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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §69;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Närr, Dr. Degischer und Dr. Dorner als Richter, im Beisein des Schriftführers Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde des VH in W, vertreten durch den im Wege der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt Dr. Ernst Grossmann in Wien I, Singerstraße 27, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 14. Februar 1980, Zl. MA 70-IX/H 482/79/Str., betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht in Angelegenheit eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Verwaltungsstrafsache, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Margareten, verhängte mit Straferkenntnis vom 10. März 1975 gegen VH gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von S 100,-- (Ersatzarreststrafe 12 Stunden), weil er am 22. August 1974 um 11.15 Uhr in Wien 9, Berggasse 41, mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagen gehalten habe, obwohl an dieser Stelle ein durch Verbotstafeln gekennzeichnetes Halteverbot bestehe, und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO in Verbindung mit § 24 Abs. 1 lit. a begangen habe. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer vorerst keine Berufung, da er offenbar den Standpunkt vertrat, dass ihn dieses Straferkenntnis nicht berühre, da sein Name unrichtig (X statt richtig: H) geschrieben worden war. Mit Bescheid vom 25. September 1975 berichtigte die vorgenannte Behörde das von ihr erlassene Straferkenntnis vom 10. März 1975 dahin gehend, dass der Name richtig "H" zu lauten habe.
Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 1975 erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 25. September 1975 "in Zusammenhang mit dem Straferkenntnis vom 10. 3. 1975 in offener Frist Berufung", in der er der Behörde in der Sache selbst unrichtige Sachverhaltsdarstellung sowie unrichtige rechtliche Beurteilung zum Vorwurf machte und die "Aufhebung der bekämpften Bescheide" beantragte.
Mit Berufungsbescheid vom 13. Juni 1977 bestätigte die belangte Behörde den (Berichtigungs-) Bescheid der ersten Instanz vom 25. September 1975 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 und führte in der Begründung ihres Bescheides im wesentlichen aus, es sei der angefochtene Bescheid insofern zu bestätigen, als der Beschwerdeführer bezüglich des Berichtigungsbescheides, der einen typischen Schreibfehler im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG 1950 zum Gegenstand habe, nicht anführe, was auf einen Mangel desselben schließen hätte lassen können und auch von Amts wegen ein solcher nicht habe festgestellt werden können. Eine Berufung gegen das Straferkenntnis vom 10. März 1975 sei aber nicht mehr möglich gewesen, da dieses bereits in Rechtskraft erwachsen sei.
Am 5. Juli 1977 brachte der Beschwerdeführer bei der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Margareten, einen mit 4. Juli 1977 datierten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 10. März 1975 abgeschlossenen Verfahrens zur Wahrung der Wiederaufnahmefrist für den Fall ein, dass die Behörde diesen Bescheid (vom 10. März 1975) als in Rechtskraft erwachsen betrachte, obwohl der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 13. Oktober 1975 auch dagegen die Berufung erhoben habe, über die noch nicht entschieden worden sei. Erst auf Grund der im Berichtigungsverfahren ergangenen Entscheidung vom 13. Juni 1977 sei rechtskräftig entschieden worden, dass das Straferkenntnis auf den Namen des Beschwerdeführers laute und gegen ihn gerichtet sei.
Über diesen Antrag wurde von der Behörde nicht entschieden. (Mit Amtsvermerk vom 4. November 1977 wurde das
gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 24 Abs. 1 lit. a StVO 1960 von der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Margareten, gemäß § 45 Abs. 1 lit. c VStG 1950 mit der Begründung eingestellt, dass gemäß § 31 Abs. 3 VStG 1950 am 22. August 1977 Vollstreckungsverjährung eingetreten sei.)
Am 28. Juni 1979 langte bei der belangten Behörde der Antrag des Beschwerdeführers vom 22. Juni 1979 gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 ein, wonach diese als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde unter Nachholung der versäumten Entscheidung über den vom Beschwerdeführer hiermit gestellten Devolutionsantrag entscheiden möge.
Mit Bescheid vom 14. Februar 1980 wies die belangte Behörde den Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 24 VStG 1950 als unzulässig zurück und führte in der Begründung dieses Bescheides im wesentlichen aus, es finde gemäß § 24 VStG 1950 die Bestimmung des § 73 AVG 1950 über den Übergang der Zuständigkeit an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde keine Anwendung, sodass schon aus diesem Grunde der diesbezügliche Antrag als unzulässig zurückzuweisen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes rechtzeitig erhobene Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer - unter Hinweis auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Jänner 1980, Zl. 10/1980 - im wesentlichen ausführt, dass die Bestimmungen der §§ 69 und 70 AVG 1950 über die Wiederaufnahme des Verfahrens durch § 24 VStG 1950 von der Anwendung im Verwaltungsstrafverfahren nicht ausgenommen seien.
Die belangte Behörde legte den Verwaltungsstrafakt vor, sah jedoch unter Hinweis auf den bereits zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes von einer Stellungnahme ab.
Zum Hinweis der belangten Behörde, dass die vorliegende Beschwerde verspätet sei, wird bemerkt, dass die Zustellung des in Beschwerde gezogenen Bescheides am 27. März 1980, die Aufgabe der Beschwerde bei der Post jedoch schon am 8. Mai 1980 und nicht, wie von der belangten Behörde angenommen, erst am 9. Mai 1980 erfolgt ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde erweist sich als begründet.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Margareten, vom 10. März 1975 - auch ungeachtet der dagegen eingebrachten Berufung, weil diese verspätet war - in Rechtskraft erwachsen war, weil mit diesem Straferkenntnis trotz der (unrichtigen) Schreibweise des Namens "X" (statt richtig "H") eine ausreichende Individualisierung des Beschwerdeführers (durch den richtigen Vornamen und die richtige Anschrift) gegeben war. Dies deshalb, da die Zustellung des Straferkenntnisses nicht die erste Amtshandlung war, die sich gegen den Beschwerdeführer gerichtet hatte, der auf Grund der vorangegangenen, ihm bekannt gewordenen Verfahrensschritte (Strafverfügung, Ladungsbescheid) - bei denen sein Name völlig richtig geschrieben worden war - mit der Erlassung eines Straferkenntnisses hat rechnen müssen, sodass in diesem Fall der Schreibweise des Familiennamens des Beschwerdeführers nicht jene Bedeutung zukommt, die ihr dieser offenbar geben will.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Beschluss vom 19. Oktober 1965, Slg. N.F. Nr. 6786/A, dargelegt hat, ist der Antrag, die Wiederaufnahme zu bewilligen, auf die Beseitigung eines rechtskräftig gewordenen Bescheides gerichtet. Bei Zutreffen der im § 69 Abs. 1 AVG 1950 umschriebenen Voraussetzungen besteht ein Rechtsanspruch auf Entscheidung (arg.: "dem Antrag ist stattzugeben"), wobei jedoch ein solcher Rechtsanspruch unvollkommen wäre, wenn ihm nicht die Entscheidungspflicht der Behörde innerhalb eines bestimmten Zeitraumes mit den an die Versäumung der Frist geknüpften Folgen gegenüberstünde. Die Bestimmungen der §§ 69 und 70 AVG 1950 über die Wiederaufnahme des Verfahrens sind durch den § 24 VStG 1950 von der Anwendung im Verwaltungsstrafverfahren nicht ausgenommen. Dies kann nur bedeuten, dass das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme des Verfahrens zu Gunsten einer Partei als Ganzes, also auch in der mit dieser Hinsicht unerlässlichen Entscheidungspflicht der Behörde im Sinne der Bestimmungen des § 73 AVG 1950 im Verwaltungsstrafverfahren Geltung haben muss. (vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Jänner 1980, Zl. 10/80.).
Da die belangte Behörde bei Erlassung des in Beschwerde gezogenen Bescheides diese Rechtslage jedoch verkannt und den in Rede stehenden Devolutionsantrag des Beschwerdeführers mit der von ihr zum Ausdruck gebrachten - unrichtigen - Rechtsansicht zurückgewiesen hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I A Z. 1 und Art III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221/1981. Das auf Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, da dem Beschwerdeführer mit der Zuerkennung der Verfahrenshilfe auch die Befreiung von der Entrichtung derartiger Gebühren gewährt worden war. Wien, am 4. Dezember 1981
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1981:1980001166.X00Im RIS seit
17.03.2004Zuletzt aktualisiert am
27.10.2008