TE Vfgh Erkenntnis 1988/10/1 V30/88, V31/88

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Veröffentlicht am 01.10.1988
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
GO der Rechtsanwaltskammer für Wien. Niederösterreich und das Burgenland und deren Ausschuß. Österreichisches Awaltsblatt Jahrgang 1974. Heft 7
DSt 1872 §12 litd
RAO §28 lith
RAO §34 Abs3
VfGG §82

Leitsatz

Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien; Erweiterung der gesetzlich vorgesehenen Fälle der Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters für einen Rechtsanwalt für den Fall des disziplinären Verlustes der Berufsberechtigung ohne gesetzliche Grundlage - Wendung "und d" im §43 Abs1 gesetzwidrig

Spruch

I. Soweit das Verordnungsprüfungsverfahren anläßlich der Beschwerde gegen die "Postumleitung" eingeleitet wurde, wird es eingestellt.

II. Die Wendung "und d" im §43 Abs1 der Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuß (kundgemacht als "Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland und deren Ausschuß" im Österreichischen Anwaltsblatt Jg 1974, Heft 7) wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1989 in Kraft.

Der Bundesminister für Justiz ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der Vollversammlung der (damaligen) Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland vom 21. Mai 1974 wurde die "Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland und deren Ausschuß" beschlossen; sie wurde mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 29. August 1974 genehmigt und sodann im Österreichischen Anwaltsblatt (Anw.), Jg 1974, Heft 7, kundgemacht. Im Hinblick auf ArtI §3 des BG BGBl. 524/1987, demzufolge die bisherige Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland die Bezeichnung Rechtsanwaltskammer Wien führt, ist der Titel dieser Geschäftsordnung als entsprechend abgeändert anzusehen (Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuß; s. dazu den - allerdings ohne das erforderliche Quorum - gefaßten Beschluß der Vollversammlung der Rechtsanwaltskammer Wien vom 23. März 1988 (Anw. 5/1988, S. 259), welcher mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 13. April 1988 genehmigt wurde).

Der unter der Überschrift "Mittlerweiliger Stellvertreter" stehende §43 dieser Geschäftsordnung hat folgenden Wortlaut:

"(1) Ein mittlerweiliger Stellvertreter ist außer den Fällen der §§28 lith, 34 Abs3, RAO, der Resignation und des Gesetzes vom 19. Dezember 1919, StGBl. Nr. 598, in den Fällen der §§12 litc und d, 17 und 19 DSt zu bestellen.

(2) Im Todesfalle, im Falle des Verzichtes auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft, in den Fällen des Gesetzes vom 19. Dezember 1919 StGBl. Nr. 598, bei Erkrankung und Abwesenheit eines Rechtsanwaltes ist in der Regel der von dem betreffenden Anwalt Vorgeschlagene zum mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen. Wenn der Anwalt keinen geeigneten Stellvertreter vorgeschlagen hat, und im Falle des Verlustes der Eigenberechtigung sind die Wünsche der Angehörigen des Anwaltes tunlichst zu berücksichtigen.

(3) Die mittlerweilige Stellvertretung dauert bei Erkrankung und Abwesenheit, in den Fällen des Gesetzes vom 19. Dezember 1919, StGBl. Nr. 598, und bei Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft infolge Eröffnung des Konkurses oder Ausgleichsverfahrens bis zum Wegfall des Hindernisses der Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Bei Einleitung des Entmündigungsverfahrens dauert die mittlerweilige Stellvertretung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens.

(4) Der Ausschuß ist berechtigt, vor der Bestellung und nach derselben Erhebungen zu pflegen, den mittlerweiligen Stellvertreter zu entheben und einen anderen zu bestellen.

(5) Wird die Kanzlei eines Rechtsanwaltes von einem anderen Rechtsanwalt übernommen, so ist der Kanzleiübernehmer zum mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen."

2. Beim VfGH ist das Verfahren über die unter B1058/87 und B1060/87 protokollierte Beschwerde eines ehemaligen Rechtsanwaltes anhängig, über den mit Disziplinarerkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 8. Juli 1985 - in Handhabung des §12 Abs1 litd des Disziplinarstatutes (DSt) - die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste verhängt wurde. Die gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhobene Verfassungsgerichtshofbeschwerde, der aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde mit Erk. VfSlg. 11280/1987 abgewiesen. Nach der Fällung dieses Erkenntnisses beschloß der Kammerausschuß der (damaligen) Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland am 1. September 1987, für den Beteiligten (neuerlich, nachdem nämlich eine gleiche Maßnahme im Hinblick auf die Zuerkennung aufschiebender Wirkung wieder aufgehoben worden war) einen mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen. Dieser Beschluß wurde mit einem - auch an das "Hauptpostamt Wien" ergangenen Schreiben vom selben Tag unter der Geschäftszahl 2187/85 ausgefertigt, welches in seinem materiellen Teil folgendermaßen lautet:

"Infolge Abweisung der von Ihnen gegen das gegen Sie ergangene Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 8.7.1985, Bkd 128/84, erhobenen Beschwerde an den VfGH (Erkenntnis vom 7.3.1987, B626/85-13) wird das oa. Erkenntnis, womit über Sie gemäß §12 (1) litd) DSt. die Strafe der Streichung von der Liste ausgesprochen worden ist, neuerlich in Vollzug gesetzt und Dr. H L, Rechtsanwalt in ... Wien, ..., wieder zum mittlerweiligen Stellvertreter bestellt.

Sie werden angewiesen, dem mittlerweiligen Stellvertreter Ihre Kanzleigeschäfte zu übertragen."

Mit der erwähnten Beschwerde nach Art144 B-VG wendet sich der Beteiligte einerseits gegen die Bestellung des mittlerweiligen Stellvertreters und andererseits gegen einen weiteren, ihm - nach den Beschwerdebehauptungen - zugestellten "Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ u. Bgld. ebenfalls zu GZ 2187/85 vom 1.9.1987, in welchem der gesamte Postbriefverkehr an den Bf. beschlagnahmt und der Postdirektion Wien aufgetragen worden ist, die gesamte Post an den von der bel. Beh. eingesetzten mittlerweiligen Stellvertreter, RA Dr. H L, 'umzuleiten'".

3. Aus Anlaß der Beschwerde leitete der VfGH gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Wendung "und d" im §43 Abs1 der Geschäftsordnung ein.

Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien und der Bundesminister für Justiz legten die bezughabenden Verwaltungsakten vor und erstatteten Äußerungen, in denen begehrt wird, die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle nicht als gesetzwidrig aufzuheben.

II. 1. Im Einleitungsbeschluß nahm der VfGH vorläufig an, daß die Beschwerde - zumindest teilweise - zulässig ist und er bei der zu fällenden Sachentscheidung die Wendung "und d" im §43 Abs1 der Geschäftsordnung anzuwenden hätte. Zu den Prozeßvoraussetzungen führte er des weiteren folgendes aus:

"a) Nach der Aktenlage des Verwaltungsverfahrens ist entgegen der Meinung des Bf. - eine weitere Erledigung des Kammerausschusses, welche die Behandlung an den Bf. gerichteter Postsendungen betrifft, nicht ergangen; die sogenannte 'Umleitung' von Postsendungen ist vielmehr anscheinend bloß eine Folge des Umstandes, daß die unter I/3 wiedergegebene Verfügung des Ausschusses auch an das 'Hauptpostamt Wien' erging. Unter diesen Prämissen wäre entweder als Beschwerdegegenstand ausschließlich der am 1. September 1987 ausgefertigte Beschluß des Kammerausschusses anzusehen (und demnach die Beschwerde insgesamt als zulässig zu beurteilen) oder anzunehmen, daß der Beschwerde bezüglich der 'Umleitung' kein Substrat zugrundeliegt und sie insoweit unzulässig ist.

b) Wenngleich die Erledigung des Kammerausschusses vom 1. September 1987 den §43 Abs1 der Geschäftsordnung nicht erwähnt, ist es wohl nicht zweifelhaft, daß diese Bestimmung als materielle Grundlage der getroffenen Verfügung tatsächlich herangezogen wurde, zumal weder die Rechtsanwaltsordnung noch das Disziplinarstatut die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters für den Fall vorsehen, daß die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste ausgesprochen wird."

2. Weder der Kammerausschuß noch der Bundesminister für Justiz bezweifeln in ihren Äußerungen, daß die Prozeßvoraussetzungen des eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahrens gegeben sind; der Kammerausschuß betont, daß §43 Abs1 der Geschäftsordnung die Grundlage seiner (als Bescheid zu wertenden) Erledigung vom 1. September 1987 ist.

3. Über die Prozeßvoraussetzungen hat der VfGH erwogen:

a) Die Beschwerde ist teilweise nicht zulässig, nämlich insoweit, als sie sich gegen die sogenannte "Postumleitung" richtet. Aufgrund der Verwaltungsakten steht fest, daß eine gesonderte Erledigung des Kammerausschusses, welche die Behandlung der an den Beteiligten gerichteten Post betrifft, nicht erging. Der Beschwerde, bei deren Wertung bezüglich des Beschwerdegegenstandes - wie aus §82 VerfGG abzuleiten ist - es ausschließlich auf den Parteiwillen ankommt, liegt sohin bezüglich der angefochtenen "Postumleitung" kein taugliches Substrat zugrunde.

Dementsprechend erweist sich auch das Verordnungsprüfungsverfahren in diesem Umfang als unzulässig und ist daher einzustellen.

b) Im übrigen sind die Verfahrensvoraussetzungen des eingeleiteten Prüfungsverfahrens gegeben.

III. 1. Die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung genommenen Verordnungsstelle wurden im Einleitungsbeschluß folgendermaßen dargelegt:

"Der VfGH hegt das Bedenken, daß die Geschäftsordnung, welche als V den Anforderungen des Art18 Abs2 B-VG zu entsprechen hat, durch die in Prüfung genommene Regelung das Institut der mittlerweiligen Stellvertretung ohne gesetzliche Grundlage ausdehnt. Wie der Gerichtshof vorläufig annimmt, bieten weder die Rechtsanwaltsordnung noch das Disziplinarstatut einen Anhaltspunkt für diese vom Verordnungsgeber in Anspruch genommene Befugnis zur Erweiterung der gesetzlich vorgesehenen Fälle. Wenn der Kammerausschuß in der erstatteten Gegenschrift unter Hinweis auf den Aufgabenbereich des mittlerweiligen Stellvertreters meint, es sei 'Absicht des Gesetzgebers ..., einen mittlerweiligen Stellvertreter in allen Fällen bestellen zu lassen, in welchen ein Rechtsanwalt, aus welchen Gründen immer, nicht in der Lage ist oder vorübergehend nicht in der Lage ist, seinen Beruf als Rechtsanwalt auszuüben', so ist dem wohl entgegenzuhalten, daß eine - wie immer beschaffene berufsbezogene Stellvertretung die aufrechte Berufsbefugnis an sich begrifflich voraussetzt; es erscheint dem Gesetzgeber kaum zusinnbar, eine dagegenstehende Fiktion zwar beabsichtigt, nicht aber ausdrücklich vorgesehen zu haben."

2. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien räumt ein, daß die Rechtsanwaltsordnung die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters für den Fall der disziplinären Streichung eines Rechtsanwaltes von der Liste ausdrücklich nicht vorsieht, und hält den Bedenken folgendes entgegen:

"Die in der Rechtsanwaltsordnung vorgesehenen Fälle der mittlerweiligen Stellvertretung sind:

Der Tod des Rechtsanwaltes (§28 (1) lith) RAO),

die Erkrankung oder Abwesenheit eines Rechtsanwaltes, der keinen Substituten namhaft gemacht hat oder namhaft machen konnte (§28 (1) lith) RAO),

der Verlust der Eigenberechtigung (§34 (3) RAO),

die Eröffnung des Konkurses (§34 (3) RAO),

die Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft infolge der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens oder der Einleitung des Entmündigungsverfahrens (§34 (3) RAO im Zusammenhalt mit §34 (2) RAO).

Die Durchsicht dieser von der RAO ausdrücklich gegebenen Möglichkeiten zur Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters ergibt, daß das Gesetz die Bestellung nicht unbedingt an die aufrechte Berufsbefugnis bindet. Der Verlust der Eigenberechtigung nämlich und die Eröffnung des Konkurses lassen die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erlöschen (§34 (1) RAO) und dennoch ist die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters im Gesetz vorgesehen.

Es bestehen auch erhebliche Zweifel darüber, ob die Aufzählungen im §28 (1) lith) RAO und §34 (3) RAO tatsächlich alle Fälle der Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters abschließend regeln wollten. §28 (1) lith) RAO enthält an sich nur eine demonstrative, also nicht abschließende Regel, was zum Wirkungskreis des Ausschusses gehört. Tatsächlich nennt §28 (1) lith) den in der Praxis häufigsten Fall der Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters für einen emeritierenden Kollegen gar nicht.

§34 RAO sieht zwar vor, daß für den Fall der Eröffnung des Konkurses die Ausübung der Rechtsanwaltschaft erlischt und ein mittlerweiliger Stellvertreter zu bestellen ist, regelt aber nicht, was im Fall der Abweisung eines Konkursantrages mangels kostendeckendem Vermögen zu geschehen hat. Daraus zu schließen, daß zwar ein im Konkurs Befindlicher nicht Rechtsanwalt sein kann und eines mittlerweiligen Stellvertreters bedarf, für einen Rechtsanwalt aber, der nicht einmal kostendeckendes Vermögen für die Konkurseröffnung besitzt, derartige Vorkehrungen unzulässig wären, ist sicher verfehlt.

Es ist daher der Schluß zu ziehen, daß eine abschließende Regelung der mittlerweiligen Stellvertretung in der Rechtsanwaltsordnung nicht erfolgt und auch nicht erfolgen sollte.

Geht man von dieser Erkenntnis aus, so ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber es auch für zulässig erachten wollte, daß ein mittlerweiliger Stellvertreter nicht nur für Personen bestimmt werden kann, deren Berufsbefugnis grundsätzlich aufrecht ist, die nur in der einen oder anderen Weise an der Ausübung dieses Berufes zeitweise gehindert sind oder ob der Gesetzgeber die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters auch für solche Personen vorsehen wollte, die endgültig aus dem Stande der Rechtsanwälte ausgeschieden sind.

Dazu sei das Institut der mittlerweiligen Stellvertretung und ihre Aufgabe untersucht.

Wir erlauben uns hiezu nochmals auf unsere Gegenäußerung im Beschwerdeverfahren B 1058, 1060/87 vom 3.12.1987 zu verweisen. Wir haben schon dort darauf verwiesen, daß das Institut der mittlerweiligen Stellvertretung ganz vorrangig den Interessen der Klienten des verhinderten Rechtsanwaltes dient. Der mittlerweilige Stellvertreter hat nämlich Vorsorge dafür zu treffen, daß die Klienten von der Verhinderung des Rechtsanwaltes so rechtzeitig verständigt werden, daß sie in der Lage sind, die notwendigen Vorkehrungen einschließlich der Bevollmächtigung eines anderen Rechtsanwaltes zu treffen. Wenn wir in unserer Gegenschrift dann zusammenfassen, daß dem mittlerweiligen Stellvertreter daher die Vertretung des verhinderten Rechtsanwaltes nur hinsichtlich seiner Rechte und Verbindlichkeiten gegenüber dem Klienten obliegt, so darf diese Vertretung nicht im Sinne einer Stellvertretung eines verhinderten oder ehemaligen Rechtsanwaltes verstanden werden. Der mittlerweilige Stellvertreter ist keineswegs befugt, Handlungen mit Wirkung für den verhinderten oder ehemaligen Rechtsanwalt zu setzen, sondern hat lediglich das Interesse der Klientel zu wahren, die, wird sie nicht rechtzeitig verständigt, Gefahr läuft durch die Versäumung von Fristen und ähnlichem Schaden zu nehmen.

Bei dieser Aufgabenstellung ergibt sich aber zwingend, daß eine solche mittlerweilige Stellvertretung nicht davon abhängig gemacht werden kann, ob der verhinderte Rechtsanwalt vorübergehend oder endgültig seine Berufsbefugnis verloren hat. In beiden Fällen ist das Interesse der Klientel das gleiche."

3. Diese Ansicht des Kammerausschusses wird vom Bundesminister für Justiz geteilt:

"Wie die Rechtsanwaltskammer Wien bereits ausgeführt hat, bindet außerdem auch die RAO die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters nicht unbedingt an die aufrechte Berufsbefugnis des 'Vertretenen'. Die in diesem Zusammenhang erwähnten Fälle des Verlusts der Eigenberechtigung und der Eröffnung des Konkurses führen zwar nach §34 Abs1 lita RAO nur zu einem befristeten Erlöschen der Berufsbefugnis. Aufrecht ist aber die Berufsbefugnis auch in diesen Fällen im Zeitpunkt der Bestellung des mittlerweiligen Stellvertreters nicht. Im übrigen führt auch die Streichung von der Liste der Rechtsanwälte im Ergebnis nicht zu einem endgültigen Verlust der Berufsbefugnis, da ja gemäß §14 DSt nach drei Jahren eine Neueintragung möglich ist. Auch im Fall des Todes des Rechtsanwalts erlischt natürlich die Berufsbefugnis, da sie nicht auf die Verlassenschaft übergeht. Dennoch ist auch im Fall des Todes des Rechtsanwalts nach §28 Abs1 lith RAO ausdrücklich ein mittlerweiliger Stellvertreter zu bestellen.

In ihren faktischen Auswirkungen ist jedenfalls die Streichung von der Liste mit den genannten Fällen der mittlerweiligen Stellvertretung vergleichbar: hier wie dort kann der Betroffene keine rechtsanwaltlichen Leistungen mehr erbringen, und zwar auch nicht im Innenverhältnis zu seinen Klienten, weshalb zu deren Schutz Vorkehrungen getroffen werden müssen. Gerade deren Interessen dient aber vorrangig das Institut der mittlerweiligen Stellvertretung.

Wie die Rechtsanwaltskammer Wien und die Lehre (vgl. Lohsing, Österreichisches Anwaltsrecht 1, 226; Lohsing - Braun, Österreichisches Anwaltsrecht 2, 312) ist daher auch das Bundesministerium für Justiz der Ansicht, daß ein mittlerweiliger Stellvertreter auch im Fall der Streichung von der Liste zu bestellen ist, weshalb auch die in Prüfung gezogene Geschäftsordnungsbestimmung mit dem im Beschluß des VfGH erwähnten Bescheid vom 29.8.1974 gemäß §27 Abs5 RAO genehmigt worden ist. Daß eine ausdrückliche Regelung dieses Falles in der RAO fehlt, könnte darauf zurückzuführen sein, daß das Erlöschen der Rechtsanwaltschaft als Folge eines Disziplinarverfahrens in der RAO überhaupt nicht geregelt ist, sondern §35 Abs4 RAO diesbezüglich auf die Disziplinarvorschriften verweist. Im Disziplinarstatut ist aber offenbar deswegen keine Regelung über die mittlerweilige Stellvertretung getroffen, weil es sich hier um eine Materie handelt, die systematisch in die Rechtsanwaltsordnung gehört."

4. In der Sache hat der VfGH erwogen:

a) Zunächst erscheint es dem Gerichtshof erforderlich, ein - anscheinend durch eine nicht völlig genaue Formulierung im Prüfungsbeschluß hervorgerufenes - Mißverständnis aufzuklären: Der Hinweis, es erscheine dem Gesetzgeber kaum zusinnbar, eine gegen den Umstand stehende Fiktion, daß eine - wie immer beschaffene - berufsbezogene Stellvertretung die aufrechte Berufsbefugnis an sich begrifflich voraussetzt, zwar beabsichtigt, aber nicht ausdrücklich vorgesehen zu haben, bezog sich ausschließlich auf die Frage nach der mittlerweiligen Stellvertretung eines von der Liste gestrichenen Rechtsanwaltes. Keineswegs sollte damit jedoch in Zweifel gezogen werden, daß das Gesetz in gewissen - in beiden vorliegenden Äußerungen hervorgehobenen - Fällen die Stellvertreterbestellung trotz erloschener Berufsbefugnis tatsächlich vorsieht, also eine Stellvertretung bezüglich bestimmter Berufspflichten fingiert, die an sich nicht mehr bestehen. Die Bedenken des Einleitungsbeschlusses werden daher durch das - eben erwähnte Anführen von Fällen, in denen trotz erloschener Berufsbefugnis ein mittlerweiliger Stellvertreter zu bestellen ist, nicht entkräftet.

b) Die im gegebenen Zusammenhang zu betrachtenden Bestimmungen im §28 und im - "Erlöschung der Rechtsanwaltschaft" überschriebenen - §34 RAO haben folgenden Wortlaut:

"§28. (1) Zu dem Wirkungskreis des Ausschusses gehören:

.................................................................

         h) die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters

für einen Rechtsanwalt, der mit Tod abgegangen ist, oder für

einen erkrankten oder abwesenden Rechtsanwalt, der nicht selbst

einen Substituten namhaft gemacht hat oder namhaft machen konnte;

.................................................................

         §34. (1)

...............................................

(2) Der Ausschuß kann einem Rechtsanwalt, über den der Konkurs eröffnet wurde, bis zur Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses, einem Rechtsanwalt, gegen den das Ausgleichsverfahren eröffnet oder das Entmündigungsverfahren eingeleitet wurde, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Ausgleichs- oder Entmündigungsverfahrens die Ausübung der Rechtsanwaltschaft einstellen.

(3) Einem Rechtsanwalt, der die Eigenberechtigung verloren hat oder über den der Konkurs eröffnet wurde oder dem die Ausübung der Rechtsanwaltschaft nach dem vorhergehenden Absatz eingestellt wurde, kann der Ausschuß einen mittlerweiligen Stellvertreter bestellen (§28 Punkt h).

(4) Inwiefern die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft infolge eines Disziplinarerkenntnisses erlischt, bestimmen die Disziplinarvorschriften.

(5) ............................................"

Nach den wiedergegebenen Vorschriften bieten ausschließlich außerhalb der Disziplinarbehandlung eines Rechtsanwaltes liegende Umstände Anlaß, einen mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen. Im Gesetz findet sich nirgends ein Anhaltspunkt für die Annahme, daß es an das Ergebnis eines Disziplinarverfahrens - außer der Streichung von der Liste käme hier auch die befristete Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Betracht - anknüpfen und jenes gleichsam in der administrativrechtlichen Sphäre vervollständigen will. Dies wird besonders aus einer Gegenüberstellung der Absätze 3 und 4 im §34 deutlich: Während Abs3 die Ausübung der Rechtsanwaltschaft hindernde Umstände mit der Stellvertreterbestellung verbindet, verweist Abs4 bezüglich des disziplinären Verlustes der Berufsberechtigung bloß auf die Disziplinarvorschriften, ohne jedoch den im Hinblick auf die voranstehende Regelung naheliegenden Bezug zu einer mittlerweiligen Stellvertretung herzustellen. Sowohl die Argumente, welche beide vorliegende Äußerungen für die Gleichstellung der disziplinarrechtlich ausgesprochenen Streichung von der Liste mit anderen Bestellungsgründen vorbringen, als auch die zitierten Literaturstellen zeigen in Wahrheit nur das rechtspolitische Bedürfnis einer gleichen Regelung auf, weisen aber nicht nach, daß eine planwidrige, durch Analogie zu schließende Lücke des Gesetzes vorliegt. Es ist offenkundig, daß die Ursache für diese in rechtspolitischer Hinsicht festzustellende Disharmonie in der bis zur Gegenwart unterlassenen Anpassung der RAO an das Disziplinarstatut als späteres Gesetz zu finden ist.

c) Die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle war sohin aufzuheben, weil sie im Gesetz nicht begründet ist.

d) Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsbestimmung gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG; hiebei wurde im Hinblick auf erforderliche gesetzliche Vorkehrungen die verfassungsmäßige Höchstfrist festgelegt.

Die Verpflichtung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VerfGG.

Schlagworte

Auslegung eines Antrages, Bescheidbegriff, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, VfGH / Gegenstandslosigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:V30.1988

Dokumentnummer

JFT_10118999_88V00030_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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