TE Vwgh Erkenntnis 1990/8/29 90/02/0044

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Veröffentlicht am 29.08.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §66 Abs4;
BAO §167 Abs2;
StVO 1960 §16 Abs1 lita;
StVO 1960 §16 Abs2 litb;
StVO 1960 §99 Abs3 lita idF 1971/274;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §31 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;
VStG §44a Z1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwRallg;

Betreff

N gegen Oberösterreichische Landesregierung vom 22. Jänner 1990, Zl. VerkR-10628/5-1989-II/Sch, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 für schuldig befunden und hiefür bestraft wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 15. Oktober 1987 gegen 10.05 Uhr auf einer näher bezeichneten Landesstraße in Senftenbach, Straßenkilometer n mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw, in Richtung Weilbach fahrend, den vor ihm fahrenden, dem Kennzeichen nach bestimmten Lkw zu überholen begonnen und anschließend überholt, obwohl 1. es sich bei dieser Straßenstelle um eine unübersichtliche Rechtskurve (in seiner Fahrtrichtung gesehen) mit leichter Bergkuppe handle und 2. er den ihm entgegenkommenden Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws dadurch gefährdet habe, daß dieser, um einen Zusammenstoß mit seinem Pkw zu verhindern, seinen Pkw auf das Straßenbankett und anschließend ca. 30 cm in eine Wiese habe lenken müssen, und dabei durch Streifung eines Leitpflockes eine leichte Eindellung bzw. Lackbeschädigungen an den rechten Kotflügeln und der rechten Tür entstanden seien. Der Beschwerdeführer habe hiedurch Verwaltungsübertretungen zu

1. nach § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 und zu 2. nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 begangen. Es wurden Geldstrafen von je

S 500,-- (Ersatzarreststrafen von je 16 Stunden) verhängt.

Hiegegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

ZUR VERWALTUNGSÜBERTRETUNG NACH § 16 Abs. 1 lit. a STVO 1960:

Gemäß § 16 Abs. 1 lit. a StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof unter anderem in seinem Erkenntnis vom 22. Februar 1989, Zl. 88/03/0113, ausgesprochen hat, besteht der nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO strafbare Tatbestand darin, daß der Lenker eines Fahrzeuges einen Überholvorgang ungeachtet dessen, daß andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten, durchführt, d.h. mit dem Überholen beginnt oder dieses nicht abbricht, solange dies noch möglich ist. Der Inhalt der Bestimmung des § 16 Abs. 1 lit. a StVO bezieht sich tatbestandsmäßig nicht auf eine am Ende eines Überholvorganges eintretende Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer - wenngleich dies die Folge eines unerlaubten Überholmanövers sein kann -, sondern auf ein, dem überholenden Fahrzeuglenker erkennbares Gefährden - oder Behindern - Können bzw. einen Platzmangel. Es genügt eine abstrakte Gefährdung oder Behinderung, also die bloße Möglichkeit einer solchen.

Gemäß § 16 Abs. 2 lit. b StVO darf ein Fahrzeuglenker bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z. B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen nicht überholen.

In seinem Erkenntnis vom 30. Juni 1970, Zl. 1429/69, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, daß die Bestimmungen des § 16 Abs. 1 lit. a und des § 16 Abs. 2 lit. b StVO einander nicht ausschließen. Im damaligen Beschwerdefall war ein Lenker wegen Überholens in einer unübersichtlichen Kurve UND trotz Gegenverkehr bestraft worden.

Im vorliegenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer als Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO die zu einem Sachschaden führende konkrete Gefährdung eines entgegenkommenden Lenkers angelastet. Wie oben ausgeführt, kommt es bei dieser Übertretung aber nicht auf den Eintritt einer Gefährdung AM ENDE eines unerlaubten Überholvorganges, sondern auf ein BEI BEGINN des Überholvorganges (bzw. was das Abbrechen eines Überholvorganges anlangt, während dieses Vorganges) erkennbares Gefährden-Können an.

Ein Fahrzeuglenker kann daher durch EINEN Überholvorgang BEIDE in Rede stehenden Übertretungen begehen, wenn er beispielsweise vor einer unübersichtlichen Kurve und trotz (im näheren oder weiteren Straßenverlauf) erkennbaren Gegenverkehrs (der gefährdet werden könnte) zu überholen beginnt, oder wenn er - nachdem er ohne erkennbaren Gegenverkehr, aber vor einer unübersichtlichen Kurve zu überholen begonnen hat - trotz während des Überholvorganges erkennbar werdenden Gegenverkehrs den Überholversuch nicht abbricht, obwohl dies noch möglich wäre.

Daß ein solcher Sachverhalt im Beschwerdefall gegeben wäre, ist aus den Feststellungen der belangten Behörde nicht ableitbar. Vielmehr hat sich die abstrakte Gefährdung anderer Straßenteilnehmer bzw. die konkrete Gefährdung des entgegenkommenden Lenkers ALLEIN aus dem Überholen auf einer unübersichtlichen Straßenstelle, wie es gemäß § 16 Abs. 2 lit. b StVO verboten ist, ergeben. Die Tat hatte somit keinen Unrechtsgehalt, der nicht schon durch die zuletzt genannte Bestimmung voll erfaßt wäre.

Soweit der Beschwerdeführer daher wegen seines Verhaltens auch der Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO schuldig erkannt wurde, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

ZUR VERWALTUNGSÜBERTRETUNG NACH § 16 Abs. 2 lit. b STVO 1960:

Der Beschwerdeführer meint, die Tatumschreibung habe sich während des Verwaltungsstrafverfahrens mehrmals geändert. Erstmals im Straferkenntnis vom 13. Februar 1989 sei ihm zur Last gelegt worden, den Überholvorgang beim Straßenkilometer 4,750 begonnen zu haben, und sei auch eine leichte Bergkuppe erwähnt worden. Es sei daher Verjährung eingetreten.

Richtig ist, daß als Ort des Überholvorganges in der Strafverfügung vom 7. Dezember 1987 "km 4,85" und in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 21. Jänner 1988 "bei km 4,8" angegeben wurde. Auch ist in letzterer Verfolgungshandlung nur von einer unübersichtlichen Rechtskurve und nicht auch von einer Bergkuppe die Rede. Erst nach Durchführung von Lokalaugenscheinen hat die Erstbehörde im Straferkenntnis die in Rede stehenden Änderungen vorgenommen, die von der belangten Behörde übernommen wurden.

Es handelte sich bei der Kilometer-Angabe aber nur um eine unbedeutende Präzisierung, ohne daß es zu einer Auswechslung der Tat gekommen wäre. Daß sich im Bereich der Kurve auch eine Bergkuppe befand, schilderte bereits der entgegenkommende Lenker bei seiner innerhalb der Verjährungsfrist erfolgten Zeugenvernehmung vom 14. Februar 1988, die eine taugliche Verfolgungshandlung darstellte - selbst wenn der Beschwerdeführer innerhalb der Verjährungsfrist hievon keine Kenntnis erlangt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. März 1986, Zl. 85/03/0144). Im übrigen wurde ihm die Aussage aber mit dem gesamten Akteninhalt am 9. März 1988 zur Kenntnis gebracht.

Der Beschwerdeführer wendet sich weiters gegen die Annahme, er habe sein Überholmanöver beim Straßenkilometer 4,750 begonnen. Damit bekämpft er die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Diese unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nur insoferne, als die belangte Behörde den Sachverhalt vollständig ermittelt hat und die bei der Beweiswürdigung angestellten Überlegungen schlüssig sind, nicht aber auch, ob sie richtig in dem Sinne sind, daß eine den Beschwerdeführer belastende Darstellung und nicht dessen Verantwortung den Tatsachen entspricht (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Hievon ausgehend hält die Beweiswürdigung der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung jedenfalls stand: Der Beginn des Überholmanövers des Beschwerdeführers wurde vom Lenker des überholten Lkws mit "bei Kilometer 4,75" angegeben. Zu diesem Zeitpunkt hat der Beschwerdeführer nach dieser Zeugenaussage seinen Pkw auf die linke Fahrbahnseite gelenkt. Wenn der Zeuge weiter angegeben hat, der Pkw habe sich zur Gänze auf der linken Fahrbahnseite befunden, so ergibt sich aus dem Zusammenhang, daß damit nicht der Beginn des Auslenkens beim Straßenkilometer 4,750, sondern die Lage nach dem Auslenken gemeint war. Zur Aussage, ca. bei Kilometer 4,780 habe der Lenker des überholten Lkws erstmals den Gegenverkehr gesehen, zu diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer auf gleicher Höhe gewesen, ist darauf hinzuweisen, daß es sich hiebei lediglich um Zirka-Angaben über Vorgänge im Fließverkehr handelt. Bei rechnerischer Überprüfung ist daher keine vollständige Übereinstimmung zu erwarten.

Was die Aussage des Beschwerdeführers vom 19. Juni 1989 anlangt, er habe das Übermanöver ca. bei Kilometer 4,533 begonnen, so hätte dies nach dem Gutachten des Amtssachverständigen bedeutet, daß der entgegenkommende Lenker an einer Stelle, die (in seiner Fahrtrichtung gesehen) mehr als 150 m vor der Stelle, an der der Beschwerdeführer den Überholvorgang bereits abgeschlossen gehabt hätte, in die Wiese gefahren wäre. Warum er dies getan hätte, wäre angesichts des genannten Abstandes unerfindlich.

Der Gerichtshof hält es daher nicht für unschlüssig, wenn die belangte Behörde nicht dem Beschwerdeführer, sondern den ihn belastenden Aussagen der beiden anderen Fahrzeuglenker Glauben geschenkt hat.

Der Beschwerdeführer meint, es wäre eine Auseinandersetzung mit den Fahrgeschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge vorzunehmen gewesen. Im in der Beschwerde zitierten hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1981, Zl. 02/3161/80, wurde der Fahrgeschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge bei der Beurteilung der Frage, ob der Bestimmung des § 16 Abs. 2 lit. b StVO zuwider gehandelt wurde, dann Bedeutung beigemessen, wenn fraglich ist, ob die Überholstrecke, deren Länge unter anderem von der jeweiligen Fahrgeschwindigkeit abhängig ist, im Bereich einer unübersichtlichen Straßenstelle gelegen ist oder nicht (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 20. April 1987, Zl. 86/03/0241, und vom 5. April 1989, Zlen. 88/03/0247, 0248).

Hiezu sind in der Begründung des Straferkenntnisses, auf die im angefochtenen Bescheid verwiesen wird, aber ausreichende Feststellungen enthalten. Aus diesen ergibt sich, daß der Beschwerdeführer von der für die Prüfung, ob eine unübersichtliche Straßenstelle im Sinne des § 16 Abs. 2 lit. b StVO gegeben ist, maßgeblichen Stelle aus, wo das Überholmanöver begonnen wurde (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 5. April 1989), über keine genügende Sichtweite verfügte. Da dieser Umstand bei mehreren Lokalaugenscheinen ausreichend geklärt wurde, bedurfte es keiner weiteren Gutachtensergänzung.

Auf die Geschwindigkeit des Gegenverkehrs kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, sondern allenfalls auf die Geschwindigkeit des überholenden und des überholten Fahrzeuges (vgl. zu letzterem das bereits zitierte Erkenntnis vom 20. April 1987). Gleichgültig ist es auch, ob dem Lenker des entgegenkommenden Fahrzeuges irgendein Fehlverhalten vorzuwerfen ist, da im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren nicht ein allfälliges Mitverschulden dieses Lenkers an der Herbeiführung des von ihm erlittenen Schadens zu untersuchen war. Auch ein Milderungsgrund könnte hieraus zu Gunsten des Beschwerdeführers nicht abgeleitet werden.

Im übrigen vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß die belangte Behörde bei der Bemessung der unter den gegebenen Umständen äußerst milden, im untersten Bereich der Strafdrohung gelegenen Geldstrafe ihren Ermessensspielraum überschritten hätte.

Die vorliegende Beschwerde war daher - soweit sie die Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 betrifft - gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme VerwaltungsstrafrechtRechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6Spruch der Berufungsbehörde Änderungen des Spruches der ersten Instanz"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff TatortBeschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990020044.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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