TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/8 93/08/0111

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Veröffentlicht am 08.06.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §10 Abs2;
AlVG 1977 §11;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des X in G, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt, G, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 16. März 1993, Zl. IVc 7022 B, betreffend Versagung des Arbeitslosengeldes gemäß § 11 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer stand in der Zeit vom 1. Juni 1987 bis 30. September 1992 als Angestellter in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zur X-Genossenschaft in Graz. Das Dienstverhältnis endete durch Kündigung seitens des Beschwerdeführers.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 1992 wies das Arbeitsamt Graz den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. Oktober 1992 auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 28. Oktober 1992 ab.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, daß er das Dienstverhältnis aus einem triftigen Grund im Sinne des § 11 AlVG gelöst habe. Er sei schon seit längerer Zeit mit einem privaten Immobilienverwaltungs- bzw. Immobilienmaklerunternehmen, der Firma H. Gesellschaft m.b.H. in Kontakt gewesen. Die Geschäftsführung des beabsichtigten neuen Dienstgebers habe ihn gedrängt, sein Dienstverhältnis zum bisherigen Dienstgeber per 30. September 1992 aufzukündigen, weil er ab 1. Oktober 1992 bei der H. GmbH. in ein Angestelltenverhältnis aufgenommen würde. Zwar sei keine verbindliche Einstellungszusage vorgelegen, jedoch habe der Beschwerdeführer an einer Einstellung nicht gezweifelt. Deshalb habe er sein Dienstverhältnis am 31. August zum 30. September 1992 aufgekündigt. In der zweiten Septemberwoche 1992 sei ihm jedoch von der Geschäftsführung der H. GmbH. mitgeteilt worden, daß aufgrund von Problemen in der Personalstruktur seine Aufnahme als Dienstnehmer per 1. Oktober 1992 nicht möglich sei. Mangels fixer Zusage habe er die Aufnahme nicht mit Zwansgsmitteln durchsetzen können.

In einem der Berufung beigelegten Schreiben der H. GmbH. vom 3. November 1992 wird bekanntgegeben, daß die H. GmbH. im Sommer 1992 aufgrund der guten Auftragslage beabsichtigt habe, entsprechend zu expandieren. Sie habe sich daher mit dem Beschwerdeführer, den sie als Mitarbeiter dringend benötigt hätte, in Verbindung gesetzt. Seine Integration sei bereits weitgehend abgesprochen worden und es sei beabsichtigt gewesen, ihn mit 1. Oktober 1992 als Dienstnehmer aufzunehmen. Er habe daher im Einvernehmen mit der H. GmbH. sein Dienstverhältnis gelöst, wobei die H. GmbH. jedoch keine fixe Einstellzusage abgegeben habe. Aufgrund plötzlicher struktureller und personeller Schwierigkeiten sei es der H. GmbH. in der Folge jedoch nicht möglich gewesen, den Beschwerdeführer tatsächlich per 1. Oktober 1992 aufzunehmen. Dies habe sie ihm bedauerlicherweise erst Mitte September 1992 mitteilen können.

Über Anfrage der belangten Behörde teilte der Beschwerdeführer mit, daß die ersten konkreten Verhandlungen mit der H. GmbH. bereits im Februar oder März 1992 stattgefunden hätten. Die H. GmbH. habe ihm ein günstigeres Entgeltangebot von rund S 35.000,-- brutto gemacht; er hätte selbständig, mit einer nicht stundenmäßig vorgegebenen Arbeitszeit, arbeiten können; auch sei die Aufstiegschance eine solche gewesen, die sich in seiner bisherigen Firma als Großbetrieb nicht ergeben hätte. Ein schriftlicher Vertrag sei nicht abgeschlossen worden, weil der Beschwerdeführer rechtliche Probleme durch die auf kollegialer Basis geführten Gespräche nicht gesehen habe. Da das persönliche Vertrauensklima mit seinem bisherigen Dienstgeber wegen der Kündigung getrübt gewesen sei, sei ein produktives Weiterarbeiten bzw. eine Wiedereinstellung undurchführbar erschienen. Auch seien die Aufstiegschancen (im Betrieb des bisherigen Dienstgebers) gehemmt gewesen. Bei der H. GmbH. habe er jedoch Aufstiegschancen erwartet und die Zukunftsaspekte seien auch auf eine weitgehende Selbständigkeit gerichtet gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. Zur Begründung verweist die belangte Behörde auf die Ausführungen des Beschwerdeführers, aus denen zu ersehen sei, daß er zwar nicht grundlos sein langjähriges Dienstverhältnis gelöst, aber doch einige Sorglosigkeit an den Tag gelegt habe, weil er sich von der H. GmbH. die Aufnahme nicht habe vertraglich zusichern lassen. Da er eine gute Position aufgegeben habe, hätte sein zukünftiger Dienstgeber sicherlich in dem Verlangen nach einer schriftlichen Absicherung kein Mißtrauen gesehen, sondern durchaus auf eine in geschäftlichen Dingen angebrachte Vorsichtigkeit geschlossen. Auch erscheine es wenig glaubwürdig, daß sich innerhalb eines Monats - der Kündigungsfrist des Beschwerdeführers - oder sogar innerhalb von ca. 14 Tagen - der Zeit von der Kündigung bis zur Absage in der 2. Septemberwoche - die Situation eines Unternehmens in der gegenständlichen Branche so ändere, daß die konkret versprochene Einstellung eines leitenden Mitarbeiters unterbleibe. Demnach dürften die Gespräche, die der Beschwerdeführer mit der H. GmbH. vorher geführt habe, doch nicht so konkret gewesen sein bzw. hätten sie für ihn nicht der Anlaß für die Aufgabe seines Arbeitsplatzes ohne tatsächliche Zusicherung eines neuen sein dürfen. Die belangte Behörde vertrete daher die Ansicht, daß der Beschwerdeführer mit seiner Qualifikation mehr Sorgfalt an den Tag hätte legen müssen und somit für die Lösung seines Dienstverhältnisses, die zur Arbeitslosigkeit geführt habe, keine triftigen Gründe vorlägen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde führe in der Bescheidbegründung selbst aus, daß die dokumentierten Aufstiegschancen tatsächlich einen triftigen Grund im Sinne des § 11 (§ 10 Abs. 2) AlVG darstellten. Es werde allerdings die Berücksichtigungswürdigkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers deswegen ausgeschlossen, weil er keinen formalrechtlich abgesicherten schriftlichen Vertrag in der Hand gehabt habe. Weiters werde ausgeführt, es erscheine der belangten Behörde nicht glaubwürdig, daß sich innerhalb eines Monats die Verhältnisse beim präsumtiven Arbeitgeber soweit geändert hätten, daß dieser nunmehr eine Aufnahme des Beschwerdeführers als Arbeitnehmer ablehne. Hiezu sei auszuführen, daß die Nichtaufnahme durch den neuen Arbeitgeber in keinem Fall im Bereich des Beschwerdeführers gelegen gewesen sei. Ihm könne auch keine Sorglosigkeit vorgeworfen werden, wenn er, im Bestreben, als junger, vielleicht zukünftiger Unternehmer beruflich weiterzukommen, die Struktur des Unternehmens, in dem er als Dienstnehmer zukünftig hätte arbeiten sollen, nicht richtig erkannt habe. Aufgrund dieser für ihn unguten Situation habe er ohnehin sofort Bestrebungen aufgenommen, um ein entsprechendes Einkommen zu erreichen, das ihn wieder vom Status des Arbeitslosen befreie. Er habe daher auch nur bis einschließlich Dezember 1992 Arbeitslosengeld bezogen und, durch die gegebene Situation gezwungen, mit 1. Jänner 1993 ein eigenes Unternehmen als Immobilienverwalter gegründet. Dieses Verhalten entspreche dem in § 10 Abs. 2 AlVG enthaltenen Ausnahmetatbestand, sodaß er auch Anspruch auf Arbeitslosengeld für die ersten vier Wochen seiner Arbeitslosigkeit habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11 AlVG erhalten Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig ohne triftigen Grund gelöst haben, für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. § 10 Abs. 2 gilt sinngemäß.

Gemäß § 10 Abs. 2 AlVG ist der Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes in berücksichtungswürdigen Fällen, wie z.B. Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen.

Die mangelnde Arbeitswilligkeit wird in den (systematisch miteinander zusammenhängenden) §§ 9 bis 11 AlVG näher geregelt. Während § 9 jene Fälle regelt, in denen Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist, der Arbeitslose jedoch an der Beendigung dieses Zustandes nicht hinreichend mitwirkt (wofür der Gesetzgeber die in § 10 Abs. 1 AlVG vorgesehene Sanktion des Verlustes des Anspruches auf Arbeitslosengeld vorsieht), bestimmt § 11 (in Ergänzung dazu), daß eine solche Sanktion u. a. auch denjenigen trifft, der den Zustand der Arbeitslosigkeit infolge Auflösung seines Dienstverhältnisses ohne triftigen Grund herbeiführt. Diese Bestimmungen sind Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrundeliegenden Gesetzeszwecke, nämlich den arbeitslos Gewordenen, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so wieder in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. § 10 Abs. 1 und 11 AlVG sanktionieren daher das Verhalten desjenigen, der entweder einen solchen Zustand des Unterhalts- und Vermittlungsbedarfes schuldhaft herbeigeführt hat oder zwar ohne Verschulden in einen solchen Zustand geraten ist, seine Beendigung jedoch zu vereiteln sucht (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084, und vom 3. Juli 1990, Zl. 90/08/0106).

Unter den in § 11 AlVG genannten triftigen Gründen sind zwar nicht nur Austrittsgründe im Sinne des Arbeitsvertragsrechtes zu verstehen; die Verwendung des Wortes "triftig" deutet aber daraufhin, daß der Gesetzgeber nicht nur die gänzlich grundlose Herbeiführung des versicherten Risikos "Arbeitslosigkeit" als mangelnde (und damit zumindest temporär anspruchshemmende) Arbeitswilligkeit deutet, sondern auch jene Fälle der Auflösung von Dienstverhältnissen als vermeidbare (und daher der Versicherungsgemeinschaft nicht ohne weiteres zumutbare) Leistungsfälle betrachtet, in denen zwar ein Grund für die Auflösung des Dienstverhältnisses ins Treffen geführt werden kann, es diesem Grund aber (gemessen an den aufgrund der dargelegten Gesetzeszwecke an den einzelnen Versicherten zu richtenden Verhaltensanforderungen) an zureichendem Gewicht mangelt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes "triftige Gründe" vor allem Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie § 9 Abs. 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom Arbeitsamt vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsieht. Die bei Anwendung des § 11 AlVG vorzunehmende Zumutbarkeitsprüfung hat freilich die gänzlich anders geartete Situation des in Beschäftigung Stehenden (zum Unterschied zu dem bereits arbeitslos Gewordenen) zu berücksichtigen (vgl. die Erkenntnisse vom 3. Juli 1990, Zl. 90/08/0106, und vom 19. Mai 1992, Zl. 91/08/0189).

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze hat die belangte Behörde den unbestrittenen Sachverhalt mit Recht dahin beurteilt, daß der Beschwerdeführer sein Dienstverhältnis zwar nicht grundlos, aber ohne triftigen Grund im Sinne des § 11 AlVG aufgelöst hat. (Eine Wertung der dokumentierten Aufstiegschancen als triftigen Grund findet sich - entgegen dem Beschwerdevorbringen - in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht). Denn der bloßen Erwartung höherer Aufstiegschancen und besserer Entlohnung in einem neuen Arbeitsverhältnis mangelt es - gemessen an den aufgrund der dargelegten Gesetzeszwecke an den einzelnen Versicherten zu richtenden Verhaltensanforderungen zwecks tunlichster Bestreitung seines Lebensunterhaltes ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel - an zureichendem Gewicht, um deshalb die freiwillige Lösung eines langjährigen Dienstverhältnisses, von dem der Beschwerdeführer nicht behauptet hat, es sei ihm die Fortsetzung aus einem der in § 9 angeführten Gründen unzumutbar gewesen, als einen der Versichertengemeinschaft zumutbaren Leistungsfall im Sinne des § 11 AlVG erscheinen zu lassen. Für diese Wertung ist es - entgegen der insofern übereinstimmenden Auffassung der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - unwesentlich, daß sich der Beschwerdeführer in bezug auf das beabsichtigte künftige Arbeitsverhältnis rechtlich nicht dergestalt abgesichert hat, daß ihm aus dem behaupteten, nicht ihm zurechenbaren, die Begründung des künftigen Arbeitsverhältnisses verhindernden Verhalten des künftigen Arbeitgebers Ersatzansprüche erwuchsen. Denn eine solche Absicherung hätte zwar dem Beschwerdeführer finanzielle Vorteile gebracht, den Grund der Auflösung des bisher bestehenden Arbeitsverhältnisses unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt der Arbeitswilligkeit des § 11 AlVG aber nicht zu einem triftigen gemacht.

Soweit der Beschwerdeführer abschließend meint, es hätte die Versagung des Arbeitslosengeldes gemäß § 11 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 AlVG nachgesehen werden müssen, weil er sich unverzüglich um die Beendigung seiner Arbeitslosigkeit bemüht habe, ist ihm ebenfalls nicht beizupflichten. Denn berücksichtigungswürdige Nachsichtsgründe im Sinne des § 10 Abs. 2 AlVG können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur solche sein, die dazu führen, daß der Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes den Arbeitslosen unverhältnismäßig härter träfe als dies sonst ganz allgemein der Fall ist (vgl. dazu u.a. die Erkenntnisse vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084, und vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0042). Solche Gründe hat die belangte Behörde im Hinblick auf die genannte rechtliche Absicherungsmöglichkeit des Beschwerdeführers mit Recht nicht angenommen; das in der Beschwerde angesprochene Bemühen des Beschwerdeführers um Beendigung seiner Arbeitslosigkeit stellt deshalb keinen solchen Grund dar, weil eine derartige Verpflichtung jeden Arbeitslosen trifft.

Da somit bereits die Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993080111.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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