1) Bei § 1 KartG geht es um die Formen der Zusammenarbeit, bei denen die beteiligten Unternehmen unter Aufrechterhaltung ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit direkt auf das Marktergebnis Einfluss nehmen, indem sie Absprachen mit unmittelbaren Konsequenzen für Preise, Produktionsmengen und Qualität treffen. Eine kartellgerichtliche Überprüfung nach den §§ 1 ff KartG kann immer nur ex post stattfinden. Bei strukturellen Vorgängen ist demgegenüber eine ex ante Prüfung in Form der Zusammenschlusskontrolle (vgl §§ 7 ff) das richtige Instrumentarium (16 Ok 11/13).
Erfordernis einer Willenseinigung
2) Sowohl das Vereinbarungskartell durch Vertrag als auch jenes durch Absprache setzen eine Willenseinigung zwischen den Beteiligten voraus. Ob eine solche vertragliche Übereinkunft oder Absprache vorliegt, ist eine Frage der Tatsachenfeststellungen (Ris-Justiz RS0114081).
Ausschließlichkeitsbindungen
3) Die ersten ein Konkurrenzverbot betreffenden Entscheidungen ergingen noch zum alten Kartellrecht (Okt 6/93; 16 Ok 3/96; vgl auch 16 Ok 4/01 und 16 Ok 6/02). Danach entsprach ein Wettbewerbsverbot, soweit es über das Wesen einer die Äquivalenz der beiderseitigen kartellrechtlich unbedenklichen Hauptleistungspflichten sichernden Nebenabrede nicht hinausgeht, keinem in § 10 KartG 1988 umschriebenen Tatbestand und war daher nicht als Kartell zu beurteilen. Anderes gelte, wenn eine Beschränkung über einen solchen Zweck hinausgehe. Die Grenze zwischen kartellrechtsneutraler Nebenabrede und kartellrechtsrelevanter Wettbewerbsbeschränkung iSd § 10 KartG 1988 könne nur im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des betreffenden Wirtschaftszweigs gezogen werden. In der Regel werde ein fünf Jahre übersteigendes Wettbewerbsverbot dem Anwendungsbereich des Kartellrechts zu unterwerfen sein (16 Ok 8/10).
4) Ausschließlichkeitsbindungen im weiteren Sinn sind sämtliche Handlungsbeschränkungen, die ein Unternehmen seinen Vertragspartnern auferlegt (16 Ok 14/08). Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Ausschließlichkeitsbindungen nicht nur in die Handlungsfreiheit der Vertragspartner eingreifen, sondern sich auch für die Verfolgung wettbewerbsfeindlicher Ziele, wie die Behinderung von Konkurrenten, die Aufteilung von Märkten oder die Verstärkung der eigenen Markstellung eignen (Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art 82 Rz 177). Eine den Kunden auferlegte Verpflichtung, ihren Bedarf ganz bei einem marktbeherrschenden Unternehmen zu decken, kann als Behinderung von Mitbewerbern mit dem Leistungswettbewerb unvereinbar sein. Dass die Bindung möglicherweise auch im Interesse der Kunden liegt oder sogar auf ihren Wunsch vereinbart wurde, ändert daran nichts. Maßgebend sind vielmehr der Bindungsgrad und die Auswirkungen auf den Restwettbewerb. Zu beachten ist allerdings, dass die Abnehmerbindung grundsätzlich einer Rechtfertigung zugänglich ist, wenn deren Nachweis auch schwierig sein mag (16 Ok 8/10; 16 Ok 14/08; Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 82 Rz 54 f).
5) Allerdings bewirkt eine Einschränkung der Handlungsfreiheit beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen in Form von Alleinbezugsverpflichtungen, Wettbewerbsverboten oder langfristigen Abnahmeverpflichtungen nicht automatisch eine Wettbewerbsbeschränkung iSd Art 101 EG bzw § 1 KartG. Zu selektiven Vertriebssystemen hat der EuGH bereits wiederholt ausgesprochen, dass diese zwangsläufig den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt beeinflussen (EuGH 107/82, AEG-Telefunken/Kommission; EuGH C 439/09 – Pierre Fabre Dermo-Cosméthique). Es kommt entscheidend auf die marktabschottende Wirkung der Vereinbarung an, und es ist daher zu prüfen, ob und inwieweit sie in Verbindung mit anderen Verträgen dieses Typs die Möglichkeiten Dritter zum Markteintritt oder zur Ausweitung von Marktanteilen spürbar beeinträchtigt (Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 81 Rz 51). Bei langfristigen Liefer- und Bezugsverträgen, die im Ergebnis eine Ausschließlichkeitsbindung bewirken, sah die Europäische Kommission – abgesehen vom Energiewirtschaftssektor – eine marktschließende Wirkung bereits bei zeitlichen Bindungen zwischen vier und sechs Jahren als gegebene an (16 Ok 8/10; Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 153).
Ausschließlichkeitsbindung durch "Radialklauseln"
6) Eine Radiusklausel führt dazu, dass Vertragspartner (in der Regel des Betreibers eines Einkaufszentrums) in einem bestimmten Umkreis keine weiteren Filialen errichten und daher im vereinbarten Gebiet ihren Bedarf an Bestandobjekten nur bei einem Anbieter decken dürfen. Es liegt zwar kein Vertikalverhältnis vor, weil die nachgefragte Leistung nicht dem Wiederverkauf dient, es besteht jedoch eine Ausschließlichkeitsbindung im Bereich eines für die eigentliche Unternehmenstätigkeit der Nachfrager notwendigen Hilfsgeschäfts (16 Ok 8/10 – Radiusklausel II).
7) Derartige Ausschließlichkeitsbindungen unterliegen im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung in vielfältiger Hinsicht Einschränkungen. Im Innenverhältnis zwischen der bindenden und der gebundenen Partei kann eine zu weitgehende Bindung allenfalls gegen § 879 ABGB verstoßen. Nach herrschender Auffassung liegt Sittenwidrigkeit vor, wenn ein Wettbewerbsverbot in übergroßem Umfang ohne zeitliche und örtliche Beschränkung auferlegt wird oder ein auffälliges Missverhältnis zwischen den durch das Verbot zu schützenden Interessen des einen Vertragsteils und der dem anderen Teil auferlegten Beschränkung besteht (Koppensteiner, Wettbewerbsrecht3 § 7 Rz 48 mwN; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 879 Rz 102; 8 Ob 141/08f). Denkbar ist auch, dass ein derartiger Verstoß nach § 1 UWG als unlauter einzustufen ist, sodass jeder Mitbewerber und die in § 14 UWG angeführten Stellen dagegen vorgehen können (16 Ok 8/10).
8) Bei einer Beurteilung der Radiusklausel nach Kartellrecht kommen als Rechtsgrundlagen das Kartellverbot des Art 101 AEUV (ex Art 81 EG, Art 85 EWG) bzw. § 1 KartG und das Missbrauchsverbot des Art 102 AEUV (ex Art 82 EG, Art 86 EWG) bzw. des § 5 KartG in Betracht (nur auf Letzteres abstellend offenbar Pirko, Ergänzung zum Beitrag von Palmstorfer, wbl 2010, 220; 16 Ok 8/10).
9) Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung betrifft auch nicht den gesamten relevanten Markt, sondern lediglich das Gebiet innerhalb des „Radius“. Auch zeitlich ist die Radiusklausel in ihrer Wirkung beschränkt, weil sie nicht über die Dauer des Bestandsverhältnisses hinaus wirkt. Schließlich ist die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Radiusklausel auf Unternehmen beschränkt, die mit der Antragsgegnerin in einem Vertragsverhältnis stehen; der Marktzutritt neuer Mietinteressenten wird davon nicht berührt. Neue Mietinteressenten können sich vielmehr frei entscheiden, ob sie einen Mietvertrag mit der Antragsgegnerin abschließen oder einen anderen Standort wählen. Dazu kommt, dass in jeder Branche erfahrungsgemäß mehrere Unternehmen tätig sind, sodass die Radiusklausel den Betreiber eines weiteren Einkaufszentrums nicht hindert, seinerseits einen entsprechenden Branchenmix anzubieten. Die für die Attraktivität eines Einkaufszentrums so bedeutsamen Ankermarken sind in der Regel ohnehin nicht durch eine Radiusklausel gebunden (16 Ok 8/10).
10) Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung einer Radiusklausel ist demnach – selbst wenn sie für die gesamte Dauer des betreffenden Bestandsverhältnisses gilt – deutlich geringer als die anderer Ausschließlichkeitsbindungen (16 Ok 8/10).
Verstoss gegen § 1 Abs 2 Z 1 KartG
11) Nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG ist unter anderem die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung von Verkaufspreisen verboten. Kernbeschränkungen des Wettbewerbs wie Preisabsprachen, Produktions- und Absatzbeschränkungen und Marktaufteilungsabsprachen sind grundsätzlich bezweckte Beschränkungen des Wettbewerbs (RIS-Justiz RS0120917).
Verstoss gegen § 1 Abs 2 Z 2 KartG
12) Nach § 1 Abs 2 Z 2 KartG sind Wettbewerbsbeschränkungen, die eine Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung oder des Absatzes betreffen, verboten (16 Ok 7/13).
Empfehlungskartell (§ 1 Abs 4)
13) Für den verbotenen "wirtschaftlichen Druck" iSd § 1 Abs 4 ist eine gewisse Mindestspürbarkeit als Untergrenze zu fordern. Diese Voraussetzung ist bei gewährung eines Bonus von blöß 1,5% evident nicht erfüllt (16 Ok 1/13).
Vertikale Preisbindung
14) Es kann Umstände geben, unter denen eine vertikale Preisbindung keinen Verstoß gegen Art 101 AEUV bzw das KartG bewirkt, so etwa bei Vorliegen der Ausnahmebestimmung des Art 101 Abs 3 AEUV bzw § 2 Abs 1 KartG und bei ganz bestimmten Varianten von Preisabsprachen, nämlich Höchstpreisvereinbarungen.
Konkurrenz zwischen § 1 KartG und Art. 101 AEUV
15) Nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in Art. 101 und 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, ex Art. 81 und 82 EG) niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl 2003 L 1/1, sind die Mitgliedstaaten für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV in Einzelfällen zuständig. Sie können von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde die Abstellung von Zuwiderhandlungen und einstweilige Maßnahmen anordnen, Verpflichtungszusagen annehmen und Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige Sanktionen verhängen (vgl. 16 Ok 411).
16) Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 AEUV (früher Art 81 EG), wenn sie „eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken“. Von einer Vereinbarung iSd Art 101 AEUV ist auszugehen, wenn zwei oder mehrere Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten, mag die Willensübereinstimmung ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein (16 Ok 8/10; Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 65f; Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 81 Rz 1).
17) Dabei ist zunächst der eigentliche Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind. Wen feststeht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden (EuGH C-501/06 P – GlaxoSmithKline Services/Kommission; EuGH C-439/09 – Pierre Fabre Dermo-Cosméthique). Ob sich ein Unternehmen freiwillig oder unter dem Druck der anderen Seite an der Vereinbarung beteiligt, ist dabei unerheblich (16 Ok 1/09; Emmerich in Immenga/Mestäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art 81 Abs 1 Rz 65; Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 81 Rz 3; Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 65f). Auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit des einen Vertragspartners vom anderen schließt das Vorliegen einer Vereinbarung noch nicht aus (EuGH 12.7.1979, Slg 1979, 2435, BMW Belgium ua/Kommission; vgl auch Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht II Art 81 Rz 17).
18) Begriff und Inhalt der Vereinbarung sind objektiv zu verstehen, auf subjektive Intentionen, innere Vorbehalte oder unterlassene Mitwirkung kommt es nicht an. Wusste allerdings der Unternehmer oder musste er wissen, dass die Absprache, an der er sich beteiligt, Teil eines Gesamtplans ist, so trägt er Verantwortung für den Gesamtplan (Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 67f). Ohne Bedeutung sind die unterschiedlichen Interessenlagen der Bestandnehmer und ihr mangelnder Einfluss darauf, mit wem der Bestandgeber Radiusklauseln vereinbart (16 Ok 8/10; 16 Ok 14/08).
Zwischenstaatlicher Handel
19) Das Fehlen einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ist eine negative Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendbarkeit von § 1 KartG. Mit anderen Worten kommt § 1 KartG nur dann zur Anwendung, wenn der zwischenstaatliche Handel nicht berührt wird.
20) Nach den Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 101 und 102 AEUV (ex Art. 81 und 82 EG) sind Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, die auf einen einzigen Mitgliedstaat begrenzt sind und nicht direkt Einfuhren und Ausfuhren betreffen, insbesondere dann geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn sie eine Marktabschottung bewirken und so Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten den Zutritt zum nationalen Markt erschweren (LLBeeintr., ABl Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, Rz. 84; 16 Ok 7/09).
21) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Union hat ein Kartell, das sich auf das Gesamtgeiet eines Mitgliedstaates erstreckt, schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen; es verhindert somit die vom Vertrag gewollte gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung und schützt die inländische Produktion (Nachweise bei Schröter in Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Art. 81 Abs. 1 Rz. 202 FN. 925). So kann ein Kartell oder ein abgestimmtes Verhalten von Versicherungsgesellschaften, das in einem gegenseitigen Informationsaustausch besteht, der eine durch die Marktbedingungen nicht gerechtfertigte Erhöhung der Prämien für die Kfz-Haftpflichtversicherung ermöglicht, und das gegen die nationalen Vorschriften über den Schutz des Wettbewerbs verstösst, auch gegegn Art. 101 AEUV verstoßen, wenn unter Berücksichtigung der Merkmale des relevanten nationalen Marktes eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass das betreffende Kartell oder abgestimmte Verhalten den Abschluss dieser Versichertungen in dem betreffenden Mitgliedstaat durch Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitglliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell beeinflussen kannn und dieser Einfluss nicht nur geringfügig ist (EuGH 13.7.2006, Rs. C-295/04, Manfredi, Rz. 52; 16 Ok 7/09).
Spürbarkeit / De-minimis-Bekanntmachung
22) Sowohl § 1 KartG wie auch Art 101 AEUV liegt das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zugrunde, dass eine Wettbewerbsbeschränkung spürbar sein muss. Daher ist das Spürbarkeitskriterium auch für Wettbewerbsbeschränkungen im Bereich sonstiger vertikaler Vereinbarungen von besonderer Bedeutung (16 Ok 12/13).
23) Die De-minimis-Bekanntmachung der Kommission ist weder für die Gerichte bindend noch ist sie als abschließende umfassende Regelung gedacht (s Schröter in Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht Art 81 Rz 228). Zu berücksichtigen sind jeweils die Wirkungen auf den Wettbewerb, die Markstellung des Betroffenen, die Art und Menge der Güter oder Dienstleistungen sowie das rechtliche und behördliche Umfeld (EuGH 22/71, Béguelin, Slg 1971, 949, 960; EuGH 27/87, Erauw-Jacquery/La Hesbignonne, Slg 1988, 1919, 1940; vgl auch Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht Art 81 Rz 97).
24) Die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeeinträchtigung kann auch von Bündeln gleicher Vereinbarungen ausgehen („Bündeltheorie“). So gelten Alleinbezugsvereinbarungen als wettbewerbsbeschränkend, wenn die betreffende Vereinbarung isoliert oder gemeinsam mit anderen Verträgen des Vertragsbündels spürbar zur Marktabschottung beiträgt. In Rz 8 der Bagatellbekanntmachung der Europäischen Kommission werden dafür eigene Marktanteilsschwellen angeführt, und zwar 5 % des relevanten Markts sowohl für Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern als auch zwischen Nichtwettbewerbern, und 30 % bei nebeneinander bestehenden (Netzen von) Vereinbarungen, die ähnliche Wirkungen auf den Markt haben. Allein auf den Marktanteil der Verfahrensparteien kommt es daher – selbst wenn man von der Anwendbarkeit der Bekanntmachung ausginge – nicht an (16 Ok 8/10).
25) Der EuGH hat die Bündeltheorie in der Bierbezugsverträge betreffenden Entscheidung C-234/89, Delimitis, Slg 1991, I-935, entwickelt. Danach erfüllen (vertikale) Bezugsvereinbarungen zwischen einem Anbieter und seinen Abnehmern nur dann das für das Kartellverbot notwendige Tatbestandsmerkmal der spürbaren Wettbewerbsbeschränkung, wenn die zu beurteilenden Vereinbarungen im Gesamtzusammenhang mit gleichartigen Vereinbarungen desselben oder auch anderer Anbieter erheblich zur Marktabschottung beitragen und der Markt somit aufgrund eines Bündels von Bezugvereinbarungen für hinzukommende Bewerber schwer zugänglich ist (16 Ok 8/10).
26) Die Marktabschottung ergibt sich primär aus dem Bindungsgrad der Abnehmer auf dem sachlich relevanten Markt. Dabei ist auch die Dauer der Bezugsbindung wesentlich. Bei einem Bindungsgrad von unter 30 % hat der Oberste Gerichtshof bereits – im Anschluss an die Europäische Kommission – ausgesprochen, dass eine Europäische Marktabschottung unwahrscheinlich ist (16 Ok 1/09 – Radiusklausel III).
27) Der Bindungsgrad ist jedoch nicht der einzige Beurteilungsfaktor. Vielmehr sind auch die herrschenden Markbedingungen zu untersuchen, insbesondere die tatsächlichen konkreten Möglichkeiten neuer Wettbewerber, trotz dieser Netze in den Markt einzudringen (16 Ok 8/19; EuGH C-234/89, Delimitis, Slg 1991, I-935, Rz 19 f, EuG T-7/93 – Langnese-Iglo, Rz 101; EuG T-65/98, Van den Bergh Foods, Rz 112).
28) Nach Punkt II.8 der De-minimis-Bekanntmachung werden, wenn in einem relevanten Markt der Wettbewerb durch die kumulative Wirkung von Vereinbarungen beschränkt (…), die verschiedene Lieferanten oder Händler für den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen geschlossen haben (kumulativer Marktabschottungseffekt durch nebeneinander bestehende Netze von Vereinbarungen, die ähnliche Wirkungen auf dem Markt haben), (…) die in Ziffer 7 genannten Marktanteilsschwellen auf 5 % herabgesetzt, sowohl für Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern als auch für Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern. Bei einzelnen Lieferanten oder Händlern mit einem Marktanteil, der 5 % nicht überschreitet, ist in der Regel nicht davon auszugehen, dass sie wesentlich zu dem kumulativen Abschottungseffekt beitragen. Es ist unwahrscheinlich, dass ein kumulativer Abschottungseffekt vorliegt, wenn weniger als 30 % des relevanten Marktes von nebeneinander bestehenden (Netzen von) Vereinbarungen, die ähnliche Wirkungen auf dem Markt haben, abgedeckt werden (vgl. 16 Ok 8/10).