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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde der T in K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 2. August 1991, Zl. 840.716/2-5a/91, betreffend Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung iSd § 1 Abs. 2 lit. g des Opferfürsorgegesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 17. Oktober 1990 dem Antrag der im Jahre 1902 geborenen Beschwerdeführerin vom 31. Jänner 1990 auf Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung gemäß § 1 Abs. 2 lit. g des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947 idF der 22. Opferfürsorgegesetz-Novelle, BGBl. Nr. 164/1972 (OFG), keine Folge gegeben, weil im Beschwerdefalle der nach dem Gesetz erforderliche konkrete Angriffstatbestand einer Verfolgung nicht habe nachgewiesen werden können.
Die belangte Behörde gab mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 2. August 1991 der Berufung der Beschwerdeführerin, in der sie die Feststellung der Behörde erster Rechtsstufe als unrichtig bezeichnete, weil sie sehr wohl aus Angst vor politischen Verfolgungshandlungen den Untergrund gesucht habe, um überleben zu können, nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens keine Folge. Zur Begründung wurde nach Wiedergabe des (im einzelnen dargestellten) Beweisergebnisses ausgeführt, auf Grund der Zeugenaussagen sei eine konkrete Verfolgungsmaßnahme gegen die Beschwerdeführerin seitens der NSDAP, eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde iSd § 1 Abs. 2 OFG nicht nachgewiesen. Angstzustände, die durch die damalige politische Situation entstanden seien, könnten nicht als Auswirkungen politischer Verfolgung iSd Opferfürsorgegesetzes angesehen werden, weil es in diesen Fällen an dem erforderlichen konkreten Angriffstatbestand einer Verfolgung fehle. Auch die Einwendungen der Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs seien nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Insbesondere habe von der ergänzenden Einvernahme der Herta M abgesehen werden können, weil diese nach eigener Aussage mangels Kontaktes mit der Beschwerdeführerin während der Kriegszeit keine näheren Angaben machen könne. Weiters habe auch von der beantragten Einvernahme der Beschwerdeführerin als Partei abgesehen werden können, weil sich die belangte Behörde bereits auf Grund der bisher vorliegenden Beweise (insbesondere der bisher eingeholten Zeugenaussagen) ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente habe machen können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Gemäß dem zur Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides
erhobenen § 1 Abs. 2 lit. g des Bundesgesetzes vom 4. Juli 1947, BGBl. Nr. 183, über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung (Opferfürsorgegesetz - OFG) idF der 22. Opferfürsorgegesetz-Novelle, BGBl. Nr. 164/1972, sind als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen oder aus Gründen der Abstammung, Religion oder Nationalität durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs- (im besonderen einer Staatspolizei-)Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaße zu Schaden gekommen sind. Als solche Schädigung in erheblichem Ausmaße ist nach der lit. g der zuletzt genannten Bestimmung ein Leben im Verborgenen anzusehen, sofern dieses mindestens sechs Monate gedauert hat.
Nach § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG hat der Antragsteller die Veraussetzungen nach § 1 nachzuweisen. Auf das Verfahren finden nach § 16 Abs. 1 leg. cit. - soweit nichts anderes bestimmt ist - die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes Anwendung.
Die Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung setzt nach der oben wiedergegebenen Gesetzesstelle das Vorliegen dreier rechtserheblicher Tatsachen voraus:
1. Das Vorliegen eines der oben erschöpfend angeführten Verfolgungsgründe (politische oder rassische Verfolgung, Verfolgung aus Gründen der Religion oder der Nationalität),
2. eine Maßnahme einer Behörde oder ein Eingriff der NSDAP und
3. eine hiedurch eingetretene Schädigung in erheblichem Ausmaße.
Als eine solche Schädigung in erheblichem Maße ist seit der 21. Opferfürsorgegesetz-Novelle, BGBl. Nr. 352/1970, auch ein Leben im Verborgenen anzusehen, sofern dieses mindestens sechs Monate gedauert hat. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß zwischen einer Gewaltmaßnahme der nationalsozialistischen Machthaber und der zuletzt genannten Anspruchsvoraussetzung, wie sich aus dem rechtserheblichen Tatbestandsmerkmal "durch" ergibt, ein Kausalzusammenhang bestehen muß.
Schon das Fehlen einer dieser Voraussetzungen schließt die Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung aus und enthebt die Behörde von der Prüfung, ob auch die anderen Voraussetzungen vorliegen.
Bei Auslegung des Begriffes "Leben im Verborgenen" ist davon auszugehen, daß die bezeichneten verba legalia nach sprachgebräuchlicher Bedeutung ganz allgemein "ein Leben in einem Versteck" bezeichnen. In dieser Bedeutung findet der vorgestellte Begriff - darauf sei unter dem Gesichtspunkt der Auslegung der Worte unter Bedachtnahme auf ihren systematischen Standort hingewiesen - auch im § 14 Abs. 2 lit. c OFG, der die Überschrift "Entschädigungsmaßnahmen für erlittene Freiheitsbeschränkungen und Berufsschäden" trägt, Verwendung. Unter den Begriff "Leben im Verborgenen" kann das Aufsuchen eines den verfolgenden Behörden oder politischen Gewalthabern nicht bekannten Fluchtortes subsumiert werden. Diese Voraussetzung wird auch dann als erfüllt anzusehen sein, wenn der nach objektiven Gesichtspunkten behördlich Verfolgte an seinem nicht freiwillig gewählten Fluchtort ohne polizeiliche Anmeldung oder unter falschem Namen und solcherart ohne die damals lebensnotwendigen Lebensmittelkarten mindestens sechs Monate verweilte.
Wenn nun die Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vorträgt, für ihren - geschiedenen - Mann seien unzweifelhaft die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 lit. b OFG vorgelegen, so ist ihr zu erwidern, daß "Sache" des Berufungsverfahrens nach § 66 Abs. 4 AVG bei klar auf einen Anspruch (hier: § 1 Abs. 2 lit. g OFG) begrenzten Abspruch der Behörde erster Rechtsstufe nur dieser Abspruch sein kann. Eine Entscheidung der Berufungsinstanz über einen auf einen anderen Rechtsgrund (vgl. VwSlg. 12.295/A) fußenden Anspruch wäre mit Rechtswidrigkeit behaftet.
Der oben wiedergegebene § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG enthält eine Beweislastregel. Diese spiegelt die Tatsache wieder, daß diese Beweisführung zum Verantwortungsbereich desjenigen zählt, der Begünstigungen, Fürsorge und Entschädigungsmaßnahmen nach dem Opferfürsorgegesetz beantragt. Denn diese Person hat einen weitaus stärkeren Bezug zu den anspruchsbegründenden Sachverhaltselementen als die Behörde. Sie ist also am ehesten in der Lage, Beweismittel für ihren Anspruch beizubringen.
Wenn daher der Nachweis der Voraussetzungen dem Antragsteller auferlegt ist, dann muß der von dieser formellen Beweislast Betroffene EINDEUTIG NACHWEISEN, daß er die anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Dieser Nachweis kann durch Urkunden oder auf andere Weise, z.B. durch Zeugenaussagen, erbracht werden. "Nachweisen" heißt, ein behördliches Urteil über die GEWIßHEIT des Vorliegens einer entscheidungsrelevanten Tatsache (eben die "Überzeugung" hievon) herbeiführen. Es ist demnach Aufgabe des Antragstellers, alle Beweismittel, die sich in seiner Hand befinden, der Behörde vorzulegen und im übrigen die zur Nachweisung seines Vorbringens erforderlichen Beweisanträge zu stellen.
Zu Recht erhebt die Beschwerdeführerin den Vorwurf, die belangte Behörde habe weder sie selbst noch den von ihr angeführten Zeugen Kurt B einvernommen.
Gemäß § 46 AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.
Beweisanträgen ist stattzugeben, falls dies im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Daraus folgt, daß Beweisanträge nur abgelehnt werden dürfen, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist. Diese Voraussetzungen lagen im Beschwerdefall nicht vor.
"Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren unter Anbot konkreter Beweise (insbesondere Einvernahme ihres Neffen Kurt B sowie der Beschwerdeführerin selbst) das Vorliegen einer konkreten Lebenssituation (vor allem Inhaftierung ihres ehemaligen Ehegatten in einem KZ wegen dessen politischer Gesinnung; Verfolgung eines weiteren Familienmitgliedes wegen seiner rassischen Herkunft; Schließung ihres mit ihrem ehemaligen Gatten auch nach der Scheidung von Tisch und Bett weiter gemeinsam betriebenen Textilgeschäftes) behauptet, die - wenn sie vorliegt - bei objektiver Betrachtung die Annahme einer drohenden Verfolgung rechtfertigt; der sich die Beschwerdeführerin nur durch ein Leben im Verborgenen entziehen konnte. Insoweit unterscheidet sich der Beschwerdefall grundlegend von dem dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Jänner 1954, Zl. 124/53, zugrundeliegenden Fall."
Durch die Nichtdurchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten Beweise hat die belangte Behörde den Bescheid in einem wesentlichen Punkt mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weil nicht auszuschließen ist, daß durch die Aufnahme jener Beweise die Gewißheit über das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen herzustellen gewesen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren ist abzuweisen, weil neben dem für Schriftsatzaufwand allein vorgesehenen Pauschbetrag in Höhe von 11.120 S ein Zuspruch für Umsatzsteuer im Gesetz nicht vorgesehen ist.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des BeweisantragesSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative BeweiswürdigungBeschränkungen der Abänderungsbefugnis DiversesBeschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH AllgemeinSachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastBeschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens AllgemeinAblehnung eines BeweismittelsEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991090179.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
20.08.2013