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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
StVO 1960 §29b Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Stoll, Dr. Bernard und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mandl, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 4. Juni 1991, Zl. MA 70-12/222/90, betreffend Ausstellung eines Behindertenausweises, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenausweises nach § 29b Abs. 4 StVO 1960 abgewiesen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag damit begründet, daß sein linkes Bein am Oberschenkel amputiert sei und daß er bei längeren Wegstrecken und beim Stiegensteigen (wegen einer Lungen-Tbc sowie einer chronischen Bronchitis) in starke Atemnot gerate.
Die belangte Behörde hat angenommen, daß beim Beschwerdeführer nur eine leichte Gehbehinderung vorliege, weil er in der Lage sei, in aufrechter Körperhaltung mit Benützung von Hilfsmitteln in ebenem Gelände Fußwegstrecken von mehr als 300 m Länge ohne oder mit nur geringen Schmerzen zurückzulegen. Sie stützte sich dabei auf ein mehrfach ergänztes amtsärztliches Sachverständigengutachten.
Der Beschwerdeführer wendet in der Beschwerde dagegen ein, daß ihm zur Fortbewegung die Verwendung einer Prothese unmöglich und er auf den Gebrauch von zwei Unterarmstützkrücken angewiesen sei. Es komme zu Überlastungsbeschwerden am verbliebenen Bein und zu Zuständen der Atemnot, weshalb es ihm nicht möglich sei, größere Wegstrecken zurückzulegen.
Gemäß § 29b Abs. 4 StVO 1960 hat die Behörde Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen.
Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens berufen sich auf Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zu der zitierten Bestimmung vom Februar 1989. Sie meinen damit aber offenbar verschiedene Entscheidungen. Der Beschwerdeführer bezieht sich offensichtlich auf das Erkenntnis vom 17. Februar 1989, Zl. 88/18/0343, in dem u.a. ausgeführt wurde, daß eine dauernde starke Gehbehinderung im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO 1960 bereits dann vorliegt, wenn die betreffende - ebenfalls an einem Bein amputierte - Person zum Gehen entweder einen Arm (bei Verwendung der Prothese und des Gehstockes) oder sogar beide Arme (bei Verwendung von Unterarmstützkrücken) gebrauchen muß. Der ärztliche Amtssachverständige und ihm folgend die belangte Behörde nahm jedoch auf das Erkenntnis vom 22. Februar 1989, Zl. 88/02/0207, Bezug; darin wurde ausgeführt, daß eine Person u.a. dann als stark gehbehindert anzusehen sein wird, wenn sie - 150 m nicht unerheblich übersteigende - Fußwegstrecken entweder überhaupt nicht oder nur auf eine Weise zurücklegen kann, die das Fortbewegen nicht mehr als "Gehen" qualifizieren läßt, wobei auch zu berücksichtigen ist, ob dieses Fortbewegen nur unter Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung oder unter großen Schmerzen möglich ist; bei der damaligen Beschwerdeführerin handelte es sich um eine im Besitze beider Beine befindliche Person, die behauptet hatte, nach Zurücklegung einer Strecke von etwa 150 m derartige Schmerzen zu bekommen, daß sie nicht mehr weitergehen könne.
Die beiden Erkenntnisse betreffen somit unterschiedliche Sachverhalte. Der Sachverhalt des vorliegenden Beschwerdefalls entspricht dem dem Erkenntnis vom 17. Februar 1989 zugrundeliegenden. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf dieses Erkenntnis erfolgte daher zu Recht. Aus den dort genannten Gründen ist auch der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991020095.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
03.03.2009