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44 ZivildienstNorm
ZivildienstG §2 Abs1Leitsatz
Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung infolge eines schweren Verfahrensfehlers; Fernbleiben des Beschwerdeführers von der mündlichen Verhandlung vor der ZDOK; Abstellen der Bescheidbegründung auf den persönlichen Eindruck des Bechwerdeführers; Abweisung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Erhebung einer Beschwerde gegen jenen Bescheid der ZDOK, mit dem ein Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung abgewiesen wurde; zum Zeitpunkt der Postaufgabe des Antrages war die Beschwerdefrist bereits verstrichenSpruch
1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 23. Jänner 1989, Zl. 117.612/7-ZDOK/4/89 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
2. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der Zivildienstoberkommission vom 2. März 1989, Zl. 117.612/8-ZDOK/4/89, wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
A. Zur Beschwerde B489/89
I. 1.a) Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) wies - nachdem sie am 23. Jänner 1989 eine - allerdings bloß etwa eine Minute dauernde - mündliche Verhandlung, an der der Beschwerdeführer (unentschuldigt) nicht teilnahm, durchgeführt hatte (Näheres s.u. A.II.2. und B.I.1.) - mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. Jänner 1989, Zl. 117.619/7-ZDOK/4/89, einen vom Beschwerdeführer - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz 1986, BGBl. 679, (ZDG) - gestellten Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung gemäß §2 Abs1 iVm §6 Abs1 ZDG ab.
Dieser (Berufungs-)Bescheid wird nach einer Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens wie folgt begründet:
"Da die Berufungsbehörde aufgrund des wiederholten Ermittlungsverfahrens zu eigenen Feststellungen gelangt ist, erübrigt es sich, im einzelnen auf die Begründung des abweisenden (erstinstanzlichen) Bescheides einzugehen.
........
Bei der Beurteilung der vorliegenden Berufung ist davon auszugehen, daß gem. §2 Abs1 Zivildienstgesetz (ZDG) Wehrpflichtige auf Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr und Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden. Es genügt aber nicht, diese Gewissensgründe zu behaupten, sie müssen vielmehr auch entsprechend glaubhaft gemacht werden. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens gelangte der erkennende Senat der Zivildienstoberkommission aufgrund des Gesamtvorbringens des Berufungswerbers zur Ansicht, daß keine Veranlassung besteht, von der Würdigung des Sachverhaltes durch die Zivildienstkommission abzugehen. Der Berufungswerber konnte nach wie vor die von ihm behauptete Einstellung nicht hinreichend glaubwürdig dokumentieren.
Bei der Würdigung der Person und des Vorbringens des Antragstellers wurden das bisherige Leben des Berufungswerbers und seine Argumente hinsichtlich seiner behaupteten schwerwiegenden Gewissensgründe im Sinn der freien Beweiswürdigung gewertet.
Der Berufungswerber hat sich durch sein unentschuldigtes Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung vor der Zivildienstoberkommission freiwillig des Rechtes begeben, die behaupteten Gewissensgründe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft zu machen.
Gerade der persönliche Eindruck des Berufungswerbers ist jedoch unerläßlich, die behaupteten Gewissensgründe glaubhaft zu machen, wodurch er bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde.
Mangels der materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte sonach der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."
2. Gegen den Bescheid der ZDOK vom 23. Jänner 1989 wendet sich die vorliegende, unter B489/89 protokollierte, durch einen Verfahrenshelfer eingebrachte Beschwerde, in der die Verletzung von (nicht näher bezeichneten) verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die ZDOK als belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete am 11. August 1989 eine (als Gegenschrift zu wertende) Äußerung:
"Der Beschwerdeführer wurde, wie sich aus der in Ablichtung im Akt erliegenden Ladung zur Berufungsverhandlung am 23.01.1989 ergibt, zum persönlichen Erscheinen aufgefordert und darüber belehrt, daß im Falle seines Nichterscheinens auch in seiner Abwesenheit entschieden werden kann (§§19 Abs2, 42 Abs3 AVG). Die behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt daher nicht vor. Desgleichen auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, da der Berufungswerber zur Verhandlung über seine Berufung ordnungsgemäß geladen worden (zur Berufungsverhandlung aber nicht rechtzeitig erschienen) ist.
Die Behörde erster Instanz hat inhaltlich des Bescheides vom 07.10.1988 das Vorliegen von Gewissensgründen angenommen, den Antrag des Beschwerdeführers auf Befreiung von der Wehrpflicht aber mangels Glaubhaftmachung einer Gewissensnot im Falle der Wehrdienstleistung abgewiesen. Demzufolge konnte der Berufungssenat, der nach der Bescheidbegründung die Würdigung des Sachverhaltes seitens der Zivildienstkommission (auch in dieser Hinsicht) als zutreffend übernommen hat, durchaus von einer amtswegigen Erhebung über die behaupteten Gewissensgründe Abstand nehmen."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 10.379/1985).
2. Ein derartiger gravierender Verfahrensfehler ist hier der ZDOK unterlaufen:
Sie steht - zutreffend - auf dem Standpunkt, es liege ein tauglicher Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht vor (der insbesondere die vom Gesetz geforderten Behauptungen enthält), meint jedoch, der Beschwerdeführer habe die von ihm behauptete Einstellung nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Sie behauptet (anders als in dem mit hg. Erkenntnis vom 26.9.1987, B613/87 entschiedenen Fall) - wie sie in der oben zu A.I.1.a) wiedergegebenen Einleitung der Begründung des angefochtenen Bescheides betont - von ihren eigenen Feststellungen auszugehen. Tatsächlich hat sie aber keinerlei eigene Feststellungen getroffen, und zwar weder bei der mündlichen Verhandlung noch vorher; aus dem vorgelegten Verwaltungsakt (insbesondere aus dem Verhandlungsprotokoll über die Verhandlung vom 23. Jänner 1989 und aus der Begründung des Bescheides vom 2. März 1989 (s.u. B.I.1.) ergibt sich vielmehr, daß die Verhandlung höchstens eine Minute gedauert und sich darauf beschränkt hat, festzuhalten, daß der Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist.
Die ZDOK stützt sich bei ihrer abweisenden Entscheidung schwerpunktmäßig auf den persönlichen Eindruck, den der Beschwerdeführer gemacht habe, obgleich sie - infolge seines Fernbleibens - einen solchen gar nicht hatte. Sie setzte sich auch überhaupt nicht mit dem (ausführlichen) Berufungsvorbringen auseinander.
Der angefochtene Berufungsbescheid wurde von der ZDOK sohin beschlossen, ohne daß der Sachverhalt erhoben und von der Kommission rechtlich gewürdigt worden wäre. Das stellt einen die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG verletzenden Verfahrensfehler dar.
Der angefochtene Bescheid war daher als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
B. Zum Verfahrenshilfeantrag B1296/89
I. 1. Die ZDOK wies mit Bescheid vom 2. März 1989, Zl. 117.612/8-ZDOK/4/89, den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung vom 23. Jänner 1989 (s.o. A.I.1.a) gemäß §71 AVG 1950 ab.
2. Der Antragsteller (d.i. der Beschwerdeführer in dem oben zu A.I. geschilderten, zu B489/89 geführten Verfahren) begehrt mit dem am 30. Juni 1989 zur Post gegebenen Schriftsatz die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen diesen Bescheid (hg. Zl. 1296/89), der dem Antragsteller am 4. April 1989 zugestellt worden war.
II. 1. Da die sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1 VerfGG zum Zeitpunkt der Postaufgabe des vorliegenden Antrags schon verstrichen war, trat eine Unterbrechung dieser Frist nicht ein (§464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG); eine künftige Beschwerde erwiese sich daher als verspätet.
Bei dieser Sach- und Rechtslage war der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG) mit in nichtöffentlicher Sitzung gefaßtem Beschluß (§72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG) abzuweisen (vgl. zB VfGH 25.2.1988 B1204/87).
2. Der Antragsteller behauptet (offenbar in eventu), er habe bereits im (mit 18. April 1989 datierten und am selben Tag zur Post gegebenen) Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid der ZDOK vom 23. Jänner 1989 (s.o. A.I.2.) auch zu erkennen gegeben, daß er nicht bloß diesen Bescheid, sondern auch jenen vom 2. März 1989 (s.o. B.I.1.) anzufechten beabsichtige.
Diese Behauptung ist unzutreffend. Im Verfahrenshilfeantrag vom 18. April 1989 ist nämlich unmißverständlich ausschließlich der Bescheid der ZDOK vom 23. Jänner 1989 als beabsichtigter Beschwerdegegenstand angeführt. Die Verfahrenshilfe wurde dem Antragsteller dementsprechend mit hg. Beschluß vom 23. Mai 1989, Zl. B489/89-4, nur zur Erhebung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid bewilligt.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Verhandlung mündliche, Bescheidbegründung, Auslegung eines Antrages, Zivildienst, VerfahrenshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B489.1989Dokumentnummer
JFT_10108873_89B00489_00