Abgaben vorschreiben: VwGH 24.10.2000, 95/14/0090, ÖStZB 2001/220; VwGH 22.12.2005, 2005/15/0114, ÖStZB 2006/229, 288. Schlüsselt der GF auf, welche Beträge er entrichten hätte können, wenn er dem Gebot der anteilsmäßigen Befriedigung aller Gläubiger entsprochen hätte, so darf ihm nur die Differenz zwischen diesen Beträgen und den tatsächlich entrichteten Beträgen vorgeschrieben werden: VwGH 29.3.2001, 2000/14/0149, ÖStZB 2002/293; VwGH 26.11.2002, 2000/15/0081, ÖStZB 2003/405, 391 und VwGH 16.09.2003, 2003/14/0040, ÖStZB 2004/388, 419. Die Abgabenbehörde muß im Haftungsbescheid Feststellungen über die (zu erwartende) Konkursquote treffen und die Haftung auf den nach Abschluß des Konkursverfahrens verbleibenden uneinbringlichen Teil der Abgabenforderungen beschränken. Trifft sie diese Feststellungen nicht, so ist der Bescheid rechtswidrig: VwGH 28.05.2002, 99/14/0233, ÖStZB 2003/74, 87.

Anders entschied der VwGH im Erkenntnis vom 26.11.2002 (99/15/0249, ÖStZB 2003/634, 601): Demnach haftet der GF auch dann für den gesamten Abgabenausfall, wenn zwar weniger Mittel zur Befriedigung der Gläubiger vorhanden waren, aber der GF diese Mittel nicht zur anteiligen Befriedigung der Abgabenschulden verwendet hat. Wichtiger Tip daher für Gesellschaften in der Krise: Unbedingt für eine anteilige Befriedigung der Abgabenschulden sorgen!

Verletzt der GF seine Pflichten, so erlischt die daraus schon entstandene Haftung für Steuerschulden nicht damit, daß der GF aus seiner Funktion ausscheidet: VwGH 16.12.1999, 97/15/0051; ÖStZB 2000/287. Auch ein Zwangsausgleich der Gesellschaft befreit den GF nicht von seiner Haftung: VwGH 22.09.1999, 96/15/0049, ÖStZB 2000/286 (verst. Senat); VwGH 27.09.2000, 95/14/0056, ÖStZB 2002/162; VwGH 29.3.2001, 2000/14/0149, ÖStZB 2002/293.

Bei Amtsantritt hat sich der GF davon zu vergewissern, daß keine Abgabenrückstände bestehen: VwGH 26.04.2006, 2001/14/0206, ÖStZB 2006/596, 728.

Der GF haftet trotz Beauftragung eines Steuerberaters, wenn er seinen zumutbaren Informations- und Überwachungspflichten nicht nachkommt: VwGH 29.05.2001, 2001/14/0006, ÖStZB 2002/820. Auf vertrauenwürdige Informationen seines Steuerberaters oder Rechtsanwaltes darf sich der Geschäftsführer verlassen. Im Haftungsfall ist er dann entschuldigt: VwGH 20.09.2007, 2003/14/0054, ÖStZB 2008/233, 315. Manchmal auch, wenn der vertrauenswürdige Steuerberater eine Aufklärung versäumt: VwGH 25.02.2009, 2006/13/0090, ÖStZB 2009/448, 480.

Im Falle einer Aufgabenverteilung unter mehreren GF haftet grundsätzlich nur derjenige GF, dem die steuerlichen Angelegenheiten zugewiesen waren: VwGH 26.04.2006, 2001/14/0028, ÖStZB 2007/30, 34. Die anderen GF haften nur dann, wenn Anlaß bestanden hat, an der ordentlichen Geschäftsgebarung des zuständigen GF zu zweifeln und der GF zumutbare Abhilfemaßnahmen versäumt hat: VwGH 25.11.2001, 99/14/0121, ÖStZB 2003/688, 641; VwGH 13.04.2005, 2005/13/0001, ÖStZB 2005/444, 554 = ecolex 2005/369, 773; VwGH 06.07.2006, 2006/15/0032, ÖStZB 2007/32, 35. Kontrollpflicht besteht grundsätzlich keine: VwGH 18.09.2003, 2001/15/0003, ÖStZB 2004/64, 68.

Das Unterbleiben oder eine bestimmte Verfahrenserledigung eines Strafverfahrens (etwa Freispruch) gegen den GF binden die Abgabenbehörde bei der Prüfung der abgabenrechtlichen Haftung nicht: VwGH 22.02.2000, 96/14/0158; ÖStZB 2000/337.

Keine Haftung des GF, wenn das Finanzamt die beantragte Überrechnung eines Guthabens nicht vorgenommen hat und die Gesellschaft später insolvent wird: VwGH 17.12.2003, 99/0204-0206, ÖStZB 2004/437, 463.

Erlässe: Das BMF hat seine Rechtsansicht zur Geschäftsführerhaftung und seine Kriterien für die Ermessensübung im Erlaß vom 12.06.2006, BMF-020203/0050-VI/2006 zusammengefaßt.

Literatur: Fritz, Haftung der Geschäftsführer, SWK 2005, 821; Hallas, Kommunalsteuerpflicht von Geschäftsführerbezügen, "Vertretbare Rechtsansicht" und Haftung für Abgabenbeträge, ÖStZ 2005/853, 400; Burgstaller,  Abgabenrechtliche Geschäftsführerhaftung und Gleichbehandlungspflicht, SWK 2005, 1180; Kotschnigg,  Geschäftsführerhaftung bei Forderungsabtretung zur Kreditsicherung, RdW 2006/374, 385; Kotschnigg,  Der VwGH und die Geschäftsführerhaftung, RdW 2007/64, 60.

 

 

2.  Zusammenfassende Erkenntnisse:

VwGH 22.04.2009, 2008/15/0283, ÖStZB 2009/446, 480.

 

 

3.  Ermessen:

Die Frage, ob eine Haftung geltend gemacht wird oder nicht, ist eine Ermessensfrage. Diese Ermessensübung hat die Behörde zu begründen. Ermessenswidrig handelt die Behörde etwa dann, wenn sie die Abgabenschulden vom Primärschuldner leicht einbringen hätte können, das jedoch grobfahrlässig verabsäumt hat: VwGH 25.09.2001, 96/14/0057, ÖStZB 2002/369. Zum Ermessen bei der Geltendmachung von Haftungen siehe auch VwGH 2001/15/0152, ecolex 2002, 612 = RdW 2002/423 (Lohnsteuer).

Eine Ermessensfrage ist auch, in welcher Höhe die Haftung geltend gemacht wird: VwGH 05.07.2004, 2002/14/0123 (unveröffentlicht). Hat der Geschäftsführer (in eigener Sache) einen Zwangsausgleich abgeschlossen, so hat die Abgabenbehörde das bei der Ermessensübung zu berücksichtigen: VwGH 29.03.2007, 2005/15/0116, ecolex 2007/235, 552. Mit anderen Worten also: Der Haftungsbescheid hat sich an der Ausgleichsquote zu orientieren.

 

 

4.  Besondere Verfahrensfragen:

Beruft der GF sowohl gegen den Haftungsbescheid als auch gegen den Abgabenbescheid selbst, so hat die Berufungsbehörde zunächst über die Haftungsfrage zu entscheiden: VwGH 22.01.2004, 2003/14/0095, ÖStZB 2004/474, 496. Zur Haftungsbeschränkung bei Handelsspaltungen siehe Varga/Wolf, ÖStZ 2003/689, 349.

Zur Haftung für SV-Beiträge siehe VwGH 12.12.2000, 98/08/0191, 0192; Wukoschitz, RdW 2001/460.

 


§ 9 BAO | 2. Version | 1481 Aufrufe | 19.10.09
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Herbert Orlich
Zitiervorschlag: Herbert Orlich in jusline.at, BAO, § 9, 19.10.2009
Zum § 9 BAO Alle Kommentare Melden Vernetzungsmöglichkeiten