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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Beschwerde der E in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. September 1993, Zl. MA 15-II-BEG 33/93, betreffend Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten nach dem Behinderteneinstellungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am 25. Oktober 1942 geborene Beschwerdeführerin beantragte am 24. Juli 1991 beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland (LIA) die Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß den Bestimmungen der §§ 2 und 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) und machte dazu eine Hörschädigung und eine Sehbehinderung als Gesundheitsschädigungen geltend. Im Verfahren zur Feststellung der Behinderteneigenschaft gab die Beschwerdeführerin am 23. Juni 1992 niederschriftlich an, daß sie ab Herbst 1991 unter einer "Stauballergie" leide und auch "um Einschätzung dieses Leidens" ersuche.
Nachdem zur geltend gemachten Allergie ein fachärztliches Gutachten eines Dermatologen eingeholt worden war (Gutachten vom 30. November 1992), wurde am 1. Dezember 1992 ein ärztliches Sachverständigengutachten über die Gesamteinschätzung des Grades der Behinderung erstellt. Dabei wurde der durch die Hörschädigung verursachte Grad der Behinderung mit 40 %, die durch die verminderte Sehleistung bestehende Behinderung mit 30 % berücksichtigt. Die im Zusammenwirken dieser Gesundheitsschädigungen verursachte Funktionsbeeinträchtigung betrage 50 %, weil der Grad der Behinderung der führenden Position (Hörschädigung) durch die Sehbehinderung um eine Stufe erhöht werde. Die Gesundheitsschädigung der Hausstaubmilbenallergie bleibe bei dieser Einschätzung außer Ansatz, weil der Grad dieser Behinderung im dermatologischen Fachgutachten mit 0 % eingestuft worden sei und daher (weil weniger als 20 %) auch im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsschädigungen keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursache.
Zu diesem "Ergebnis des ärztlichen Beweisverfahrens" gab die Beschwerdeführerin keine Stellungnahme ab.
Mit Bescheid vom 10. Februar 1993 stellte das LIA gemäß § 14 Abs. 2 BEinstG fest, daß die Beschwerdeführerin ab 24. Juli 1991 dem Kreis der begünstigten Behinderten (§ 2 Abs. 1 BEinstG) angehöre. Der Grad der Behinderung
(§ 3 BEinstG) betrage 50 v.H.. In der Begründung verwies die Behörde auf das ärztliche Sachverständigengutachten.
Mit der Begründung, "da ein Leiden" mit 0 % eingeschätzt worden sei, sie aber unter der Hausstaubmilbenallergie sehr leide, berief die Beschwerdeführerin gegen den Bescheid.
Im Berufungsverfahren veranlaßte die belangte Behörde die Erstellung eines Gutachtens der amtsärztlichen Untersuchungsstelle beim Magistrat der Stadt Wien zur Feststellung des Grades der Behinderung (unter Beachtung der Sätze des Richtsatzkataloges im Sinne des § 7 KOVG). Das mit 27. Juli 1993 datierte Gutachten der amtsärztlichen Untersuchungsstelle hat folgenden Wortlaut:
"Gutachten und Einschätzung der MdE:
1. Hochgradige Innenohrstörung bds. VII/a/643
Oberer Rahmensatz wegen Tinnitus Tab. 3/3 40 %
2. Herabsetzung der Sehleistung re. VI/c/637
auf 1/20 Tab./K 1/Z 7 30 %
Oberer Rahmensatz wegen fehlender
Leseleistung
3. Hausstaubmilbenallergie IX/c/702 20 %
mittelgradig an teilw. bedeckten
und unbedeckten Körperstellen
Die Gesamt MdE beträgt 60 % vH, weil der führende Wert von 40 % vH durch die Positionen 2 und 3 um 2 Stufen erhöht wird.
Diese Änderung der MdE auf 60 % vH ist bereits ab 24.7.1991 anzunehmen."
Das Gutachten wurde der Beschwerdeführerin übermittelt (Zustellung durch Hinterlegung am 12. August 1993), um ihr Gelegenheit zu geben, dazu innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin gab keine Stellungnahme ab.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und stellte fest, daß die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Grades der Behinderung von 60 % den im § 2 Abs. 1 BEinstG genannten begünstigten Behinderten seit 24. Juli 1991 zuzuzählen sei. In der Begründung referierte die belangte Behörde das Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Wien vom 27. Juli 1993. Dieses Gutachten sei der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht und kein Einwand erhoben worden. Im Gutachten, das als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung dem Bescheid zugrundegelegt werde, sei der Grad der Behinderung mit 60 v.H. ab 24. Juli 1991 eingeschätzt worden. Da somit die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BEinstG erfüllt seien, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
In der Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Bescheid werde hinsichtlich der Festsetzung des Grades der Behinderung mit 60 % angefochten.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 2 Abs. 1 BEinstG sind begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind gemäß § 3 Abs. 2 leg. cit. die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG), mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenhang mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Gemäß § 7 Abs. 1 KOVG ist unter Minderung der Erwerbsfähigkeit die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist gemäß § 7 Abs. 2 leg. cit. nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. In der dazu ergangenen Richtsatzverordnung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150/1965, wird im Abschnitt IX für dort näher definierte Hautkrankheiten bei mittelgradiger Störung unter Position 702 bei Erkrankung an üblicherweise bedeckten Körperstellen ein Hundertsatz für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 0 bis 20, bei Erkrankung an üblicherweise unbedeckten Körperstellen eine MdE von 20 bis 30 v. H. angegeben.
In der Beschwerde wird geltend gemacht, die belangte Behörde habe in ihrer Entscheidung keinerlei Begründung für die Bewertung der Hausstaubmilbenallergie mit 20 % angeführt. Gemäß Pos. 702 der Richtsatzverordnung betrage der Richtsatz für in ihrer Auswirkung mittelgradige Hautkrankheiten an üblicherweise unbedeckten Körperstellen 20 bis 30 %. Die belangte Behörde habe nicht begründet, wie sie zum Ergebnis ihrer Einschätzung von 20 % innerhalb des Rahmensatzes gelangt sei und habe diese Einschätzung auch nicht medizinisch begründet. Weiters habe die Behörde lediglich ausgeführt, daß sie das Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Wien als schlüssig anerkannt und in freier Beweiswürdigung den Grad der Behinderung mit 60 % eingeschätzt habe. Dazu habe die belangte Behörde nicht dargelegt, wie sie im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu einer Einschätzung von 60 % gelangt sei. Der angefochtene Bescheid leide sohin an erheblichen Begründungsmängeln. Allein aufgrund der vorliegenden Erkrankungen und den diesen zugewiesenen Prozentsätzen hätte die belangte Behörde auf einen höheren Grad der Behinderung als 60 % kommen müssen. Die Entscheidung der belangten Behörde sei jedoch mangels Begründung nicht nachvollziehbar. Im übrigen hätte die Hausstaubmilbenallergie höher eingestuft werden müssen. Die Allergie sei zwar als mittelgradig bewertet worden, die Beschwerdeführerin leide unter dieser Allergie jedoch erheblich und es hätte ein weiteres Gutachten zur Feststellung, ob diese Krankheit anstatt mittelgradig als höhergradig zu bewerten sei, eingeholt werden müssen. Auch die Unterlassung der Einholung eines Gutachtens speziell in Hinblick auf die Hausstaubmilbenallergie stelle einen Verfahrensmangel dar. Diesbezüglich hätte die Beschwerdeführerin von einem Hautfacharzt, der sich auf Allergien spezialisiert habe, untersucht werden müssen. Die belangte Behörde habe sohin den Sachverhalt nicht hinreichend festgestellt, ihr Ermessen falsch ausgeübt und ihre Entscheidung nicht begründet.
Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung ein amtsärztliches Gutachten vom 27. Juli 1993 zugrundegelegt, in dem bei der Ermittlung der Gesamt-MdE - im Gegensatz zu dem im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten ärztlichen Gutachten - auch die Hausstaubmilbenallergie mit einer MdE von 20 % Berücksichtigung fand. Die für die Hausstaubmilbenallergie angesetze MdE von 20 % (mittelgradig an teilweise bedeckten und unbedeckten Körperstellen) lag zwar an der Untergrenze der in der Richtsatztabelle vorgesehenen MdE für üblicherweise an unbedeckten Körperstellen vorgesehenen Werte, jedoch an der Obergrenze der für "an üblicherweise bedeckten Körperstellen" angesetzen MdE. Im Gutachten wird auch angegeben, wie die Gesamteinschätzung der MdE von 60 % durchgeführt wurde. Trotz im Verwaltungsverfahren gebotener Möglichkeit hat die Beschwerdeführerin dieses Gutachten nicht bemängelt. Die belangte Behörde ging bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht über die inhaltlichen Feststellungen des Gutachtens vom 27. Juli 1993 hinaus, sodaß sich die in der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gerichteten Einwendungen in Wahrheit gegen das amtsärztliche Gutachten vom 27. Juli 1993 richten. Wenn die Beschwerdeführerin erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Mangelhaftigkeit eines Gutachtens bekämpft, so handelt es sich um keine Rüge des Inhaltes des Bescheides, sondern um eine Verfahrensrüge. Da die Partei trotz des Grundsatzes, daß die Behörde von Amts wegen vorzugehen hat, an der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes mitzuwirken hat, ist eine solche Verfahrensrüge einer Partei im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässig, weil die Beschwerde nicht als ein Mittel zur Nachholung der im Verwaltungsverfahren versäumten Handlungen zu betrachten ist (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 1993, 92/07/0050, mit weiteren Nachweisen). Dem Beschwerdevorbringen steht insoweit das aus § 41 Abs. 1 VwGG ableitbare Neuerungsverbot entgegen. Bei dieser Sachlage - keinerlei Bestreitung des Amtssachverständigengutachtens im Verwaltungsverfahren - war die Behörde auch nicht gehalten, die Einschätzung der MdE weiter "medizinisch" zu begründen oder Ergänzungsgutachten einzuholen.
Die Beschwerde konnte damit keine relevanten Verfahrensmängel des angefochtenen Bescheides aufzeigen, sodaß sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der gemäß ihrem Art. III Abs. 2 anzuwendenden Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel Besondere Rechtsgebiete Diverses Gutachten Ergänzung Gutachten Parteiengehör Parteieneinwendungen Gutachten rechtliche Beurteilung Gutachten Überprüfung durch VwGH Sachverhalt Mitwirkungspflicht Verschweigung Sachverhalt Sachverständiger GutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993090473.X00Im RIS seit
25.01.2001