Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der J, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Dezember 1993, Zl. 640.765/7-III/16/93, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I
1. Aufgrund eines Devolutionsantrages der Beschwerdeführerin, einer ungarischen Staatsangehörigen, erging der obgenannte angefochtene Bescheid, dessen Spruch wie folgt lautet:
"Ihre Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 16.2.1993, wird gemäß § 73 Abs. 2 und § 66 Abs. 4 AVG mit der Maßgabe abgewiesen, daß der Spruch wie folgt zu lauten hat:
Gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, werden Sie aus dem Bundesgebiet ausgewiesen."
Begründend führte die belangte Behörde in sachverhaltsmäßiger Hinsicht aus: Die Beschwerdeführerin sei am 16. Februar 1993 von Organen der Bezirkshauptmannschaft, des Arbeitsamtes und der Burgenländischen Gebietskrankenkasse gemeinsam mit zwei weiteren ungarischen Staatsangehörigen dabei betreten worden, als sie einer Erwerbstätigkeit als Verkäuferin im X-Markt in Y nachgegangen sei. Aufgrund dieses Umstandes sei die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom selben Tag gemäß § 17 Abs. 2 Z.5 FrG ausgewiesen worden.
Nach Wiedergabe des Berufungsvorbringens, in dem die Beschwerdeführerin vor allem darauf verwies, daß sie Gesellschafterin und Geschäftsführerin der den genannten Markt betreibenden Gesellschaft m.b.H. sei und daher in keinem Arbeits- oder sonstigen Rechtsverhältnis stehe, das dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unterliege, und weiters, daß sie nicht innerhalb der im § 17 Abs.2 Z. 5 FrG vorgesehenen Frist von einem Monat betreten worden sei, da sie ihre Tätigkeit bereits seit 27. Mai 1992 ausübe, stellte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 1 iVm § 19 FrG, das Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Ungarischen Volksrepublik über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht (BGBl. Nr. 481/1978) sowie § 1 Abs.1 und 2 Aufenthaltsgesetz (BGBl. Nr. 466/1992) folgende Erwägungen an:
Aus der Aktenlage ergebe sich unzweifelhaft, daß die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Tätigkeit im X-Markt in Y bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit betreten worden sei. Aufgrund des § 1 Abs. 2 AufG verfüge sie in Österreich über einen ordentlichen Wohnsitz und bedürfe daher einer Bewilligung nach § 1 Abs. 1 leg. cit. Es bestehe kein Hinweis darauf, daß die Beschwerdeführerin aufgrund persönlicher Umstände vom Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes ausgenommen wäre, weshalb sie sich gemäß § 15 Abs. 1 Z. 2 FrG nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte bzw. aufgehalten habe. Daran ändere auch das genannte Sichtvermerks-Abkommen (Art. 1 Abs. 3) nichts, weil diesem das Aufenthaltsgesetz vorgehe. Bei dieser Sach- und Rechtslage komme der Frage, ob die Beschwerdeführerin einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, keine maßgebliche Bedeutung zu. Da der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich rechtswidrig sei, stelle die Ausweisung keinen Entzug der Aufenthaltsberechtigung dar. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes würden es gebieten, daß Personen, die sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, hier aber einer Erwerbstätigkeit nachgingen, ohne die hiezu erforderlichen Bewilligungen zu haben, ausgewiesen werden. Gegenüber diesem dringenden Erfordernis müßten die privaten und familiären Interessen des Fremden zurücktreten.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Was zunächst den Beschwerdeeinwand anlangt, die belangte Behörde habe es unterlassen, formell über den Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin vom 20. September 1993 zu entscheiden, sodaß nicht abschließend beurteilt werden könne, ob ihr die Entscheidungskompetenz zugekommen sei, ist entgegen dieser Ansicht festzuhalten, daß der dem Spruch des angefochtenen Bescheides vorangehende Satz "Aufgrund Ihres Devolutionsantrages vom 20. September 1993 ergeht folgender Spruch" wie auch die Anführung des § 73 Abs. 2 AVG im Spruch selbst keinen Zweifel daran lassen, daß die belangte Behörde vorliegend aufgrund des genannten Devolutionsantrages den Übergang der Entscheidungszuständigkeit auf sie bejaht hat.
2.1. Die Beschwerde vertritt die Auffassung, daß die belangte Behörde im Rahmen des § 66 Abs. 4 AVG nicht berechtigt gewesen sei, den "Ausweisungstatbestand auszutauschen", d.h. die Ausweisung anstatt auf § 17 Abs. 2 Z. 5 FrG (wie die Erstinstanz) auf § 17 Abs. 1 leg. cit. zu stützen. Dies im Hinblick darauf, daß es sich bei § 17 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 FrG um "zwei völlig verschiedene Tatbestände" handle, "die auch in wesentlichen Punkten unterschiedliche Rechtsfolgen vorsehen". Die belangte Behörde habe somit über eine "andere Verwaltungssache" entschieden als die Erstbehörde.
2.2. Diesem Vorbringen vermag der Gerichtshof nicht beizupflichten. "Sache" des Berufungsverfahrens (§ 66 Abs. 4 AVG) ist der Gegenstand des Verfahrens in der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde. In dem durch den Begriff der "Sache" abgesteckten Rahmen kann die Berufungsbehörde auch von der Vorinstanz nicht herangezogene Gründe aufgreifen, sofern das Parteiengehör im erforderlichen Umfang gewährt wird (vgl. dazu etwa die zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ergangenen Erkenntnisse vom 21. Juli 1994, Zl. 94/18/0401, und vom 25. November 1993, Zl. 93/18/0520, mwN).
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin handelt es sich bei einer Ausweisung nach § 17 Abs. 1 und einer Ausweisung gemäß § 17 Abs. 2 (Z. 1 bis 6) FrG nicht um zwei verschiedene Angelegenheiten, vielmehr folgt aus dem einheitlichen Begriffsinhalt der Ausweisung, nämlich der Ausreiseverpflichtung des betroffenen Fremden (§ 17 Abs. 3, § 22 Abs. 1 FrG) bei Nichtvorhandensein (von Beginn an) oder Wegfall bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen, daß dieses Rechtsinstitut - gleichgültig, auf welche der genannten Gesetzesstellen sich die Behörde bei Gebrauchnahme hievon stützt - eine einzige Angelegenheit darstellt. Die Tatbestände des Abs. 1 und des Abs. 2 Z. 1 bis 6 des § 17 FrG sind (lediglich) die Gründe, die der Behörde für die Erlassung dieser fremdenpolizeilichen Maßnahme zur Verfügung stehen.
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß "Sache" i. S. des § 66 Abs. 4 erster Satz AVG die vor der Erstbehörde in Verhandlung gestandene, den Inhalt des Spruches ihres Bescheides bildende Erlassung der Ausweisung gegen die Beschwerdeführerin war. Im Rahmen dieser Sache war die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 zweiter Satz AVG berechtigt, den erstinstanzlichen Bescheid "nach jeder Richtung", also auch - wie geschehen - unter Heranziehung des von der Unterbehörde nicht angewendeten Tatbestandes des § 17 Abs.1 FrG, abzuändern.
3. Soweit die Beschwerde eine Verletzung des Parteiengehörs in bezug auf die von der Erstinstanz abweichende Rechtsansicht der belangten Behörde (§ 17 Abs. 1 anstatt § 17 Abs. 2 Z. 5 FrG) rügt, ist ihr entgegenzuhalten, daß Gegenstand des Parteiengehörs nur der von der Behörde als erwiesen angenommene Sachverhalt, nicht aber dessen (ins Auge gefaßte) rechtliche Beurteilung ist (§ 45 Abs. 3 AVG).
Was im besonderen den Beschwerdehinweis anlangt, die Nichteinräumung des Parteiengehörs dazu, daß die belangte Behörde die Ausweisung auf § 17 Abs. 1 FrG zu stützen gedenke, habe der Beschwerdeführerin die Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Gewährung eines - nur bei Heranziehung dieser Norm in Frage kommenden - Durchsetzungsaufschubes genommen, so ist diese Rüge - abgesehen von dem eingangs dieses Punktes Gesagten - deshalb nicht zielführend, weil bereits die auf § 17 Abs. 2 Z.5 FrG gestützte erstinstanzliche Ausweisung durchsetzbar war (§ 17 Abs.3 leg. cit.), folglich ein Hinausschieben des Eintrittes der Durchsetzbarkeit im Grunde des § 22 Abs. 1 leg. cit. nicht mehr in Betracht kam.
Soweit sich der Vorwurf der Nichtgewährung des Parteiengehörs auf den Vorfall vom 16. Februar 1993 (das Betretenwerden der Beschwerdeführerin bei einer Tätigkeit, die sie nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht hätte ausüben dürfen) bezieht, ist er im Hinblick darauf verfehlt, daß die belangte Behörde gerade diesen Sachverhalt nicht ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt hat.
4.1. Hinsichtlich des von der belangten Behörde für die Subsumtion unter § 17 Abs. 1 FrG als maßgeblich angenommenen Sachverhaltes - des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in Österreich zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ohne im Besitz einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz - AufG zu sein - vertritt die Beschwerdeführerin den Standpunkt, daß sie deshalb keiner Bewilligung nach dem genannten Gesetz bedürfe, weil auf sie die dafür im § 13 Abs. 3 leg. cit. normierten Voraussetzungen zuträfen. Da ihr von der belangten Behörde zu der vorbezeichneten Sachverhaltsannahme das rechtliche Gehör nicht gewährt worden sei, sei sie nicht in der Lage gewesen, vor Ergehen der angefochtenen Entscheidung ihre Ansicht, es komme für sie § 13 Abs. 3 AufG zum Tragen, sachverhaltsmäßig zu untermauern.
4.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Die belangte Behörde war zwar berechtigt, die Ausweisung der Beschwerdeführerin auf § 17 Abs. 1 FrG zu stützen, dies freilich - wie dargetan (oben II.2.2.) - nur unter der Voraussetzung der Gewährung des Parteiengehörs zu dem von ihr als maßgeblich erachteten Sachverhalt, der im Hinblick auf den erstmals herangezogenen Tatbestand des § 17 Abs. 1 FrG notwendigerweise ein anderer war, als der von der Erstbehörde unter dem Gesichtspunkt des § 17 Abs. 2 Z. 5 leg. cit. als maßgeblich festgestellte Sachverhalt. Da die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das insoweit gebotene Parteiengehör unbestrittenerweise nicht gewährte, hatte diese keine Gelegenheit, ihr unter dem - zweifellos relevanten - Aspekt des § 13 Abs. 3 AufG wesentlich erscheinendes Tatsachenvorbringen zu erstatten - zumal die Beschwerdeführerin angesichts des erstbehördlichen Bescheides nicht damit rechnen mußte, daß der Frage des Vorliegens/Nichtvorliegens einer Bewilligung nach dem AufG bzw. der Frage der Anwendbarkeit der Ausnahme nach § 13 Abs. 3 leg. cit. entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt, sie somit nicht gehalten war, von sich aus in dieser Hinsicht zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.
5. Da nach dem Gesagten nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde, hätte sie das Parteiengehör im gebotenen Umfang gewährt, zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigeren Bescheid gekommen wäre, sich demnach der Verfahrensmangel als wesentlich erweist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Parteiengehör Allgemein Parteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994180013.X00Im RIS seit
27.11.2000