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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §16 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Dezember 1993, Zl. 4.343.602/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, ist am 4. November 1993 in das Bundesgebiet eingereist. Bei dem Versuch in die Schweiz auszureisen, wurde er zurückgewiesen, da er sich weder im Besitz eines Reisepasses noch eines Sichtvermerkes befand. Am 6. November 1993 wurde ihm zur Kenntnis gebracht, daß gegen ihn die Ausweisung verfügt und die vorläufige Verwahrung angeordnet wurde. In einer niederschriftlichen Einvernahme dazu gab er an, in seinem Heimatland politisch verfolgt und deshalb über Marokko, Spanien, Frankreich, die Schweiz und Italien vor etwa einer Woche nach Wien gereist zu sein. Am 11. November 1993 stellte der in Schubhaft befindliche Beschwerdeführer einen Asylantrag. Anläßlich seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt in Linz am 12. November 1993 führte der Beschwerdeführer im wesentlichen aus, in Algerien in einer Druckerei beschäftigt gewesen zu sein. Da in seinem Heimatland ein Kampf zwischen den "Islamisten" und der Regierung stattfinde und dabei schon fünf seiner Kollegen von den "Islamisten" getötet worden seien, habe er Algerien verlassen. Es gebe bei den Fundamentalisten eine Weisung, daß alle Personen, die in Algerien bei der Presse arbeiteten, getötet werden sollten. Deshalb habe der Beschwerdeführer um sein Leben Angst gehabt. Von den algerischen Behörden "oder der Polizei" habe der Beschwerdeführer nichts zu befürchten gehabt; er sei weder inhaftiert noch verhört worden.
Er habe weder in Spanien, noch in Frankreich, noch in Italien um Asyl angesucht, da er die Absicht gehabt habe, in die Schweiz oder nach Österreich zu gehen, "da es sich dabei um Rechtsstaaten" handle.
Mit Bescheid vom 12. November 1993 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab. In seiner Berufung dagegen brachte der Beschwerdeführer vor, in Algerien keinen ausreichenden (staatlichen) Schutz vor den Übergriffen der islamistischen Fundamentalisten erhalten zu haben; er wäre genauso wie seine Arbeitskollegen ermordet worden, ohne daß ihm der Staat insoweit Hilfe zukommen hätte lassen können. Der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 liege nicht vor, da er in keinem der von der Erstbehörde angeführten Drittstaaten tatsächlich vor Verfolgung, insbesondere vor Rückschiebung in sein Heimatland sicher gewesen wäre. Abgesehen davon habe die Erstbehörde hiezu auch keinerlei Beweisaufnahmen und Sachverhaltsfeststellungen getroffen.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie vertrat in der Bescheidbegründung die Auffassung, daß der Beschwerdeführer bereits in Marokko, in Spanien, in Frankreich und in Italien vor Verfolgung sicher gewesen sei. Für alle diese Staaten, die Mitglieder der Genfer Flüchtlingskonvention seien, sei zu bejahen, daß die Rechtsordnung jeweils einen solchen Schutz gewähre. Weiters könne davon ausgegangen werden, daß in diesen Staaten, deren Rechts- und Verfassungsordnung im großen und ganzen effektiv seien, auch das Nonrefoulementrecht effektiv in Geltung stehe. Schon aus der systematischen Zusammenschau mit § 2 Abs. 3 des AsylG 1991 ergebe sich, daß hiebei eine generalisierende Betrachtung ausreiche; der Beschwerdeführer habe überdies auch nicht darzutun vermocht, daß er - entgegen der dargelegten Vermutung - keinen Rückschiebeschutz genossen haben sollte.
In der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 ist einem Flüchtling kein Asyl zu gewähren, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.
Der Beschwerdeführer bringt nun vor, daß er weder in Marokko, noch in Spanien, Frankreich oder Italien vor Verfolgung sicher gewesen sei; sein Aufenthalt in den genannten Ländern sei nur kurzfristig und illegal gewesen und den dortigen Behörden weder bekannt noch von diesen geduldet worden. Er sei in keinem der genannten Länder vor Rückschiebung in sein Heimatland sicher gewesen, sodaß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 nicht vorlägen.
Dem ist zwar entgegenzuhalten, daß es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, weiters etwa das Erkenntnis vom 29. Oktober 1993, Zl. 93/01/0952 und v.a.) nicht darauf ankommt, ob der Aufenthalt des Asylwerbers den Behörden des betreffenden Staates bekannt geworden und von ihnen geduldet oder gebilligt worden ist, doch hat der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes angeführt, daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 nicht vorliege, da er in keinem der von der Erstbehörde angeführten Drittstaaten (Spanien, Frankreich und Italien) tatsächlich vor Verfolgung, insbesondere vor Rückschiebung in sein Heimatland sicher gewesen sei; der Beschwerdeführer rügte auch in diesem Zusammenhang das Unterbleiben von Beweisaufnahmen und Sachverhaltsfeststellungen.
Die belangte Behörde hat diesbezüglich im bekämpften Bescheid (nur) auf die Tatsache der Mitgliedschaft der bereits mehrfach erwähnten Staaten zur Genfer Flüchtlingskonvention verwiesen und angeführt, daß nichts dafür spreche, daß die aus dieser Mitgliedschaft bestehenden Pflichten nicht eingehalten würden. Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer zu dieser von ihr herangezogenen Tatsachengrundlage nicht vernommen, obwohl er bereits in der Berufung - wie erwähnt - ausgeführt hatte, in den Ländern, auf die sich die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides bezog, nicht vor Verfolgung und Rückschiebung sicher gewesen zu sein. Die belangte Behörde wäre daher gehalten gewesen, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, zu der von ihr herangezogenen Tatsachengrundlage aufgrund der Ergebnisse eines allfälligen Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Dieser Verfahrensmangel erweist sich aber auch als wesentlich, da die Behörden des Verwaltungsverfahrens von sich aus Ermittlungen zum Vorliegen des Asylsausschließungsgrundes nach § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 anzustellen haben, die auch die Frage der Verfolgungssicherheit und des Rückschiebungsschutzes umfassen. Diese Ermittlungsergebnisse sind sodann dem Asylwerber zur Vermeidung der Verletzung des Parteiengehörs vorzuhalten. Wurde jedoch wie hier das Parteiengehör nicht gewahrt, ist nicht auszuschließen, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des begangenen Verfahrensfehlers angesichts der Behauptung des Beschwerdeführers, keinen Rückschiebungsschutz genossen zu haben, zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.
Schlagworte
Parteiengehör AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190271.X00Im RIS seit
27.11.2000