Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; durch Androhung der unverzüglichen Vorführung erzwungenes anstandsloses Mitkommen der Bf. zur Bundespolizeidirektion - "Verhaftung" iS des Art8 StGG; Festnahme gesetzlos - Verletzung des Rechtes auf persönliche FreiheitSpruch
Die Bf. ist dadurch, daß sie von Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Salzburg am 28. März 1987 um etwa 10,45 Uhr in ihrer Wohnung in Salzburg festgenommen und in der Folge bis etwa 11,50 Uhr angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Bf., zu Handen des Beschwerdevertreters, die mit 44.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. L K beantragte mit ihrer auf Art144 Abs1 (zweiter Satz) B-VG gestützten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, sie sei durch die am 28. März 1987 in ihrer Wohnung in Salzburg durch Organe der Bundespolizeidirektion (BPD) Salzburg erfolgte Festnahme und die anschließende Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
2. Die BPD Salzburg als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte die Abweisung der Beschwerde. Die Bf. sei nicht festgenommen worden; vielmehr sei sie den Beamten freiwillig zum Amt gefolgt.
In der Folge übernahm die Finanzprokuratur die Vertretung der BPD Salzburg. Sie stellte Beweisanträge.
II. Über die Beschwerde wurde erwogen:
1.a) Beweis wurde erhoben durch die im Rechtshilfeweg erfolgten Einvernahmen der drei einschreitenden Kriminalbeamten der BPD Salzburg, nämlich R R, H L und K W, des Ehegatten der Bf., E K und der Schwägerin der Bf., C H als Zeugen und der Bf. als Partei sowie durch Einsichtnahme in den Administrativakt Zl. Abt. II-Ref.1A/3-5588/87.
b) Gestützt auf diese Aussagen und den Akteninhalt stellte der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:
Am 28. März 1987 um 09,50 Uhr nahmen die drei (als Zeugen vernommenen) Kriminalbeamten aufgrund eines richterlichen Haftbefehles E K (den Ehegatten der Beschwerdeführerin) in der ehelichen Wohnung wegen Verdachtes des versuchten Mordes fest. Der Genannte wurde sodann von Sicherheitswachebeamten der BPD Salzburg vorgeführt.
Die Beamten befragten sodann die in der Wohnung zurückgebliebene Bf., wo sich ihr Ehegatte in der
vorangegangenen Nacht aufgehalten habe. Sie erwiderte, er sei stets bei ihr gewesen, eine Antwort, die die Beamten nicht glaubten. Nachdem der Zeuge R mit seiner Dienststelle telefoniert hatte, sagte er - ohne formell eine Festnahme auszusprechen - um etwa 10,45 Uhr zur Bf., auch sie werde nun zur Polizeidirektion mitgenommen und solle sich daher anziehen. Diesem Auftrag kam sie nach, wobei die Polizeibeamten sie zur Eile drängten. Schließlich geleiteten sie sie, indem sie sie an den Oberarmen faßten, zum Funkstreifenwagen, mit dem sie in das Gebäude der BPD Salzburg gebracht wurde. Dort wurde sie als "Auskunftsperson" einvernommen und anschließend um 11,50 Uhr wieder entlassen.
c) Wesentlich ist, ob die Bf. - wie sie behauptet zwangsweise zur Behörde vorgeführt wurde oder ob sie - wie die in der Gegenschrift angeführt wird - den Beamten freiwillig zur Behörde folgte.
Zu dieser Frage ist den vorgelegten Administrativakten zu entnehmen:
In der Meldung der Sicherheitswache (Funkstreifengruppe) vom 28. März 1987 lautet es: "Um 10,45 Uhr wurde von der Besatzung ..." (des Funkstreifenwagens) "die bei der Durchsuchung der Wohnung des K., die Beamten der Abt. II unterstützten, die Gattin des K.", (die Beschwerdeführerin) "zur Pol.Dion. eskortiert und von RvI G D den Beamten des KDD übergeben." Die Bf. wurde vom Zeugen L bei der BPD Salzburg am 28. März 1987 als "Auskunftsperson" in Form einer Niederschrift einvernommen; diese wird eingeleitet mit: "Niederschrift aufgenommen mit der zum Amt vorgeführten L K ....". Schließlich lautet es in einem von den Zeugen R und W unterfertigten Bericht vom 28. März 1987:
".... Der Gefahndete" (E K) "konnte schlafend in der Wohnung angetroffen werden. Seine Gattin L K" (die Beschwerdeführerin) "war anwesend und wurde in ihrem Beisein die Wohnung durchsucht. Folglich wurde auch sie in die hs. Dienststelle gebracht, wo sie niederschriftlich einvernommen wurde. ....."
Die Beamten, die die Meldung erstatteten und die die Niederschrift aufnahmen, drückten damit klar und eindeutig ihre Auffassung aus, daß die Bf. (zwangsweise) der BPD Salzburg vorgeführt wurde. Es besteht kein Anlaß daran zu zweifeln, daß die Beamten beurkundeten, was sie wahrnahmen. Da sie unmittelbar am hier maßgebenden Geschehen beteiligt waren und dieses ganz kurze Zeit danach festhielten, nimmt der VfGH an, daß ihr subjektiver Eindruck objektiv den Tatsachen entspricht.
Die Kriminalbeamten konnten bei ihrer Zeugeneinvernahme vor dem Rechtshilferichter trotz eindringlicher Befragung den Widerspruch zwischen diesen - wie dargetan - glaubwürdigen Darstellungen im Administrativakt (die eindeutig eine zwangsweise Vorführung nachweisen) und den in der Gegenschrift aufgestellten Behauptungen, die Bf. habe geradezu gebeten, mit zur Behörde kommen zu dürfen, um bei ihrem Ehegatten sein zu können, nicht befriedigend aufklären.
Gegen die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung in der Gegenschrift spricht auch, daß die Bf. bei der BPD Salzburg einvernommen wurde, und zwar insbesondere darüber, wo sich ihr Ehegatte (der zu diesem Zeitpunkt von den Polizeibeamten des versuchten Mordes verdächtigt wurde) zur vermuteten Tatzeit aufgehalten hatte. Daraus geht hervor, daß es im wesentlichen behördlichen Interesse lag, wenn die Bf. zum Amt mitkam.
d) Die Finanzprokuratur hat namens der bel. Beh. beantragt, noch weitere Beamte als Zeugen einzuvernehmen. Da der Sachverhalt aber bereits aufgrund der geschilderten Beweismittel (vor allem aufgrund des Inhaltes des vorgelegten Administrativaktes) ausreichend geklärt ist, wurde davon abgesehen, weitere Beweise aufzunehmen.
2.a) Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies auf sicherheitsbehördliche Befehle zutrifft, die durch die Anordnung unmittelbar folgenden physischen Zwangs sanktioniert sind (vgl. zB VfSlg. 10420/1985 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur). Unverzichtbares Inhaltsmerkmal eines verfahrensfreien Verwaltungsaktes in der Erscheinungsform eines - alle Voraussetzungen des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF BGBl. 302/1975 aufweisenden - "Befehls", d.h. der "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt", bildet also der Umstand, daß dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion - so etwa eine Festnehmung oder Vorführung - angedroht wird (VfSlg. 9922/1984).
Diese Bedingungen sind nach den einleitenden Sachverhaltsfeststellungen erfüllt.
b) Demgemäß ist die Beschwerde, da ein Instanzenzug hier nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.
3.a) Nach der Bestimmung des Art8 StGG, auf die sich die Bf. in erster Linie beruft, ist die Freiheit der Person gewährleistet. Diese Verfassungsnorm und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, schützen jedoch ebenso wie Art5 MRK - nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit schlechthin, sondern nur vor willkürlicher Verhaftung, rechtswidriger Inverwahrnahme sowie rechtswidriger Internierung und Konfinierung (VfSlg. 8815/1980). Eine - nach der konkreten Fallkonstellation allein in Betracht zu ziehende "Verhaftung" liegt hier aber in der Tat vor. Denn die Bf. lief nach Lage der Dinge Gefahr, daß sie ohne Verzug physischem (Polizei-)Zwang unterworfen werde, wenn sie den ihr erteilten Befehl unbefolgt lasse. Damit griff der - in der festgestellten, intentional auf eine Freiheitsbeschränkung gerichteten Aufforderung (zum "Mitkommen") liegende - Verwaltungsakt in Wahrheit über einen bloßen "Befehl" iS des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG hinaus: Vielmehr ist das behördliche Vorgehen in seiner Gesamtheit ungeachtet des Umstandes, daß eine Festnahme formal nicht ausgesprochen wurde, angesichts des nur durch die Androhung der unverzüglichen Vorführung erzwungenen anstandslosen Mitkommens der Bf. zur BPD Salzburg - materiell gesehen - einer "Verhaftung" iS des Art8 StGG gleichzuhalten (vgl. zB VfSlg. 10420/1985 und die dort zitierte Vorjudikatur).
b) Das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, bestimmt zwar in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Ein solcher Fall lag aber hier - auch nach den Ausführungen in der Äußerung der bel. Beh. - nicht vor.
Die Bf. wurde gesetzlos festgenommen und angehalten. Daraus folgt, daß sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 4.000 S enthalten.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B397.1987Dokumentnummer
JFT_10119686_87B00397_00