Kommentar zum § 1 FAGG

Rechtsanwalt Dr. Clemens Lintschinger; MSc am 14.07.2018

Zur Anwendung des FAGG auf Zusatzaufträge auf Baustellen

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Das Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (FAGG) gilt für Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern im Sinne des Konsumentenschutzgesetzes. Neben umfassenden Informationspflichten sieht das FAGG als Kernbestimmung vor, dass der Verbraucher ua. von einem außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten darf, wobei sich die Frist um zusätzliche zwölf Monate verlängert, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über dieses Rücktrittsrecht informiert hat. Ausnahmeregelungen gibt es, sollen hier aber nicht behandelt werden.

 

In der Praxis werden zwar Bauaufträge in den Büros der Werkunternehmer erteilt, doch kommt es im Zuge der Abwicklung oft auf Baustellen – also außerhalb von den Geschäftsräumen des Werkunternehmens – häufig zu Zusatzaufträgen. Es stellt sich die Frage, ob das FAGG auf solche Zusatzaufträge von Verbrauchern anwendbar ist und der Werkbesteller von einem Zusatzauftrag (zum Beispiel wegen einer Kostenüberschreitung) zu den Bedingungen des FAGG zurücktreten darf oder nicht?

 

Der Oberste Gerichtshof geht grundsätzlich davon aus, dass das FAGG auf Zusatzaufträge, die auf der Baustelle vergeben werden, sachlich anwendbar sein kann (siehe OGH, 4 Ob 28/18y). Die Beurteilung ist konkret davon abhängig, ob ein Zusatzauftrag als gesonderter Vertrag zu qualifizieren ist, oder ob ein einheitlicher Vertrag mit dem Hauptauftrag vorliegt.

 

„Äußerlich“ getrennte Verträge können sachlich eine Einheit bilden. Es ist daher möglich, dass ein Hauptauftrag und Zusatzaufträge einen einheitlichen Vertrag bilden. Aus rechtlicher Sicht liegt dann beim Zusatzauftrag kein gesonderter, außerhalb der Geschäftsräume des Bauunternehmens geschlossener Vertrag vor, weshalb der sachliche Anwendungsbereich des FAGG nicht gegeben wäre. Der Verbraucher dürfte dann nicht unter Bezugnahme auf das FAGG zurücktreten.

 

Ob im Einzelfall Hauptvertrag und Zusatzauftrag sachlich eine Einheit bilden, ist durch Vertragsauslegung und nach der Übung des redlichen Verkehrs zu klären. Gerade für den Bauvertrag ist es nach zutreffender Ansicht des OGH typisch, dass im Zuge der Bauausführung Leistungsänderungen vereinbart werden, um das Leistungsziel zu erreichen. Besonders deutlich wird dies bei der Vereinbarung eines Einheitspreisvertrages, bei welchem dem Besteller nur der Einheitspreis (Preis für die Einheit einer Leistung, die zB. nach Stück, Zeit oder Masse erfasst wird), nicht aber der Gesamtpreis zugesichert wird. Der Einheitspreisvertrag versetzt die Vertragsparteien in die Lage, auf Leistungsänderungen flexibel zu reagieren und wird daher dann gerne gewählt, wenn von den Vertragsparteien Leistungsänderungen erwartet werden. In einem solchen Fall ist idR davon auszugehen, dass sich auf der Baustelle ergebende Leistungsänderungen dem Hauptvertrag zuzuordnen sind. Der Hauptvertrag wird durch Zusatzaufträge konkretisiert und es liegt ein einheitlicher Vertrag vor. Das FAGG gelangt nicht zur Anwendung

 


§ 1 FAGG | 2. Version | 1792 Aufrufe | 14.07.18
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Rechtsanwalt Dr. Clemens Lintschinger; MSc
Zitiervorschlag: Rechtsanwalt Dr. Clemens Lintschinger; MSc in jusline.at, FAGG, § 1, 14.07.2018
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