TE Vwgh Erkenntnis 1994/5/19 94/19/0058

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Veröffentlicht am 19.05.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z2;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Dezember 1992, Zl. 4.286.315/4-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.430,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iran; er reiste am 4. Oktober 1989 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 23. Oktober 1989, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 15. November 1989 gab der Beschwerdeführer an, keiner Minderheit sowie keiner politischen Partei oder sonstigen Organisation angehört zu haben und auch nicht politisch tätig gewesen zu sein. Er sei während seines Studiums an der Universität mit vier anderen Studenten, Regimegegnern, befreundet gewesen. Diese seien festgenommen, zwei von ihnen seien hingerichtet worden, zwei befänden sich noch immer im Iran in Haft. Er, der Beschwerdeführer, sei nur "aus der Universität geworfen" worden und habe nicht mehr weiter studieren dürfen. Weitere Repressalien ihm gegenüber habe es nicht gegeben, da er nicht gegen das Regime tätig gewesen sei. Während seines Militärdienstes habe er im Jahre 1986 einen Befehl verweigert, weshalb er nach seinem Abrüsten den Revolutionswächtern übergeben und sechs Monate lang ohne Gerichtsverhandlung oder Urteil im Gefängnis festgehalten worden sei. Die Befehlsverweigerung sei erst im Jahre 1987 geahndet worden, weil während des Krieges die Soldaten gebraucht worden seien. In der Folge habe der Beschwerdeführer noch immer Kontakt zu den Familien seiner bereits erwähnten Freunde gehabt. Ende Juni 1989, als der Beschwerdeführer gerade nicht zu Hause gewesen sei, seien Revolutionswächter zur Mutter des Beschwerdeführers gekommen und hätten ihr gesagt, daß der Beschwerdeführer verhaftet werden sollte; sie hätten eine Ladung hinterlassen, wonach er sich innerhalb von zwei Wochen zu melden gehabt hätte. Der Beschwerdeführer sei sicher, daß er wegen der oben beschriebenen Kontakte hätte verhaftet werden sollen; er habe noch am selben Tag Esphahan verlassen und sei deshalb aus dem Iran geflüchtet. Er sei über die Türkei, Griechenland und Jugoslawien nach Österreich gekommen, wobei er sich eines gefälschten Reisepasses habe bedienen müssen.

Mit Bescheid vom 7. August 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In seiner dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer im wesentlichen in Erweiterung seiner erstinstanzlichen Angaben aus, daß die erwähnten Freunde Angehörige der Volksmojahedin gewesen seien und auch er selbst, als gegen das islamische Regime eingestellt, von der Universität entlassen worden sei. Er sei wegen Befehlsverweigerung acht Monate lang im Gefängnis gewesen und habe auch aus diesem Grunde keinen Reisepaß erhalten. Da er weiter Kontakte mit den Familien der Freunde gehabt habe, hätten die Pasdaran das Haus "gestürmt". Darüber hinaus führte der Beschwerdeführer noch an, sei er gegen die islamische Republik eingestellt, sodaß er sich nach seiner Flucht in Österreich dem "Rat der iranischen Flüchtlinge" angeschlossen und an den Aktivitäten dieser Organisation teilgenommen habe; dies sei ein weiterer Grund zu seiner Befürchtung, daß er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland mit schlimmsten Folgen rechnen müsse.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde, die gemäß § 25 Abs. 2 erster Satz AsylG 1991 dieses Gesetz auf das anhängige Verfahren anwandte, die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Die bloß ablehnende Haltung eines Asylwerbers gegenüber dem in seinem Heimatstaat herrschenden System bilde für sich allein noch keinen Grund, ihn als Flüchtling anzuerkennen. Die politische Tätigkeit seiner Freunde sowie deren Schicksal könnten in diesem Verfahren keine Berücksichtigung finden, da davon nicht seine Person direkt betroffen sei; eine gemeinsame politische Tätigkeit habe der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nie behauptet. Nach seinen eigenen Angaben habe er wegen seiner Freundschaft mit diesen Personen keinerlei Repressalien zu erleiden gehabt, da er selbst politisch nicht tätig gewesen sei; Konsequenzen hätten sich nur bezüglich seines Studiums ergeben. Darin könne aber kein "verfolgungsmäßiges Verkürzen des Bildungsweges" erkannt werden, da der Beschwerdeführer Zugang zur Universität gefunden habe, also über eine entsprechende schulische Vorbildung verfüge. Staatliche Maßnahmen zur Einhaltung der Wehrpflicht sowie zur Durchsetzung militärischer Befehle, seien Ausfluß des diesbezüglichen Rechtes eines jeden Staates und bildeten als solche keine politische Verfolgung. Die Hausdurchsuchung aufgrund der Kontakte des Beschwerdeführers mit den Familien seiner Freunde Ende Juni 1989 und die dabei drohende Verhaftung sei noch keine Verfolgungshandlung und könne nur im Einzelfall begründete Furcht vor Verfolgung auslösen, wenn sie aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen erfolge. Die Angabe des Beschwerdeführers, aufgrund der bestehenden Kontakte mit den Familien der Freunde von den Behörden gesucht zu werden, sei unglaubwürdig, da der Beschwerdeführer keine konkreten Angaben darüber gemacht habe, warum plötzlich im Jahre 1989 die Situation in seinem Heimatland gegenüber 1984 unerträglich geworden sei. Unabhängig von der Unglaubwürdigkeit des Berufungsvorbringens sei festzuhalten, daß Umstände, die in Österreich mit der Absicht herbeigeführt würden, eine Furcht vor Verfolgung zu begründen, um Asyl gewährt zu erhalten, nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könnten; das Motiv der Asylerlangung müsse andere Beweggründe deutlich überwiegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes wie unter dem der Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften dagegen, daß die belangte Behörde den Umstand, daß sich der Beschwerdeführer dem "Rat der iranischen Flüchtlinge" angeschlossen habe und an den Aktivitäten dieser Organisation teilnehme, als subjektiven Nachfluchtgrund im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 2 AsylG 1991 beurteilt habe. Aus dem Gesetzestext (argumentum: "... mit der Absicht herbeigeführt.") folge, daß ein qualifizierter Vorsatz des Fremden vorgelegen haben müsse; daher liege der Ausschließungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 Z. 2 des zitierten Gesetzes nur dann vor, wenn es einem Asylwerber bei der Herbeiführung von Umständen, mit denen er seine Furcht vor Verfolgung begründe, genau darum gegangen sei, diese Umstände zur Begründbarkeit seiner Furcht herbeizuführen und nicht schon dann, wenn er dies nur billigend in Kauf genommen habe. Hätte der Gesetzgeber die letztere Möglichkeit gewollt, so hätte er statt "Absicht" den Begriff des "Vorsatzes" gebrauchen müssen. Das Verfahren habe keinerlei Hinweise auf einen als "Absicht" zu qualifizierenden Vorsatz des Beschwerdeführers ergeben; diesbezüglich liege allenfalls auch ein Mangel des Verfahrens vor.

Da sich der Beschwerdeführer somit nicht gegen die - zumindest im Ergebnis zutreffende - Beurteilung des Sachverhaltes in dem Umfang, in dem er die von ihm im Iran geschilderten Ereignisse betrifft, durch die belangte Behörde wendet, braucht darauf im einzelnen auch nicht mehr näher eingegangen zu werden. Zu prüfen bleibt, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Beitrittes zum "Rat der iranischen Flüchtlinge" zu einer anderen Beurteilung hätte führen können.

Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang nur zu erkennen gegeben, daß sie davon ausgegangen ist, das Motiv der Asylerlangung habe andere Beweggründe deutlich überwogen. Sie hat indes nicht dargelegt, aufgrund welcher Umstände sie zu diesem Schluß kommt. Sie hat somit ihre Annahme nicht ausreichend nachvollziehbar erläutert, daß der Beschwerdeführer in Österreich Umstände "mit der Absicht" herbeigeführt habe, seine Furcht vor Verfolgung zu begründen, um Asyl gewährt zu erhalten.

Dieser der belangten Behörde unterlaufene Fehler ist aber auch entscheidungswesentlich, wäre doch das diesbezügliche Vorbringen des Asylwerbers - soferne es sich nicht ohnedies auf Umstände bezog, die bereits in das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren einzubeziehen gewesen wären - trotz § 20 Abs. 1 AsylG 1991 allenfalls im Sinne des Abs. 2 dritter Fall der zitierten Gesetzesstelle zu berücksichtigen gewesen. Dadurch, daß die belangte Behörde es unterlassen hat, den Beschwerdeführer zu seinen Motiven für den Beitritt zum "Rat der iranischen Flüchtlinge" - etwa im Hinblick auf seine bisherige politische Tätigkeit im Heimatland - zu befragen, hat sie in Anbetracht des von ihr gebrauchten Abweisungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 2 AsylG 1991 das Parteiengehör verletzt.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf dem §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Parteiengehör Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994190058.X00

Im RIS seit

27.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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